Man muss nicht studiert haben um in der Politik zu arbeiten. Ok, es schadet auch nicht, wenn man sich auf dem Gebiet für das man zuständig ist, auch wirklich auskennt. Aber das kann man auch ohne Hochschulstudium schaffen und für die konkreten Details gibt es dann (hoffentlich) ExpertInnen, auf die man dann (sehr hoffentlich!) auch hört. Christine Aschbacher ist österreichische Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend. Und hat 2006 ein Studium an der Fachhochschule Wiener Neustadt abgeschlossen; im August 2020 dann ein Doktoratsstudium an der Universität Bratislava. Was ja prinzipiell vollkommen in Ordnung ist (auch wenn es ein wenig seltsam wirkt wenn eine Arbeitsministerin während der Coronakrise noch die Zeit findet um eine Doktorarbeit abzugeben und zu verteidigen). Nun hat aber der Medienwissenschaftler Stefan Weber schwerwiegende Mängel sowohl in Aschbachers Magisterarbeit als auch in ihrer Dissertation gefunden (siehe hier, hier, hier, hier und hier). Er wirft ihr Ideen- und Textplagiate vor und fehlende/falsche Zitate. Was – ganz unabhängig davon ob jemand in der Politik tätig ist oder nicht – zu einer Aberkennung der entsprechenden akademischen Titel führen sollte. Die potentiellen Plagiate sind das eine. Was mich an der Sache aber so wirklich stört, sind die Teile der wissenschaftlichen Arbeit die Aschbacher offensichtlich selbst verfasst hat.
Der Volltext der Dissertation kann hier abgerufen werden. Auf Seite 55 findet sich der mittlerweile berühmte und berüchtigte Satz: “Annahmen sind wie Seepocken an der Seite eines Bootes; sie verlangsamen uns.” Was in dieser Form nach einem sehr obskuren Vergleich klingt und nicht von Aschbacher selbst stammt. Sondern aus einem Artikel in “Forbes” von Robert Tucker, wo das ganze auf englisch so klingt: “Assumptions are like barnacles on the side of a boat; they slow us down.”. Hier hat Aschbacher wohl einfach einen kompletten Absatz aus Forbes durch Google Translate gejagt und das Ergebnis nur minimal modifiziert. Zum Beispiel da wo Tucker in seinem Text: “In my work with hundreds of teams, ranging from C-suite executives to graduate students to mid-level managers and front line employees (…)” schreibt wird bei Aschbacher daraus: “In dieser Dissertation wurde mit Hunderten von Teams – angefangen von Führungskräften der C-Suite über Hochschulabsolventen bis hin zu Führungskräften der mittleren Ebene und Mitarbeitern an vorderster Front – zusammengearbeitet (…)”. Der Forbes-Artikel wird zwar übrigens zitiert, aber nicht auf eine Weise die ersichtlich macht, was Zitat und was eigene Gedanken Aschbachers sind (und mit den Hunderten Teams hat definitiv Tucker “zusammengearbeitet” und nicht Aschbacher…).
Das ist ein Beispiel für ein verunglücktes Zitat das durch die automatische Übersetzung sprachlich ein wenig holprig geworden ist. Aber wie gesagt: Die Plagiate sind es nicht, die mich am meisten stören. Sondern eher Stellen wie diese:
“Ziel der Dissertationsarbeit ist die Analyse der Führungsstile in innovativen Industrieunternehmen. Aufgrund der teilweise bewährten Führungsstile entsprechen die bisherigen Ergebnisse teilweise für Führungsstile oder Innovation in Industrieunternehmen. (Seite 5)”
“Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse soll ein allgemein gültiges Lösungsmodell bestehende erstellt werden, dass für innovative Führungskräfte in Industrieunternehmen anwendbar ist. (Seite 5)”
“Sowohl die theoretischen Inputs als auch die praktische Erhebung kann dieser Frage zustimmen. Denn wenn die Mitarbeiter sich im Flow fühlen, sind unglaubliche Ergebnisse möglich. (Seite 118)”
Was ist das? So sieht ein Text vielleicht aus wenn man in der allerersten Rohversion alle möglichen Ideen und Gedanken zusammenträgt und schnell irgendwie aufschreibt. Aber doch nicht die Version die man dann am Ende als Dissertation abgibt! Man kann ja durchaus den einen oder anderen Tipp-, Rechtschreib- oder Grammatikfehler übersehen. Das passiert zwangsläufig wenn man etwas schreibt; das passiert allen, mir inklusive. Selbst wenn ein Text ausführlich korrigiert und lektoriert wird bleiben meistens kleine Fehler übrig. Aber das was man da in Aschbachers Dissertation lesen kann sind keine “kleinen Fehler”. Das ist eine Art von verunglücktem Deutsch das einem regelrecht ins Gesicht springt und anschreit: “Korrigier mich!”
Wenn so etwas irgendwo versteckt in einem langen Text aus Versehen übrig bleibt, könnte man das ja noch verstehen. Aber die drei Stellen, die ich angeführt habe, sind bei weitem nicht die einzigen. Und die Zitate von Seite 5 sind das erste, was man in ihrer Dissertation zu lesen bekommt; sie sind Teil der deutschen Kurzfassung die in voller Länge so lautet:
“Ziel der Dissertationsarbeit ist die Analyse der Führungsstile in innovativen Industrieunternehmen. Aufgrund der teilweise bewährten Führungsstile entsprechen die bisherigen Ergebnisse teilweise für Führungsstile oder Innovation in Industrieunternehmen. Im Rahmen der Dissertationsarbeit werden die Korrelation zwischen Führungsstil und Innovation in Industrieunternehmen hergestellt und anhand von Beispielen überprüft und kritisch gewürdigt. Aufgrund der gewonnenen Erkenntnisse soll ein allgemein gültiges Lösungsmodell bestehende erstellt werden, dass für innovative Führungskräfte in Industrieunternehmen anwendbar ist. Dieses wird von qualitativer empirischer Erhebung stichprobenartig unterstützt sowie von einem Probeunternehmen verifiziert.”
Gerade dieser Abstract ist normalerweise der Teil, den alle lesen, die einen Blick auf die Dissertation werfen. Wie können darin so viele Fehler stecken? Wie kann so etwas in einer Dissertation landen?
Branson sieht das klassische Bild der ‚Chef‘ wie ein Anachronismus. Herrisch ist keine wünschenswerte Eigenschaft für eine Führungskraft, sagt er. Ein Chef erledigt Aufträge, während eine Führungskraft organisiert. “Vielleicht, daher ist es seltsam, dass, wenn es irgendeine eine Phrase, die garantiert wird, um mich auf den Weg, es ist, wenn jemand zu mir sagt: ‘Okay, fein. Du bist der Chef!'”, Sagt Branson. “Was mich ärgert ist, dass in 90 Prozent der Fälle, wie, was diese Person wirklich sagen will, ist: ‘Okay, dann, glaube ich nicht mit Ihnen einverstanden, aber ich werde rollen und tun es weil sie sagen mir zu. Aber wenn es nicht klappt werde ich der Erste sein, der daran erinnern, dass es nicht meine Idee.'”
Ok – auch das sieht wieder nach automatisierter Übersetzung aus. Aber so etwas kann man doch um Himmels Willen nicht stehen lassen! Wer auch nur kurz mit einem halben Auge auf dieses Zitat blickt, muss sehen, dass das nicht einmal annähernd korrektes Deutsch ist.
Wenn man sehr, sehr gutwillig ist und dazu noch enorm naiv, könnte man diese sprachlich katastrophale Dissertation mit der Belastung der Ministerin durch die Corona-Krise und eventuell mangelnden Deutschkenntnissen der Betreuer an der Uni Bratislava erklären. Entschuldigen lässt sich die Sache dadurch aber trotzdem nicht. Und auch in der 2006 an einer österreichischen Hochschule verfassten Magisterarbeit, finden sich entsprechende Stellen, wie Stefan Weber in seinem Blog aufzeigt:
Die Aufgaben des Key Account Managers sind sehr vielfältig und nicht einfach durch zu führen. In der Theorie sind die Anforderungen beschrieben, jedoch ’nur‘ als theoretischen Input. (Seite 6)
Um den aktuellen Stand der Tätigkeiten und somit Anforderungen der Key Account Manager zu erheben, wird ein empirische Teil, mittels Experteninterviews erhoben. (Seite 6)
Dies wird durch Unterstreichen der Meinungen, Kategorisieren und Bedeutungen festlegen, durchgeführt. (Seite 9)
Im Conclusio werden und empirische Ergebnisse zusammengefasst und die Hypothesen daraus bestätigt oder verworfen. (Seite 9)
Es wäre jetzt leicht sich über etwaige mangelnde Deutschkenntnisse der Ministerin lustig zu machen. Was aber am Kern der Kritik vorbei gehen würde. Vermutlich muss man auch nicht einmal einwandfreies Deutsch beherrschen um politische Arbeit zu machen; auch hier sollte es Leute geben die für eine entsprechende Korrektur sorgen. Was ich als eigentlichen Skandal an der ganzen Sache ansehe ist das, was man in Österreich die “Wurschtigkeit” nennt.
Es war Frau Aschbacher anscheinend völlig egal, was sie da als akademische Arbeiten abgibt. Da wurde irgendwas irgendwo in den Computer gebastelt und niemand hat auch nur einen zweiten Blick darauf geworfen. Weder die Verfasserin, noch die Betreuerinnen und Betreuer. So sieht es zumindest aus und mir würde keine andere Möglichkeit einfallen, wie das abgelaufen sein könnte. Beziehungsweise hätte ich schon ein paar Ideen, die aber alle juristisch relevant sind und die ich deswegen nicht öffentlich äußere. Bleiben wir also bei der Variante “Niemand hat Diplomarbeit/Dissertation vernünftig gelesen”. Trotzdem hat Aschbacher ihr Magisterstudium mit der Bestnote “Sehr gut” abgeschlossen. Trotzdem hat sie mit ihrer Doktorarbeit den Titel “PhD” erworben. Das ist einerseits ein wuchtiger Schlag ins Gesicht all derjenigen die sich in jahrelanger Arbeit wirklich sehr, sehr viel Mühe bei der Abfassung ihrer akademischen Arbeiten gegeben haben. Und zeigt andererseits, mit was für Sachen man ganz offensichtlich an Hochschulen durchkommen kann.
Es gibt noch eine weitere „wissenschaftliche“ Arbeit von Frau Aschbacher – gemeinsam mit ihrem Doktorvater (entdeckt von @KaltenbrunnerA).
Der Text enthält keinen einzigen wissenschaftlich korrekten Quellenverweis: https://t.co/MJujwH2yw9— Armin Wolf (@ArminWolf) January 8, 2021
Wenn ich es ein wenig vulgär ausdrücken würde, dann würde ich sagen, dass Frau Aschbacher hier einen gewaltigen Haufen auf die Köpfe aller Studierenden gesetzt hat, die wirklich hart für ihre akademischen Werke gearbeitet haben. Wer schon mal eine Diplomarbeit, Dissertation oder auch nur eine Modularbeit o.ä. verfasst hat, weiß was ich meine. Eine Literaturliste zu erstellen, ist Arbeit. Zitate zu suchen und entsprechend korrekt einzuarbeiten ebenfalls. Ein Dokument von oft einigen hundert Seiten zu korrigieren, ist nervige Arbeit. Und da ist die eigentliche Forschung, die all dem zugrunde liegt (oder zugrunde liegen sollte sofern man nicht einfach plagiiert hat), noch gar nicht mit eingerechnet. Eine Ministerin, die ein so komplett unzulängliches Werk abgibt und dafür eine Bestnote bekommt, ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die auch nur ein Minimum an Arbeit in ihre akademische Karriere investiert haben.
Wenn Aschbachers Werke zeigen, wie wenig ernst sie ihre Ausbildung nimmt, dann zeigt die Begutachtung der Werke, wie wenig ernst die Ausbildung an den Hochschulen genommen wird. Es wäre wieder die gutwilligste Interpretation wenn man es einfach auf die Überlastung der GutachterInnen und simple Schlamperei schiebt. Und das allein ist schon problematisch genug. Denn es gibt ja sehr viele MitarbeiterInnen an den Hochschulen, die trotz Überlastung die (aufwendige) Arbeit der Korrektur und Beurteilung sorfältig und gewissenhaft durchführen. Auch sie müssen es als Affront sehen, wenn anderswo etwas so absurdes wie Aschbachers Texte einfach durchgewunken werden. Und – wie oben – will ich die Alternativen zur “gutwilligen” Betrachtung lieber gar nicht diskutieren…
Die Aschbacher-Debatte ist keine "Neiddebatte". Es geht darum, ob sich jahrelange harte, teils qualvolle und anstrengende Studier-Arbeit an den Unis einfach durch einen miesen Trick ersparen kann und damit an besser bezahlte Jobs kommt. Sie sollte die Konsequenzen ziehen
— Florian Klenk (@florianklenk) January 8, 2021
Der Fall der akademischen Arbeiten von Christine Aschbacher ist ein Skandal. Er zeigt, mit wie wenig Arbeit man an den Hochschulen durchkommen kann. Oder zumindest, mit wie wenig Arbeit bestimmte Personen durchkommen können. Er zeigt, mit welcher Einstellung man in Österreich ein Ministeramt bekleiden kann. Er zeigt die Geringschätzung, die den Hochschulen aus der Spitzenpolitik entgegengebracht wird. Völlig unabhängig, ob und wie sehr Christine Aschbacher plagiiert hat (Stefan Webers Analyse lässt da allerdings wenig Spielraum): Die Angelegenheit muss mit einem Rücktritt enden. Sollte er nicht erfolgen wird der Skandal nur noch größer.
Nachtrag (09.01.2020, 19:30): Ministerin Aschbacher tritt zurück
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