Schon lange nevor wir am 21. Juli 1969 auf dem Mond gelandet sind, haben sich die Menschen jede Menge Geschichten darüber erzählt. Vom ältesten Bericht über einen Flug zum Mond hab ich in meinem 50tägigen Countdown zum Mondlandungsjubiläum ja schon erzählt. Heute möchte ich vom “Great Moon Hoax” berichten, dem großen Mond-Schwindel aus dem Jahr 1835.
Am 25. August 1835 erschien in der “New York Sun” der erste von sechs Artikel über die Erforschung des Mondes. Das ganze unter dem Titel “„Great astronomical discoveries lately made by Sir John Herschel, L.L.D. F.R.S. &c. At the Cape of Good Hope [From Supplement to the Edinburgh Journal of Science]” und mit erstaunlichen Neuigkeiten. John Herschel, der Sohn des berühmten britischen Astronomen Wilhelm Herschel, war einer der bedeutendsten Wissenschaftler seiner Zeit. Er hatte, so der Artikel, in Südafrika ein wahrhaft gigantisches Telesekop mit völlig neuer Technik gebaut und war damit in der Lage, die Oberfläche des Mondes in nie gesehenen Details aufzulösen. In weiterer Folge berichtet die “Sun” dann darüber, was dort zu sehen war. Zum Beispiel paradiesische Landschaften mit jeder Menge Tiere:
“Nunmehr begannen wir, den Mittelpunkt des Thales zu durchmustern, und fanden einen breiten vielarmigen Fluß mit hübschen Inseln und Wasservögeln mancherlei Arten. Am zahlreichsten war eine Species des grauen Pelikans; indessen erschien ein schwarz und weisser Kranich mit ungewöhnlich langen Beinen und Schnabel auch sehr häufig.”
Man kann die Artikelserie im Original oder deutscher Übersetzung nachlesen und es lohnt sich. Denn schon bald entdeckten Herschel und seine Kollegen dort nicht nur Tiere, sondern auch eindeutig intelligente Lebewesen:
“Sie waren ungefähr 4 Fuß hoch, waren, mit Ausnahme des Gesichts, mit kurzen, glatten, kupferfarbigen Haaren bedeckt, und hatten Flügel, welche aus einer dünnen elastischen Haut ohne Haaren bestanden, die hinten zusammengerollt von der Schulterspitze bis zu den Waden lag. Das Gesicht, welches von gelblicher Fleischfarbe war, zeigte eine kleine Veredlung gegen das des großen Orangutangs, da es offener und klüger aussah und eine weit größere Ausdehnung des Vorkopfes zeigte. Indeß war der Mund sehr hervorstehend, obgleich dies etwas durch einen dicken Bart auf dem untern Kinnbacken und durch Lippen von weit menschlicherer Form als diejenigen irgend einer Species des Affengeschlechts verdeckt wurde. […] Wir konnten nun bemerken, daß ihre Flügel eine große Ausdehnung besaßen und in der Striktur Fledermausflügeln glichen, da sie aus einer halb durchsichtigen elastischen Haut bestanden, welche in krummlinigen Abtheilungen vermittelst gerader Halbmesser ausgespannt war, die durch die Rückenhaut verbunden wurden. Was uns aber am meisten in Erstaunen setzte, war der Umstand, daß die Membrane von der Schulter bis zu den Beinen hinunter zusammenhängend, obgleich in der Weite abnehmend, war.”
Der Mond war offenbar von Fledermausmenschen bewohnt, oder “Vespertilio-homo”, wie Herschel sie wissenschaftlich nannte. Und die hatten tatsächlich auch einen Tempel auf dem Mond errichtetm aus Saphir, mit einer Kupferkugel gekrönt.
Die ausführliche Beschreibung der Fledermausmenschenkultur auf dem Mond war eine Sensation und hat der “Sun” zu einer enormen Steigerung ihrer Auflage geholfen. Aber sie war natürlich komplett erfunden. John Herschel hatte nie ein entsprechend großes Teleskop gebaut; das wäre mit der damaligen Technik gar nicht möglich gewesen (auch nicht mit der von heute). Er hatte mit der Sache nichts zu tun – die Artikelserie war das Werk des Reporters Richard Adam Locke (was er 1840 auch offiziell zu gab).
Ein Grund, sich diesen “Great Moon Hoax” auszudenken war die Auflagensteigerung der “Sun”. Ein anderer war mit Sicherheit auch die satirische Auseinandersetzung mit dem, was zur damaligen Zeit reale Wissenschaftler völlig ernsthaft schrieben. Zum Beispiel der deutsche Arzt und Astronom Franz von Paula Gruithausen. 1824 veröffentlichte er ein Buch mit dem Titel “Entdeckung vieler deutlichen Spuren der Mondbewohner, besonders eines collossalen Kunstgebäudes derselben”. Er berichtete darin zwar nicht von der direkten Beobachter irgendwelcher Mondbewohner. Aber er beschreibt sehr genau, dass auf dem Mond die Bauwerke intelligenter Wesen zu sehen seien. Nachdem er festgestellt hatte, dass es
“(…) auf das Vollkommenste erwiesen ist, daß der Mond Wolken und Nebel hat, wodurch es auch zugleich gewiß wird, daß ihm das Wasser nicht fehlen könne.”
beschreibt Gruithuisen was er entdeckt hat. Ein “Collosaler, unsern Städten nicht unähnlicher, Bau im Monde”. Und versichert, dass man sofort sehen könne, dass es sich um etwas Künstliches handel muss:
“Dieses ungewöhnliche Mondgebilde fällt jedem geübten Auge, mit dem ersten Blicke sogleich, als Kunstwerk auf.”
Gruithuisen spekuliert auch darüber, um was es sich dabei handeln könnte:
“Soll dieses Kunstwerk zur Verhöhnung unserer Pyramiden da seyn? — Wenn die Mondbewohner so gute Fernröhre besitzen als wir, so müssen sie doch die chinesische Mauer gesehen haben, welche auch nicht ärmlicher aussieht, als wäre sie von Mondbewohnern gebaut.”
Er ist sich aber sicher, dass es sich um Wohnungen handeln muss und kann auch erklären, warum die genau so aussehen, wie sie es tun:
“Der Mondbewohner hat nichts stärker zu scheuen, als einen kalten, wenn auch gleich noch so sanften, Wind, der ihm seine Abende eher rauh und kalt macht, und auch seine Morgen gar sehr verbittert, wenn diese anfangen warm und angenehm zu werden; um so mehr, da die Mondluft so dünne und so sehr wärmeleitend ist. Orte also, die diesen Wind abhalten, werden die angenehmsten seyn; und so kommt es, daß auch die kleinen Ringgebirge nicht undeutliche Spuren von Bewohntheit in ihrem Innern tragen; wovon nachher noch Mehreres vorkommen wird. Deshalb können wir wohl vermuthen, es sey aus dieser Ursache jener schiefe Wall angelegt worden.”
Natürlich hat sich Gruithuisen all diese Strukturen auf dem Mond nur eingebildet – spektakuläre Berichte über Mondbewohner gab es aber auch von anderen Leuten. Es war damals durchaus eine wissenschaftlich anerkannte Meinung davon auszugehen, dass die restlichen Himmelskörper des Sonnensystems (inklusive Sonne und Mond) bewohnt sind, wie ich hier schon einmal ausführlich erklärt habe. Am weitesten dabei ging vermutlich der englische Pfarrer und Hobby-Astronom Thomas Dick. Er schrieb ein Buch mit dem Titel Celestial scenery, or, The Wonders of the planetary system displayed : illustrating the perfections of deity and a plurality of worlds” und rechnete darin exakt vor, wie viele Leute überall im Sonnensystem lebten. Ausgehend von der Hypothese, dass der Mond ebenso dicht besiedelt ist wie England kommt er zu einer Einwohnerzahl von 4,2 Milliarden Mondmenschen; immerhin deutlich mehr als damals auf der Erde lebten! Insgesamt kommt seine Hochrechnung auf 21.891.974.404.480 Bewohner des Sonnensystems, also fast 22 Billionen!
Angesichts solcher ernsthaft vorgebrachten Argumente ist ein “Moon Hoax” wie der in der New York Sun durchaus verständlich. Und zeigt ein weiteres Mal, wie sehr uns unser Nachbar im All beschäftigt hat. So sehr, dass wir fast nicht anders konnten, als irgendwann auch selbst einen Fuß auf seine Oberfläche zu setzen!
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