Laut Roland Reuß bin ich also tief verzweifelt (zumindest im Kierkegaardschen Sinn). Ich selbst bin Herrn Reuß aber gewissermaßen dankbar für das Buch (und auch Julia, die mir dieses Buch geschenkt hat!). Denn es hat mir wieder ins Bewusstsein gerufen, warum ich Bücher so sehr mag. Warum ich meine Wohnung mit immer mehr Büchern anfülle und warum auch die Zahl der Bücher auf meinem Ebook-Reader immer weiter wächst. Warum ich weiterhin Tag für Tag Texte verfasse, die sowohl elektronisch als auch gedruckt erscheinen. Vielen Dank, Herr Reuß! Und vielen Dank auch, dass ihr “Buch” genaugenommen nur eine Broschüre von 88 Seiten Länge ist (ich wäre eigentlich überzeugt gewesen, dass alles ohne harte Buchdeckel rundherum ebenfalls des Teufels ist). Mehr hätte ich auch auf keinen Fall vertragen…

Blasmusikpop und Makarionissi

Wenden wir uns wieder erfreulichen Büchern zu. Im Kurzurlaub Anfang August war ich kurzfristig ohne Buch. In einem Buchladen habe ich dann “Blasmusikpop oder Wie die Wissenschaft in die Berge kam” von Vea Kaiser gefunden. Die Existenz dieses Buchs war mir natürlich bewusst. Als es 2012 erschienen ist, gab es ja jede Menge Rummel um “Blasmusikpop” und die Autorin. Gefühlt wurde damals auf jedem Fernsehsender und in jeder Zeitschrift darüber berichtet und ausschließlich positiv und euphorisch. Ich bin dann bei sowas ja immer automatisch ein wenig skeptisch, irrational stur und lese das Buch dann absichtlich nicht. Aber eben weil das irrational ist habe ich mir das Buch nun doch besorgt. Ich habe mich auf die Terrasse gesetzt, die erste Seite aufgeschlagen und angefangen zu lesen. Und nachdem ich ein paar Stunden später die letzte Seite umgeblättert hatte, kann ich nun berichten: “Blasmusikpop” ist ein absolut großartiges Buch und der ganze Rummel damals war mehr als gerechtfertigt!

veakaiser

Vea Kaiser kommt aus Niederösterreich. Und ihr Buch spielt auch in Österreich; in einem nicht näher lokalisierten Bergdorf in den Alpen: St. Peter am Anger. Das liegt so richtig am Arsch der Welt und ist entsprechend rückständig und von ebenso rückständigen Bauern bewohnt. Bis eines Tages einer der Bewohner an einem Bandwurm erkrankt, nicht arbeiten kann und sich die Zeit damit vertreibt, alles über Bandwürmer zu lernen, was es zu lernen gibt. Fasziniert von der Medizin beschließt er, das Dorf zu verlassen, nach Wien zu gehen und Medizin zu studieren. Das tut er auch – lässt aber Frau und Tochter zurück. Der ungebildete Handwerker kommt als gebildeter Arzt wieder nach St. Peter und verzweifelt dort nicht nur an der Ignoranz der restlichen Bevölkerung sondern auch seiner Tochter. Sein Enkelkind aber will er aus der dumpfen Dorf-Tristesse retten und sorgt für dessen Bildung. Johannes wächst zu einem echten “Nerd” heran, dessen Interesse aber eher bei Geschichte und Geisteswissenschaft liegen, womit er aber wunderbar in das Klostergymnasium des Nachbarorts passt.

Das Buch überspannt mehrere Generation und endet in der Gegenwart. Vea Kaiser erzählt die Geschichte des Dorfes und vor allem die Geschichte von Johannes, der nicht nur mit den üblichen Problemen des Erwachsenwerdens zu kämpfen hat sondern auch mit einem bildungsfeindlichen Umfeld und einer bildungsfeindlichen Familie. Das Buch ist – wie schon gesagt – absolut hervorragend. Es ist spannend, es ist ist skurril, es ist lustig, es ist intelligent und ich habe schon lange keinen Roman mehr gelesen, der mir so viel Spaß gemacht hat! Wenn ihr es noch nicht kennt, dann lest es bitte auf jeden Fall!

Noch beeindruckender ist der Erfolg von “Blasmusikpop” wenn man berücksichtigt, dass es der Debütroman von Vea Kaiser war, sie das Buch während ihres Studiums geschrieben hat und bei der Veröffentlichung erst 23 Jahre alt war. Das lässt einerseits auf eine große Karriere als Schriftstellerin hoffen; andererseits aber auch befürchten, dass es nur ein einmaliger Erfolg war. Ich hab mir aber trotzdem direkt im Anschluss an “Blasmusikpop” das im Mai diesen Jahres erschienene zweite Buch von Kaiser besorgt: “Makarionissi oder Die Insel der Seligen”.

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Kommentare (34)

  1. #1 Harry
    Carpentras
    31. August 2015

    So, jetzt hab ich bei dem Reuß-Buch bei Amazon auf “Ich möchte dieses Buch auf meinem Kindle lesen” geklickt! 🙂
    (Sorry für die falschen Anführungszeichen)

  2. #2 Mike
    Berlin
    31. August 2015

    Snobistische Buchliebhaber: Hier noch ein Link zu einem ähnlich sonderbaren Menschen: https://www.buchreport.de/nachrichten/nachrichten_detail/datum/2014/02/05/unfug-beschiss-und-niedergang.htm

  3. #3 TheBug
    31. August 2015

    Hat der Herr Reuß auch kritisiert, dass man eigentlich auf den Bäumen hätte bleiben sollen?

  4. #4 Spritkopf
    31. August 2015

    Florian, dann ändere bloß die “skurillen Alpenwissenschaftler” in “skurrile Alpenwissenschaftler”. Falls der Herr Reuß jemals durch blanken Zufall hierhinfinden sollte… na, da steht dir aber ein Einlauf im Flattersatz bevor, der sich gewaschen hat. 😉

  5. #5 brian
    31. August 2015

    @Mike: Ihr “sonderbarer Mensch” scheint mir aber in einigen Punkten nicht ganz Unrecht zu haben, besonders das Thema Zensur und gläserner Leser sind nicht von der Hand zu weisen

  6. #6 Nora
    31. August 2015

    Bei dem Reuß-Buch kam mir sofort der Gedanke, wie es sich eigentlich mit Büchern in Braille-Schrift verhält. Die gibt es ja schon wesentlich länger als das “Netz”. Oder wie ist es mit Leuten, die aufgrund ihrer Sehbehinderung (oder einfach nur so) auf Hörbücher oder Vorlesetools zurückgreifen? Aber auf sowas geht der wahrscheinlich überhaupt nicht ein, oder?

  7. #7 Sardor
    31. August 2015

    Gedruckte Bücher? Ich verstehe Texte nur auf Steintafeln!

  8. #8 kdm
    31. August 2015

    Es gibt einen Grund, weshalb die Wischer nicht Hölderlin bis Joyce lesen, sondern stattdessen twittern oder ohne Bewusstsein bei der Datenkrake Facebook ihren banalen Senf zur Einheits-Soße geben.
    .
    FF: Keinen Respekt vor der Buchkunst? Also der Kunst, ein lesbares, ja: schönes, zum Lesen einladendes Buch herzustellen, mittels Auswahl der Größe, Schrift, Druckart, Stärke und Farbton des Papiers, ganz (nee: NICHT) zu schweigen vom Autor, vom Übersetzer…
    Ja, ich lese lieber ein GUTES, und ein GUT GEMACHTES Buch als auf dem Lesegerät meiner lieben Gattin – die das aber nur aus Not hat und nutzt = weil Bücher in ihrer Sprache kaum bei uns erhältlich sind (außer die mit den knallig bunten Umschlägen für die D’ppen)
    .
    .”…falls Sie die „Ilias” als E-Book lesen wollen: Bitte, wir leben in einer freien Gesellschaft, jeder kann machen, was er will. Nur: Alles, was wir über uns wissen, verdanken wir der Überlieferung aus Büchern, und das seit bald zweitausend Jahren. Bisher aber gibt es keinen Beweis dafür, dass die elektronischen Geräte ähnlich lange überdauern werden. … Wenn wir im Keller Bücher finden, die wir einst als Kind gelesen haben, bewegt uns das. Wenn wir aber eines Tages die Diskette finden, die wir als Kind verwendet haben, kann unser Computer sie nicht mehr lesen, und die Diskette ist dieselbe wie die einer beliebig anderen Person.” (Umberto Eco, Dezember 2010, FAZ interview)

  9. #9 Veit
    31. August 2015

    Und ich weiß jetzt auch warum dein Astronomieverführer nicht als E-Book erhältlich ist…
    Aber wenn man von den Thesen des Herrn Reuß ausgeht, darf man auch keine Übersetzungen lesen und die Ilias muß auf Pergamentrollen veröffentlicht werden.

  10. #10 Spritkopf
    31. August 2015

    …falls Sie die „Ilias” als E-Book lesen wollen: Bitte, wir leben in einer freien Gesellschaft, jeder kann machen, was er will. Nur: Alles, was wir über uns wissen, verdanken wir der Überlieferung aus Büchern, und das seit bald zweitausend Jahren.

    Wenn, dann möchte bitte die Ilias vorgesungen werden. Und zwar in Altgriechisch! Neumodischen Kram wie Bücher gabs nämlich in ihrer Entstehungszeit noch nicht.

  11. #11 peer
    31. August 2015

    Was ich nur komisch finde: Reuß schreibt von ” 2500 Jahre ästhetischer Reflexion ” – das ist doch etwas merkwürdig. Schriftsteller, die von einem größeren Publikum gelesen werden (und ein Publikum, das lesen kann) gibt es erst seit 200 Jahren (+/-). Der Buchdruck selbst stammt aus dem 15. Jahrhundert und davon gab es auch keinen einheitlichen Schriftsatz oderTypus – von einer einheitlichen Rechtschreibung ganz zu schweigen (die gibts etwa seit 150 Jahre).

    Wie man auch sonst zu ihm stehen mag: Seine Ausführungen sind historischer Quark. Und damit prinzipiell auch erst mal seine Schlußfolgerungen.

  12. #12 MartinB
    31. August 2015

    @kdm
    Also ich habe auf nem e-book-Reader Goethe, Stifter, Austen, Trollope, Shakespeare – ja, und auch die illias – gelesen.
    Klar ist ein schön gesetztes Buch hübscher – auf der anderen Seite erscheinen viele Klassiker bei Reclam, da ist der Unterschied nicht so groß. Und so kann ich den kompletten Shakespeare und Austens sämtliche Romane und und und immer dabeihaben und sie dann lesen, wenn meine Stimmung gerade danach ist.

  13. #13 MartinB
    31. August 2015

    PS: Mal davon abgesehen, dass die Klassiekr als ebook meist kostenfrei oder für sehr wenig Geld zu haben sind (Shakespeares Collected Works kosteten bei Amazon so etwa 1 Euro…). Aber Leute ohne Geld sollen ja vermutlich eh nicht lesen. (Und Leute, die weitischtig sind und sich über die variable Schriftgröße auf dem Reader freuen, schon erst recht nicht.)

    Ja, Buchsatz ist eine Kunst und ein gut gesetztes Buch ein Kunstwerk. Aber die Illias bleibt auch dann kunst, wenn sie in comic Sans auf nem ebook-Reader gelesen wird. Da verwechselt jemand den Rahmen mit dem Bild…

  14. #14 Lercherl
    31. August 2015

    Roland Reuß hat sich schon früher durch bemerkenswerte Ignoranz ausgezeichnet, als Initiator des Heidelberger Appells gegen Open Access.

    Auch dürfte er bemerkenswert wenig Ahnung haben, wie elektronische Medien funktionieren. Dass billig gemachte E-Books oft eine grauenhafte Typographie haben, ist richtig, hat aber vorerst einmal gar nichts mit dem Medium E-Book zu tun: Das gilt für billig gemachte Papier-Bücher aber genauso (dort noch verschärft durch schlechte Bindung und Papier).

  15. #15 Turi
    31. August 2015

    @kdm Nein, auch Bücher überleben nur in sehr sehr seltenen Ausnahmefällen 2000+ Jahre. Wir können die Illias nur deshalb lesen, weil sie über die Jahrtausende immer wieder kopiert wurde. Etwas, was sich mit elektronischen Medien in Sekundenbruchteilen durchführen lässt. Und zwar unabhängig vom Inhalt.
    Durch das böse Internet und der damit möglichen verteilten Infrastruktur haben wir sogar ein System, welches uns ermöglicht, Informationen für sehr sehr lange Zeit zu sichern. Momentan bräuchte es eine globale Katastrophe, um zum Beispiel bei Google gespeicherte Daten zu verlieren. (Oder ein extremer Programmfehler im Datenverwaltungssystem bei Google, aber selbst da gibt es Backups die eine Datenrettung ermöglichen)
    Es ist schade, dass diese Systeme zum größten Teil in der Hand von Konzernen sind. Aber es gibt keinen zwingenden Grund, warum das so bleiben müsste.
    Dazu kommt, das IT Systeme es erlauben, eine gewaltige Menge an Informationen zu speichern. Auf eine Festplatte passen mehr Bücher, als alle Bibliotheken in Deutschland zusammen aufbewahren könnten. Und da heutzutage mehr Bücher geschrieben werden, als jemals zu vor, und wir im Idealfall all diese Bücher aufbewahren möchten, kommen wir um eine elektronische Speicherung gar nicht mehr drumherum.

  16. #16 Spritkopf
    31. August 2015

    @Turi

    Dazu kommt, das IT Systeme es erlauben, eine gewaltige Menge an Informationen zu speichern. Auf eine Festplatte passen mehr Bücher, als alle Bibliotheken in Deutschland zusammen aufbewahren könnten.

    Dazu ergänzend: Es wird ja immer gern das Argument von der Diskette, für die kein Diskettenlaufwerk mehr existieren würde, oder von der Festplatte, die kaputtgehen könnte oder für die es kein Interface mehr gäbe, gebracht. Für mich ist dieses Argument nicht besonders relevant.

    Meine Daten – u. a. auch Bücher – befinden sich sämtlich auf meiner normalen Datenplatte und werden regelmäßig gesichert. Zeigt die Datenplatte irgendwann erste Ausfallerscheinungen wie Lesefehler oder verdächtiges Klackern, dann wird sie gegen eine neue getauscht und alle Daten darauf in einem Rutsch herüberkopiert. Sie befinden sich also stets auf einem technisch aktuellen Medium und existieren zudem nochmal als Sicherheitskopie. Sorgen über die Lesbarkeit von alten CDs oder Disketten muss ich mir damit keine mehr machen.

    Die beiden einzigen Fälle, in denen es problematisch wird, ist, wenn die Hütte abbrennt oder wenn ich dermaleinst den Löffel abgebe und 50 Jahre später einer meiner Nachfahren die Bücher auf der Festplatte lesen möchte. Im Brandfall – zumindest wenn ich anwesend bin – kann ich mir jedoch die Festplatte wesentlich leichter in die Tasche stecken als die rund 20 Meter Buchregal, die bei mir herumstehen.

    Für meine Nachfahren muss ich dann leider sagen: Pech gehabt (auch wenn es mich in dem Moment vermutlich nicht mehr besonders interessieren wird).

  17. #17 Lercherl
    31. August 2015

    Ich ertappe mich manchmal dabei, dass ich bei einem gedruckten Buch mit Zoom-Geste die Schrift vergrößern will, wenn ich sie schlecht lesen kann. Gerade für ältere Semester sind E-Book-Reader, speziell solche mit Hintergrundbeleuchtung ein Segen. Ich habe auf meinem Tablet mehr als 2000 E-Books, die meisten davon eingescannte Drucke von archive.org im DjVu- oder PDF-Format, also mit allen Feinheiten der Typographie des Originals.

  18. #18 Red
    31. August 2015

    Also ich hab das Buch ja nun nicht gelesen, aber seine Argumentation bewegt sich für mich auf dem Niveau “wer xy behauptet ist doof.” Nur eben mit kunstvoll zusammengestellten Fremdwortparaden ausgeschmückt.

    Ich lese 2 Arten von Büchern:
    1.) Belletristik: Dafür brauch ich kein Printmedium, Unterhaltung, die ich meist einmal konsumiere und dann in den meisten Fällen nicht mehr.

    2.) Fachbücher: Und da besonders Publikationen zu archäologischen Funden, Experimentalarchäologie, mittelalterliche Sachkultur usw. Hierbei gibts für uns Leser ein gravierendes Problem: Interessiert kaum jemand, Auflagen sind daher klein, Druckkosten pro Buch entsprechend hoch, ich hab nicht jedes Mal das Geld, mir für jedes Buch mal zwischen 60 und 300 EUR aus dem Gehalt zu brechen. Oder aber man kriegt die Sachen nur noch antiquarisch, dann kann man gut und gern mal 600 EUR und mehr auf den Tisch legen, nachgedruckt wird oft nicht, weil interessiert ja keinen (is klar für so viel Geld). Für genau solche Inhalte, ist es großartig, E-Bücher zu haben, günstig, unendlich vervielfältigbar, schnell und unkompliziert ver- und einkaufbar. Und mich interessiert der Geruch der Seiten und die Art des Absatzes einen Scheißdreck, wenn ich Informationen haben will. Das sind Bücher für mich. Informationen, die in mein Gehirn sollen, damit ich da drin was mit ihnen anfangen kann. Und ob die jetzt in korrekter Zeichensetzung daher kommt oder auf handgeschöpftem Büttenpapier oder als PDF-Dokument, ist mir dann relativ egal.

    Hat man wohl bei der Erfindung des Buchdrucks genauso gejammert über den fehlenden Respekt vor handgefertigten, blattgoldgezierten Pergamentseiten?

  19. #19 Florian Freistetter
    31. August 2015

    @Veit: “Und ich weiß jetzt auch warum dein Astronomieverführer nicht als E-Book erhältlich ist…”

    Doch – heißt da nur “Der Komet im Cocktailglas”, so wie die Hardcover-Ausgabe…

  20. #20 Florian Freistetter
    31. August 2015

    @kdm: “Es gibt einen Grund, weshalb die Wischer nicht Hölderlin bis Joyce lesen, sondern stattdessen twittern oder ohne Bewusstsein bei der Datenkrake Facebook ihren banalen Senf zur Einheits-Soße geben.”

    Also sind Leute, die elektronische Texte lesen, doofer als andere? Oder wie muss man das verstehen?

    “Keinen Respekt vor der Buchkunst? “

    Natürlich. Aber ein Buch ist nicht Selbstzweck. Ein Buch ist ein MEDIUM. Sich nur auf das Äußere zu konzentrieren hat nichts mit “Respekt” zu tun. Das ist, wie schon gesagt, Fetischismus.

  21. #21 Forodrim
    31. August 2015

    naja, der “sonderbare Mensch” Friedrich Forssman, der in den Kommentaren verlinkt ist, hat bei den Punkten recht, bei denen es nicht wirklich um das Medium “eBook” an sich geht, sondern eher um die rechtliche Gegebenheiten. Weiterverkauf von Büchern, Abschaltung von DRM Servern und mehr sind eher das Problem einer nicht mehr zeitgemässen Rechtslage.

    Sowohl Reuß als auch Forssman haben dabei das Problem, das sie beide offenbar nicht über ihren eigenen Tellerrand schauen können. Die Vorteile der eBooks, die Skalierbarkeit der Schriftgröße ist für Menschen mit Sehbehinderung z.B. sehr hilfreich, werden durch die eigenen Scheuklappen schlicht nicht gesehen.

  22. #22 Lercherl
    31. August 2015

    @Red:

    Hat man wohl bei der Erfindung des Buchdrucks genauso gejammert über den fehlenden Respekt vor handgefertigten, blattgoldgezierten Pergamentseiten?

    Selbstverständlich hat man das, mit Argumenten, die denen des Herrn Reuß bemerkenswert ähnlich sind. Sehr schön zusammengefasst in “Standardsituationen der Technologiekritik” von Kathrin Passig (leicht zu googeln)

  23. #23 Karsten
    Halle
    31. August 2015

    Da sind wieder interessante Lese-Vorschläge dabei – für mich als Bibliothekar ist natürlich insbesondere der Verriss des Lesens elektronischer Texte interessant. Vielleicht kann ich den unseren Fachreferenten als Buchvorschlag unterjubeln …
    (Nicht etwa, weil ich der Meinung des Snobs bin, sondern weil Kuriositäten wie diese nicht in Vergessenheit geraten dürfen …)

    Apropos: Deine Empfehlung vom 10.06. – The Three-Body-Problem – hat inzwischen den Hugo gewonnen!

  24. #24 Soturi
    31. August 2015

    Nunja, wenn Herr Reuß nicht in der Lage ist, inhaltlich was vernünftiges zu liefern, muss er das wohl durch die Verpackung kaschieren. Das ist genau wie bei einer Fertigpizza.

  25. #25 Kyllyeti
    31. August 2015

    “Wenn aber schon dieser grundlegende Parameter der Schriftapperzeption von einem Gestalter nicht bestimmt werden kann ….

    usw.

    Also eigentlich ist es mir doch total egal, in welchem Medium man sich einer unverständlich für mind. 95% aller Leser ausdrückt. Aber schade, wenn das in einem schön gemachten Buch passiert.

     

  26. #26 LasurCyan
    31. August 2015

    Das ist, wie schon gesagt, Fetischismus.

    Das ist wohl richtig, Florian. Sowas wie BuchstabenAbstände, passende Schriftschnitte, passende Papierwahl etc. sind inzwischen ziemlich elitärer Kram: Angewandte Kunst. Als solche sollte man das imho einfach auch betrachten und schätzen.

    Ansonsten bin ich ganz Deiner Meinung: Buch=Medium, völlig egal welches.

  27. #27 gaius
    1. September 2015

    schon wieder einer, der eine Kulturtechnik mit der Kultur verwechselt …

  28. #28 Snofru
    1. September 2015

    Dass billig gemachte E-Books oft eine grauenhafte Typographie haben, ist richtig, hat aber vorerst einmal gar nichts mit dem Medium E-Book zu tun.

    Doch, ein wenig schon. Bestimmte Entwicklungen sind sehr eng mit der technischen Entwicklung verbunden. Damit ein Text ansehnlich in Blocksatz mit Silbentrennung dargestellt wird, braucht es einiges an Rechenzeit. Wenn man nun ein Buch (oder PDF) druckt, wo die Schrift- und Seitengröße fest ist, dann kann man das im Vorfeld machen. Will man allerdings, dass Schrift- und Seitengröße variabel sind (z.B. im Browser oder E-Reader) dann muss man die Rechenzeit unmittelbar vor der Anzeige aufbringen. Für einen E-Reader ist das gleich doppelt ungünstig: es dauert erheblich länger um Text anzuzeigen und die Akkulaufzeit ist deutlich kleiner. Daher wird schlicht darauf verzichtet den idealen Textsatz zu berechnen. Sieht nicht immer ideal aus, ist aber trotzdem angenehmer zu lesen.

    Auch die “falschen” Anführungszeichen haben einen technischen Hintergrund: Tastaturen haben üblicherweise nur eine Variante und die meisten Systeme haben halt nichts um das zu korrigieren (zumal das von der Sprache des Anwenders abhängt).

    Ich kann ja verstehen, dass Leute hohe Ansprüche an die Texte haben die sie schreiben einschließlich des Textsatzes. Trotzdem ist das noch kein Grund alles andere schlecht zu machen. Eines der besten Informatik-Lehrbücher die es gibt ist in einer Schriftart die ich total schrecklich finde. Trotzdem ist es einfach ein gutes Buch was ich gerne weiterempfehle.

  29. #29 Tabori
    Berlin
    1. September 2015

    @Snofru Darf ich fragen, welches Informatik-Lehrbuch du meinst?

  30. #30 Turi
    1. September 2015

    @Spritkopf Da stimme ich voll zu, dieses Argument ist Unsinn. Solange eine entsprechende Datenbank gepflegt wird, lassen sich Probleme mit veralteten Datenformaten vermeiden. Und solange die Daten auf einer Verteilten Infrastruktur (z.B. einer “Cloud”) gespeichert wird, kann ja nicht mal ein Brand oder selbst eine großflächige Naturkatastrophe dieses Daten was anhaben. Anders als der Papiervariante. Man muss sich nur an die Zerstörung des Kölner Stadtarchivs und den riesigen Verlust an Historischen Dokumenten erinnern. Wenn ein Datencenter im Erdboden versinkt, gibt es alle Daten die darauf gespeichert waren noch mindestens ein mal, wenn nicht sogar noch öfter auf der ganzen Welt verteilt.

  31. #31 Richard
    1. September 2015

    @Snofru Der Rechenaufwand für vernünftigen Computersatz ist inzwischen kein Argument mehr.

    Die dafür notwendigen Algorithmen (und deren praktische Umsetzung) sind inzwischen fast 40 Jahre alt, und seit etwa zwanzig Jahren sind handelsübliche, massenmarkttaugliche Computer schnell genug um das in “Echtzeit” (will sagen: deutlich schneller als man lesen kann) abzuarbeiten. Aktuelle mobile Rechnersysteme (auch die eher “schwächlichen” Varianten, die in dedizierten eBook-Lesegeräten verbaut werden) schaffen das ebenfalls locker.

    “Zuwenig Leistung” passt da als Ausrede nicht mehr. Der echte Grund für miese eBook-Typographie dürfte eher “kein Interesse” seitens der Hersteller und “ist auch so schon gut genug” seitens der Kunden sein.

    @Tabori: Ich würde auf Knuths “The Art of Computer Programming” tippen…

  32. #32 MBeer
    München
    1. September 2015

    @Richard: the art of Computer programming? Da finde ich genau, dass das eher ein Buch für unseren Herrn Kritiker geeignet wäre – der Inhalt ist eher Mau, eine Ansammlung von Algorithmen, wie davon entfernt vollständig zu sein, aber die Form – Knuth hat nur für das setzen dieser Bücher immerhin tex und Metafont entwickelt, weil ihm bestehende Textsatzsysteme zu unvollkommen waren-und das , diesiehden Büchern meiner Meinung nach sehr deutlich an – Form vor Inhalt!

  33. #33 Richard
    1. September 2015

    @MBeer: Naja, auch die Form ist nicht jedermanns Sache.

    Sicher, der Satz selbst ist gut (TeX ist immer noch so ziemlich das Nonplusultra für automatisierten Satz von Bleiwüsten allgemein und mathematischen Bleiwüsten im Besonderen), aber die “Computer Modern”-Fonts mag halt nicht jeder…

  34. #34 Snofru
    2. September 2015

    Cormen et al., Introduction to Algorithms. Irgendwer kam auf die Idee Times als Schriftart zu nehmen. Schreckliche Wahl! Aber naja, das ist meine Ansicht 🙂

    Donald Knuths Bücher hingegen sind vermutlich einige am besten gesetzten Bücher die es gibt. Knuth ist bekannt als Perfektionist nicht nur was Textsatz angeht. Deswegen dauert es auch ewig bis neue Bücher erscheinen. Mal hoffen, dass er noch Band 5 schafft. Ich glaube 6 und 7 werden nichts mehr.