Seit langem habe ich wieder mal ein wirklich gutes Buch über Mathematik gelesen! Und im Fall von “Cakes, Custard and Category Theory: Easy Recipes for Understanding Complex Maths”* (auch unter dem Titel “How to Bake Pi: An Edible Exploration of the Mathematics of Mathematics”* erhältlich) von Eugenia Cheng ist das “über Mathematik” wörtlich zu verstehen. Meistens konzentrieren sich die populärwissenschaftlichen Mathe-Bücher ja auf ein ganz konkretes Thema. Klassiker wie “Fermats letzter Satz”* oder “Die Musik der Primzahlen”* behandeln einen kleinen Teil der Mathematik sehr konkret aber dafür sehr ausführlich.
Eugenia Chengs Buch beschäftigt sich aber mit der Mathematik an sich. Und das auf eine höchst großartige Art und Weise. Während der ersten Kapitel hab ich mir bei fast jedem Satz gedacht: Hey, den muss ich mir aufschreiben und merken; der erklärt wahnsinnig super und verständlich, wie das mit der Mathematik ist. Die erste Hälfte des Buches hat keine spezielle mathematische Disziplin zum Thema, sondern beantwortet Fragen wie “Was ist Mathematik?” Oder “Wieso ist es nötig, Dinge zu abstrahieren und zu verallgemeinern? Und was bedeutet das eigentlich?” “Welche Motivation steckt hinter der Mathematik?” “Wofür braucht man Mathematik?” “Was sind die Grundlagen der Mathematik”? Und so weiter – und wer meint, das würde alles irgendwie ein wenig trocken und langweilig klingen, liegt definitiv falsch!
Wer würde zum Beispiel in einem Buch über Mathematik mit Sätzen wie diesem rechnen:
“However, drunk baking is quite fun if you understand what you’re doing.”
Betrunken backen? Ja, das hat tatsächlich etwas mit den Grundlagen der Mathematik zu tun. Und gebacken – sowohl nüchtern als auch betrunken – wird im Buch oft und regelmäßig. Eugenia Chang nutzt Koch- und Backrezepte um zu erklären, was Mathematik eigentlich ist und wie sie funktioniert. Es geht dabei aber nicht um wissenschaftlich-mathematische Erklärung der Vorgänge beim Kochen! Die verschiedenen Rezepte dienen als Ausgangspunkt um Analogien zwischen dem Alltag und der abstrakten Welt der Mathematik zu ziehen. Da ist zum Beispiel das Rezept für Jaffa Cakes. Es sieht recht einfach aus: An Zutaten benötigt man geschmolzene Schokolade, Marmelade und ein paar kleine, runde, flache Kuchen. Dann kommt ein Klecks Marmelade auf den Kuchen; Schokolade über alles und alles in den Kühlschrank.
Aber: Ist das jetzt wirklich ein “einfaches” Rezept? Was soll “kleine, runde, flache Kuchen” für eine Zutat sein? Die müssen ja auch irgendwo her kommen. Eigentlich müsste das Rezept noch um Eier, Mehl, Zucker und Butter erweitert werden, aus denen die Kuchen gebacken werden. Und die Marmelade könnte man auch noch selbst machen. Ebenso wie die Schokolade. Was sind bei diesem Rezept tatsächlich die Grundzutaten? Ab wann wird es sinnlos, grundlegende Zutaten anzugeben. Oder anders gefragt: Auf wie viele Grundzutaten könnte man dieses Rezept reduzieren? Das Rezept für die Jaffa Cakes ist bei Cheng der Ausgangspunkt für ein faszinierendes Kapitel über mathematische Axiome, mathematische Regeln, die Grundlagen der Logik und die Frage, was sich damit alles erreichen lässt und was nicht.
Cheng ist bei ihren Erklärungen immer verständlich, immer faszinierend und vor allem immer weit weg von den üblichen Mathematiker-Klischees und ganz nah am Alltag. Sie schafft es, nicht nur eindringlich zu demonstrieren, das Mathematik weder langweilig und öde ist sondern zeigt auch, was die Mathematik so außergewöhnlich und interessant macht.
“Mathematics is there to make difficult things easier.”
ist das Motto, das Cheng immer wieder als Motivation für ihren Beruf anführt. Sie erklärt aber auch, dass man das Mathematik nicht alle Probleme lösen kann, denn:
“Maths is easy, life is hard, therefore maths isn’t life.”
Mir persönlich haben vor allem die Abschnitte gefallen in denen Cheng von der wunderbaren Freiheit und Kreativität der Mathematik gesprochen hat. Die Mathematik kann zwar dazu verwendet werden, auch ganz konkrete Dinge in unserer Realität zu beschreiben und verstehen (und im Rahmen der Naturwissenschaften wird davon auch ganz intensiv Gebrauch gemacht). Aber eigentlich muss man sich in der Mathematik nur an den Regeln der Logik orientieren. Alles, was man sich vorstellen kann existiert in der Mathematik, sofern es keinen logischen Widerspruch erzeugt! Man ist frei, alles zu erfinden, was einem in den Sinn kommt. Und dann ist es da, kann untersucht und verstanden werden – und wenn man Glück hat dann zeigt sich, dass diese “erfundenen” Dinge umfassende Auswirkungen auf die ganze Mathematik haben, so wie zum Beispiel die imaginären und komplexen Zahlen, die Cheng immer wieder als Beispiel anführt.
Mathematik ist zwar eine Disziplin, die auf strenger Logik und formalen Beweisen und Regeln basiert. Aber Inspiration und Kreativität sind trotzdem unerlässlich. Man muss dann zwar immer noch Logik benutzen, um die Wahrheit der inspirierte Vorstellung auch zu beweisen. Aber ohne die kreative Vorstellungskraft würde Mathematik nicht funktionieren. Cheng formuliert das so:
“It’s like building bridges: it’s hard to build a bridge across a river, but easy to cross the bridge once someone else has built it. And while you’re trying to build the bridge, it’s helpful to be able to fly.”
Der zweite Teil des Buches beschäftigt sich dann doch noch mit einem konkreten mathematischen Thema: der Kategorientheorie, Chengs Spezialgebiet. Da die Kategorientheorie aber eine Art “Mathematik der Mathematik” ist bzw. eine Theorie der mathematischen Strukturen selbst, ist es weiterhin ein Buch, in dem man viel über die Mathematik an sich lernt und am Ende versteht, warum sie so wichtig, faszinierend und vor allem so absolut gar nicht langweilig und “schwierig” ist, wie man oft zu glauben meint.
Und ganz nebenbei bekommt man auch noch jede Menge nette Koch- und Backrezepte präsentiert. Ein paar der kulinarischen Aspekte von Chengs Arbeit kann man sich auch bei YouTube ansehen. Hier präsentiert sie zum Beispiel einen “Möbius Bagel”:
Und hier backt sie gemeinsam mit Stephen Colbert in dessen Late Night Show:
Noch mehr Mathematik (ohne Backen) mit Eugenia Cheng gibt es übrigens in diesen beiden YouTube-Kanälen.
Ich kann das Buch nur ausdrücklich empfehlen. Vielleicht findet sich ja auch noch mal ein Verlag aus Deutschland, der es in einer Übersetzung heraus bringt. Es würde sich lohnen, denn so ein schönes, verständliches und mitreißendes Plädoyer für die Mathematik bekommt man selten zu lesen!
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