So. Wir haben November. In Österreich ist mittlerweile Lockdown Nummer 4 an der Reihe (oder 5, wenn man in Ostösterreich wohnt, so wie ich oder 3, wenn man in Theatern arbeitet, so wie ich und die Bühnen zwischen Nr. 2 und Nr 3. gar nicht erst aufgesperrt haben). Und in Deutschland wird es auch bald so weit sein. So oder so ist die Zeit passend für ein wenig Lektüre und Eskapismus. Und dafür habe ich wie jeden Monat ein paar Empfehlungen.
Der Mauersegler
“Der Mauersegler” ist das dritte Buch von Jasmin Schreiber. Ihren ersten Roman “Mariannengraben” habe ich Anfang des Jahres schon sehr empfohlen und ihr hervorragendes Sachbuch “Abschied von Hermine” über den Tod im April allen sehr ans Herz gelegt. Jetzt geht es um Buch Nummer drei und den zweiten Roman von Jasmin Schreiber: “Der Mauersegler” hat mir bis jetzt am besten gefallen.
Ich habe das Buch an einem Tag durchgelesen und bin immer noch sehr begeistert davon. So wie in den ersten beiden Büchern spielt auch hier der Tod eine wichtige Rolle. Eigentlich aber geht es um ein viel umfassenderes Thema: Den Umgang mit Verlust, die Reaktion auf das eigene Versagen, die Angst vor der eigenen Schuld und vor allem die Versöhnung mit dem Leben. Spoilerfreie Romanrezensionen sind nicht meine Spezialität, deswegen nur kurz das grundlegende Setup. Es geht um Prometheus, der wirklich so heißt und Arzt ist. Er forscht an einer Therapie gegen Krebs (weswegen durchaus auch ein wenig Wissenschaft im Buch zu finden ist) und ist für den Tod seines besten Freundes verantwortlich. Das Buch handelt von der Flucht vor der eigenen Verantwortung die in einem obskuren Haus in Dänemark endet, das von ebenso obskuren Menschen bewohnt wird. Und die sorgen für den typischen Humor den man in den Büchern von Jasmin Schreiber findet. Tod und Schuld mögen auf den ersten Blick nicht gut zu Humor passen. Tun sie aber, weil alle drei Teil des Lebens sind und ich habe selten ein so – im wahrsten Sinne – lebendiges Buch gelesen wie “Der Mauersegler”. Und am Ende stellt sich auch hier wieder das Gefühl ein, dass ich bis jetzt immer am Ende der Bücher von Jasmin Schreiber hatte: Obwohl man gerade einen ganzen Roman (ein Sachbuch) über ein schweres und tragisches Thema gelesen hat fühlt sich man ein klein wenig mehr mit der Welt versöhnt als vorher. Und solche Bücher kann man immer brauchen!
Alien-Parasiten
Das Buch “Die Invasion” (im Original: “The Puppet Masters”) von Robert Heinlein ist ein sehr zeitgemäßes Buch. Und es ist ein absolut veraltetes Buch. Erschienen ist es 1951; die erste deutsche Übersetzung gab es 1957 unter dem dramatischen Titel “Weltraummollusken erobern die Erde”. Das fasst auch die Handlung recht gut zusammen: Sam, Agent einer namenlosen Regierungsorganisation in einer (aus damaligen Sicht) zukünftigen USA muss eine Alien-Invasion untersuchen. Es sind aber keine kleinen grünen Männchen, die die Erde besuchen. Sondern quallenartige Parasiten, die sich an einem Menschen festsaugen und von da an kontrollieren. Ihr Ziel: Möglichst viele Menschen befallen und die Kontrolle über den Planeten erlangen.
Zeitgemäß ist es deswegen, weil die Beschreibung des Kampfes gegen die Invasion immer wieder an die Realität der Covid-19-Pandemie erinnert. Die Politik will zuerst nicht glauben, dass es hier ein Problem gibt und verweigert sich ausreichend radikalen Maßnahmen. Um zu überprüfen, ob ein Mensch befallen ist oder nicht bleibt nur die Möglichkeit, Kleidung so gut wie komplett zu verbieten und selbstverständlich gibt es auch in Heinleins Welt immer wieder Leute, die diese Maßnahmen nicht einhalten wollen. Und so wie wir uns heute mit Menschen herumärgern müssen, die die Corona-Pandemie leugnen, muss das auch Agent Sam angesichts der Alien-Invasion mit entsprechenden Leugnern tun. Heinleins Buch ist klassische “Das Ding aus einer anderen Welt”-Science-Fiction aus dem Golden Age. Geschichten dieser Art hat man mittlerweile zwar oft gelesen; Heinleins Version ist aber dennoch spannend und hat viele sehr originelle Ideen.
Wer das Buch lesen möchte sollte aber definitiv berücksichtigen, dass “Die Invasion” aus dem Jahr 1951 stammt. Denn das merkt man auf jeder Seite: Ich habe schon lange kein so sexistisches Buch mehr gelesen und es fällt einem schwer zu glauben, dass so etwas damals als “normal” durchgegangen ist. Ja, es kommen auch Frauen im Buch vor. Sogar in einer Hauptrolle: Mary ist, so wie Sam, eine Agentin und Teil des Kampfs gegen die Invasion. Und auch wenn Heinlein sie stellenweise durchaus als gefährliche Kämpferin beschreibt, hat sie nichts zu melden, sobald Männer anwesend sind. Dann ist sie ausschließlich ein sexy Körper, der zuerst begehrt, dann sofort geheiratet (oder so wie im Buch beschrieben eher zur Heirat genötigt werden muss) und danach ins Bett geschafft werden muss. Dazwischen darf sie beschützt und bevormundet werden; muss sich unterordnen, die Hausfrau spielen und sich ab und zu auch mal hübsch machen. Vielleicht muss ich wieder mal ein paar andere Science-Fiction-Bücher aus dieser Ära lesen um zu sehen, ob die alle so sind oder Heinlein hier ganz besonders tief in die frauenfeindliche Schublade gegriffen hat. Natürlich ist es immer kritisch ein Buch nicht im Kontext seiner Entstehungszeit zu betrachten. Aber wir haben eben nun mal nicht mehr 1951 und wenn man “Die Invasion” heute liest, dann kann man nicht anders als sich mit dieser absurden und abwertenden Darstellung weiblicher Figuren zu beschäftigen. Die Zeit ist seitdem nicht stehen geblieben und nach der Lektüre von Heinleins Buch ist man da auch sehr froh darüber…
Was ich sonst noch gelesen habe:
- Im September und Oktober habe ich die Bücher “Forty Signs of Rain” und “Fifty Degrees Below” von Kim Stanley Robinson empfehlen. In der “Science in the capital”-Reihe fehlt jetzt noch der dritte Teil und der heißt “Sixty Days and Counting”. Es geht immer noch um das, um das es auch in den ersten beiden Bänden geht: Wissenschaft, Politik und Klimawandel. Die schon etwas ältere Buchreihe von Robinson ist eine erstaunlich ausführliche Bearbeitung dieses Themenkomplexes in Romanform. Dort wo andere Bücher dieser Art eine von der Klimakrise dystopisch gewordene Welt beschreiben in der die Wissenschaft nur noch auftaucht, um eine Wundermaschine zu erfinden die den Rest der Überlebenden ins All und zu einer neuen Welt bringt oder anderweitig alles in Ordnung bringt, hat Robinson sich einer hyper-realistische Darstellung verschrieben. Die Kämpferinnen und Kämpfer gegen die Krise arbeiten in der National Science Foundation und bearbeiten Forschungsanträge. Sie arbeiten in Biotechfirmen und entwickeln genetische Algorithmen um Organismen besser zu verstehen. Sie sind Teil der Administration eines US-Präsidenten. Und können nicht einfach per flammender Rede die Rest der freien Welt auf den Kampf gegen die Krise einschwören, wie das vielleicht zu Beginn des letzten Drittels eines einschlägigen Kinofilms der Fall wäre. Sondern müssen echte Forschung absolvieren, die eben so lange dauert, wie Forschung dauert. Sie müssen politische Überzeugungsarbeit leisten, Anträge schreiben, Gesetze schreiben und durchbringen, und so weiter. Das mag alles sehr trocken klingen – aber Robinson schafft es nicht nur, diese realistischen Prozesse sehr packend in eine Romanhandlung einzubinden, sondern durchsetzt sie auch mit ausreichend vielen anderen Handlungssträngen, die seine Trilogie zu einem wirklich einzigartigen Werk der Climate Fiction machen.
- Man könnte ja langsam die Lust verlieren, sich mit Büchern zum Thema Seuchen und Krankheiten zu beschäftigen. Bevor man das tut, sollte man aber noch “Wie Krankheiten Geschichte machen: Von der Antike bis heute” von Ronald Gerste lesen. Der Arzt und Historiker hat eine genau das aufgeschrieben, was der Titel des Buches verspricht. Im 19. Jahrhundert etwa war Friedrich III nur 99 Tage lang deutscher Kaiser. Danach starb er an Kehlkopfkrebs und wenn das nicht so gewesen wäre, hätte der liberale Herrscher vielleicht die Grundlage für ein ganz anderes Deutschland gelegt als man in den folgenden Jahrzehnten erleben konnte. Gerste vermischt Biografie, historische Medizin und kontrafaktische Geschichte auf unterhaltsame und sehr informative Art und Weise. Der Tod von Gustav II bei der Schlacht von Lützen, der dreißigjährige Krieg und Kurzsichtigkeit führen zu John Tayler, dessen “augenärztliche” Behandlung den Tod von Beethoven und Händel mindestens beschleunigt hat. Es geht um die Gicht, um die Pocken und die Geschichte des Impfens; um Heinrich Heine und die Syphilis und noch viel mehr; einmal quer durch die bekannte (und unbekannte) Geschichte. Ich habe mich bei der Beschäftigung mit Krankheit und Tod schon lange nicht mehr so gut amüsiert.
Das war der November. Wer noch ein paar schöne Buchempfehlungen für Weihnachten hat (oder einfach nur so): Immer her damit!
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