Der Juli war ein guter Monat; zumindest was mich und meine Lektüre angeht. Denn im Juli habe ich Urlaub und Zeit zu lesen. Was ich auch ausführlich getan habe und deswegen zur Abwechslung mal wirklich viele Bücher vorstellen kann. Und mit dabei sind auch ein paar Anwärter auf meine Lieblingsbücher des Jahrs.
Chemieunterricht in der Küche
Das Buch das ich euch sehr sehr dringend ans Herz legen möchte heißt “Eine Frage der Chemie” (im Original: “Lessons in Chemistry”. Geschrieben hat es Bonnie Garmus und es ist absolut fantastisch. Die Geschichte spielt in den 1950er und 1960er Jahren und dreht sich um Elizabeth Zott. Sie ist Chemikerin und möchte die Abiogenese erforschen, also die Entstehung von Leben aus der unbelebten Chemie. Das “Problem”: Sie ist eine Frau und noch dazu eine, die nicht unbedingt geneigt ist, sich den gesellschaftlichen Bedingungen der Zeit anzupassen. Frauen werden in der Wissenschaft (und anderswo) heute immer noch benachteiligt und wurden das in den 1950er Jahren noch viel mehr. Elizabeth Zott kann zum Beispiel ihre Doktorarbeit nicht beenden, da sie von ihrem Betreuer vergewaltigt und deswegen (!) von der Uni geworfen wird. Sie schlägt sich als Chemikerin einer Forschungseinrichtung durch, wo sie von ihren ausschließlich männlichen Kollegen nicht ernst genommen wird; wo man ihr ihre Forschungsarbeit klaut und ihr all die anderen Ungerechtigkeiten widerfahren, die damals (und heute leider auch noch) sehr vielen Frauen widerfahren sind.
Der einzige, der sie ernst nimmt ist Calvin Evans, ein Kollege am Institut. Ein Einzelgänger, ein Genie und ein Kandidat für den Nobelpreis. Aus der gemeinsamen Forschung wird aber nichts (ich will nicht spoilern); stattdessen findet sich Zott als arbeitslose, alleinerziehende, ledige Mutter wieder, die irgendwie ihren Lebensunterhalt verdienen muss. Diverse Fügungen bringen sie als Moderatorin einer Kochsendung ins Fernsehen. Aber wenn eine Chemikerin kocht, und noch dazu eine wie Elizabeth Zott, dann kann man davon ausgehen, dass die Sendung nicht so läuft, wie sich das die (männlichen) Chefs des TV-Senders vorgestellt haben.
“Eine Frage der Chemie” ist ein wunderschönes Buch. Die Thematik ist durchaus tragisch; es geht um Diskriminierung, um Schicksalsschläge, um Tod und alle anderen dramatischen Probleme die das Leben bereit halten kann. Aber Garmus erzählt die Geschichte auf eine so überwältigende charmante Weise, dass man nicht anders kann als Elizabeth Zott ins Herz zu schließen. Ich habe sogar kurz recherchiert und nachgesehen, ob es Zott wirklich gegeben hat; Garmus hat diese Frau so echt und natürlich dargestellt, dass mir das durchaus wahrscheinlich erschienen ist (und wie ich später gesehen habe, ging es anderen Rezensentinnen und Rezensenten ebenso). Das Buch hat so viele Ebenen; es ist gleichzeitig enorm leicht und enorm tiefgründig. Es geht um Diskriminierung, um gesellschaftliche Machtstrukturen, um Rebellion und den Druck, sich anzupassen. Es geht aber auch um Wissenschaft, den Drang die Welt verstehen zu wollen und um die Vermittlung von Wissenschaft an die Öffentlichkeit. Vor allem aber geht es um Selbstermächtigung und dieses das ganze Buch durchziehende Thema ist auch für die trotz aller Tragik grundlegende positive Stimmung in “Eine Frage der Chemie” verantwortlich. Das Buch wird definitiv ganz weit oben auf der Liste meiner Allzeit-Lieblingsbücher landen!
Rocket Boys
Ebenfalls in den 1950er Jahren spielt das Buch “Rocket Boys” (auf deutsch “Rocket Boys: Roman einer Jugend”) von Homer Hickham. So wie in “Eine Frage der Chemie” geht es auch hier um Wissenschaft; in diesem Fall basiert das Buch aber auch einer wahren Geschichte. Homer Hickham wächst in Coalwood auf, einem kleinen Nest in West Virginia, das nur existiert, damit die Leute die dort Kohle aus der Erde buddeln auch einen Ort zu Leben haben. Die Zeche dominiert die Stadt und das Leben der Menschen. Homer ist aber nicht am Bergbau interessiert. Er ist von der Raumfahrt fasziniert und als 1957 Sputnik durch den Weltraum fliegt und Amerika in den Wettlauf ins All einsteigt, beschließt Homer mit ein paar Freunden, sich ebenfalls zu beteiligen. Sie gründen die “Big Creek Missile Agency (BCMA)” und obwohl die Teenager allesamt keine Ahnung von Raktentechnik haben, experimentieren sie mit Begeisterung und schaffen es bald, ihre selbstgebauten Raketen ziemlich weit in den Himmel zu schießen. Das stößt auf Widerstand in Homers Familie; aber auch in seiner Schule. Gleichzeitig ist die Stadtbevölkerung aber durchaus auch stolz auf die “Rocket Boys”, die in ihrer Arbeit die Möglichkeit sehen, vielleicht doch noch dem Kohle-Schicksal entgehen und ein College besuchen zu können.
Die BCMA hat es wirklich gegeben; die Raketenflüge von Hickham und seinen Freunden ebenfalls. Homer Hickham beschreibt in seinem Buch seine eigene Kindheit; die Geschichte ist aber zum großen Teil weniger wie eine Biographie geschrieben sondern mehr wie ein Roman. So liest sich “Rocket Boys” auch und es mag zwar nicht immer klar sein, was nun echte Kindheitserinnerung ist und was künstlerische Freiheit. So oder so ist das Buch aber eine großartige, inspirierende und vor allem spannende Geschichte. Ich habe das Buch sehr gerne gelesen und kann euch nur empfehlen, das auch zu tun. Das ganze wurde auch unter dem Titel “October Sky” verfilmt (mit Jake Gyllenhaal in der Hauptrolle) und auch dieser Film ist durchaus sehenswert.
Die Kaiju Preservation Society
Völlig anders ist das Buch “The Kaiju Preservation Society” (mWn noch nicht auf deutsch erhältlich) von John Scalzi. Scalzi ist natürlich ein bekannter Sci-Fi-Autor, auch wenn ich mit seinem Hauptgenre – der Military Sci-Fi – nicht allzu viel anfangen kann. Aber dieses Buch hat mich nicht nur überzeugt sondern auch großartig unterhalten.
Die Ausgangslage ist tendenziell verrückt: Jamie Gray schlägt sich mitten in der Pandemie bei einer Essenslieferfirma durch. Bis plötzlich ein alter Freund auftaucht, mit einem Jobangebot. Es geht um “Tierschutz”; was Jamie aber erst ein wenig später erfährt: Die Tiere um die es geht leben nicht auf unserer Erde sondern einer Parallelwelt und es sind gewaltige Monster, wie man sie aus den japanischen Filmen kennt. Und es ist auch kein Wunder, dass wir Geschichten um Godzilla, Mothra und andere Kaiju haben, denn ab und zu kommt es vor, dass diese “Tiere” von einer Welt in die andere wechseln. Um das zu verhindern und diese Parallelwelt zu erforschen gibt es die Kaiju Preservation Society. Und mehr muss man zu dem Buch eigentlich auch nicht sagen. Es ist verrückt, es ist originell, es macht großen Spaß und auch wenn man sich keine allzu komplexe Story erwarten darf, freut man sich doch sehr auf einen (hoffentlich kommenden!) zweiten Teil.
Was ich sonst noch so gelesen habe
Wie gesagt, der Juli war sehr ergiebig was die Lektüre angeht. Ich habe außerdem noch das hier gelesen:
- “Die letzten Männer des Westens: Antifeministen, rechte Männerbünde und die Krieger des Patriarchats” und “Die Reise ins Reich: Unter Rechtsextremisten, Reichsbürgern und anderen Verschwörungstheoretikern” von Tobias Ginsburg. Diese beiden Bücher sind extrem spannend, aber vielleicht nicht unbedingt als leichte Sommerlektüre geeignet. Das, was Ginsburg da in sehr langen, sehr intensiven und durchaus nicht ungefährlichen Undercover-Recherchen aufgeschrieben hat, ist durchaus bedrückend. Wer wissen will, wie es in den dunklen Ecken dieser Welt wirklich abgeht, sollte diese Bücher aber sehr dringend lesen.
- “Die Störung” von Brandon Q. Morris. Auf die Lektüre dieser Sci-Fi-Story kann man durchaus verzichten. So wie ich auf weitere Bücher von Morris verzichten werde. Es geht um einen Haufen Leute, die jahrzehntelang hinaus ins All fliegen, um dort mit einem Superteleskop bis zum Urknall zurückschauen zu können. Das allein macht schon kaum Sinn; der Rest der Story ist dann noch viel hahnebüchener. Hat mich nicht überzeugt.
- “Stone Man. Die Ankunft” von Luke Smitherd (im Original “The Stone Man”). Dieses Buch war durchaus spannend; es erinnert ein wenig an die Bücher von Hank Green (hab ich hier und hier vorgestellt). Plötzlich taucht auf der Erde eine “Statue” auf, die definitiv außerirdisch ist. Und eine große Gefahr für die Menschheit darstellt. Damit enden aber die Gemeinsamkeiten; Smitherd hat einen ganz anderen Ansatz gewählt als Green und ich werde die Folgebände von “Stone Man” sicher auch noch lesen.
- “Ihr elenden Mörder: Kuriose Geschichten von der Tour de France” von Jürgen Löhle. So wie jeden Sommer lese ich auch immer ein bisschen was über die Tour de France und den Radsport. Diese Anekdotensammlung ist zwar recht nett – aber wirkt irgendwie auch ein wenig unvollständig und unmotiviert. Wer nicht wirklich großer Tour-Fan ist, wird damit wenig anfangen können.
- “Der Klon” von Jens Lubbadeh. Zum Schluss noch eine weitere Empfehlung: Das Buch von Lubbadeh ist aus wissenschaftlicher Sicht vielleicht auch ein wenig fragwürdig. Was aber nichts macht, weil es trotzdem so spannend ist. Es spielt in den 2030er Jahren; Deutschland wird von einem grünen Kanzler regiert und gleichzeitig ist aber auch die rechtsextreme Partei “Der deutsche Weg” fast zur stärksten Kraft im Land geworden. Deren Parteichef hat allerdings absurde Pläne: Bei einem südkoreanischen Forscher hat er einen Klon von Adolf Hitler in Auftrag gegeben. Der ist jetzt erwachsen und soll Deutschland endlich wieder auf den “richtigen” Weg führen. Klingt absurd, ist es natürlich auch. Was Lubbadeh aus dieser Geschichte macht ist aber ein extrem spannender Roman der sich perfekt als Urlaubslektüre eignet.
Das wars für den Juli. Im August wartet schon wieder Arbeit auf mich; ich hoffe aber trotzdem noch genug Zeit für das eine oder andere Buch zu finden.
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