Die neue Woche möchte ich mit einem Lesetipp beginnen. In der Februar-Ausgabe von Scientific American wurde ein Artikel über die kosmologische Inflation veröffentlicht. Über diese Theorie habe ich schon öfter geschrieben – zum Beispiel hier – und sie stellt einen wichtigen Baustein der modernen Kosmologie dar. Im Wesentlichen ist die Inflation das, was beim Urknall “geknallt” hat: Man geht davon aus dass sich das Universum kurz nach seiner Entstehung während eines enorm kurzen Zeitraums enorm stark ausgedehnt hat. Viel stärker als es das davor und danach getan hat. Mit dieser Phase der Inflation lassen sich viele Phänomene erklären; zum Beispiel das Flachheitsproblem oder das Horizontproblem.
Die Kosmologen Anna Ijjas, Paul Steinhardt und Abraham Loeb kritisieren in ihrem Artikel in Scientific American die kosmologische Inflation allerdings sehr heftig. Was an sich natürlich noch nicht verwerflich wäre: Wissenschaft lebt davon, dass Hypothesen und Theorien kritisiert, erweitert oder verworfen werden. Sehr kontrovers wurde aber ihre Behauptung aufgefasst, die Beschäftigung mit der kosmologischen Inflation sei keine echte Wissenschaft mehr. Eine lange Liste anderer Wissenschaftler hat darauf reagiert und erklärt, dass dieser Vorwurf nicht gerechtfertigt ist und eine ausführliche Replik veröffentlicht.
Unter den Verteidigern der Inflation findet sich auch der Kosmologe und Blogger Sean Carroll der sich vor einigen Tagen in seinem Blog selbst noch einmal geäußert hat.
Ich kann euch alle drei Texte zur Lektüre sehr empfehlen. Es ist ein interessantes und wichtiges Thema. Vor allem ist es auch ein Thema an dem überraschend viele Leute interessiert sind, die selbst keine Experten auf dem Gebiet sind. Das ist prinzipiell gut, denn je mehr Menschen sich mit Wissenschaft beschäftigen umso besser. Es ist aber auch manchmal ein wenig irritierend. Ich habe immer wieder Kontakt mit Leuten, die ich “Privatwissenschaftler” nennen möchte – also Menschen, die sich intensive Gedanken über eine bestimmte wissenschaftliche Disziplin gemacht haben und zu dem Schluss gekommen sind, selbst eine bessere Theorie entwickelt zu haben als die professionellen Wissenschaftler. Der revolutionäre Eifer beschränkt sich dabei meistens auf die drei Gebiete der Relativitätstheorie, der Quantenmechanik und der Kosmologie. Sieht man sich an was diese Leute motiviert im Alleingang fast die gesamte Basis der modernen Naturwissenschaft als falsch zu bezeichnen, dann hat es so gut wie immer mit mangelnder Intuition zu tun: “Das ist alles so kompliziert und widerspricht meiner Alltagserfahrung, also kann es nur Unsinn sein!”
Die Inflationskritik von Anna Ijjas, Paul Steinhardt und Abraham Loeb hat mit den pseudowissenschaftlichen Einstein-Leugnern natürlich nichts zu tun. In der modernen Naturwissenschaft ist es kein Problem, wenn Erklärungen der Alltagserfahrung widersprechen. Denn es gibt ja die Mathematik; es gibt die theoretischen Vorhersagen und die experimentelle Überprüfung. Relativitätstheorie und Quantenmechanik mögen uns völlig absurd erscheinen – aber diese Theorien machen Vorhersagen die immer wieder im Experiment exakt bestätigt worden sind. Genau hier setzt aber nun die Kritik von Ijjas & Co an: Sie behaupten, die Inflation sei experimentell nicht überprüfbar.
Warum das nicht den Tatsachen entspricht kann man in den Repliken von Sean Carroll und seinen Kollegen nachlesen. Es sollte eigentlich offensichtlich sein, dass das so nicht stimmt. Wer sich noch an das Jahr 2014 erinnert, erinnert sich vielleicht auch noch an die dramatische Geschichte über den Nachweis der sogenannten “B-Moden”. Die wurden als erster Nachweis der kosmologischen Inflation gefeiert; auch wenn sich die Daten später als nicht ausreichend für so eine Aussage heraus gestellt haben. Trotzdem: Ein Nachweis WÄRE möglich gewesen und er ist es immer noch – wenn die Daten irgendwann gut genug sind.
Bei den Gravitationswellen war es ja nicht anders. Da hat man auch Jahrzehnte auf einen Nachweis gewartet und in der Zwischenzeit gab es immer wieder Leute die das ganze als Unsinn abgetan haben weil ein Nachweis entweder nicht technisch nicht machbar schien bzw. immer wieder scheiterte. Aber genau hier muss man eine wichtige Unterscheidung machen! Aussagen, die prinzipiell nicht überprüfbar sind, sind tatsächlich unwissenschaftlich. Wenn ich zum Beispiel behaupte: “Ich kann mich unsichtbar machen – aber nur dann wenn niemand zuschaut”, dann gibt es keine Methode um diese Aussage zu prüfen. Und es wird auch nie keine geben, weil es in diesem Fall keine geben kann. Als Albert Einstein aber damals seine Hypothese zu den Gravitationswellen aufstellte, gab es auch keine machbare Methode um sie nachzuweisen. Aber man wusste, wie man sie im Prinzip nachweise könnte – man konnte sich nur nicht vorstellen wie man die technischen Probleme auf dem Weg dorthin lösen soll.
Inflation ist nicht per se unüberprüfbar und Sean Caroll bringt in seinem Artikel einige Beispiel für Vorhersagen die aus der Theorie der Inflation folgen und deren Überprüfung. Ein Teil der Kritik von Ijjas & Co bezieht sich auf die Verbindung zwischen der Inflation und dem Multiversum (Wer mehr zu diesem Thema wissen möchte, dem kann ich meine sehr, sehr ausführliche Besprechung des Buches “The Hidden Reality” empfehlen). Hier ist die Kritik noch am ehesten verständlich: Da sich das Multiversum zwangsläufig mit Phänomenen beschäftigt die außerhalb unseres Universum stattfinden scheint es unmöglich, hier experimentelle Überprüfungen durchzuführen. Und ein Multiversum – je nach Hypothese – so umfassend ist das quasi alles möglich ist, lässt sich damit auch quasi alles erklären. Und Vorhersagen die alles möglich erscheinen lassen sind ebenfalls nicht sonderlich brauchbar. Aber auch hier ist die Lage nicht so klar wie sie scheint. Auch Multiversumstheorien machen überprüfbare Aussagen über unser eigenes Universum (siehe zum Beispiel hier oder hier). Außerdem weist Carroll zu Recht darauf hin, dass es eigentlich egal wäre wenn die Inflation unüberprüfbare Aussagen über das Multiversum macht. Es kommt nur darauf an, ob sie überprüfbare Aussagen über unser Universum macht und das tut sie.
Ich schließe mich also den Schlussworten von Caroll und seinen Kollegen an: “Empirical science is alive and well!” Auch wenn es um die Inflation geht.
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