Im Oktober 2015 haben die Astronomin Tabetha Boyajian und ihre Kollegen Beobachtungen des Sterns KIC 8462852 veröffentlicht. Es handelt sich dabei um einen von tausenden Sternen die das Weltraumteleskop Kepler auf seiner Suche nach extrasolaren Planeten beobachtet hat. Planeten hat man dort nicht gefunden. Dafür aber ein Verhalten, dass man so bis jetzt noch nie bei einem Stern beobachtet hat. Seitdem gibt es wilde Spekulationen über die Ursache, und ganz vorne dabei (zumindest in den Medien) sind Aliens: Eine uns weit überlegene technische Zivilisation außerirdischer Lebewesen soll der Grund sein, warum sich der Stern so seltsam verhält. In den zwei Jahre seit der ersten Entdeckung haben die Astronomen das getan, was Wissenschaftler immer tun: Sie haben mehr Daten gesammelt. Und sind nun in der Lage, die Frage nach der Alien-Zivilisation endgültig zu beantworten.
Seltsame Helligkeitsschwankungen
KIC 8462852, knapp 1450 Lichtjahre von der Erde entfernt, ist einer von vielen Sternen, bei denen das Weltraumteleskop zwischen 2009 und 2013 nach den charakteristischen Helligkeitsschwankungen gesucht hat, die auf die Existenz von Planeten hinweisen. Bewegt sich ein Planet um einen Stern herum, dann kann er dabei in regelmäßigen Abständen einen Teil des Sternenlichts verdunkeln. Mit dieser Methode hat man hunderte Planeten entdeckt und auch bei KIC 8462852 zeigten sich Veränderungen in der Helligkeit.
Die allerdings nicht durch die Existenz von Planeten ausgelöst worden sein können. Dafür waren sie zu unregelmäßig. Und zu seltsam. Die Helligkeit des Sterns wurde stellenweise bis zu 22 Prozent schwächer (ein Planet verursacht normalerweise Helligkeitsschwankungen im Promille-Bereich). Die Phasen der Verdunkelung dauerten oft mehrere Tage (während sie bei Planeten nur einige Stunden dauern). Die Helligkeit veränderte sich nicht periodisch. Und eine Auswertung alter Archivdaten zeigte, dass die Helligkeit des Sterns während der letzten mehr als hundert Jahre kontinuierlich schwächer geworden ist.
All das passt überhaupt nicht zu dem, was ein den Stern umkreisender Planet verursachen sollte. Es passt auch nicht zu den Helligkeitsänderungen, die ein Stern aus sich selbst heraus verursachen kann – zum Beispiel durch das Auftreten von Sternflecken oder den Pulsationen die veränderliche Sterne zeigen.
KIC 8462852 musste aus anderen Gründen seine Helligkeit verändern. Aber aus welchen? In ihrem ersten Fachartikel zu diesem Stern schlagen Boyajian und ihre Kollegen diverse Hypothesen vor. Am wahrscheinlichsten erschien ihnen damals, dass die Helligkeitsschwankungen durch Staub verursacht werden. Staub, der sich zwischen uns und dem Stern befindet; Staub, der vielleicht in großen Wolken den Stern umkreist und von großen Kometen, den Kollisionen zwischen Asteroiden oder gar bei Kollisionen zwischen Planeten entstanden ist.
Auftritt der Aliens
Aliens tauchen im ersten Fachartikel von Boyajian und ihren Kollegen nicht auf. Dafür aber in einem Interview zur Entdeckung. The Atlantic hatte dazu auch den Astronomen Jason Wright interviewt. Der war an der usprünglichen Forschung nicht beteiligt, begann aber kurz danach mit Boyajian zusammen zu arbeiten. Und erwähnte im Interview mit The Atlantic auch eine sehr spektakuläre Hypothese: Die Helligkeitsänderungen könnten durch “Megastrukturen” verursacht werden. Damit sind sogenannte Dyson-Sphären beziehungsweise Variationen davon gemeint. Eine ausreichend fortgeschrittene technische Zivilisation könnte in der Lage sein, gigantische Strukturen um einen Stern herum zu erreichten. Damit könnten sie sehr viel mehr der Energie Sterns einfangen und nutzen als das bisschen, das auf natürlichen Weg auf die Oberfläche eines Planeten gelangt. Je nachdem, wie so eine Struktur im Detail aussieht, verdunkelt sie mehr oder weniger Licht des Sterns.
Wright erwähnte im Interview extra noch, dass Hypothesen die Aliens beinhalten, immer nur als letzter Ausweg in Betrachte gezogen werden sollten. Nur dann, wenn keinerlei natürliches Phänomen identifiziert werden kann, um die Beobachtungen zu erklären, wäre es sinnvoll, sich mit solchen Hypothesen zu beschäftigen. Aber die Medien und die Öffentlichkeit funktioniert eben nach ihren eigenen Gesetzen. Und wenn da einmal Aliens von Wissenchaftlern erwähnt werden, dann gilt die gesamte Aufmerksamkeit den potentiellen Außerirdischen. Seit diesem Interview im Oktober 2015 ist der Stern KIC 8462852 daher auch deutlich öfter Thema öffentlicher Berichterstattung, als es Sterne normalerweise sind. So oft und so häufig (und so sensationsheischend) wurde selten über eine astronomische Beobachtungskampagne berichtet.
Aber immerhin hat das auch dazu geführt, dass KIC 8462852 wirklich intensiv erforscht werden konnte. Astronomen haben selten die Gelegenheit, einen einzelnen Stern so intensiv zu untersuchen wie das hier der Fall war.
Alle Augen auf KIC 8462852
Seit Oktober 2015 wurden jede Menge neue Erkenntnisse veröffentlicht (ich habe hier und hier davon erzählt). Alle Befunde stärkten die These, dass es sich um ein Phänomen handeln muss, bei dem Staub involviert ist. Was aber natürlich nichts an der Faszination änderte, die die hypothetische Alien-Zivilisation auf die Öffentlichkeit ausübte (es gab sogar den Versuch dort nach Radiobotschaften zu suchen).
Boyajian und ihre Kollegen dagegen sahen die Aliens weiterhin nur als letzten Ausweg an. Die Hypothese ließ sich zwar nicht absolut widerlegen; gehörte aber zu den unwahrscheinlichsten Ursachen für die Beobachtungen. So oder so – um die Sache zu klären, brauchte es mehr Daten. Und deswegen nutzten die Astronomen die große öffentliche Aufmerksamkeit und starteten eine Crowdfunding-Action um Teleskopzeit zur weiteren Beobachtung des Sterns kaufen zu können. Dieses Vorhaben war erfolgreich und sie konnten das Las Cumbres Observatory Global Telescope (LCOGT) benutzen, einem privaten, weltweiten Netzwerk aus kleinen Teleskopen. Zwei davon, eines auf den kanarischen Inseln und eines auf Hawaii konnten Boyajian und ihre Kollegen für ihre Arbeit verwenden. Dazu kamen noch diverse andere (Weltraum)Teleskope und Instrumente die neue Daten geliefert haben.
Erfolgreich! Im Jahr 2017 konnten die Astronomen vier weitere Verdunkelungen des Sterns messen. Die erste Auswertung dieser Daten wurde nun veröffentlicht (“The First Post-Kepler Brightness Dips of KIC 8462852”) – mit höchst interessanten Ergebnissen.
Elsie, Celeste, Skara Brae und Angkor
Dank der genauen Analysie von Elsie wissen wir nun deutlich mehr über das, was bei KIC 8462852 passiert als vorher. “Elsie” ist der Name einer der vier Verdunkelungen. Und ja, die vier Verdunkelungen haben Namen bekommen! Bei einem Crowdfunding-Projekt muss man den Spendern ja etwas für ihr Geld anbieten und in diesem Fall durften die Leute Namen für die Verdunkelungsphasen bestimmen. “Elsie” kann man als Variation von “LC” ansehen; kurz für “Lightcurve” bzw. “Lichtkurve”, also der zeitliche Verlauf der Sternenhelligkeit. Oder aber auch in Bezug auf das “Las Cumbres” Observatorium betrachten.
Wer Lust hat, kann es auch umgekehrt lesen und dann kriegt man etwas, was wie “ciel” klingt, also das französische Wort für Himmel. Wer lieber Latein hat, der hält sich an den Namen für die zweite Verdunkelung: “Celeste”, was ebenfalls “Himmel” bedeuten. Am schönsten finde ich die Begründung für die dritte Namenswahl. “Skara Brae” ist eigentlich eine Steinzeitsiedlung im nördlichen Schottland. Aber es gibt auch viele Gemeinsamkeiten mit der Verdunkelungsphase und ich zitiere jetzt direkt aus dem Fachartikel von Boyajian und ihren Kollegen: “Sie ist alt; wir beobachten etwas das vor mehr als 1000 Jahren passiert ist. Sie wurde ziemlich sicher von etwas ganz gewöhnlichen ausgelöst; zumindest auf kosmischen Skalen. Und trotzdem steigert das unser Interesse und verringert es nicht. Aber am wichtigsten ist: Sie ist mysteriös. Was zum Teufel ist vor all diesen Jahrhunderten passiert?” Die vierte Verdunkelungsphase hat dann ebenfalls noch einem Namen bekommen, der an eine mysteriöse und untergegangene Stadt erinnert (Angkor Wat).
Aber lassen wir diese Spielereien um die Namensgebung mal beiseite. Wichtig ist ja vor allem die Astronomie. Jede Menge Teleskop haben Elsie und die anderen Verdunkelungsphasen beobachtet. Man hat aber nicht nur die Helligkeit gemessen, sondern auch Spektroskopie betrieben. Man hat nicht nur das normale sichtbare Licht gemessen, sondern auch die Helligkeit im Infrarotlicht. Und man hat die Polarisierung des Lichts gemessen. Ein gutes Dutzend Teleskope und Instrumente haben Elsie & Co genau unter die Lupe genommen.
Die Farben des Staubs
Ich möchte aus all diesen Ergebnissen vor allem zwei heraus stellen. Zuerst sind da einmal die Daten der Spektroskopie. Mit dieser Technik kann man herausfinden, welche chemischen Elemente das Licht auf dem Weg vom Stern zur Erde durchquert. Wenn da zum Beispiel eine Wolke aus Gas ist, dann blockiert dieses Gas einen ganz bestimmten Teil des Lichts der uns sagt, aus welchem Element es besteht – dieses fehlende Licht nennt man “Spektrallinie”. Boyajian und ihre Kollegen haben nun spektroskopische Daten vor und während der Verdunkelungsphase gesammelt. Warum? Nun, stellen wir uns vor, die Verdunkelung hätte ihre Ursache tatsächlich in einem Gas das sich irgendwo um den Stern herum befindet. Einer Gasscheibe; einer Gaswolke; Zeug das vom Stern ausgeworfen wird, etc. Wenn das so ist, dann sollte man in der entsprechenden Spektrallinie Veränderungen sehen; je nachdem ob man gerade während einer Verdunkelung hinsieht oder nicht. Solche Veränderungen hat man aber nicht beobachtet, wie diese Bilder zeigen (in denen die Punkt bzw. die Linien die Daten vor/während der Verdunkelung zeigen):
Gas kann also schon mal bei der Verdunkelung nicht involviert sein; wenn es sich tatsächlich um Staub handelt, dann muss es nur Staub sein und keine Mischung aus Staub und Gas. Aber wie findet man heraus, ob es sich um Staub handelt? Dafür gibt es die schöne Disziplin der Laborastronomie. Als ich noch an der Unisternwarte Jena gearbeitet habe, haben wir Theoretiker uns ein Gebäude mit den Laborastronomen geteilt. Im Erdgeschoß haben sie reale Staubproben (verschiedene Arten von Gesteinen) untersucht und genau analysiert, auf welche Art und Weise diese Partikel Licht reflektieren. Je nach chemischer Zusammensetzung, Form und vor allem Größe passiert das unterschiedlich und mit solchen Experimenten kann man dann große Datenbanken erstellen, mit denen sich Beobachtungsdaten abgleichen lassen. Und tatsächlich haben Boyajian und ihre Kollegen genau diese Arbeit der Jenaer Laborastronominnen und -astronomen verwendet um ihre Daten zu interpretieren.
Die Analyse legt nahe, dass die Staubpartikel klein sein müssen. Egal wie sie zusammengesetzt sind, sie müssen auf jeden Fall kleiner als ein Mikrometer sein. Das bedeutet aber gleichzeitig auch, dass dieser Staub dort erst seit kurzem vorhanden ist. Zumindest “kurz” im astronomischen Sinn. Denn so kleiner Staub wird durch die Strahlung des Sterns beeinflusst; der “Druck” durch das Licht schiebt ihn vom Stern weg und er verschwindet im Laufe der Zeit. Wenn er jetzt beobachtet wird, dann muss er auch erst vor kurzem produziert worden sein bzw. immer wieder nachproduziert werden.
Die Megastruktur zerfällt zu Staub
Aber woher weiß man denn, dass es wirklich Staub ist? Und nicht etwa doch die Megastruktur einer Alienzivilisation? Das ist vielleicht das interessanteste Ergebnis der neuen Beobachtungen. Boyajian und ihre Kollegen haben die Verdunkelung nämlich in verschiedenen Wellenlängenbereichen des Lichts beobachtet. Also nicht nur bei einer bestimmten Farbe des Lichts sondern bei verschiedenen. Wäre die Ursache der Verdunkelung ein massives Objekt, dann sollte das alles Licht blockieren und es wäre egal, bei welcher Wellenlänge man die Verdunkelung beobachtet. Boyajian und ihre Kollegen haben aber eindeutig gesehen, dass das Licht des Sterns unterschiedlich stark schwächer wird, je nachdem bei welcher Wellenlänge man schaut:
Und das ist ein ganz klares Anzeichen dafür, dass es sich um Staub handeln sollte. Denn der lässt – je nach Wellenlänge – mal mehr oder mal weniger Licht durch. Diese Beobachtung belegt also eindeutig, dass da kein massives Objekt involviert ist. Kein Planet, kein Mond und auch keine Alien-Megastruktur. Die Beobachtung der Spektrallinien zeigt außerdem, dass es sich nicht um einen pulsierenden Stern handeln kann. Die vielen unterschiedlichen Beobachtungen mit den vielen unterschiedlichen Instrumenten schließen nun auch endgültig irgendwelche Messfehler oder ähnliches aus.
Das, was KIC 8462852 verdunkelt, muss Staub sein. Wo dieser Staub her kommt, ist allerdings immer noch unklar. Momentan ist die favorisierte Hypothese eine, bei der “Exokometen” den Staub liefern. Kometen die in die Nähe eines Sterns kommen, können durch die Erhöhung der Temperatur jede Menge Staub produzieren und vielleicht gibt es bei KIC 8462852 ja mehr oder größere Kometen als bei uns. Ein ziemlich gutes Modell geht von einem Schwarm Kometen aus, die sich auf einer sehr langgestreckten Umlaufbahn um den Stern befinden und so mit ihrem Staub die seltsame Verdunkelung erzeugen.
Um mehr zu erfahren braucht es mehr Beobachtungen. Längere Beobachtungen über die nächsten Jahre hinweg könnten zeigen, ob es vielleicht doch eine Periodizität bei den Verdunkelungen gibt. Genauere spektroskopische Untersuchungen könnten Hinweise auf das Material liefern, dass die Verdunkelungen erzeugt. Wenn wir das einmal herausgefunden haben, ist es auch einfacher, den Ursprung des Staubs zu entschlüsseln.
Auf jeden Fall wissen wir nun aber, dass irgendwelche Alien-Zivilisationen nichts mit dem ganzen zu tun haben (Und wehe, jetzt kommt irgendwer und erklärt, dass es sich eben um sehr, sehr alte Megastrukturen handelt, die langsam zu Staub zerfallen!). Wir wissen, dass wir es trotzdem noch mit einem höchst interessanten Stern zu tun haben. Einem Stern, bei dem offensichtlich etwas passiert, was bei Sternen nicht oft passiert (ansonsten hätten wir es auch anderswo schon beobachtet). Aber gerade solche Spezialfälle sind es, bei denen wir wirklich etwas Neues lernen können! Ich hoffe sehr, dass wir das in den nächsten Jahren auch tun. Und das Tabetha Boyajian und ihre Kollegen auch weiterhin genug Unterstützung für ihre Forschung bekommen, auch wenn die öffentlichkeistwirksamen Aliens nicht mehr in der Geschichte vorkommen…
Kommentare (38)