SG_LogoDas ist die Transkription einer Folge meines Sternengeschichten-Podcasts. Die Folge gibt es auch als MP3-Download und YouTube-Video.

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Sternengeschichten Folge 305: Die “Seltene-Erde-Gleichung”

In der letzten Folge der Sternengeschichten habe ich von der Drake-Gleichung erzählt. Mit dieser mathematischen Formel kann man ausrechnen, wie viele Alien-Zivilisationen in der Milchstraße existieren mit denen wir Kontakt aufnehmen könnten. Theoretisch zumindest, denn in der Praxis ist die Drake-Gleichung bei weitem nicht so einfach zu verwenden wie es scheint. Es gibt noch eine weitere, ähnliche Gleichung die sich ebenfalls mit der Fragen nach der Wahrscheinlichkeit von außerirdischem Leben beschäftigt. Sie heißt “Rare-Earth-Gleichung” beziehungsweise “Seltene-Erde-Gleichung” und ist ein wenig komplizierter als die Drake-Gleichung.

Aufgestellt wurde sie im Jahr 2000 von Peter Ward, einem Geologen und Donald Brownlee, einem Astronomen und Astrobiologen. Sie vertreten die These, dass die Entwicklung von komplexen Leben auf der Erde ein extrem unwahrscheinliches Ereignis war, weil dafür jede Menge sehr seltene geologische, biologische und astronomische Voraussetzungen nötig sind. Ihre Arbeit ist unter dem Namen “Rare-Earth-Hypothese” oder “Seltene-Erde-Hypothese” bekannt geworden und eine direkte Folge daraus ist, dass intelligentes Leben im Universum extrem selten ist.

So wie bei der Drake-Gleichung besteht auch die Rare-Earth-Gleichung aus jeder Menge Zahlen, die miteinander multipliziert werden müssen. Am Ende erhält man die Anzahl der Planeten in der Milchstraße auf denen komplexes Leben existiert. Mit “komplexen Leben” ist hier nicht zwingend intelligentes Leben gemeint. Sondern – vereinfacht gesagt – alles, was kein Mikroorganismus ist. Also keine Bakterien, Algen oder ähnliches Kleinzeug, sondern “echte” Tiere und Pflanzen. Wenn es die nicht gibt, dann gibt es auch nichts, aus dem sich irgendwann mal intelligentes Leben entwickeln kann.

Im Gegensatz zu den sieben Faktoren die bei der Drake-Gleichung berücksichtigt werden müssen, haben Ward und Brownlee gleich 11 Zahlen in ihre Gleichung aufgenommen. Alles fängt mit der Zahl der Sterne in der Milchstraße an. Das multipliziert man mit der durchschnittlichen Anzahl der Planeten die sich in der habitablen Zone ihrer Sterne befinden. Also dort, wo die Strahlung des Sterns zumindest theoretisch Temperaturen ermöglichen kann, die für die Entwicklung von Leben nötig sind. Es ist wahrscheinlich, dass sich nur jeweils ein Planet in der habitablen Zone eines Sterns befindet, denn der Bereich in dem wirklich optimale Temperaturen herrschen ist ziemlich klein. In dem Fall ist die Ausgangszahl der Rare-Earth-Gleichung einfach die Zahl aller Sterne in der Milchstraße. Die kennt man allerdings auch nicht allzu genau. Vielleicht sind es 100 Milliarden; vielleicht 200 Milliarden; vielleicht sogar 500 Milliarden. Auf jeden Fall viele…

Davon nehmen wir jetzt zuerst einmal nur die, die sich in der galaktischen habitablen Zone befinden. Denn nicht jeder Stern in der Milchstraße ist geeignet für die Entstehung von Leben. Zu nah am Zentrum der Milchstraße ist es gefährlich, weil sich dort das zentrale schwarze Loch befindet das in seiner Umgebung jede Menge gefährliche Strahlung erzeugt. Außerdem stehen die Sterne dort sehr eng bei einander und wenn es Supernova-Explosionen gibt, können da auch Nachbarsternsystem in Mitleidenschaft gezogen werden. Zu weit entfernt vom galaktischen Zentrum ist aber auch nicht gut, denn ganz außen gibt es weniger schwerer Elemente die für die Entstehung von Planeten zur Verfügung stehen. Planeten dort wären eher große Gasplaneten und keine mit einer festen Oberfläche. Das ganze Konzept ist nicht unumstritten, weil man noch viel zu wenig über die Eigenschaften der Sterne in der Milchstraße weiß und auch nicht über die Entstehung von Planeten. Je nach Schätzung kann man davon ausgehen, dass weniger als ein Prozent oder aber deutlich mehr als 10 Prozent aller Sterne in der galaktischen habitablen Zone liegen. Oder vielleicht sogar noch mehr.

So oder so: von den Sternen die in der galaktischen habitablen Zone sind, nehmen wir jetzt all die, die auch tatsächlich Planeten haben. Von diesen Planeten nehmen wir die, die auch wirklich Planeten mit fester Oberfläche und keine Gasplaneten sind. Und jetzt kommt langsam das Leben ins Spiel. Wir sind jetzt bei den Planeten, die prinzipiell mal Leben ermöglichen könnten. Von denen nehmen wir nun die, auf denen tatsächlich auch Leben entstanden ist. Und “Leben” heißt in dem Fall: Mikroorganismen. Algen, Bakterien, und so weiter. Wie wahrscheinlich es ist, das simples Leben entsteht, weiß niemand. Aber – wie ich in der letzten Folge erklärt habe – wenn man die Erde als Maßstab nimmt und optimistisch sein will, dann kann man davon ausgehen, dass so etwas häufig vorkommt. Von all den Planeten mit Leben nehmen nehmen wir nun diejenigen, die auch komplexes Leben entwickelt haben. Und wie ich ebenfalls in der letzten Folge erklärt habe, könnte das eine sehr, sehr geringe Anzahl sein. 80 Prozent der Zeit, in der Leben auf der Erde existiert hat, war dieses Leben kein komplexes Leben. Das hat sich erst spät entwickelt und keiner weiß warum und warum erst so spät. Ward und Brownlee sind der Meinung, dass es enorm unwahrscheinlich ist. Und wenn sich irgendwo tatsächlich komplexes Leben entwickelt hat, kann es auch wieder verschwinden. Deswegen ist der nächste Faktor in der Gleichung die Lebensdauer des Planeten, während der das komplexe Leben existiert.

Braucht das noch wer oder kann das weg? (Bild: NASA/Goddard/Lunar Reconnaissance Orbiter)

Braucht das noch wer oder kann das weg? (Bild: NASA/Goddard/Lunar Reconnaissance Orbiter)

Wie ich in Folge 35 erklärt habe, wird die Sonne im Laufe der Zeit immer heller und wärmer. Schon in einer Milliarde Jahre wird es auf der Erde zu heiß für Leben werden, und das obwohl die Lebensdauer der Sonne selbst noch mindestens 5 bis 6 Milliarden Jahre beträgt. Und dann gibt es ja noch andere mögliche Katastrophen. Asteroideneinschläge etwa. Oder gewaltige Vulkanausbrüche. Globale Eiszeiten. All das kann komplexes Leben auslöschen und wenn man nur lange genug wartet, wird das eine oder andere mit Sicherheit passieren – oder alles zusammen. Deswegen betrachten Ward und Brownlee in ihrer Gleichung als nächstes den Anteil der Planeten, die einen großen Mond besitzen. Bei der Erde sorgt die Anwesenheit des Mondes dafür, dass die Erdachse nicht allzu unvorhergesehen hin und her schwankt. Weil der Mond so groß ist, kann er mit seine Gravitationskraft die Erdachse quasi festhalten. Und weil die Erdachse nicht so stark schwankt, verlaufen auch die Jahreszeiten regelmäßig; es gibt kein chaotisches Klima und all das fördert die Entwicklung von komplexen Leben. Der Mond allerdings ist bei einer zufälligen Kollision im jungen Sonnensystem entstanden. Wäre das nicht passiert, dann hätte die Erde heute keinen großen Mond. Und Kollisionen dieser Art könnten ebenfalls sehr unwahrscheinlich sein.

Sehr wahrscheinlich dagegen ist es, dass ein habitabler Planet sich in einem System befindet, in dem auch ein großer Gasplanet ist. So wie etwa der Jupiter bei uns. Ein solcher Planet kann dafür sorgen, das nicht zu viele Asteroiden auf dem habitablen Planeten einschlagen, weil er sie mit seiner Schwerkraft ablenkt. Und dann kommt noch die Anzahl der Planeten in die Gleichung, die ganz allgemein selten von irgendwelchen fiesen Katastrophen heimgesucht werden.

Setzt man halbwegs plausible Spekulationen in diese Gleichung ein, landet man bei einer sehr niedrigen Anzahl an Planeten mit komplexen Leben. So klein, das man durchaus davon ausgehen kann, dass die Erde der einzige Planet dieser Art in der Milchstraße ist. Aber natürlich sollte man die Rare-Earth-Gleichung ebenso wenig zu ernst nehmen wie die Drake-Gleichung. Es ist zum Beispiel immer noch unklar, wie wichtig die Anwesenheit eines großen Mondes oder eines asteroidenablenkenden Gasplaneten für die Existenz von Leben tatsächlich ist. Man kann darüber streiten, ob es unwahrscheinlich ist, das sich aus simplen Lebewesen komplexe Lebewesen entwickeln oder unvermeidlich.

Auf der Erde haben – nach allem was wir bis jetzt wissen – tatsächlich sehr viele verschiedene Faktoren zusammengespielt um das Leben zu erzeugen, das heute existiert. Und viele dieser Faktoren scheinen tatsächlich sehr unwahrscheinlich gewesen zu sein. Aber wir kennen eben nur die Erde. Vielleicht hätte eine andere Kombination anderer unwahrscheinlicher Ereignisse ebenfalls Leben hervor gebracht – nur eben anderes Leben als heute? Alles was auf einem Planeten passiert kann aus einem gewissen Blickwinkel als unwahrscheinliche Abfolge von Ereignissen erscheinen. Es ist extrem unwahrscheinlich, das eine konkrete Person im Lotto den Jackpot gewinnt. Aber trotzdem gewinnen überall auf der Welt jede Woche jede Menge Menschen. Und wer weiß, was auf all den Planeten in der Milchstraße passiert…

aliencat

Die Drake-Gleichung aus der letzten Folge will uns davon überzeugen, dass komplexes Leben im Universum häufig ist. Die Rare-Earth-Gleichung will uns vermitteln, das es enorm selten ist. Beide sind interessante Gedankenspiele und beide sind in der Praxis unbrauchbar, um konkrete Zahlen auszurechnen. Wir wissen schlicht und einfach nicht, wie wahrscheinlich es ist, das intelligentes Leben entsteht. Und so lange wir das nicht wissen, können wir auch keine Aussage darüber machen, wie häufig es im Universum ist. Es kann extrem häufig sein. Es kann ebenso sein, dass wir derzeit die einzigen intelligenten Lebewesen sind. Dass es da draußen jede Menge Sterne und Planeten gibt, ist zwar faszinierend und vielversprechend, ändert aber nichts an unserer Unwissenheit. Alles steht und fällt mit der Wahrscheinlichkeit, dass sich irgendwo intelligentes Leben entwickelt. So lange wir nicht wissen, wie das abläuft und wie wahrscheinlich es wirklich ist, kann das beliebig wahrscheinlich oder unwahrscheinlich sein. Und die daraus berechnete Zahl an Alien-Zivilisationen ebenso beliebig groß oder klein.

Es wird uns nichts anderes übrig bleiben als abzuwarten. Wir müssen weiter beobachten, weiter forschen und das Universum und das Leben besser verstehen. Und irgendwann werden wir dann auch Bescheid wissen. Auf die eine oder andere Weise.

Kommentare (12)

  1. #1 Caracalla
    28. September 2018

    Vielen herzlichen Dank für die wie immer informative Sendung.

    Folgendes ging mir dabei durch den Kopf.
    Wir reden ja immer sehr viel davon, was es für uns Menschheit bedeuten würde, würden wir eines Tages auf außerirdisches intelligentes Leben treffen.
    Was ist aber, wenn wir in 100 oder 200 Jahren mit ziemlicher Sicherheit festellen müssen, dass außer ein paar Mikroben kein intelligentes Leben in unserer Galaxie existiert.
    Was bedeutet das dann für uns Menschen? Ich meine das jetzt nicht irgendwie esoterisch, sondern ganz prakmatisch.
    Könnten wir überhaupt der Verantwortung leben?

  2. #2 Thomas N.
    28. September 2018

    Huch, warum fließt die Existenz eines Magnetfeldes nicht mit in die Gleichung ein? Ist das für Leben verzichtbar?

  3. #3 Captain E.
    28. September 2018

    Ist das jetzt eigentlich so einigermaßen sicher, dass der Jupiter uns mehr Asteroiden abnimmt als er uns entgegen schleudert?

  4. #5 Joselb
    28. September 2018

    Für mich sieht die Rare-Earth Gleichung noch problematischer aus als die Drake-Gleichung. Das Problem ist, dass sich verschiedenen Faktoren wahrscheinlich gegenseitig bedingen oder ausschließen.

    Beispielsweise ist abhängig von der gewählten Region die Anwesenheit von Gasplaneten unterschiedlich. Je unwahrscheinlicher es ist, dass ein Planet in einem Mehrplanetensystem ein Gesteinsplanet ist, desto wahrscheinlicher ist die Anwesenheit eines Gasplaneten der höher Entwickeltes leben vor Asteroiden schützt. In diesem Fall wäre die Wahrscheinlichkeit für Gesteinsplaneten mit weiterem Gasplaneten niedriger als das Produkt der Einzelwahrscheinlichkeiten suggeriert. Als gegenteiliger Fall wäre Magnetfeld und großer Mond zu sehen. Ein Planet mit großem Mond wird dank Gezeiten eher im Inneren flüssig sein und ein Magnetfeld haben als ohne.

    Wie stark die einzelnen Korrelationen jetzt das Gesamtergebnis beeinflussen kann ich nicht sagen, aber es nimmt mir zumindest Vertrauen in eine Formel die so viele Faktoren enthält. Bei der Drake-Gleichen scheinen die einzelnen Faktoren weniger voneinander abzuhängen.

  5. #6 bruno
    28. September 2018

    wenn es einen schöpfer gibt – dann ist das ein sadist…
    wir kommen nicht mal ins nächste sonnensystem… von denen es 10^9 gibt – geschweige denn in die nächste galaxie… von denen es 10^12 gibt… vielleicht denkt irgendein intelligentes wesen gerade genau das gleiche – nur 10mrd. LJ entfernt…
    statistik ist manchmal eine grausame erfindung…

  6. #7 Thomas
    28. September 2018

    @Caracalla: Solange wir nicht überall nachgeschaut haben wird das Ergebnis einer solchen Gleichung immer >1 sein. Und wenn wir überall nachgeschaut haben, brauchen wir die Gleichung nicht mehr. 🙂 Insofern: Weiter suchen…

  7. #8 Heljerer
    28. September 2018

    @Caracalla

    Was ist aber, wenn wir in 100 oder 200 Jahren mit ziemlicher Sicherheit festellen müssen, dass außer ein paar Mikroben kein intelligentes Leben in unserer Galaxie existiert.
    Was bedeutet das dann für uns Menschen?

    Pragmatisch gesehen ändert sich gar nichts. Wir leben und handeln ja tagtäglich sowieso in dem Bewusstsein, dass es für uns Indiviuen keinen anderen Platz im Weltraum gibt als hier auf der Erde.

    Im mittelalterlichen Kosmos war der Mensch das alleinige intelligente Wesen im All, wohlbehütet auf seiner Kugel, umschlossen von den einzelnen Himmelssphären wie in einem Kokon. Außerhalb war nur Gott. Heute wissen wir, dass der Weltraum unvorstellbar groß ist und dass wir mutterseelenallein auf unserem kleinen Raumschiff Erde herum fliegen. Angenommen wir kämen wirklich zu der Erkenntnis, dass es in der gesamten Galaxie keinen weiteren Planten mit intelligentem Leben gibt. Das würde doch das Bewusstsein der Verlorenheit nur noch minimal verstärken, aber im Grunde nicht wirklich verändern.

  8. #9 beefjerky
    lost in nrw
    29. September 2018

    Ein spannendes Thema. Gute Science Fiction oder Science Fiktion lindert die Qual der nicht findbaren Antwort etwas.

  9. #10 Caracalla
    1. Oktober 2018

    @Heljerer

    Auf dem Weg der Erkenntnis haben wir ja leider lernen müssen, dass wir doch nicht Gottes Ebenbild sind, sondern ganz unspektakulär vom Affen abstammen und unserer Planet nur einen Stern von sehr vielen anderen in unserer Galaxie umkreist.
    Sollten wir jetzt doch allein in unserer Galaxie sein, müssen wir als Menschheit erneut umdenken in unserem Selbstverständnis.
    Ist jetzt aber eher eine philosophische Frage und vielleicht nichts für dieses Forum.

  10. #11 Adam
    Berlin
    2. Oktober 2018

    Wie sieht das denn eigentlich mit Wasser aus?

    Lange Zeit waren ja Kometen als potentielle Lieferanten bei uns hoch im Kurs der Spekulation. Nun habe ich letztens eine Doku gesehen, die besagte, dass von diesen zur Zeit des großen Bombardements relativ wenig bei uns einschlugen. Dass das hiesige Wasser ungefähr zu gleichen Teilen schon von Anfang an da war, bei Bildung der Erde und zum anderen mittels Asteroiden-Impacts zu uns gebracht wurde, in gebundener Form. Teils vor der vermuteten Kollision mit Theia, bei der der Mond entstand, teils danach.

    Können wir basierend darauf Rückschlüsse ziehen, wie es andernorts aussehen könnte? Oder kann es so viele erdenkliche Wasser-Ursprünge geben, dass Schlussfolgerungen von unserem System auf andere sinnlos wären?

    Weil wenn ich das richtig verstehe, dürfte Wasserstoff ja kaum das Problem sein, war nach dem Urknall schon da und ist Hauptbestandteil der meisten Sterne. Aber Sauerstoff nicht, dieser ist ein stellares Fusionsprodukt vor der Supernova-Explosion. Oder beträfe das sowieso nur Population I Sterne, die es praktisch nicht mehr gibt?

  11. #12 René
    2. Oktober 2018

    @Caracalla
    Vielleicht beantwortet das Video hier deine Frage ein wenig: