Ich bin Astronom. Und ich beschäftige mich immer wieder mit der Klimakrise. Hier oder hier oder hier zum Beispiel. Mit den Science Busters haben wir eine Show zum Thema und ein aktuelles Buch. Und ich werde mich in Zukunft noch intensiver mit der Klimakrise beschäftigen – weil es meiner Meinung nach kaum ein wichtigeres Thema gibt, mit dem man sich beschäftigen kann.
Aber bin ich als Astronom überhaupt geeignet dafür? Müsste ich dafür nicht Klimaforscher sein? Natürlich sollte man ein ausreichend großes Verständnis der Klimaforschung haben, wenn man das Klima und die Klimakrise erforschen will. Das machen die Klimaforscherinnen und Klimaforscher aber ja hervorragend. Wenn es darum geht, die Ergebnisse dieser Forschung zu vermitteln und zu erklären, dann sollte man sich natürlich auch auskennen. Aber man muss nicht zwingend selbst die Forschung durchgeführt haben, die man vermitteln möchte. Als Astronom habe ich ein grundlegendes Verständnis der Naturwissenschaft; ich habe auch Ahnung davon, wie Sterne, Strahlung und Planeten funktionieren. Aber bei der “Rolle der Astronomie” die ich im Titel dieses Beitrags erwähnt habe, geht es mir eigentlich um etwas anderes.
Die Astronomie hat uns zwei Dinge gezeigt, die für die Bewältigung der Klimakrise relevant sind. Durch die Beobachtung der Erde aus dem Weltall haben wir erst so richtig erkannt, wie außergewöhnlich unser Planet ist. Die Entstehung der Umweltbewegung ist – nicht komplett aber durchaus zum Teil – auf die Bilder zurück zu führen, die aus dem Weltall gemacht sind. Und die Erdbeobachtung an sich ist ein unverzichtbarer Bestandteil, wenn man das Ausmaß des menschlichen Einflusses auf die Erde verstehen will. Die Astronomie hat uns aber auch gezeigt, wie einzigartig die Erde ist! Alle andere Planeten in unserem Sonnensystem sind lebensfeindliche Himmelskörper. Alle Planeten anderer Sterne die wir in den letzten 25 Jahren entdeckt haben, sind nicht geeignet, um Leben zu beherbergen. Und selbst wenn wir so eine “zweite Erde” irgendwann finden sollten, wir sie unvorstellbar weit entfernt sein. Der Slogan der Klimaschutzbewegung “Es gibt keinen Planet B” ist mehr als nur ein Slogan. Es ist eine wissenschaftliche Tatsache: Wir haben nur die Erde um darauf zu leben. “Auswandern” ist keine Option.
Oder, um es mit den Worten von Carl Sagan zu sagen:
Dieses Video stammt von der Initiave “Astronomers for Planet Earth”. Dort hat man sich angesichts der oben aufgeführten Punkte zwei große Ziele gesetzt: 1) Die Öffentlichkeit mit Informationen zur Bewältigung der Klimakrise zu versorgen. Und 2) Astronominnen und Astronomen mit entsprechenden Mitteln zu versorgen, die Klimakrise zu bekämpfen. Denn auch das ist eine Tatsache: Wissenschaft ist nicht unbedingt klimafreundlich. Der Betrieb von Teleskopen braucht Energie. Die Reisen zu Konferenzen brauchen Energie. Der Betrieb einer Forschungseinrichtung; die ganzen Computer die dort laufen, usw: All das braucht Energie, die klimafreundlich produziert werden sollte, aber noch nicht produziert wird. All das braucht Energie, die vielleicht gar nicht gebraucht werden würde, wenn man sich Gedanken darüber macht, was wirklich notwendig ist und was nicht. Wie groß der CO2-Fußabdruck der Astronomie ist, wurde auch schon wissenschaftlich erforscht: Durch die wissenschaftliche Arbeit haben Astronominnen und Astronomen einen weit über dem Durchschnitt (und weit über dem für effektiven Klimaschutz sinnvollen) Ausstoß an Treibhausgasen. Das ist natürlich kein Alleinstellungsmerkmal der Astronomie; das gilt für andere Wissenschaften genau so und noch mehr für alle anderen menschlichen Tätigkeiten. Aber es gilt eben AUCH für die Astronomie und deswegen ist es nur gerechtfertigt, wenn man das auch anerkennt und entsprechend handelt.
Das ist das Ziel von “Astronomers for Planet Earth”, die deswegen auch einen offenen Brief geschrieben hat, den ich hier in einer deutschen Version veröffentliche:
Ein offener Brief
an astronomische Abteilungen, Institute und Vereinigungen
Wir, Astronom*innen, Astrophysiker*innen und globale Bürger*innen, erkennen die Dringlichkeit der Klimakrise und unseren Einfluss darauf. Wir erkennen außerdem, dass wir die Möglichkeit haben, unser gegenwärtiges Verhalten zu ändern. Wir rufen astronomische Institutionen auf der ganzen Welt dazu auf, bei Klimaschutzmaßnahmen mit gutem Beispiel voran zu gehen: Durch Nachhaltigkeit als vorrangiges Ziel, durch das Setzen von Maßnahmen um die Kohlenstoffemissionen zu verringern und durch die Kommunikation dieser Aktivitäten sowohl an ihre eigenen Mitglieder als auch an die Öffentlichkeit.
Umfangreiche wissenschaftliche Beweise zeigen eindeutig, dass ein Klimanotstand herrscht, der rasches Handeln erfordert [1,2]. Sowohl das Pariser Abkommen [3] und der UN Emissions Gap Report von 2020 [4], machen deutlich, dass ein Stopp der globalen Erwärmung und der Ozeanversauerung notwendig ist. Dieses Ziel kann nur durch eine sofortige und andauernde Verringerung der globalen Treibhausemissionen erreicht werden. Ansonsten werden wir uns nichht nur einer durch ein Massensterben ausgelösten Biodiversitätskrise stellen müssen, sondern auch eine humanitären Krise, die durch die immer lebensfeindlicher werdenden Bedingungen auf der Erde verursacht wird [5]. Mit unserer derzeitigen Rate an Emissionen werden wir diese Katastrophe nicht verhindern können [1] – trotz der Einschränkungen durch die Covid-Pandemie [6].
Astronom*innen benötigen fossilen Brennstoffe für Berechnungen am Computer, den Betrieb von Teleskopen und Reisen. Unsere Arbeitsmethoden erzeugen einen großen CO2-Fußabdruck [7]. Die Klimakrise bedroht die Beobachtungsbedingungen für erdgebundene Teleskope. Wenn die Zukunft der Astronomie sicher gestellt werden soll, dann müssen wir die stattfindende Umweltkrise und unsere Rolle bei ihrer Verursachung anerkennen [8, 9, 10, 11]. Wir haben die Kraft, unser Verhalten zu ändern, Bewusstsein dafür zu schaffen und und zusammen nach Lösungen zu suchen.
Als Teil der wissenschaftlichen Gemeinschaft stehen wir hinter der wissenschaftlichen Evidenz, die den menschengemachten Klimawandel belegt. Wir anerkennen den Einfluss der astronomischen Forschung auf das Klima und umgekehrt und wir verpflichten uns zu einer schnellen Dekarbonisierung unseres Forschungsfeldes. Wie akzeptieren die Verantwortung die mit der uns anvertrauten Rolle im Bildungssystem und der Gesellschaft einhergeht und nutzen sie, um Bewusstsein für die Einzigartigkeit und Verletzlichkeit unseres Heimatplaneten zu schaffen. Wir haben nicht mehr die Zeit, um kleine, stufenweise Veränderungen unserer Arbeitsmethoden durchzuführen. Die Umweltverträglichkeit muss in unserer gegenwärtigen und zukünftigen astronomischen Arbeit ebenso ein zentraler Bestandteil sein wie in unserem Leben.
Deswegen rufen wir auf:
- Astronomische Abteilungen, Institute und Vereinigungen auf der ganzen Welt sollen ihre Arbeit nachhaltig gestalten.
- Astronomische Gesellschaften und Verbände sollen Umweltverträglichkeit als vorrangiges Ziel in ihre Statuten aufnehmen.
- Diese Veränderungen sollen innerhalb und außerhalb der Astronomie so weit wie möglich kommuniziert werden.
Die Klimakrise reicht über Landesgrenzen und die die Grenzen einzelner Gemeinschaften. Wir bitten die astronomische Gemeinschaft dringend, gemeinsam zu handeln und als Vorbild zu wirken. Die Zeit zu handeln ist jetzt. Es gibt keinen Planet B.
Unterzeichnet:
Astronom*innen für den Planeten Erde
[1] IPCC, 2018: Global Warming of 1.5°C. An IPCC Special Report on the impacts of global warming of 1.5°C above pre-industrial levels and related global greenhouse gas emission pathways, in the context of strengthening the global response to the threat of climate change, sustainable development, and efforts to eradicate poverty [Masson-Delmotte, V., P. Zhai, H.-O. Pörtner, D. Roberts, J. Skea, P.R. Shukla, A. Pirani, W. Moufouma-Okia, C. Péan, R. Pidcock, S. Connors, J.B.R. Matthews, Y. Chen, X. Zhou, M.I. Gomis, E. Lonnoy, T. Maycock, M. Tignor, and T. Waterfield (eds.)]. In Press.
[2] Lenton, T.M., Rockström, J., Gaffney, O., et al. Climate tipping points – Too risky to bet against. Nature 575, 592-595 (2019)
[3] Adoption of the Paris Agreement. Paris, 2015. United Nations Framework Convention on Climate Change. Available from https://unfccc.int/resource/docs/2015/cop21/eng/l09r01.pdf
[4] United Nations Environment Programme (2020). Emissions Gap Report 2020. Nairobi. Available from https://www.unep.org/emissions-gap-report-2020
[5] Steffen, W., Rockström, J., Richardson, K., Lenton, T. M., et al. Trajectories of the Earth System in the Anthropocene. Proceedings of the National Academy of Sciences, 115 (33) 8252-8259 (2018)
[6] Le Quéré, C., Jackson, R.B., Jones, M.W., et al. Temporary reduction in daily global CO2 emissions during the COVID-19 forced confinement. Nature Climate Change 10, 647–653 (2020)
[7] The climate issue. Nat Astron 4, 811 (2020)
[8] Cantalloube, F., Milli, J., Böhm, C. et al. The impact of climate change on astronomical observations. Nature 4, 826-829 (2020)
[9] ESO green policy (2019) https://www.eso.org/public/about-eso/green/
[10] Matzner C.D., Cowan N.B., Doyan R., et al. Astronomy in a low Carbon Future. Canadian Long Range Plan for Astronomy and Astrophysics White Papers, LRP2020 (2019)
[11] Williamson K., Rector T.A., and Lowenthal J. Embedding Climate Change Engagement in Astronomy Education and Research. Astro2020: Decadal Survey on Astronomy and Astrophysics, APC white papers, no. 49; Bulletin of the American Astronomical Society, 51, Issue 7, id. 49 (2019)
Ich bin kein professioneller Übersetzer; ich habe das vorhin recht spontan auf deutsch transkribiert. Wer Verbesserungsvorschläge hat: Bitte gerne Bescheid sagen!
Man mag so einen Brief und so eine Initiative als Aktionismus abtun. Muss man aber nicht. Je mehr Menschen sich selbst und aktiv mit der Klimakrise beschäftigen, desto größer ist die Chance, dass tatsächlich auch etwas passiert. Je mehr Menschen sich zur Klimakrise äußern, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie von der Politik und der Wirtschaft gehört werden. Aktionismus alleine reicht nicht, um etwas zu verändern. Aber die öffentliche Beschäftigung mit einem Thema kann der Anfang großer Veränderungen sein.
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