Vor zwei Jahren habe ich eine lange Serie über Mythen zur Klimakrise geschrieben. Es ging dabei um all das was Menschen so behaupten die der Meinung sind, dass sich das Klima der Erde nicht erwärmt; dass die Menschen nicht schuld daran sind; dass alles nicht so schlimm ist, und so weiter. Die Leute die erzählen, dass in Wahrheit die Sonne den Klimawandel verursacht oder dass sich das Klima auch in der Vergangenheit ohne Menschen verändert hat und wir uns jetzt auch nicht aufregen sollen. Und so weiter. Diese Menschen gibt es natürlich immer noch. Aber ich habe das Gefühl, dass sie weit nicht mehr so viel Aufmerksamkeit bekommen wie früher. Das ist natürlich gut; die Wissenschaft ist sehr eindeutig was all das angeht und mittlerweile lässt sich die Tatsache der menschengemachten Klimakrise ja wirklich nicht mehr leugnen. Stattdessen gibt es nun “neue” Klimamythen und es ist ein wenig schwieriger sich damit zu beschäftigen. Denn hier geht es nicht mehr um eindeutige wissenschaftliche Fakten über den Zustand der Atmosphäre. Sondern um politisch/gesellschaftliche Ansätze wie wir mit dem sich verändernden Klima umgehen sollen.
Ich möchte diese neuen Klimawandel-Mythen in diesem Artikel sammeln und kurz diskutieren. Und mir ist dabei absolut klar, dass es keine reine naturwissenschaftliche Diskussion ist. Was sie nicht weniger wichtig macht. Aber die Antworten und Widerlegungen sind nicht mehr so eindeutig wie bei Fragen zu Sonnenaktivität oder Gletscherschmelze. Das ganze hier ist daher auch vor allem einmal meine Meinung dazu, die nicht die “Autorität” der Wissenschaft beansprucht. Und es ist eine Materialsammlung und Diskussionsgrundlage – ich werde mich in Zukunft sicher noch ausführlicher mit der Thematik und den einzelnen Mythen beschäftigen. Ihr seid daher alle eingeladen euch an der Diskussion und Sammlung zu beteiligen; es gibt sicher noch mehr dieser Pseudo-Argumente die zu behandeln sich lohnen würde.
Die Grundlage: Nur nicht aufregen
Die neuen Klimawandel-Mythen bestreiten nicht mehr das sich das Klima verändert. Nicht einmal mehr dass wir Menschen dafür verantwortlich sind. Es geht um die Frage wie wir mit der Situation umgehen. Und da schließt sich dann doch wieder der Kreis zu den “klassischen” Klimawandelleugnern, die ja bestreiten dass es da etwas gibt über das wir uns Sorgen machen müssen. Und deswegen einfach so weiter leben können wie bisher. Die neuen Mythen verfolgen das gleiche Ziel mit einer anderen Strategie und behaupten: Wir können so weiterleben wie bisher und müssen uns nicht ändern, da alle Aktionen zum Klimaschutz “in Wahrheit” falsch, unnötig oder unwirksam sind. Es gäbe keinen Grund für Aufregung; es würde schon alles irgendwie gut gehen; in der Zukunft lasse sich das alles regeln und in der Gegenwart können wir uns daher entspannen. Was meiner Meinung nach ganz großer Quatsch ist.
Wir werden das Klima nicht retten, wenn wir bei jeder Maßnahme, mit der wir das Klima retten könnten, behaupten, dass wir damit das Klima nicht retten werden.
— Anatol Stefanowitsch (@astefanowitsch) September 26, 2019
Es darf keine Verbote geben!
Es ist eine sehr, sehr beliebte Aussage von Politikerinnen und Politikern: “Ok, das mit dem Klima ist doof und wir sollten natürlich schon etwas dagegen tun. Aber wir doch bitte keine Verbote, das bringt nichts. Verbote sind schlecht und böse!”. Ok, das sagt sich natürlich recht gut und die Bürgerinnen und Bürger hören es auch gerne. Wer will schon etwas verboten bekommen? Nur das wir natürlich in einer Welt leben, in der sehr viele Sachen sehr zu Recht verboten sind. Es ist verboten anderen Menschen Geld zu klauen. Es ist verboten andere Menschen umzubringen. Es ist verboten Müll in die Flüsse zu kippen. Es ist verboten mit 200 km/h in einem Auto durch eine Fußgängerzone zu brettern. Und so weiter. Klar gibt es Verbote und Gesetze über deren Sinnhaftigkeit man diskutieren kann und soll. Aber DASS es Dinge gibt die uns verboten sind, haben wir als Gesellschaft akzeptiert. Wir leben ja – zumindest Europa – ja auch in einem Rechtsstaat in dem die Verbote nicht einfach per Dekret von irgendwelchen Diktatoren verkündet sondern aus einem demokratischen Prozess entwickelt werden. Was also ist so schlimm an Verboten?
Wir haben zum Beispiel festgestellt dass sehr viele Menschen bei Autounfällen sterben und das weniger Menschen sterben würden, wenn sie mit einem Sicherheitsgurt angeschnallt wären. Also haben wir 1976 in Deutschland, Österreich und in der Schweiz eine Gurtpflicht (d.h. ein Verbot unangeschnallt Auto zu fahren) eingeführt. Wir haben festgestellt dass Fluorchlorkohlenwasserstoff die Ozonschicht schädigen und deren Einsatz daher 1989 quasi weltweit verboten. Wenn wir jetzt also – wissenschaftlich einwandfrei belegt – feststellen, dass gewisse Dinge und Tätigkeiten das Klima schädigen: Warum soll es dann nicht möglich sein entsprechende Verbote einzuführen? Die kann und muss man natürlich im Detail diskutieren. Man muss nicht das Autofahren per se verbieten; man muss niemandem verbieten mit dem Flugzeug in den Urlaub zu fliegen oder ein Schnitzel zu essen (oder was sich die Populisten sonst noch so ausdenken). Aber wenn wir zu dem Schluss kommen, dass unser Handeln extrem schädlich für die Umwelt und die Gesellschaft ist, dann wäre es nur logisch darüber nachzudenken, dieses Handeln durch gesetzliche Regelungen und eben auch Verbote einzuschränken. Das ganze “Es darf keine Verbote geben; es muss alles freiwillig passieren” ist Quatsch und heißt nichts anderes als “Lasst uns einfach nichts tun!”.
Ein einzelner Mensch kann nichts tun
Sehr beliebt ist auch das “Argument” dass man als einzelner Mensch ja sowieso nichts tun kann. Es geht immerhin um das Klima der gesamten Welt. Und ob ICH jetzt mit dem Auto zur Arbeit fahre oder mit dem Fahrrad; ob ICH auf den Kurzurlaub per Billigflieger verzichte oder nicht; ob ICH Fleisch esse oder nicht: Das ist dem Klima doch völlig egal. Das stimmt: Das was ein einzelner Mensch tut oder nicht tut hat tatsächlich keinen Einfluss auf das Klima. Es ist aber trotzdem ein Trugschluss. Denn auf der Welt leben sehr, sehr viele einzelne Menschen. Und es kommt darauf an, was wir ALLE tun oder nicht tun. Wir stecken jetzt ja auch nicht in der Klimakrise, weil irgendein Gott auf einen Schlag jede Menge CO2 in die Atmosphäre gepustet hat. Sondern weil wir, als Individuen in den letzten 150 Jahren Tag für Tag unseren kleinen, negativen Beitrag zum großen Ganzen geleistet haben. Und ja, mir ist durchaus klar, dass “die Industrie” und “die Wirtschaft” einen deutlich größeren Beitrag zu den Treibhaus-Emissionen leisten als ein einzelner Mensch. Aber man kann doch auch nicht so tun, als gäbe es da keine Verbindung. Autos werden gebaut, weil wir sie kaufen und fahren. Das billige Fleisch aus CO2-intensiver Produktion liegt im Supermarkt weil wir es kaufen. Und so weiter: Natürlich haben unsere individuellen Entscheidungen am Ende Auswirkungen auf die Welt. Ein Wandel muss immer auch von den Menschen selbst kommen!
Selbstverständlich ist die Klimakrise etwas, was schlußendlich auch auf politischer Ebene gelöst werden muss. Aber auch hier gilt: Die Politikerinnen und Politiker werden von uns gewählt. Meine eine Stimme hat vielleicht bei einer Wahl keinen entscheidenden Einfluss. Aber wenn sehr viele Menschen gemeinsam mit einer Stimme sprechen – so wie das FridaysForFuture und ähnliche Organisationen tun – dann kann man auch hier etwas erreichen. In Deutschland jährt sich gerade das 30. Jubiläum des Mauerfalls. Und die ist ja auch nicht deswegen umgefallen weil sie schleißig gebaut war. Sondern weil viele einzelne Menschen gemeinsam eine Veränderung wollten.
Wer sonst sollte etwas tun, wenn nicht jeder von uns? Wenn wir uns alle sagen, dass niemand etwas tun kann, dann tut auch niemand etwas.
Die anderen Länder sind noch viel schlimmer
Eine andere, mit dem vorherigen “Argument” eng verwandte Aussage ist “Deutschland (Österreich, die Schweiz) ist ja nur für einen kleinen Teil des Problems verantwortlich. China (die USA, Russland, etc) produziert viel mehr CO2. Solange die nichts tun ist es völlig egal was wir tun!”. Hier gilt im wesentlichen das gleiche wie oben. Ja, das mag stimmen (Obwohl es auch nicht ganz stimmt: Auf die Bevölkerung gerechnet trägt Deutschland zum Beispiel weit mehr bei als andere Länder). Aber wieso sollten wir daraus schlußfolgern, dass wir das Problem deswegen ignorieren können? Mit dem gleichen Argument kann zum Beispiel auch Thüringen behaupten, es müsse nichts unternehmen, weil es ja deutschlandweit nur einen kleinen Beitrag leistet. Und in Thüringen kann die Stadt Jena sagen, es hätte keine Sinn sich um Klimaschutz zu kümmern, weil es ja nur ein kleiner Teil von Thüringen ist. Und ich, der ich in Jena lebe, muss auch nix machen, weil hier ja noch 100.000 andere Leute wohnen und ich als einzelner sowieso nichts tun kann. Womit wir wieder da wären, wo ich einen Punkt weiter oben angefangen habe.
“Die anderen sind auch doof!” war noch nie ein gutes Argument für oder gegen irgendwas! Natürlich muss das globale Klima auch global geschützt werden. Aber wenn alle darauf warten dass die anderen anfangen, dann passiert halt genau nichts. Ich kann immer eine größere Entität finden um mich darauf auszureden. Aber das ist dann halt auch nur eine Ausrede! Wenn wir wollen, dass China oder die USA etwas unternehmen, dann wird es eher wenig zielführend sein, wenn wir einfach so weitermachen wie bisher. Wir müssen gemeinsam etwas unternehmen. Ich bin kein Experte für Diplomatie aber “Du bist viel schlimmer als ich, fang du erst mal an, sonst mach ich nichts!” erscheint mir als keine gute Verhandlungsstrategie.
Greta Thunberg geht mir auf die Nerven
Ein erstaunlich beliebtes “Argument”, wenn man sich das ansieht was in den sozialen Netzwerken geschrieben wird. Und es lohnt sich eigentlich nicht wirklich, ausführlich darauf einzugehen. Ja, ok – du magst Greta Thunberg doof finden. Von mir aus. Ich finde auch ziemlich viele Menschen doof. Aber das, was Greta Thunberg sagt wird nicht weniger richtig, wenn es eine andere Person sagen würde. Thunberg sagt nur das, was Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon seit Jahren sagen. Sie hat es nur geschafft eine Strategie zu finden mit der sie enorm viele Menschen zum Zuhören motivieren kann. Ihre Aussagen bleiben bestehen, auch wenn du sie doof findest. Und wenn du ehrlich bist, dann findest du ja auch nicht Greta Thunberg doof, sondern das was sie sagt. Und weil du keine Argumente findest um ihre Aussagen zu widerlegen, nimmst du den einfachen Weg und sagst einfach: “Die doofe Göre geht mir auf die Nerven, ich will die nicht mehr hören, die soll mal Ruhe geben mit dem Klima” und kannst so tun, als gäbe es das Problem nicht. Was aber natürlich Quatsch ist. Die Klimakrise existiert unabhängig von Greta Thunberg. Wir müssen sie unabhängig von Greta Thunberg lösen. Greta Thunberg ist nur eine sehr laute hartnäckige Stimme die nicht auffhört uns an dieses Problem zu erinnern. Was sehr, sehr nötig ist.
Was ist mit den Arbeitsplätzen!
Wenn wir es mit dem Klimaschutz übertreiben, werden dann nicht ganz viele Menschen arbeitslos? Wenn wir die ganzen Kohlekraftwerke zusperren; wenn die Autoindustrie eingeschränkt wird; usw: Was ist dann mit den Arbeitsplätzen die verloren gehen! Ja, was ist mit denen? Fragt das doch mal die Videothekenbesitzer, die Gaslaternenanzünder und die Postkutscher! Ok – das ist ein wenig zynisch. Aber die Welt verändert sich und manche Berufe verschwinden. Das lässt sich nicht verhindern. Und wenn die Welt sich zu einer Welt verändern muss, in der immer weniger fossilie Brennstoffe verwendet werden (und sie muss sich zu so einer Welt verändern!), dann wird es auch die Arbeitsplätze die sich mit der Beschaffung dieser Brennstoffe beschäftigen nicht mehr geben. Das ist tragisch für diejenigen die konkret betroffen sind. Und es ist die Aufgabe der Politik sich entsprechend darum zu kümmern. Aber man kann und darf deswegen nicht einfach so tun, als gäbe es diesen Wandel nicht. In Deutschland arbeiten aktuell noch etwa 20.000 Menschen im Braunkohlebergbau. Die erneuerbaren Energien beschäftigen mehr als das Zehnfache! Der Wandel ist eben auch ein Wandel in die andere Richtung! Alte Berufe verschwinde, neue Berufe entstehen. Und ja, natürlich wird es nicht möglich sein, dass jeder Bergarbeiter zum Solaranlangenmonteur umgeschult wird. Menschen werden arbeitslos werden (das würde auch passieren, wenn es keinen Klimawandel gäbe). Aber dafür gibt es eben auch anderswo neue Jobs. Das vernünftig zu organisieren ist genau die Aufgabe der Politik. Sie soll die Zukunft organisieren anstatt die Vergangenheit verbissen zu verteidigen…
Die Wundermaschine aus der Zukunft wird uns alle retten
Zum Schluss kommt noch mein absoluter “Favorit” unter den neuen Klimwandel-Mythen. Es ist eine erstaunlich populäre Behauptung: Wir brauchen uns jetzt nicht einschränken; wir müssen jetzt nichts verbieten, regeln oder tun. Denn in der Zukunft wird alles gut werden! Wir werden etwas erfinden, das alle Probleme löst! Macht euch keine Sorgen, die Erlösung wartet auf uns – der Technik-Messias wird schon bald kommen!
Zu den größten Propheten der Wundermaschine aus der Zukunft gehört sicherlich Christian Lindner von der FDP. Man findet sie aber auch anderswo. Österreichs ehemaliger und zukünftiger Kanzler Sebastian Kurz will den Wasserstoff alles lösen lassen; der Physiker Werner Gruber erklärt überall, dass uns die Kernfusion vor dem Klimawandel retten wird, und so weiter.
Ich kann durchaus verstehen wie verlockend diese Art der Argumentation ist. Und ich wäre der letzte der bestreitet, dass Wissenschaft und Technik in der Lage sind, großartige Verbesserungen für uns Menschen zu erreichen. Wir haben in der Vergangenheit enorme Innovationen und Fortschritte gemacht und wir werden auch in Zukunft welche machen. Aber die Klimakrise ist eben kein Problem der Zukunft. Sie ist ein Problem der Gegenwart und muss auch in der Gegenwart gelöst werden. Die Kernfusion ist eine tolle Sache und ich bin absolut dafür, dass sie erforscht wird. Ich bin dafür, dass ihre Erforschung deutlich stärker vorangetrieben wird als bisher. Aber selbst wenn das geschieht, wird es noch viele Jahrzehnte dauern bis sie tatsächlich kommerziell einsetzbar ist und wenn das so sein sollte, kann man die Energieinfrastruktur der Welt ja auch nicht von heute auf morgen auf Kernfusion umstellen! Bis das irgendwann mal passiert (wenn überhaupt; die Probleme der Kernfusion sind eben bei weitem nicht nur organisatorisch/finanzieller Natur; es gibt durchaus auch noch wissenschaftlich-technische Probelem die gelöst werden müssen) ist die Klimakrise schon auf die eine oder andere Art gelaufen. Und ja, natürlich wäre es super, wenn wir Wasserstoffflugzeuge haben; wenn wir CO2 im Untegrund verklappen könnten, wenn wir synthetische Kraftstoffe produzieren können, und so weiter. Nur können wir das eben alles noch nicht auf eine Art und Weise die uns jetzt hilft. Wir wissen dagegen sehr gut, was uns jetzt helfen könnte. Das sind aber eben alles Dinge, die dazu führen das wir unser Leben auf die eine oder andere Art ändern müssen. Nachhaltiger und umweltbewusster zu leben geht nicht von selbst; dafür ist Engagement von jedem einzelnen Mensch nötig. Das ist potentiell anstrengend und deswegen wollen wir das nicht tun. Deswegen wollen wir Menschen wie Lindner auch gerne glauben, die uns erzählen dass wir uns das Engagement sparen können weil in der Zukunft sowieso alles gut wird.
Und deswegen ist genau das der gefährlichste der neuen Klimawandel-Mythen. Er schiebt die Lösung der Klimakrise einfach auf die nächsten Generationen. Genau die, die jetzt überall auf der Welt diejenigen sind, die sich aktivsten dafür einsetzen, dass JETZT etwas geschehen muss. “”Wir sind nicht die letzte Generation, die den Klimawandel erleben wird, aber wir sind die letzte Generation, die etwas gegen den Klimawandel tun kann”, hat Barack Obama gesagt und damit absolut Recht. Die Zukunft wird uns nicht retten. Wir müssen dafür sorgen, dass wir noch eine Zukunft haben. Und zwar jetzt.
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