Ach, Astronomie ist doch immer wieder beeindruckend! Ok, aus meiner Sicht ist Astronomie immer beeindruckend. Aber manche Forschungsergebnisse sind noch einmal extra faszinierend. Zum Beispiel die Geschichte der superschnellen Riesenwolke: Eine vergleichsweise unspektakuläre Entdeckung vor Jahrzehnten; ein im Laufe der Zeit immer interessanter werdendes astronomisches Rätsel; eine Paradebeispiel wissenschaftlicher Detektivarbeit – und am Ende eine konkrete Antwort und viele neue, noch faszinierendere Fragen! Besser gehts kaum.
Die Geschichte handelt von Smith’s Cloud. 1963 entdeckte die Doktorandin Gail Smith (heute: Gail Bieger-Smith) eine große Gaswolke außerhalb unserer Milchstraße. Die Existenz solcher hauptsächlich aus Wasserstoff bestehender Wolken hat man schon in den 1950er Jahren vermutet und ab den 1960er Jahren dann auch konkret entdeckt. In der Umgebung unserer Galaxie finden sich viele solcher “High-velocity clouds” und Smith’s Wolke ist eine davon. Sie ist aber insofern außergewöhnlich, da sie zu den wenigen dieser Gaswolken gehört, von denen man eine genaue Entfernung bestimmen konnte. Die Wolke ist 40.000 Lichtjahre von der Sonne entfernt, knapp eine Million mal schwerer als unsere Sonne, hat eine Länge von 11.000 Lichtjahren und eine Breite von 2500 Lichtjahren. Sie befindet sich momentan 9000 Lichtjahre unterhalb der galaktischen Ebene und 25.000 Lichtjahre vom galaktischen Zentrum entfernt. Könnten wir die Wolke mit freiem Auge am Himmel sehen, dann würde sie dort 30 Mal größer als der Vollmond erscheinen.
Wir können sie aber leider nicht ohne optische Hilfsmittel sehen – aber zum Glück haben die Astronomen davon ja jede Menge! Mit Radioteleskopen lässt sich die Wasserstoffwolke gut beobachten und damit hat man schon früher festgestellt, dass sie sich auf unsere Milchstraße zu bewegt. Und das gar nicht mal so langsam: Ihre Geschwindigkeit beträgt 296 Kilometer pro Sekunde und in jeder Sekunde kommt sie unserer Galaxis um 70 Kilometer näher.
Von der Existenz dieser Wolke wusste man also schon lange. Man wusste auch, dass sie in etwa 30 Millionen Jahren auf die Milchstraße treffen wird. Aber man wusste nicht, wo sie ihren Ursprung hatte. Es könnte sich zum Beispiel um den Überrest einer ehemaligen Zwerggalaxie handeln. Es könnte auch einfach eine Wolke aus ursprünglichen Wasserstoff sein, der von Anbeginn des Universums vorhanden war. Normalerweise entwickelten sich aus solchen Wolken Galaxien voller Sterne – aber eben nicht immer.
Die Wolke könnte aber auch aus unserer eigenen Milchstraße stammen und dort vor langer Zeit in den extragalaktischen Raum hinaus geworfen worden sein. Herauszufinden, wo Smith’s Cloud ihren Ursprung hat, könnte uns dabei helfen die Dynamik und Entwicklung von Galaxien zu verstehen. Und einen Teil der Antwort hat eine Gruppe amerikanischer Wissenschaftler nun gefunden (“On the metallicity and origin of the Smith high-velocity cloud” (pdf)).
Es ist gar nicht so einfach, so etwas herauszufinden. Man muss dazu ein paar Mal um die Ecke denken. Egal wo die Wolke herkommt; angefangen hat sie als Wolke die hauptsächlich aus Wasserstoff und ein wenig Helium besteht. Also die ursprüngliche Mischung von Elementen, die nach dem Urknall entstanden sind. Alles was schwerer als diese beiden chemischen Elemente ist, musste ja erst nachträglich in Sternen per Kernfusion erzeugt werden. Wasserstoff und Helium sind deswegen immer noch die häufigsten Elemente im Universum, die ganzen restlichen Elemente sind in vergleichsweise geringen Mengen vorhanden, weswegen Astronomen sie gerne kollektiv als “Metalle” bezeichnen. Und die Messung der “Metallizität”, also der Menge an schweren Elementen die sich in einem Himmelsobjekt befinden ist eine wichtige Methode, um etwas über seinen Ursprung herauszufinden.
Wenn Smith’s cloud in unserer Milchstraße entstanden ist, dann waren dort in der Nähe auch jede Menge Sterne. Diese Sterne haben durch Kernfusion schwere Elemente erzeugt und sie am Ende ihres Lebens bei Supernova-Explosion in der Umgebung verteilt. Die Wolke sollte dann nicht nur Wasserstoff und Helium enthalten, sondern eben auch eine gewisse Menge dieser anderen Elemente. Stammt sie dagegen aus dem extragalaktischen Raum, müsste ihre Metallizität immer noch so gering sein wie sie es von Anfang an war.
Aber wie misst man die Metallizität einer extragalaktischen Gaswolke? Dort ist ja nichts, was von selbst leuchtet und dessen Licht man auf die Spuren chemischer Elemente durchsuchen kann, so wie das bei Sternen möglich ist. In so einem Fall ist man auf die Hilfe des Universums angewiesen. Man braucht eine starke Lichtquelle, mit der man die Wolke gleichsam durchleuchten kann und die hat man in den aktiven Kernen ferner Galaxien gefunden. Solche Quasare findet man überall im Kosmos; es handelt sich dabei um supermassereiche schwarze Löcher in den Zentren junger Galaxien, in denen zwischen den Sternen noch viel Staub und Gas vorhanden ist. All das kann auf das Loch fallen und gibt dabei jede Menge Strahlung ab, die die Zentralregion der Galaxie hell leuchten lässt.
Beobachtet man dieses Licht – und vor allem dessen ultravioletten Anteil – nachdem es sich durch die Gaswolke hindurch bewegt hat, kann man überprüfen, welche Teile davon von der Wolke absorbiert worden sind. Ob, wie und in welchem Ausmaß das passiert, hängt von der Art und der Menge der dort vorhandenen chemischen Elemente ab: Jedes Element absorbiert einen anderen Anteil des Lichts. Das einzige Problem: Passende Quasare zu finden, an denen sich die Wolke von der Erde aus gesehen vorbei bewegt.
Glücklicherweise zog Smiths Wolke im Oktober 2014 an gleich drei solcher aktiven Galaxien vorbei und die Astronomen konnten das Hubble-Weltraumteleskop nutzen, um die Passagen zu beobachten. Sie waren in der Lage, dabei die Menge des in der Wolke vorhandenen Schwefels zu nutzen; ein guter Indikator für die Gesamtmenge an schweren Elementen. Das Ergebnis: Smith’s cloud hat eine Metallizität die halb so groß wie die der Sonne ist. Das ist viel; und vor allem zu viel um von einem extragalaktischen Ursprung ausgehen zu können. Viel mehr ist es genau der Wert den man erwarten würde, wenn die Wolke in den äußeren Bereichen unserer Milchstraße entstanden wäre.
Man weiß nun also, dass der Zusammenstoß zwischen der Wolke und der Milchstraße eigentlich eine Rückkehr ist. Vor etwa 70 Millionen Jahren muss sie sich auf den Weg in den extragalaktischen Raum gemacht haben. Eine wichtige Frage ist aber noch nicht geklärt: Warum?
Was hat dazu geführt, dass die Wolke die Milchstraße verlassen hat und noch dazu mit so hoher Geschwindigkeit? Vielleicht war der “galaktische Springbrunnen” dafür verantwortlich: Supernova-Explosionen können das interstellare Gas, das sich überall zwischen den Sternen befindet, quasi “zusammentreiben” und irgendwann aus der Milchstraße hinaus werfen. Wenn es dabei nicht die nötige Geschwindigkeit erreicht, um die Galaxis komplett zu verlassen, wird es irgendwann wieder zurück fallen. Das wäre auch im Fall von Smith’s cloud möglich – allerdings spricht die Bewegung der Wolke eher gegen diese These. Sie verhält sich nicht so, wie man es erwarten würde, wenn sie durch diesen Prozess entstanden ist. Und selbst wenn es so war, dann bleibt noch zu erklären, wie die Wolke so lange überleben und ihre Form behalten konnte. Die Wechselwirkung mit dem Material in der Umgebung unserer Milchstraße sollte sie eigentlich schon zerstreut haben. Deswegen hatten manche Astronomen vermutet, dass es sich um eine “dunkle Galaxie” handelt; also eine kleine “Galaxie”, die nur aus dunkler Materie besteht in der sich aber keine Sterne befinden. Die Gravitationskraft der dunklen Materie hätte das Gas der Wolke dann zusammengehalten. Dagegen spricht aber die nun durchgeführt Messung ihrer Metallizität: Wenn sich dort nie Sterne gebildet haben, können auch die schweren Elemente nicht so zahlreich sein.
Es wäre allerdings möglich, dass es sich um dunkle Materie aus dem “Halo” der Milchstraße handelt. Wir gehen ja davon aus, dass alle Galaxien in große, sphärische Wolken aus dunkler Materie eingebettet sind. Wenn ein Teil dieser dunklen Materie schon früher die Milchstraße durchquert hat, könnte die dunkle Wolke dabei normales Gas mit entsprechend hoher Metallizität eingesammelt haben. Theoretisch ist das möglich, praktisch aber sehr unwahrscheinlich, da dafür der Prozess des Materialsammelns unrealistisch effektiv sein muss.
Kurz gesagt: Man weiß zwar nur, wo die Wolke her gekommen ist. Aber man hat noch keine Ahnung, wie und warum sie sich auf den Weg gemacht hat. Wenigstens hat man eine gute Vorstellung, was passieren wird, wenn sie 30 Millionen Jahren wieder zurück nach Hause kommt. Das mit hoher Geschwindigkeit auf die Milchstraße treffende Gas wird dafür sorgen, dass sich das dort befindliche interstellare Gas zusammenballt. Unsere Galaxie wird eine Phase erhöhter Sternentstehung durchlaufen, bei der bis zu zwei Millionen neuer Sterne gebildet werden können!
Sterbende Sterne haben (vielleicht) vor langer Zeit das Gas in Smiths Wolke aus der Milchstraße weit hinaus in den extragalaktischen Raum geschleudert. Und wenn es nun nach ebenso langer Zeit wieder zurück kehrt, wird es für die Geburt neuer Sterne sorgen. Ein kosmischer Kreislauf, der länger dauert als alles, was wir Menschen und vorstellen können und trotzdem darüber bestimmt, wie unser Zuhause im All beschaffen ist. Ich sag ja: Astronomie ist beeindruckend!
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