Es sieht ein wenig so aus, als hätte irgendwer mitten in der australischen Wüste einen Tisch vergessen. Zwei Meter lang, einen Meter hoch, mitten im roten Sand und ohne Stühle. Aber es ist ja auch kein Tisch, sondern ein Teleskop. Ein Teleskop, mit dem Astronomen kürzlich nicht nur herausgefunden haben, wann die allerersten Sterne im Universum anfingen zu leuchten, sondern auch interessante Hinweise auf die immer noch unverstandene dunkle Materie gefunden haben.
Das erste und das zweite Licht
Bevor wir uns den Tisch genauer ansehen, schauen wir aber erst noch einmal zurück zum Anfang. In dem Fall wirklich zum Anfang: Zum Urknall, vor 13.8 Milliarden Jahren. Damals gab es weder Australien, Astronomen oder Tische. Es gab auch keine Sterne. Es gab nicht einmal Atome. Es gab – wenn wir den allerersten Anfang kurz überspringen – jede Menge Atomkerne von Wasserstoff- und Heliumatomen, jede Menge Elektronen und jede Menge Strahlung. Die Strahlung konnte sich aber nicht ausbreiten. Die Temperatur im frühen Universum war so groß, dass Elektronen und die Atomkerne sich nicht zu vollständigen Atomen verbinden konnten; dafür waren sie dank der hohen Temperatur zu schnell unterwegs. Und das Licht kam einfach nicht vorwärts, weil es ständig auf die überall herumschwirrenden Elektronen stieß. Das ganze ging knapp 400.000 Jahre so, dann war der Kosmos kühl genug, damit sich die ersten Atome formen konnten. Das Licht – das erste Licht im Universum – hatte nun endlich freie Bahn und konnte sich ausbreiten. Ein Teil davon tut das heute noch und wir haben es in den 1960er Jahren das erste Mal beobachtet. Man nennt es die “kosmische Hintergrundstrahlung” (ich habe hier ausführlicher davon erzählt) und sie ist eine der wichtigsten Informationsquellen über das frühe Universum.
Alles was von da an im Kosmos gab, waren riesige Wolken aus Wasserstoff (und ein wenig Helium). Irgendwann sind Teile dieser Wolken unter ihrem eigenen Gewicht kollabiert und es entstanden die allerersten Sterne. In ihrem Inneren startete die Kernfusion und sie schickten das zweite Licht des Universums auf die Reise. Astronomen sind seit langer Zeit auf der Suche nach den “Ur-Sternen”, bis jetzt aber ohne Erfolg. Es ist auch fraglich, ob sie jemals Erfolg haben werden. Die ersten Sterne waren riesig und sie verbrannten ihren Wasserstoff enorm schnell. Sie lebten nur kurz und explodierten als riesige Supernovas. Wenn wir ihr Licht sehen wollen, müssten wir enorm weit in der Zeit zurück blicken. Was in der Astronomie bedeutet: Wir müssen die ersten Sterne in ebenso enorm großen Entfernungen suchen; wir müssen mehr als 13 Milliarden Lichtjahre hinaus in den Kosmos blicken, um das Licht zu sehen, das vor mehr als 13 Milliarden Jahren von den Ur-Sternen ausgesandt worden ist. Aber das ist verständlicherweise schwierig. Zum Glück gibt es aber Methoden, mit denen man ihr Licht indirekt wahrnehmen kann. Methoden, für die man einen Tisch in der australischen Wüste aufstellen muss.
Wasserstoffradio
Denn der Tisch ist eigentlich ein Radioteleskop. Oder besser gesagt: Eine extrem empfindliche Antenne mit der man Radiostrahlung detektieren kann. Nicht, um zu hören, was das australische Radio gerade sendet. Man hat die Antenne deswegen mitten in der Wüste aufgestellt, weil man genau das nicht will. Man will nicht all die irdischen, menschengemachten Radiowellen empfangen, sondern die viel schwächeren Radiosignale aus dem Universum detektieren.
Es geht dabei nicht um irgendwelche Botschaften von außerirdischen Lebewesen. Wenn Astronomen in diesem Zusammenhang von “Radiosignalen” sprechen, meinen sie keine intelligenten Botschaften, sondern einfach nur elektromagnetische Strahlung mit bestimmten Wellenlängen. Das Licht, das unsere Augen sehen, ist ja auch nichts anderes als elektromagnetische Strahlung. Radiostrahlung ist exakt das gleiche Phänomen, nur ist ihre Wellenlänge zu lang, um von unseren Augen registriert zu werden. Und so wie Himmelskörper auf ganz natürliche Weise Licht aussenden können, können sie auch Radiowellen durchs All schicken.
Das können Sterne wie unsere Sonne – aber auch einzelne Atome, wie der Wasserstoff. Dieses einfachste aller Atome besteht aus einem Proton (das den Kern ausmacht) und einem Elektron (in der Hülle). Elektron und Proton können unterschiedliche quantenmechanische Eigenschaften haben und unterschiedliche Kombinationen dieser Eigenschaften entsprechenden unterschiedlichen “Zuständen” des Atoms. Wechselt der Wasserstoff von einem Zustand in den anderen, dann kann er dabei Energie abstrahlen und er tut das unter anderem in Form von Radiowellen mit einer Wellenlänge von 21 Zentimetern.
Das ist praktisch für die Astronomen, denn Wasserstoff war nicht nur von Anfang an im Universum sondern ist auch das häufigste Element. Wenn sie mit ihren Radioteleskopen den Kosmos durchsuchen, können sie jede Menge lernen. Und je weiter hinaus sie schauen, desto älter ist der Wasserstoff, den sie per 21-Zentimeter-Strahlung betrachten. Sie können so die Verteilung der allerersten Materie kartieren (nichts anderes ist im Prinzip die Messung der oben genannten kosmischen Hintergrundstrahlung). Und sich auf die Suche nach den allerersten Sternen machen.
Das Universum leuchtet auf
Offiziell heißt das Tisch-Teleskop in der australischen Wüste “Experiment to Detect the Global Epoch of Reionization Signature (EDGES)”, also das “Experiment zur Detektion der Signatur der globalen Epoche der Reionisation”. Mit “Reionisation” ist das gemeint, was passierte, als im Universum die ersten Sterne angeknipst wurden. Sie begannen zu leuchten; schickten aber nicht nur für unsere Augen sichtbares Licht ins All sondern auch zum Beispiel höherenergetische Ultraviolettstrahlung. Und als die auf den Wasserstoff in den noch vorhandenen großen Wolken traf, wurden die Wasserstoffatome “reionisiert”. Die energiereiche Strahlung entfernte das Elektron wieder vom Proton und der Wasserstoff konnte keine 21-Zentimeter-Strahlung mehr aussenden.
Die Hypothese lautet also: Wenn wir die 21-Zentimeter-Strahlung im Universum beobachten, sollten wir irgendwann in der Frühzeit des Kosmos eine Phase sehen, in der die Menge dieser Strahlung plötzlich ein wenig abfällt. An der Überprüfung dieser Hypothese haben sich Astronomen schon seit einiger Zeit versucht, aber der zu erwartende Effekt war sehr gering und man braucht wirklich viele und wirklich gute Daten, um eine Chance zu haben, ihn zu sehen. Der Artikel, den Judd Bowmann von der Arizona State University und seine Kollegen kürzlich veröffentlicht haben (“An absorption profile centred at 78 megahertz in the sky-averaged spectrum”) verkündete aber endlich Erfolg! Man hat ein Signal gesehen, das mehr oder weniger genau dem entspricht, was man sich erwartet hat: Einen Einbruch der 21-Zentimeter-Strahlung im frühen Universum. Gemessen hatte man das alles schon vor zwei Jahren; die Zeit seitdem haben die beteiligten Wissenschaftler damit verbracht, alles doppelt und dreifach zu prüfen. Zu schauen, ob nicht vielleicht doch irgendwelche störenden irdischen Quellen die Daten verfälscht haben oder ein anderes astronomisches Phänomen für die Beobachtung verantwortlich sein könnte. Und als ihnen nichts mehr einfiel, bei dem sie sich geirrt haben könnten, wurde die Entdeckung veröffentlicht.
Das spannende ist natürlich nicht nur die Tatsache, das man den Effekt der ersten Sterne gesehen hat. Wir wissen, dass es erste Sterne im Universum gegeben haben muss und wir wissen auch, dass ihre UV-Strahlung den Wasserstoff so beeinflusst, dass es Konsequenzen für die 21-Zentimeter-Strahlung haben muss. Das wirklich coole an der Sache ist, dass man mit dieser Beobachtung herausfinden kann, wann die ersten Sterne zu leuchten begannen.
Bis jetzt hat man das ganze auf “ein paar hundert Millionen Jahre nach dem Urknall” eingegrenzt. Beobachtungen der ältesten bekannten Galaxien zeigen, dass es 400 Millionen Jahre nach dem Urknall schon Sterne gegeben haben muss. Aber mit der Messung der Reionisierungs-Signatur kann man es viel genauer eingrenzen. Denn das Universum dehnt sich aus. Und Strahlung, die vor langer Zeit ausgesandt wurde, wird seitdem durch die Expansion des Raums immer weiter gestreckt. Wenn wir wissen, wie die Wellenlänge ursprünglich beschaffen war (was bei der 21-Zentimeter-Strahlung ja ganz offensichtlich der Fall ist), dann können wir aus der heute beobachteten Wellenlänge berechnen, wie lange die Strahlung schon unterwegs war. In diesem Fall lautet das Ergebnis: Die ersten Sterne sind 180 Millionen Jahre nach dem Urknall entstanden!
Kühlung mit dunkler Materie
Das ist ein wirklich tolles Ergebnis und ich freue mich, dass ich auf die mir nach Vorträgen so oft gestellte Frage “Wann sind die ersten Sterne entstanden?” jetzt endlich eine konkrete Antwort geben kann. Ebenso so faszinierend sind aber auch die neuen Fragen, die durch die Beobachtung aufgeworfen werden. Man hat die Auswirkungen des ersten Sternenlichts auf den ursprünglichen Wasserstoff zwar in etwa so gemessen, wie man es erwartet hatte. Was man nicht erwartet hatte, war das Ausmaß des Effekts. Es wurde viel mehr 21-Zentimeter-Strahlung blockiert als eigentlich blockiert werden sollte. Das kann, so der aktuelle Stand des Wissens und der Dinge, nur zwei Gründe haben. Entweder waren die ersten Sterne viel heißer als man dachte und erzeugten viel mehr Strahlung als erwartet. Oder die Wasserstoffwolken waren viel kühler als bisher angenommen. Beide Möglichkeiten sind gleichermaßen seltsam und unerwartet. Wie Sterne funktionieren, wissen wir eigentlich recht gut. Wir wissen, aus was sie damals entstanden sind und sollten eigentlich auch wissen, wie sie sich verhalten. Wenn wir nicht bisher irgendwas wirklich grundlegendes in Sachen Sternen übersehen haben, ist die zweite Möglichkeit wahrscheinlicher.
Irgendwas muss die Wasserstoffwolken gekühlt haben. Dieses “irgendwas” muss selbst kühler als der Wasserstoff gewesen sein. Recht viel Auswahl an Zeug haben wir im frühen Universum aber nicht, weil es da noch nicht wirklich viel Zeug gab. Es gab Wasserstoff und Helium. Und das war es auch schon wieder – zumindest was die normale Materie angeht. Was es aber auch noch gab, war dunkle Materie (und bevor wieder jemand meckert, dass man das ja nicht wissen kann und das die dunkle Materie nur eine Erfindung der Theoretiker ist, verweise ich auf meine ausführliche Serie zu dem Thema, in der ich mich mit all diesen Fragen beschäftige). Dunkle Materie, also eine Art von Materie, die sich von der normalen Materie grundlegend unterscheidet. Dunkle Materie übt Gravitationskraft aus und wird von Gravitationskraft beeinflusst. Aber sie übt keine elektromagnetische Kraft aus und wird von elektromagnetischer Kraft nicht beeinflusst. Sie leuchtet also nicht und sie kann auch nicht angeleuchtet werden – oder durch Strahlung aufgewärmt. Als normale und dunkle Materie entstanden, hatten sie beide die gleiche Temperatur. Aber weil dunkle Materie mit normaler Materie so gut wie gar nicht wechselwirkt, verhielten sie sich von da an unterschiedlich. Die dunkle Materie konnte vor allem viel schneller abkühlen; im Gegensatz zur normalen Materie hat sie die ganze elektromagnetische Strahlung im frühen Universum buchstäblich kalt gelassen.
Ein klein bisschen Wechselwirkung gibt es zwischen beiden Materiearten aber doch und über diese Wechselwirkung könnte die normale Materie ein wenig Energie an die dunkle Materie abgegeben haben. Das ist zumindest die Hypothese von Rennan Barkana von der Universität Tel Aviv, der die Ergebnisse von Bowmann und seinen Kollegen in einem zeitgleich erschienenen Fachartikel (“Possible interaction between baryons and dark-matter particles revealed by the first stars”) entsprechend interpretiert. Wie gesagt: Eine Hypothese – aber eine, aus der sich ein paar interessante Eigenschaft der dunklen Materie ableiten lassen, die man eventuell irgendwann bei anderen Beobachtungen überprüfen kann.
In der Zukunft blicken wir zurück!
Die Entdeckung der Auswirkung des ersten Sternenlichts auf das Universum ist ein wirklich schönes Stück Wissenschaft. Und noch schöner: Es ist noch lange nicht vorbei! In Zukunft müssen wir weiterhin zurück in die Vergangenheit des Kosmos schauen. Natürlich braucht es weitere Daten, die den ersten Befund bestätigen. Und es braucht Daten, um noch mehr herausfinden zu können. Entsprechende Radioteleskope muss man nicht mehr extra bauen. Es gibt sie schon, zum Beispiel LOFAR. Das steht nur ein paar Kilometer von meiner Wohnung in Jena entfernt, im Tautenburger Forst. Ok, dort steht ein Teil von LOFAR; die Antennen dieses Netzwerks findet man über die ganze Welt verteilt. Ich habe mir LOFAR (den Tautenburger Teil) vor ein paar Jahren mal angesehen und die Dinger schauen noch ein wenig unspektakulärer aus als der Tisch in der australischen Wüste.
Aber mit LOFAR könnte man nicht nur die Ergebnisse von EDGES bestätigen, sondern auch kartografieren, wo am Himmel mehr Strahlung blockiert wurde und wo weniger. Man kann (sehr, sehr vereinfacht) die Position der ersten Sterne und Wasserstoffwolken bestimmen und wenn da die wirklich auch noch die dunkle Materie im Spiel ist, sollte diese Verteilung nicht einfach irgendwie sein, sondern bestimmten Regeln folgen. Die Vergangenheit des Universums bleibt spannend!
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