Sehr viele (wirklich SEHR viele) Leute haben mich darauf hingewiesen, dass Astronomen einen neuen Planeten unseres Sonnensystems entdeckt hätten. Und da das nach einer wirklich spektakulären Sache klingt, möchte ich kurz erklären, was da nun tatsächlich passiert ist; was man “entdeckt” bzw. nicht entdeckt hat und was von der Sache zu halten ist.
Um was geht es eigentlich?
Gestern wurde eine Pressemitteilung veröffentlicht. Sie behauptet in der Überschrift “Caltech Researchers Find Evidence of a Real Ninth Planet”. Also: “Caltech-Wissenschaftler finden Beleg für einen echten, neunten Planeten”. Dazu gibt es auch gleich das passende Bild, das künstlerisch darstellt, wie dieser “Neuzugang” im Sonnensystem aussehen soll:
Das klingt natürlich alles sehr dramatisch. Die Entdeckung eines bisher unbekannten Planeten in unserem Sonnensystem wäre allerdings auch eine dramatische Sache! Aber trotz Schlagzeile und Bild ist es nicht das, was tatsächlich passiert ist.
Es geht um einen Fachartikel der beiden Astronomen Konstantin Batygin und Michael Brown. Darin haben sie sich mit Asteroiden in den äußeren Bereichen unseres Sonnensystems beschäftigt. Also Objekten, die sich weit hinter der Bahn des Neptun befinden; weit hinter Pluto und den anderen Asteroiden des Kuiper-Gürtels. Allzu viele kennen wir davon noch nicht, aber eine Handvoll hat man in den letzten Jahren dort entdeckt (zum Beispiel letztes Jahr im November).
Betrachtet man die Umlaufbahnen dieser Asteroiden, dann zeigen sich dort einige Auffälligkeiten. Die Bahnen sind nicht einfach irgendwie zufällig verteilt; sie scheinen alle bestimmte gemeinsame Eigenschaften zu haben. Das ist überraschend, und es wird als Hinweis auf einen externen Einfluss interpretiert. Die gravitativen Störungen eines großen Himmelskörpers könnten dafür sorgen, dass sich die Umlaufbahnen der fernen Asteroiden alle auf die gleiche Art und Weise verändert haben – so wie das ja auch zum Beispiel der Jupiter mit den Asteroiden des Asteroidengürtels macht.
Diese Erkenntnis ist aber nicht neu. Entsprechende Vermutungen gibt es schon lange. Schon 2011 hat man anhand der Bahnen von Kometen spekuliert ob da irgendwo noch ein Planet ist, der fern der Sonne unentdeckt seine Runden zieht. Auch 2012 gab es solche wissenschaftlichen Arbeiten. 2014 entdeckte man dann weitere extrem entfernte Asteroiden und stellte dort das erste Mal den potentiellen Einfluss eines unbekannten Planeten fest. Diese Daten wurden dann 2015 erneut interpretiert und das mehrmals von verschiedenen Wissenschaftlern.
Alle kommen zu dem Schluss, das die Umlaufbahnen der Asteroiden Hinweise auf einen unbekannten Planeten enthalten könnten. Eine konkrete Entdeckung so eines Planeten hat aber nicht stattgefunden.
Auch jetzt nicht. Batygin und Brown haben in der neuen Arbeit ebenfalls die schon bekannten Daten der fernen Asteroiden genutzt und sie erneut analysiert. Es ging vor allem darum, einen Mechanismus zu finden, wie genau die gravitativen Störungen eines Planeten die beobachteten Auffälligkeiten bei den Asteroiden erzeugen können. Die bisherigen Modelle hatten der Meinung von Batygin und Brown alle ein paar Mängel und deswegen haben sie selbst noch mal nachgesehen. Sie haben einerseits ein mathematisches Modell aufgestellt um damit testen zu können, wie sich so ein Planet verhalten und auswirken könnte und andererseits auch Simulationen am Computer angestellt um die Bewegung der Himmelskörper zu verstehen.
Sie haben dabei – ein weiteres Mal – festgestellt, dass man die Beobachtungen tatsächlich gut durch die Existenz eines Planeten erklären kann, der sich weit entfernt von der Sonne befindet. Die gravitativen Störungen die er ausübt können sich unter gewissen Umständen “aufschaukeln” – das nennt man “Resonanz” und kommt im Sonnensystem öfter vor – und so dafür sorgen, dass die Bahnen der Asteroiden auf die gleiche Art und Weise verändert werden.
Was für ein Planet soll das sein?
Ein Planet, der die Asteroiden in den äußeren Bereichen des Sonnensystems beeinflussen kann, muss weit entfernt sein. Wäre er zu nahe, dann hätten wir ihn schon längst gefunden. Dann hätte er nicht nur die ganzen fernen Asteroiden beeinflusst, sondern auch die näheren von denen wir mittlerweile schon sehr viele kennen und bei denen wir keine entsprechenden Auffälligkeiten beobachten. Ein vergleichsweise naher Planet würde auch die Umlaufbahnen der anderen Planeten stören und die können wir wirklich gut sehen. Wir beobachten da aber keinerlei Hinweise auf solche Störungen.
Batygin und Brown erklären in ihrem Artikel, dass ein Planet der ungefähr zehnmal so schwer ist wie die Erde die entsprechenden Störungen auf die Asteroiden ausüben könnte, wenn er circa 700 Mal so weit von der Sonne entfernt ist wie die Erde. Sie erklären gleichzeitig aber auch, dass sie mit ihren Berechnungen keine konkreten Aussagen über die Eigenschaften irgendeines Planeten machen können, da es viele verschiedene Möglichkeiten gibt, wie die Störungen ablaufen können:
“As already alluded to above, the precise range of perturber parameters required to satisfactorily reproduce the data is at present difficult to diagnose. Indeed, additional work is required to understand the tradeoffs between the assumed orbital elements and mass, as well as to identify regions of parameter space that are incompatible with the existing data.”
Es ging den beiden auch explizit nicht darum, einen neuen Planeten zu “entdecken”. Sie wollten mit ihrer Analyse herausfinden, wie sich die Eigenschaften der Umlaufbahnen der Asteroiden am besten beschreiben lassen.
Ist der Planet jetzt da oder nicht?
Ob unser Sonnensystem nun weit draußen noch einen zusätzlichen Planeten hat, bleibt weiterhin unbekannt. “Entdeckt” im eigentlichen Sinn hat niemand etwas. Schon gar nicht beobachtet. Die neue wissenschaftliche Arbeit hat nur schon bestehende Erkenntnisse verfeinert und erweitert. Wir wissen, dass es bei den Umlaufbahnen weit entfernter Asteroiden einige Auffälligkeiten gibt. Wir wissen, dass diese Auffälligkeiten durch die Existenz eines Planeten erklärt werden könnten.
Aber ob es diesen Planeten auch tatsächlich gibt ist eine ganz andere Frage. Um das herauszufinden brauchen wir erst einmal mehr Daten. Wir müssen mehr Asteroiden finden und untersuchen um eine bessere Statistik zu erhalten. Je genauer wir wissen, wie die Auffälligkeiten in den Umlaufbahnen aussehen, desto besser können wir verstehen, welcher Mechanismus dahinter steckt. Vielleicht ist ja auch etwas ganz anderes dafür verantwortlich? Über die äußersten Bereiche des Sonnensystems wissen wir noch wenig und es gibt viel zu lernen.
Das einzige was man momentan mit Sicherheit sagen kann ist: Die Existenz weiterer Planeten in den äußeren Bereichen des Sonnensystems lässt sich nicht ausschließen.
Kann es solche Planeten überhaupt geben und wo kommen sie her?
Die meisten Astronomen sind sogar durchaus davon überzeugt, dass solche Planeten gibt. Wir wissen, dass bei der Entstehung des Sonnensystems einige größere Himmelskörper aus den inneren Bereichen weit hinaus geschleudert worden sind. Manche ganz aus dem Sonnensystem hinaus; manche werden aber auch in den äußersten Bereichen unseres Systems geblieben sein und nun dort ihre Runden ziehen. Es ist also absolut möglich, dass noch unentdeckte Planeten existieren.
Ist so ein Planet gefährlich?
Die Frage muss man leider auch immer beantworten, wenn es um dieses Thema geht. Aber zum Glück ist die Antwort einfach: Nein! Egal wie viele noch unentdeckte Planeten sich in den äußeren Bereichen unseres Sonnensystems herumtreiben: Sie stellen keine Gefahr für die Erde dar. Sie können keine Gefahr darstellen! Denn wenn sie in der Lage wären, irgendeinen Einfluss auszuüben, hätte wir das schon längst gemerkt. Alle noch unentdeckten Planeten müssen also zwangsläufig enorm weit entfernt sein und dürfen sich auf ihrer Umlaufbahn der Erde auch nie annähern. Es gibt absolut keinen Grund, angesichts solcher wissenschaftlichen Untersuchungen besorgt zu sein.
Kann man so einen Planeten irgendwann wirklich entdecken?
Ein einwandfreier Nachweis, also eine konkrete Beobachtung so eines Planeten wird schwierig. Er ist weit weg; er reflektiert nur wenig Sonnenlicht und ist dunkel und er bewegt sich nur sehr, sehr langsam um die Sonne herum. All das macht die Suche derzeit fast aussichtslos. Zukünftige Beobachtungsprogramme (zum Beispiel die des Weltraumteleskops GAIA) könnten mit etwas Glück entsprechende Ergebnisse liefern. Aber mit einer konkreten Entdeckung in naher Zukunft rechnet eigentlich kaum ein Astronom.
Wenn nix entdeckt worden ist, warum machen dann alle so ein Theater?
Tja, das frage ich mich auch. Die Arbeit von Batygin und Brown ist selbstverständlich enorm interessant. Die Himmelsmechanik und die Mathematik die hier präsentiert wurde, sind spannend und können einige interessante Dinge über die Dynamik von Planetensystemen erklären. Aber es ist eben eine rein theoretische Arbeit; es wurde nichts beobachtet, nichts entdeckt und genaugenommen auch nichts fundamental neues heraus gefunden. Und zumindest in der Facharbeit auch nichts gegenteiliges behauptet. Ich würde mich ja freuen, wenn die Medien sich öfter mal himmelsmechanischen Themen widmen; mein Spezialgebiet in der Astronomie IST super und sollte mehr im Rampenlicht stehen 😉 Aber ich fürchte, die meisten Medien haben die eigentlich Arbeit von Brown und Batygin ignoriert sondern sich nur auf die reißerische Pressemitteilung konzentriert mit ihrer dramatischen Schlagzeile konzentriert.
Ich war kürzlich an der TU Dortmund und habe dort vor Journalismusstudenten einen Vortrag zum Thema “Wissenschaft im Blog” gehalten. Dort wurde ich auch gefragt, was der Wissenschaftsjournalismus meiner Meinung nach anders bzw. besser machen sollte. Ich habe geantwortet, dass ich es mir wünschen würde, wenn sich die Leute mehr Zeit lassen würden! Es ist niemandem geholfen, wenn alle sofort irgendwelche Texte veröffentlichen, wenn in diesen Texten dann sowieso nur überall das gleiche drin steht wie in der Pressemitteilungen weil keiner Zeit hatte, irgendwas zu recherchieren oder darüber nachzudenken, wie man einen Artikel schreiben kann, der ein wenig anders ist als die anderen. Stattdessen setzt man auf schnelle Klicks durch dramatische Schlagzeilen und hofft, dass niemand die fehlenden Inhalte bemerkt.
Der “neue” Planet unseres Sonnensystems ist vielleicht irgendwo da draußen. Aber keine noch so reißerische Schlagzeile kann etwas daran ändern, dass er sich ziemlich gut versteckt. Wir haben noch viel Arbeit vor uns!
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