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Sternengeschichten Folge 499: Das astronomische Wissen der Tiere

Am Himmel gibt es jede Menge Tiere. Ich habe schon oft von den Sternbildern erzählt und viele davon sind nach Tieren benannt. Löwe, Wasserschlange, Eidechse, Adler – dort oben findet man alles. In Folge 336 der Sternengeschichten habe ich auch von den vielen Tieren erzählt, die wir Menschen ins All geschickt haben und das, ohne das wir gefragt haben, ob sie das auch wollen. Aber heute soll es nicht um raumfahrende Tiere gehen und auch nicht um mythologische Kreaturen in unseren Himmelssagen. Sondern um echte Tiere und das, was sie über den Himmel wissen.

Tiere, so wie so gut wie alle anderen Lebewesen, sind natürlich in der Lage, grundlegende astrononomische Phänomene wahrzunehmen. Sie kennen die Rhythmen von Licht und Dunkelheit, von Tag und Nacht. Manche orientieren sich an den Mondphasen und wenn eine Sonnenfinsternis stattfindet, kann man durchaus beobachten, wie viele Tiere sich auf einmal so verhalten, wie sie es sonst nur tun, wenn es Nacht wird. Aber auch wenn der Wechsel von Tag zu Nacht oder der Wechsel zwischen Neu- und Vollmond durchaus astronomische Phänomene sind, würden wir das wahrscheinlich nicht als “astronomisches Wissen” bezeichnen. Dass Tiere die wechselnde Helligkeit ihrer Umgebung wahrnehmen können, muss nicht zwingend etwas damit zu tun haben, dass sie Sonne, Mond und andere Himmelskörper erkennen.

Was sehen Tiere, wenn sie zum Himmel schauen? Mit Sicherheit nicht das, was wir sehen. Beziehungsweise sehen sie, wenn sie etwas sehen, vermutlich etwas, das sehr ähnlich aussieht wie das, was wir sehen. Jede Menge helle Punkte an einem dunklen Himmel. Aber für uns ist dieser Anblick so gut wie immer mit dem Wissen verbunden, dass es sich um Sterne handelt; weit entfernte leuchtende Kugeln aus heißem Gas die in einem unvorstellbar großen und leeren All existieren. Dieses Wissen haben die Tiere mit Sicherheit nicht. Aber das muss ja nicht heißen, dass die vielen hellen Punkte für sie keine Rolle spielen. Und tatsächlich gibt es einige Tiere, die durchaus in der Lage sind, den Himmel auf eine Art wahrzunehmen, die überraschend ist.

Nehmen wir zum Beispiel den Afrikanischen Mistkäfer. Der macht das, was Mistkäfer halt so machen: Er sammelt den Kot anderer Tiere und rollt daraus große Kugeln. Davon ernähren sie sich und diese aus ihrer Sicht riesigen Kugeln müssen sie in ihre unterirdischen Brutkammern rollen. Das macht man idealerweise auf direktem Weg, denn wer weiß, von was man selbst gefressen wird, wenn man als kleiner Käfer zu lange durch die Gegend marschiert. Die Mistkäfer sind nachtaktiv und da ist es dunkel. Wie also finden die Tiere den direkten und geraden Weg nach Hause? Denn das tun sie, egal ob zum Beispiel gerade ein Vollmond alles hell erleuchtet oder nicht. Aber was kann so ein Käfer in dunkler Nacht sonst noch zur Orientierung benutzen? Die Sterne? Aber wie soll ein Käfer das Licht einzelner Sterne wahrnehmen?

Man hat das in Experimenten untersucht: Man hat Käfer in eine Art Arena gesetzt und geschaut, wie schnell sie es von der Mitte bis zum Rand geschafft haben. Je gerader ihr Weg, desto schneller sind sie natürlich. War der Himmel bedeckt, dann sind sie mehr oder weniger ziellos durch die Gegend marschiert. War der Himmel sternenklar, waren sie schnurstracks am Ziel. Hat man den Käfern aber kleine Kappen aufgesetzt, die sie daran gehindert haben die Sterne zu sehen, war die Orientierung wieder weg. Um zu prüfen, was die Käfer genau sehen, wenn sie zum Sternenhimmel schauen, hat man das Experiment in einem Planetarium wiederholt. Wurden da nur Sterne an den künstlichen Himmel projiziert, fanden sie keinen geraden Weg. Aber wenn man auf die Sterne verzichtet hat und ihnen stattdessen das Band der Milchstraße an der Kuppel zeigte, konnten sie die korrekte Richtung finden. Die Mistkäfer sind also tatsächlich in der Lage, die Milchstraße zu erkennen und sich daran zu orientieren!

Es sind aber nicht nur Käfer, die sich am Himmel orientieren. Schon 1970 hat der Biologe Stephen Emlen ein paar Indigofinken in ein Planetarium gebracht. Er wollte wissen, wie diese Zugvögel ihren Weg finden. Dazu hat er sie in drei Gruppen geteilt. Die erste Gruppe musste im Labor bleiben wo sie den Himmel gar nicht sehen konnte. Gruppe zwei kam nachts ins Planetarium wo sie eine Simulation des realen Nachthimmels sehen konnte. Gruppe drei durfte auch ins Planetarium, bekam aber einen Himmel zu sehen, bei dem der Himmelsnordpol nicht dort liegt, wo er sich tatsächlich befindet, nämlich beim Polarstern, sondern beim hellen Stern Beteigeuze. Gruppe zwei der Vögel sah also einen Himmel, bei dem sich im Laufe der Nacht alle Sterne um den Polarstern herum bewegen, so wie das auch in echt passiert. Für Gruppe drei hat sich der Himmel aber um Beteigeuze herum gedreht.

Indigofinken (Bild: gemeinfrei)

Jetzt hat Stephen Emlen nur noch warten müssen, bis die Vögel sich auf den Weg gemacht haben. Er hat sie natürlich nicht tatsächlich losfliegen lassen, immerhin wollte er ja noch weiterforschen. Aber mit speziellen Instrumenten konnte er aufzeichnen, in welche Richtung sie losstarten wollten. Die Vögel der ersten Gruppe – die aus dem Labor – hat keine Ahnung gehabt wo es hingehen soll. Die sind einfach zufällig in irgendeine Richtung gestartet. Gruppe zwei, die, die den echten Nachthimmel gesehen hatte, haben sich dagegen zielstrebig in Richtung Süden aufgemacht. Und Gruppe drei, die mit dem falschen Himmel? Die sind exakt dahin geflogen, wo Süden wäre, wenn Beteigeuze genau im Norden ist!

Die Indigofinken können also tatsächlich die Sterne nicht nur sehen, sondern auch erkennen, dass sie sich im Laufe der Nacht um einen Punkt herum bewegen und nutzen dann diesen Punkt – der am echten Himmel der Polarstern ist – für ihre Orientierung. Die Indigofinken machen das freiwillig und haben es quasi selbst gelernt. Aber kann man Tieren so ein astronomisches Wissen auch beibringen? Das hat man 2008 probiert und zwar mit zwei Seehunden. Man hat sie in ein schwimmendes Planetarium gesteckt und ihnen dort zuerst einmal beigebracht, auf einen hellen Punkt zuzuschwimmen. Dann hat man ihnen einen realen Sternenhimmel gezeigt und ihnen beigebracht, sich an hellen Sternen zu orientieren. Beide Seehunden haben das dann auch tatsächlich gelernt. Sie können sich also an den Sternen orientieren. Ob sie es aber auch wirklich tun, ist noch unklar.

Wie viele Tiere insgesamt in der Lage sind, die Sterne nicht nur zu sehen, sondern auch so weit zu erkennen um sich daran zu orientieren, wissen wir nicht. Aber vermutlich mehr, als wir denken. Und wenn es darum geht, die Tiere besser zu verstehen, kann übrigens auch die Astronomie etwas beitragen. Zumindest war das der Vorschlag, den die beiden Astronomen Joel Stebbins und Edward Fath im Jahr 1906 gemacht haben. In einem aus heutigen Sicht etwas obskuren Fachartikel beschreiben sie, wie man mit Hilfe von astronomischen Teleskopen herausfinden kann, wie schnell Zugvögel unterwegs sind. Zuerst erzählen sie von früheren Arbeiten, bei denen die Flughöhe der Vögel bestimmt wurde. Dazu haben zwei Menschen an unterschiedlichen Orten mit dem Teleskop den Vollmond beobachtet. Da sie dadurch natürlich auch aus einem leicht unterschiedlich Winkel auf den Mond blicken, sehen sie auch Vögel, die direkt vor der Mondscheibe vorbeifliegen unterschiedlich. Von den unterschiedlichen Positionen aus betrachtet, fliegen die Vögel in unterschiedlichen Winkel am Mond vorbei. Und weiß man, wie weit die Teleskope voneinander entfernt sind, kann man aus diesem Unterschied mit ein bisschen simpler Rechnerei die Flughöhe der Vögel bestimmen. Die übrigens deutlich weniger hoch war, als damals vermutet. Jetzt wollten Fath und Stebbins aber auch wissen, wie schnell die Vögel sind. Und haben dazu das gemacht, was man auch macht, wenn man zum Beispiel eine Sonnenfinsternis wissenschaftlich beobachtet. Da ist es ja besonders interessant, exakt den Zeitpunkt zu bestimmen, an dem sich der Mond vor die Sonne schiebt bzw. wann er das Licht der Sonne wieder freigibt. Wenn man das aus unterschiedlichen Positionen beobachtet, wird das – wieder wegen der unterschiedlichen Beobachtungswinkel – zu unterschiedlichen Zeitpunkten passieren. Und wenn man diese Zeitpunkte aufzeichnet, kann man jede Menge interessante Sachen berechnen – den Abstand zwischen Sonne und Erde zum Beispiel oder eben natürlich auch die Geschwindigkeit mit der sich der Mond bewegt. Die beiden Astronomen haben nun quasi eine durch Vögel verursachte Mini-Mondfinsternis beobachtet. Sie haben also aufgezeichnet, wann die Vögel vor der hellen Mondscheibe auftauchen und wann sie wieder verschwinden. Aus der Zeit, die sie gebraucht haben, um die Mondscheibe zu überqueren und den Unterschieden bei der gleichzeitigen Messung dieser Zeit von unterschiedlichen Beobachtungspositionen aus konnten sie die Fluggeschwindigkeit berechnen.

“Hat man eine klare Nacht, einen vollen Mond, viele Vögel in der Luft und jede Menge Teleskop, dann sind das die perfekten Bedingungen um eine einfache Lösung für das Problem der Bestimmung von Flughöhe und Geschwindigkeit von Zugvögeln zu finden.”, schreiben die beiden am Ende ihres Artikels. Und setzen fort: “Aber leider wird es kaum vorkommen, dass all diese Bedingungen zur gleichen Zeit erfüllt sind”. Tja.

Kommentare (9)

  1. #1 knorke
    17. Juni 2022

    Davon hab ich noch nie gehört. Faszinierend! Fragt man sich, was so ein Mistkäfer macht, wenn der Himmel Lichtverschmutzt ist und die Milchstraße nicht zu sehen ist. Vermulich nimmt er dann über kurz oder lang die statische Beleuchtung die Ursache für die Verschmutzung ist ersatzweise?
    Die Evolution ist schon der Hammer!

  2. #2 schorsch
    17. Juni 2022

    Das mit den Vögeln und der Geschwindigkeitsmessung – wäre das nicht wesentlich einfacher, wenn man die Vögel tagsüber beobachtet? Man müsste nicht auf einen zufälligen Vorbeiflug vor dem Mond warten, man könnte auch bei bewölktem Himmel messen, die teuren Nachtzuschläge für die Forscher entfielen, und man könnte auch Schnee-Eulen verwenden, die ihres weissen Federkleides wegen bei Vorbeiflug vor dem Mond praktisch unsichtbar sind.

  3. #3 hto
    Holographische Konfusion ohne Gemeinschaftseigentum
    17. Juni 2022

    🙂 Passt zu Ronja Völks Thema Schleimpilz und “Intelligent?! Ohne Gehirn” auf scilogs.de – Das Gehirn der kosmischen Ordnung ist da, auch wenn wir es nicht sehen und nur teilweise begreifen können!?

  4. #4 Kyllyeti
    18. Juni 2022

    Noch zu erwähnen wäre das phänomenale interstellare Orientierungsvermögen einer ziemlich großen Schildkröte, ohne das eine legendäre Welt schon lange in den kosmischen Abgründen verloren gegangen wäre.

  5. #5 Bullet
    20. Juni 2022

    Du meinst die, die die Welt ® trägt?

  6. #6 Kyllyeti
    20. Juni 2022

    Na ja, eigentlich trägt sie vier große Rüsseltiere.
    Die aber auch tragend sind.

  7. #7 rolak
    20. Juni 2022

    auch tragend

    Schwanger? Alle viere – ach, was red ich, ‘auch’: alle fünfe?

  8. #8 Kyllyeti
    21. Juni 2022

    Na ja, so ungefähr, wenn man mal alle fünfe gerade sein lässt …

  9. #9 Captain E.
    21. Juni 2022

    Außerdem ist der fünfte Elefant doch schon vor ewigen Zeiten abgestürzt und bildet noch heute die Basis ertragreicher Fettminen. 🙂