Ich war kürzlich im Kino und habe mir den Film “Hidden Figures” angesehen. Dieser Film ist auch einer der Favoriten bei der kommenden Oscar-Verleihung und erzeugt derzeit gerade jede Menge Rummel. Für einen Film, dessen Thema (auch) die Wissenschaft und dort gerade die Mathematik ist, ist das nicht unbedingt selbstverständlich. Es lohnt sich also, sich ein wenig genauer damit zu beschäftigen.
Das ist der offizielle Trailer:
Der Film erzählt die Geschichte von Katherine Goble Johnson, Mary Jackson und Dorothy Vaughan. Die drei Frauen arbeiten für die NASA und haben zu Beginn der 1960er Jahre das “falsche” Geschlecht für ihren Job und die “falsche” Hautfarbe. In einer Zeit, in der Menschen mit schwarzer Haut in den Südstaaten der USA nicht auf den gleichen Sitzen im Bus sitzen dürfen; nicht auf die gleichen Schulen gehen dürfen; nicht die gleichen Toiletten benutzen dürfen, und so weiter wie ihre weißhäutigen Mitbürger ist die Karriere von Johnson, Jackson und Vaughan ungewöhnlich. Alle drei sind Mathematikerinnen, arbeiten bei der NASA aber offiziell als “Black Computers”. Und mit “Computer” ist damals noch ein Mensch gemeint und kein Gerät. Die vielen mathematischen Berechnungen die damals wie heute in der Wissenschaft nötig sind, wenn man irgendwas erreichen will, konnte man damals noch nicht einfach einem Computer überlassen. Es gab Menschen, die das tun und all die vielen Daten be- und verarbeiten mussten.
Johnson, Jackson und Vaughan sind aber mehr als nur menschliche Rechenmaschinen. Sie haben Ahnung von dem was sie tun und Interesse an dem, was sie berechnen. Jackson würde viel lieber als Ingenieurin an den Raumkapseln der Mercury-Astronauten arbeiten. Und Katherine Johnson kriegt im Film die Chance, Teil der Space Task Group zu werden. Dort werden die Flug- und Umlaufbahnen berechnet, entlang der die ersten Amerikaner ins All geschossen und wieder sicher zurück auf die Erde gebracht werden sollen.
Die drei Mathematikerinnen müssen nicht nur gegen sexuelle Diskriminierung kämpfen, sondern auch gegen den alltäglichen Rassismus. Anstatt einfach die nächstgelegene Toilette benutzen zu können muss Katherine Johnson hunderte Meter über das ganze NASA-Gelände laufen um die offizielle “schwarze” Toilette zu finden. In einer Schlüsselszene des Films schlägt der von Kevin Costner gespielte Vorgesetzte Johnsons das entsprechende Schild von der Wand und stellt fest: “Hier bei der NASA pinkeln wir alle in der gleichen Farbe”.
Trotzdem setzen sich die drei Frauen durch: Katherine Johnson findet einen Weg, die Umlaufbahn für John Glenns erste Erdumrundung zu berechnen (wers genau wissen will, findet hier Details) und der Astronaut ist so sehr von ihren Fähigkeiten überzeugt, dass er erst losfliegen will, nachdem sie die entsprechenden Daten überprüft hat. Und auch Jackson und Vaughan setzen sich am Ende gegen Diskriminierung und Rassismus durch.
Ich habe den Film durchaus gerne gesehen. Für einen Hollywood-Film war er nur mäßig kitschig. Es war ein Film, der ein starkes Licht auf die lange im Schatten stehende Leistung dreier Frauen geworfen hat, die zu Unrecht vergessen waren. Und es ist ein Film, der einen sehr positiven Blick auf Wissenschaft und Mathematik wirft. Es gibt aber auch einige Kritikpunkte. Die dargestellte Mathematik war für meinen Geschmack zu sehr von der Form “Irgendein ein kluger Kopf schreibt komplizierte Symbole auf die Tafel und alle sind beeindruckt”. Man hätte durchaus ein bisschen genauer zeigen können, was die drei Frauen eigentlich geleistet haben. Und dann stellt sich bei so einem Film der auf “einer wahren Begebenheit” basiert immer die Frage: War das wirklich so? Oder hat sich Hollywood das nur ausgedacht, damit die Story besser ankommt?
Das habe ich mir im Kino jedenfalls bei vielen Szenen gedacht und deswegen gleich danach das dem Film zugrunde liegende Buch gelesen. Es heißt “Hidden Figures: The American Dream and the Untold Story of the Black Women Mathematicians Who Helped Win the Space Race”* (auf deutsch: “Hidden Figures – Unerkannte Heldinnen”*) und wurde von Margot Lee Shetterly geschrieben. Ich kann nur eindringlich empfehlen, es zu lesen!
Die Geschichte wird dort wirklich vom Anfang an erzählt. Sie beginnt während des zweiten Weltkriegs (und eigentlich noch dafür) als die USA plötzlich vor dem Problem standen, ihren Rückstand in der Flugzeugindustrie schnell aufholen zu müssen. Den Job hatte das National Advisory Committee for Aeronautics (NACA) (dem Vorläufer der NASA) – und das hatte das Problem, dass einfach nicht genug Personal da war. Bzw. nicht genug weißes, männliches Personal. Trotz der Rassenstrennung die in Virginia, wo die entsprechende Einrichtung der NACA stand, von allen Bundesstaaten am extremsten umgesetzt wurde und trotz der damals üblichen Diskriminierung von Frauen stellte man alle qualifizierten Personen unabhängig von Geschlecht oder Hautfarbe ein. Was natürlich nicht heißt, das es eine echte Gleichberechtigung gab. Frauen, egal welcher Hautfarbe, hatten es trotz gleicher oder besserer Fähigkeiten viel schwerer als Männer in der Hierarchie der NACA aufzusteigen. Auch wenn sie einen Großteil der Arbeit erledigten, durften sie bis auf wenige Ausnahmen nicht als Autorinnen auf den Fachartikeln stehen. Und selbstverständlich gab es nach Hautfarbe getrennte Arbeitsbereiche, Sanitäranlagen, Unterkünfte, und so weiter.
Der erste Unterschied zwischen Buch und Film sind die handelnden Personen. Im Film konzentriert man sich auf drei Frauen; in Shetterlys Buch werden die Biografien von viel mehr NACA/NASA-Mitarbeiterinnen beschrieben. Auch die zeitliche Abfolge der Ereignisse ist ein wenig durcheinander. Im Film beispielsweise ist die Ankunft des “ersten” IBM-Computers ein großes Ereignis und die weiblichen “Computer” sehen sich ihres Jobs bedroht – bis Dorothy Vaughan auf die Idee kommt, alle zu Programmiererinnen auszubilden. Im Wesentlichen entspricht das der Realität – aber Computer gab es dort schon vor John Glenns Flug und auch die Programmierkurse belegten die weiblichen Computer schon lange vorher. Johnson lief auf nicht über das halbe Gelände um aufs Klo zu gehen – sie kümmerte sich einfach nicht darum, ob sie die “richtige” Toilette benutzte oder nicht. Die dramatische Szene in der der von Kevin Costner gespielte Vorgesetzte das Toilettenschild für die nach Hautfarbe getrennte Toilette von der Wand schlägt, ist komplett erfunden. So etwas gab es nicht; die meisten der weißen/männlichen Mitarbeiter der NACA/NASA standen der Situation ihrer Kolleginnen eher gleichgültig gegenüber und setzten keine so dramatischen Aktionen. Was allerdings stattfand war die auch im Film berühmte Szene, in der John Glenn vor seinem Raumflug darauf beharrt, dass Katherine Johnson alle Daten noch einmal überprüft, da er dem Computer nicht vertraute. Dass Johnson von ihrem Vorgesetzten daraufhin in den Kontrollraum eingeladen wurde stimmt dann aber wieder nicht.
Im Buch erfährt man auch ein wenig mehr über die konkrete Arbeit die die Frauen damals geleistet haben. Man erfährt mehr über die Entwicklung der NACA zur NASA und vor allem erfährt man mehr über den damals herrschenden grauenhaften Rassismus. Man kann manchmal kaum glauben, was man liest. Dass in manchen Gegenden von Virgina lieber Schulen für alle geschlossen wurden anstatt den gemeinsamen Unterricht von Kindern unterschiedlicher Hautfarbe zu ermöglichen (wie es die Bundesgesetze vorsahen) zum Beispiel. Man kann sich der Absurdität des ganzen nicht erwehren: Einerseits tut man alles um wissenschaftlich in eine neue Ära aufzubrechen; Menschen ins All zu schicken und plant den Flug zum Mond. Andererseits teilt man die Leute, deren Arbeit genau das ermöglichen nach Hautfarbe auf unterschiedliche Toiletten und Tische in den Speisesälen auf. Dass Johnson und ihre Kolleginnen trotzdem so erfolgreich waren, wie sie es wurden ist enorm beeindruckend; Johnson war maßgeblich an den Erfolgen der Apollo-Mondlandungen beteiligt und wurde – spät aber doch – mit jeder Menge Ehrungen und Preisen ausgezeichnet. Gleiches gilt für Mary Jackson, die später nicht nur als erfolgreiche Ingenieurin arbeitete sondern auch offiziell für Gleichstellung von Frauen in der Wissenschaft zuständig war.
Das Buch ist voll mit Details über die Biografien der NACA/NASA-Mitarbeiter, die Entwicklung des US-Raumfahrtprogramms, die politischen Umwälzungen in den 1960er- und 1970er-Jahren und die Wissenschaft von Raumfahrt und Aerodynamik. Ich kann es auf jeden Fall empfehlen; idealerweise liest man es bevor man sich den Film dazu ansieht. Und am Ende kann man fast nicht anders, als besorgt in die Zukunft zu blicken. Wenn man gelesen hat, wie mühsam und langwierig der Kampf um Gleichberechtigung und gegen Rassismus war und sieht, welche Rolle die Wissenschaft dabei gespielt hat – und das dann mit der aktuellen Situation in den USA vergleicht, wo nicht nur Gleichberechtigung und Wissenschaft aktiv bekämpft sondern auch der Rassismus von höchster Stelle angefeuert wird: Dann stellt sich ein gewisser Pessimismus ein…
Kommentare (19)