Neil Shubin: Wo bitte geht es hier zu den Fossilien?

So, nun kommen wir zu einem Wissenschaftsautor aus diesem Jahrtausend, zu Neil Shubin und „Der Fisch in uns“ (Your Inner Fish) von 2007. Shubin fällt ein wenig aus der Reihe, weil er Paläontologe ist und kein Biologe. Was an Shubins Buch so großen Spaß macht, ist die Art, wie er sein eigenes und die verwandten Fachgebiete verbindet. Er beschreibt, wie die Geologie die Fundorte von Fossilien beeinflusst, indem Gesteinsschichten sich überlagern, gegeneinander verschieben und die oberen Schichten von der Witterung abgetragen werden. Forscher wie Shubin sind stets auf der Suche nach den „missing links“, also Fossilien, die entscheidende Entwicklungen in der Geschichte des Lebens aufzeigen – etwa den Übergang vom Wasser ans Land, der vor Hunderten Millionen von Jahren stattfand. Bereits Darwin wies darauf hin, wie viele solcher Puzzlestücke der Evolution noch unentdeckt sind. Aufhänger für „Der Fisch in uns“ ist der Fund eines Fossils, das genau in eine der Lücken passt. Shubins Expeditionsteam fand ein gut erhaltenes Skelett, das daraus rekonstruierte Tier namens „Tiktaalik“ sieht auf den ersten Blick aus wie eine seltsame Kreuzung zwischen Fisch und Echse. Seine herausragenden Eigenschaften: Anders als Fische hat es einen flachen Kopf, einen Hals und könnte, wie Shubin es formuliert, Liegestütze machen. Letzteres bedeutet, dass seine Flossen abgeknickt waren und es so über festen Boden watscheln konnte.

Künstlerische Darstellung von Tiktaalik, einem der ersten Wesen, das Liegestütze machen konnte  Bild: NSF, Zina Deretsky, public domain

Künstlerische Darstellung von Tiktaalik, einem der ersten Wesen, das Liegestütze machen konnte Bild: NSF, Zina Deretsky, public domain

Weiter spannt Shubin den Bogen zu den Erkenntnissen der modernen Genetik, die weit über das hinausgehen, was Watson und Crick ausgetüftelt haben. So beschreibt er bestimmte Gen-Abschnitte, die bei Fliegen genauso vorkommen wie bei Säugetieren und allen anderen Tieren. Sie bestimmen den Bauplan des Körpers, der bei den verschiedenen Tierarten gar nicht so unterschiedlich ist, wie es von außen scheint. Deswegen haben wir alle den „Fisch in uns“, sei es im Aufbau unseres Skeletts oder in den Bahnen unserer Nerven. Und daher ist der Paläontologe Neil Shubin irgendwann an der Universität in Chicago gelandet, um einen Anatomiekurs für Medizinstudenten zu geben. Denn wer viel von Fossilien versteht, der versteht auch die menschliche Anatomie.
All diese Wissensgebiete beschreibt Shubin sehr schön, mein Lieblingsteil im Buch handelt jedoch – wie sollte es anders sein – von den ganz persönlichen Einblicken. Im Kapitel „Zähne überall“ (Teeth everywhere) erzählt er, wie er zum ersten Mal ins Feld ging, um in der Wüste von Arizona nach Fossilien zu suchen. Seine schon erfahrenen Kollegen schwärmten scheinbar wahllos in alle Richtungen aus und Shubin tat es ihnen nach. Später kehrten die anderen mit Taschen voller fossiler Knochen und Zähne zurück, er selbst hatte – nichts. Bald kam er auf die Idee, demjenigen zu folgen, der stets die größte Ausbeute mitbrachte, aber wieder sah er selbst rein gar nichts außer Felsen und Erde. Der Ratschlag, nach etwas zu schauen, das anders aussieht als die Umgebung, war zuerst wenig hilfreich. Bis zu dem Moment, als er endlich etwas in der Sonne schimmern sah: Es war sein erster Fund eines fossilen Zahns. Bald war Shubins Blick geschärft und plötzlich war es fast so, als lägen überall in der kargen Landschaft Zähne und Knochen, die ihm entgegen blitzten.

Zugegeben, die kleine Episode hat nichts mit einer bahnbrechenden Entdeckung wie der von Darwin oder Watson zu tun. Dennoch kommt auch hier der Enthusiasmus des Wissenschaftlers für seine Arbeit zum Ausdruck und das Einsehen, dass die wenigstens Dinge gleich perfekt verlaufen. Deswegen bildet sie den Abschluss für diese kurze Buch-Reise durch die Geschichte von Evolution und Genen. Ich hoffe, es hat euch gefallen, gewiss fallen euch noch mehr gelungene Stationen/Bücher von damals bis heute ein.

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Kommentare (20)

  1. #1 Captain E.
    24. September 2015

    Ich habe das übrigens mal so gehört, dass Alfred Russel Wallace von den Forschungen Charles Darwins gewusst hatte. Durch seine eigenen Forschungen darin bestärkt, dass die Evolution richtig sein müsse, hat er dann Darwin in einem Brief zur Veröffentlichung gedrängt.

  2. #2 Florian Freistetter
    24. September 2015

    @Captain: Klar haben die voneinander gewusst. Die haben auch zusammengearbeitet. Darwin hat sich auch für Wallace eingesetzt und ihn bei der Veröffentlichung seiner Arbeit unterstützt.

  3. #3 Captain E.
    24. September 2015

    Da hat Darwin wohl doch nicht 20 Jahre im stillen Kämmerlein vor sich hingeforscht, sondern sich mit mindestens einer Person ausgetauscht. Wallace und mögliche andere Gesprächspartner müssen aber ziemlich dicht gehalten haben, denn andernfalls wäre sein Buch nicht eingeschlagen wie eine Bombe.

    Worum es mir aber vor allem gegangen war, war der Einfluss von Wallace auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung. Da kann nicht die Rede davon sein, dass er Darwin “unbeabsichtigt unter Zugzwang gesetzt” habe. Das war vermutlich schon mit voller Absicht. Es gibt da auch die Legende, Darwin hätte Wallaces Ergebnisse aus der Südsee gestohlen. Das scheint aber gerade eben nicht der Fall zu sein, und Wallace hat sich wohl in vielen hitzigen Diskussionen immer auf die Seite von Darwin geschlagen. Das hätte er als jemand, der um seine Verdienste gebracht worden ist, mit Sicherheit nicht getan.

  4. #4 Florian Freistetter
    24. September 2015

    @Captain: Wenn du noch ein bisschen wartest, kannst du in den nächsten Tagen auch noch einen Wettbewerbsbeitrag über Wallace lesen 😉

  5. #5 Captain E.
    24. September 2015

    Ja gut, das mache ich dann mal… 😉

  6. #6 bikerdet
    24. September 2015

    Das Buch von Shubin habe ich auch, erstklassig. Es ist übrigens als Mehrteiler verfilmt worden. Bin vor ein paar Tagen über den ersten Teil gestolpert ….

  7. #7 Lisa Leander
    24. September 2015

    @Captain E., vielleicht hast du recht, ich bin kein Wallace-Experte. Ich habe an anderer Stelle gelesen, dass es die Theorie gibt, dass Darwin aus Wallace Brief abgekupfert haben soll, weil Wallace eine Lösung gefunden hat, die Darwin bisher fehlte. Ich glaube, die Beziehung zwischen den beiden wurde schon viel diskutiert.
    @Florian: Das ist ja toll, da bin ich gespannt!

  8. #8 Lisa Leander
    24. September 2015

    @bikerdet: Stimmt, die hab ich auch z.T. gesehen, war nett gemacht.
    Was ich eben zu Wallace/Darwin erwähnt hab, stammt übrigens aus “Es ist, als ob man einem Mord gesteht” von Matthias Glaubrecht. Ebenfalls ein empfehlenswertes Buch.

  9. #9 JW
    24. September 2015

    Der Fisch in uns kam schon zweimal auf Arte. Die “kleinen” Sender sollte man nicht vergessen.
    Die Verfilmung hat mir fast so gut gefallen, wie das Buch.

  10. #10 Captain E.
    24. September 2015

    @Lisa Leander:

    Ja, wir waren nun damals alle nicht dabei, aber so weit ich das verstanden habe, hat Wallace sich nicht als Bestohlener gefühlt. Im Gegenteil, durch die Nennung in Darwins Werk hat er den akademischen Ritterschlag erhalten, mit dem in die Lage versetzt wurde, eigene Arbeiten zu veröffentlichen, die dann auch tatsächlich von den Experten gelesen wurden. Wer Darwins Theorien in Bausch und Bogen abgelehnt hat, konnte sich anscheinend Wallaces Aufmerksamkeit sicher sein, der gerne als ihr Verteidiger aufgetreten ist. So hat er 1870 in einem Brief an Darwin darüber geklagt, dass „keine Gegner übrig geblieben sind, die irgendwas über Naturgeschichte wissen, so dass es keine der früheren guten Diskussionen mehr gibt.“

    In Details war Wallace dann allerdings durchaus auch anderer Meinung als Darwin, und er lag damit auch nicht per se falsch. Damit konnten die beiden aber anscheinend gut umgehen.

  11. #11 Lisa Leander
    24. September 2015

    Ja, genau so habe ich das auch verstanden, Darwin war zu der damaligen Zeit einfach viel bekannter als Wallace. Deswegen war Wallace wohl auch damit einverstanden, dass er und Darwin gemeinsam wissenschaftlich veröffentlichen.

  12. #12 Captain E.
    24. September 2015

    Tatsächlich? Von gemeinsamen Veröffentlichungen habe ich jetzt nichts gefunden. Kommuniziert haben sie aber ganz sicher und sich auch gegenseitig zitiert.

  13. #13 Böx
    https://boexbooks.wordpress.com
    24. September 2015

    Die Geschichte um Wallace und Darwin wird meines Erachtens schön in “Am Ende des Archipels” aufgedröselt. Auch vom bereits erwähnten Glaubrecht. Super Buch. Soweit ich mich noch erinnere, war’s schon ein Schlag für Darwin als er Wallace Ternate-Manuskript zugeschickt bekam (Wallace bat um Darwins Meinung dazu). Manchen Interpretationen der damaligen Geschehnisse zufolge wollte Darwin hinschmeißen, weil Wallace ihm zuvor gekommen war. Er konnte aber überzeugt werden, dass Wallaces Manuskript und ein Text von Darwin in der gleichen Sitzung der Royal Society verlesen wurden, damit beide als Urheber galten. Darüber war Wallace wohl auch sehr glücklich und trat danach auch als Verfechter von Darwins Theorie auf. Eines seiner populärsten Bücher hieß meines Wissens auch “Darwinism”. Unstrittig ist wohl auch, dass Darwin deutlich früher anfing an der Idee der natürlichen Selektion zu werkeln. Aber vielleicht kommt dazu ja noch was im Beitrag über Wallace 🙂

  14. #14 Hoffmann
    24. September 2015

    @ Lisa Leander:

    Von Martin Glaubrecht gibt es übrigens eine Wallace-Biographie mit dem Titel “Am Ende des Archipels”.

    Wallace hat zwei wichtige Essays geschrieben, in denen er sich zum Thema Evolution geäußert hat. Der eine war der Sarawak-Essay von 1855, der die enge Verwandtschaft von Arten thematisiert, die sich in einem engen biogeographischen Areal befinden.

    Der andere war der Ternate-Essay von 1858, der dann den Mechanismus aufzeigte, der zur Evolution führt – nämlich die Selektion aus einem Überangebot an Varietäten.

    Ob Darwin für sein Buch aus dem Ternate-Essay einige Details abkupferte oder nicht, ist, denke ich müßig, weil er sich über das Grundprinzip bereits etwa 20 Jahre vorher nach der Lektüre von Malthus im Klaren war.

    Interessanterweise sorgte die Malthus-Lektüre auch bei Wallace für einen Erkenntnisschub, der ihm bei der Abfassung des Ternate-Essays hilfreich gewesen ist. Hier haben wir also eine gewisse Koinzidenz im wissenschaftlichen Werdegang. Aber das nur nebenbei.

    Wallace hätte – wenn er es darauf hätte anlegen wollen – durchaus nicht chancenlos auf seine Priorität bestehen können, weil Darwin zuvor nichts über seine Forschungen zur Evolution publiziert hatte. Dass er es nicht darauf anlegte, kann man zum einen auf seinen Charakter zurückführen, zum anderen aber auf die vorhanden gewesenen Standesunterschiede zwischen Darwin (Oberschicht) und Wallace (Unterschicht), die Wallace dazu bewogen haben dürften, sich opportun zu verhalten.

    Na ja, nächste Woche Dienstag wird man mehr über eine andere Facette von Wallaces wissenschaftlicher Karriere erfahren …

  15. #15 Böx
    https://boexbooks.wordpress.com
    24. September 2015

    @Lisa Leander: Sehr schöner Beitrag! Ich habe auch alle drei Bücher gelesen und habe keines davon bereut. Von Double Helix und Your inner fish jeweils die deutschen Übersetzungen (die mir nicht negativ aufgefallen wären).
    In meiner Ausgabe der Doppelhelix entschuldigt sich Watson übrigens in einem Nachwort für seine Darstellung von Franklin, die er im Nachhinein offensichtlich bereute. Wenn ich mich recht erinnere, schrieb er, dass er erst später verstand, wie schwer es für eine Frau in diesem Umfeld gewesen sein muss, und Franklin sich dagegen wehren wollte, nicht als echte Wissenschaftlerin angesehen zu werden. Und dass ihm das nicht klar war. Soweit aus dem Gedächtnis.

  16. #16 Lisa Leander
    24. September 2015

    @Böx: Danke! Meine Ausgabe der Doppelhelix ist schon älter, da ist das Vorwort nicht von ihm selbst, geht aber vom Inhalt her in die gleiche Richtung.
    @Captain E.: Mit der Veröffentlichung meinte ich die Verlesung vor der Royal Society, die Böx erwähnt hat.

  17. #17 BreitSide
    Beim Deich
    24. September 2015

    Interessante neue Einzelheiten über die zwei Evolutionäre, die auch meinen Wissensstand über sie zurechtgerückt haben.

    Dito bei Watson&Crick “vs” Rosalind Franklin.

    Von Shubin hab ich sogar erst kürzlich ein paar Folgen in ZDFinfo gesehen. Seitdem geht mir Tiktaalik ganz flott über die Zunge… 😉

  18. #18 Captain E.
    25. September 2015

    Man neigt ja dazu, Charles Darwin etwas isoliert zu betrachten, ganz nach dem Motto: “Vorher haben alle geglaubt, die Arten wären vom lieben Gott genau so erschaffen worden, und nur Darwin erkannte, dass es anders ist.”

    Es gab aber auch schon vor Charles Darwin Menschen, die sich Gedanken über dieses Thema gemacht haben, unter anderem sein eigener Großvater. Auch Charles Darwin hätte sich somit den Satz von Isaac Newton zu eigen machen können, dass er auf den Schultern von Riesen stünde. Seine persönliche Leistung soll das selbstverständlich nicht schmälern.

  19. #19 Dampier
    25. September 2015

    Sehr gute Zusammenfassungen. Den Darwin muss ich wohl mal vornehmen …

  20. #20 Nicole
    27. September 2015

    Wieder ein interessanter Artikel! Macht richtig Lust aufs Lesen der Bücher!