Es gibt in der Biologie keinen planenden Geist, keine führende Hand, kein Ziel, keine Absicht und keine vorgegebene Richtung.
Wer das verstanden und wirklich verinnerlicht hat, kann hier bereits aufhören zu lesen und ihr/ihm sei noch versichert, daß ich mir dessen bei jedem Satz, den ich schreibe, vollkommen bewußt bin.
Für viele Menschen ist dieses “Konzept” jedoch so unalltäglich, so kontraintuitiv und in seiner Konsequenz häufig auch so unerträglich, daß es notwendig ist, für Leser, die zu dieser Gruppe zählen, weiter auszuholen: alle Prozesse des Lebens, alle biologischen Strukturen, alle scheinbar “genialen” Mechanismen in Pflanzen und Tieren, alle noch so komplexen optimierten biochemischen aber genauso ethologischen Wechselwirkungen sind durch Evolution, also das Zusammenwirken von zufälliger Mutation, halbzufälliger Rekombination und nicht-zufälliger Selektion, entstanden.
Die Schwierigkeiten beim intuitiven Akzeptieren dieses Faktums rühren daher, daß wir im Alltag ständig mit sehr wohl geplanten und durchdachten und für ein bestimmtes Ziel hergestellten Konstrukten zu tun haben und/oder selbst geplant und zielgerichtet handeln. Und ebenfalls völlig intuitiv setzen wir für jedes Konstrukt – jede Maschine, jedes Auto, jede Uhr usf. – mit dem wir konfrontiert sind, einen Konstrukteur voraus, jemanden also, der mit Absicht und Vorausschau und nach einem Plan dieses Konstrukt gebaut hat. Der Unterschied (sowohl in Voraussetzung als auch Ergebnis) zur “Konstruktion” durch Evolution ist jedoch sehr groß. In der Evolution gibt es keine Antizipation, es gibt nur (nachträgliche) Selektion. Kein Autohersteller würde z.B. ein Fahrzeug ohne Dach herstellen, da er voraussieht, daß es regnen könnte und in diesem Fall ein unbedachtes Gefährt ein großer Nachteil wäre. Ginge er nach evolutiven Prinzipien vor, würde durchaus zufällig auch mal ein Fahrzeug ohne Dach hergestellt, bei dem dann, sobald und erst wenn es regnet, sein schwerer Nachteil offenbar würde.
Es ist anfangs nicht einfach, wenn man sich mit biologischen Zusammenhängen befasst, sich stets zur Wahrnehmung und Akzeptanz der Urheberschaftslosigkeit zu zwingen und es ist umso schwerer, je mehr Beispiele von nahezu perfekt anmutenden biologischen Struktur- und/oder Funktionszusammenhängen man kennenlernt. Dies wird noch verstärkt durch die in vielen populärwissenschaftlichen Dokumentationen geübte, sensationslüsterne und manchesmal teleologische Diktion. Dennoch läßt sich für all die fabelhaften Hervorbringungen der Natur mit genügend Geduld und Aufwand stets ein schrittweises, selektionsgesteuertes, funktionale Zwischen- und Vorstufen aufweisendes, eben evolutives Zustandekommen herleiten. Die Schwierigkeit (deren bedauerliches Nebenprodukt übrigens die Vulnerabilität für die “Argumente” der Intelligent-Design-Kreationisten ist), die man zu Beginn beim Begreifen dieser fundamentalen Erkenntnis, der gewissermaßen darwinschen Essenz, haben mag, spiegelt sich oft auch in der Schwierigkeit wieder, das Erkannte in Worte zu fassen, denn unsere Sprache strotzt nur so von Absicht, Zweck, Kausalität, Wünschen oder Wollen andeutenden Ausdrücken und Wendungen und es erweist sich häufig als äußerst umständlich und unbequem und klingt trocken und artifiziell, wenn man vermeintlich einfache Zusammenhänge in um absichtsanzeigende Teile bereinigter Sprache auszudrücken versucht.
Wenn ein Kind z.B. fragt: “Wieso hat denn das Zebra Streifen?”, so antwortet man doch eher mit “Damit es sich in der Steppe besser tarnen kann und es die Löwen nicht so leicht sehen”, als mit dem korrekteren, weil ohne intentionsindizierendes ‘damit’ auskommenden “weil die bei entfernten Vorfahren des Zebras zufällig entstandenen ersten leichten Ansätze einer Fellmusterung minimale Vorteile in der reproduktiven Fitness erbrachten und sich so die sie bedingenden genetischen Prädispositionen durch stetige Selektion und Ko-Evolution in der Population ausbreiten und auf diese Weise im Laufe von Tausenden Jahren immer besser an die Umgebung angepasste Fellmuster sich durchsetzen konnten”.
Deshalb wird es immer mal wieder dazu kommen, daß ich, um Dinge besser erklären und verständlich machen zu können, auf Metaphern und der Intuition und Nachvollziehbarkeit besser zugängliche Vergleiche zurückgreife. Man sollte aber stets im Hinterkopf behalten, daß diese Behelfe jederzeit wieder in die korrekte Fachsprache “rückübersetzt” werden könnten und die formal-wissenschaftliche Erklärung auch vollständig ohne die Annahme von Absicht oder Planung auskommt.
Noch eine Feststellung, die sich angesichts der oben ausgeführten Betrachtungen anbietet und bei einigen Menschen erfahrungsgemäß ebenfalls starken emotionalen Widerstand erzeugt: Der Mensch nimmt im biologischen Kontinuum keine Sonderstellung ein. Es gibt keine Evidenz*, derzufolge der Mensch das “Ziel” oder gar das Endprodukt der Evolution (gewesen) ist, er ist nicht und war nie gewollt, gewünscht oder beabsichtigt. Im Gegenteil scheint sich sogar eher anzudeuten, daß es ironischerweise die gemeinhin ja eher positiv besetzten Vernunft und Verstand, die sich bei ihrem erstmaligen Auftreten sicher als selektive Vorteile erwiesen (und uns überhaupt in die Lage versetzen, uns als Ausnahme mißzuverstehen bzw. als “Krönung” zu verklären), es sein werden, die letztendlich die Auslöschung unserer “Art” (ein äußerst problematischer Begriff) herbeiführen werden. Und wenn man den Menschen in Hinsicht auf die biologische (i.e. reproduktive) Fitness mit z.B. Insekten vergleicht, so wird man bescheiden einräumen müssen, daß auch hier Vernunft und Verstand nicht gerade zu den erfolgreichen biologischen Konzepten zu rechnen ist.
*Semantischer Disclaimer: es wird häufiger vorkommen, daß ich das Wort “Evidenz” verwende. Ich entlehne das Wort aus dem Englischen und der dort gebräuchlichen Bedeutung: Evidenz = “Beleg”, “Nachweis”, “Indiz” o.ä.; ich verwende es hingegen nicht, wie in der Philosophie der Erkenntnistheorie üblich, als Ausdruck für etwas dem Augenschein nach Unbezweifelbares.
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Literaturempfehlung: “Das egoistische Gen” und “Die Schöpfungslüge” beide von R. Dawkins
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