Wissenschaft ist schon manchmal ein wenig seltsam. Leandros Perivolaropoulos von der Universität Ioannina in Griechenland hat eine Arbeit verfasst in der er behauptet, dass die Dinosaurier wegen einer Veränderung in der Gravitationskonstante ausgestorben sind. Das klingt nach einem schlechten Katastrophenfilm. Ist die Schwerkraft plötzlich ausgefallen und alle Dinos sind von der Erde in den Weltraum geschwebt? Oder ist sie gar stärker geworden und die armen Echsen wurden unter ihrem eigenen Gewicht zerquetscht? Aber so absurd das alles klingt: Bei näherer Betrachtung ist die Angelegenheit wissenschaftlicher als man vermuten würde.
Es geht um die Arbeit “Is the Hubble crisis connected with the extinction of dinosaurs?”. Und um ein durchaus drängendes Problem in der Kosmologie. Die Rate mit der sich das Universum ausdehnt wird durch die “Hubble-Konstante” beschrieben. Der Zahlenwert dieser fundamentalen Größe ist notorisch schwer zu beschreiben. Er liegt bei 73,04 km/s pro Megaparsec. Oder bei 67,4 km/s pro Megaparsec. Und bevor wir auf den Unterschied dieser Zahlen schauen, klären wir zuerst, was die Hubble-Konstante eigentlich beschreibt.
Wenn wir ferne Galaxien betrachten, dann sehen wir, wie sie sich von uns entfernen. Das tun sie mit einer gewissen Geschwindigkeit, die um so größer ist, je weiter sie entfernt sind. Mathematisch kann man das durch die Formel v=H*d beschreiben. v ist die Geschwindigkeit und d der Abstand der Galaxie. Und beide Größen sind durch die Hubble-Konstante H verknüpft, die deswegen auch in “Geschwindigkeit pro Entfernung” angegeben wird. So weit, so gut. Allerdings ist die Bezeichnung “Konstante” ein wenig irreführend; das Universum hat sich nicht immer mit der gleichen Rate ausgedehnt und deswegen wäre es besser, vom “Hubble-Parameter” zu sprechen. Man kann nun aber eine Formel der Form H(z)=H0*E(z) aufstellen. H(z) ist der zeitabhängige Wert des Hubble-Parameters, der von diversem Kram abhängt, den man in die Funktion E(z) packt und einer Konstante H0. Das ist die eigentliche Hubble-Konstante und ihre Zahlenwerte habe ich oben angegeben.
Und die Mehrzahl ist das Problem: Von einer Konstante sollte man erwarten dürfen, dass sie EINEN Wert hat und nicht zwei. Bei der Hubble-Konstante ist das aber schwierig. Man kann sie auf viele verschiedene Arten messen. Einerseits aus kosmologischen Daten, zum Beispiel aus der Messung der kosmischen Hintergrundstrahlung – der Strahlung also, die kurz nach dem Urknall entstand und heute immer noch beobachtbar ist. Man kann sie aus der Beobachtungen von Supernova-Explosionen bestimmen oder aus der Beobachtung der Bewegung von Galaxien. Das alles hat man getan, schon sehr lange und sehr oft. Und kommt dabei zu unterschiedlichen Werten. Der Unterschied zwischen 73,04 km/s pro Megaparsec und 67,4 km/s pro Megaparsec mag jetzt nicht so dramatisch erscheinen. Aber beide Messwerte haben sehr enge Fehlergrenzen; man kann das also schon mal nicht durch Ungenauigkeiten wegdiskutieren. Der erste Wert stammt aus Daten die man – vereinfacht gesagt – im lokalen Universum gewonnen hat, also durch Messungen an Objekten in unserer räumlichen (und damit auch zeitlichen) Nähe. Der zweite Wert stammt aus den kosmologischen Daten, also dem, was man aus der Beobachtung von Phänomenen im jungen Universum gewonnen hat (die kosmische Hintergrundstrahlung zum Beispiel). Eigentlich sollten alle Methoden am Ende zum gleichen Ergebnis führen. Tun sie aber nicht und sie tun es schon länger, sehr konsistent und sehr deutlich nicht.
Wie löst man dieses Problem? An den Messungen kann es nicht liegen. Aber es gibt natürlich noch viel, was wir nicht verstehen. Wir wissen, das sich das Universum früher langsamer ausgedehnt hat als heute; dieses Phänomen nennt man “Dunkle Energie”, aber wir kennen seine Ursache noch nicht. Wir haben zwar gewisse Ideen, wie sie funktionieren könnte, aber vielleicht sind die falsch und das sorgt für den Widerspruch in der Interpretation der Messungen? Oder vielleicht sind im frühen Universum Prozesse abgelaufen, von denen wir (noch) nichts wissen: Auch das würde dafür sorgen, dass wir die Daten falsch verstehen. Oder, und auch das wird durchaus seriös diskutiert, vielleicht sind die Naturgesetze früher anders gewesen als heute. Nicht alle und nicht komplett anders. Aber bestimmte “Konstanten” die wir eben für konstant halten, sind das möglicherweise nicht. Und hatten früher andere Werte. Das ist nicht sehr wahrscheinlich, aber auch nicht unmöglich. Und wenn zum Beispiel die Gravitationskonstante, mit der die Stärke der Gravitationskraft beschrieben wird, früher anders war als heute, dann hätte das Auswirkungen auf alles mögliche. Zum Beispiel auf die Helligkeit von Supernova-Explosionen. Genau die benutzen wir aber um die Hubble-Konstante zu messen und wenn die früher nicht so gelaufen sind wie wir das heute annehmen, dann ist es kein Wunder, wenn wir falsche Ergebnisse kriegen.
Genau diese These hat sich Leandros Perivolaropoulos in seiner Arbeit genauer angeschaut. Er hat untersucht, wann sich die Graviationskonstante geändert haben müsste, um den Unterschied der Hubble-Messungen zu erklären, wie stark sie sich geändert haben müsste und was daraus noch alles folgen müsste. Das Resultat: Wenn die Gravitationskonstante vor nicht mehr als 100 Millionen Jahren um ungefähr 10 Prozent größer geworden wäre, könnte man damit den Unterschied in den gemessen Werten der Hubble-Konstante erklären. Wenn wir weit hinaus ins Universum schauen, dann schauen wir auch weit zurück in die Vergangenheit; in eine Zeit, als die Gravitationskonstante noch einen anderen Wert hatte. Schauen wir aber ins lokale Universum, dann sehen wir schon den neuen Wert der Konstante. Sowas sagt sich leicht: Aber kann man das auch irgendwie überprüfen?
Ja, meint Leandros Perivolaropoulos und schlägt diverse Methoden vor. Wenn sich die Gravitationskonstante ändert, dann ändert sich ja auch die Kraft, mit der die Sonne ihre Planeten anzieht. Dadurch ändert sich deren Umlaufbahn. Anders gesagt: Die Dynamik des Sonnensystems wäre vor 100 Millionen Jahren ein wenig durchgewirbelt worden. Die Leuchtkraft der Sonne hätte sich ebenfalls geändert. Insgesamt sollte sich durch die Änderung der Gravitationskonstante die Temperatur der Erde erhöht haben. Das könnte die Ursache für das Paläozän/Eozän-Temperaturmaximum gewesen sein, das vor ungefähr 60 Millionen Jahren stattgefunden hat. Und was war noch vor ungefähr 60 Millionen Jahren? Genau, der Asteroiden/Kometeneinschlag bei dem unter anderem die Dinosaurier ausgestorben sind. Weil, so Perivolaropoulos, durch die Veränderung in der Gravitationskonstante auch die Umlaufbahnen all der Kometen im äußeren Sonnensystem gestört worden wären. So sehr, dass viele von ihnen ins innere Sonnensystem gelangt und dort mit Himmelskörpern kollidiert sind. Unter anderem mit der Erde, zum Schrecken der Dinosaurier.
Nun ja. Perivolaropoulos rechnet das alles sehr gut durch; er präsentiert jede Menge Simulationen die zeigen, dass tatsächlich mehr Kometen auf der Erde einschlagen würden, wenn man an der Gravitationskonstante rumbastelt. Er bringt auch diverse andere Daten aus der Literatur die dafür sprechen könnten, dass die These stimmt. Nur kann man das eben auch alles durch andere, weniger dramatische Ursachen erklären. Einerseits. Andererseits ist die andauernde Diskrepanz bei den Messungen der Hubble-Konstante durchaus auch dramatisch. Irgendwas müssen wir da übersehen haben und es kann durchaus sein, dass es etwas fundamentals ist. Das muss keine Veränderung in der Gravitationskonstante sein. Es könnte sich auch um irgendein anderes uns noch unbekanntes physikalisches Phänomen handeln. Wir wissen ja leider nicht, was wir nicht wissen. Wir wissen auch nicht, durch welche Mechanismen sich die Gravitationskonstante ändern könnte. Wir wissen nur, dass es einiges gibt, was wir nicht wissen. Unter all den Erklärungen die für das Aussterben der Dinosaurier im Laufe der Zeit aufgeführt wurden, sind Veränderungen der grundlegenden Konstanten des Kosmos vermutlich die spektakulärste. Aber wer weiß schon, was sich am Ende wirklich als richtig herausstellen wird…
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