Nachdem ich versucht habe, das Arbeitsgebiet der Forensischen Genetik abzustecken, möchte ich ein wenig mehr ins Detail gehen und beschreiben, wie wir bei der täglichen Fallarbeit vorgehen, welche Methoden wir nutzen und wie sie funktionieren.
Um auch aus schwierigen und sehr schwach ausgeprägten biologischen Spuren von einem Tatort noch ein aussagekräftiges DNA-Profil erzeugen zu können, ist es notwendig, sich zuerst mit der Spurenkunde zu befassen. Dazu zählt nicht nur die Beschreibung der Beschaffenheit der vielen verschiedenen möglichen Spuren, sondern auch die Identifikation ihrer Art und Zusammensetzung und die für ihre optimale Sicherung notwendigen Kenntnisse.
Wichtig ist, zu verstehen, daß in Deutschland nicht oder nur in den seltensten Fällen die forensischen Wissenschaftler selbst es sind, sondern Beamte von Spurensicherung/Erkennungsdienst, die eine Spur am Tatort sichern, die also die eigentliche „CSI (crime scene investigation)-Tärigkeit” ausüben. Diese umfasst eine genaue Dokumentation der Zustände am Tatort, das Aufspüren und Erkennen von Spuren (die nicht mit dem bloßen Auge sichtbar sein müssen), das fachgerechte und von der Art der Spur abhängige Sichern und Konservieren der Spur für die nachfolgende Analyse.
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über typische Asservate (die Zahl der möglichen Asservate ist natürlich nahezu unbegrenzt – neulich war ein „Asservat” übrigens eine zu 75% vertilgte Pizza Tonno ;-)) und darüber, woher die DNA, die von ihnen gesichert werden kann, meistens stammt.
Diese und andere Asservate stammen meist von einem Tatort, wo sie in akribischer Kleinarbeit gesammelt werden.
Wie man auf dem Bild sieht, kann die Situation an (möglichen) Tatorten dabei sehr unübersichtlich und das Spurenbild sehr komplex sein. Bei der Sicherung der Spur muß der Ermittler zudem höchste Vorsicht und Sorgfalt obwalten lassen, um sie nicht durch den Prozess der Sicherung selbst zu zerstören, zu verfremden oder eine Kontamination (z.B. mit seiner eigenen DNA) einzubringen. Daher ist ein Vollkörperanzug, einschl. Überschuhen, Mundschutz, Haube, Schutzbrille und Handschuhen absolute Pflicht bei der Spurensicherung.
Aber was sind denn nun Spuren? Natürlich gibt es zahllose Arten von Spuren, die von den verschiedenen forensisch-wissenschaftlichen Disziplinen analysiert werden, z.B. Fingerspuren (sog. „Fingerabdrücke”), chemische Spuren (man denke an Brandbeschleuniger, Sprengsätze etc.), Faserspuren, ballistische Spuren (also Rückstände von Schußwaffen) usf. Die Spuren, die den Forensischen Genetiker interessieren, sind die biologische Spuren, also zell- und damit DNA-haltige Hinterlassenschaften von Lebewesen. An Tatorten von Verbrechen sind dies natürlich besonders häufig Blutspuren. Aber auch Speichel- und besonders bei Sexualdelikten Spermaspuren werden oft gefunden. Dank der modernen Analysemethoden können heute auch einzelne Haare und Hautabriebspuren bearbeitet werden. Darüberhinaus kann natürlich auch jede andere Art biologischer Spur vorkommen, z.B. Zähne, Knochen, Organe oder Gewebe.
Menge und Verteilung der biologischen Spuren kann dabei extrem stark variieren. Von der riesigen Blutlache, in der ein mit 20 Stichen getötetes Mordopfer liegt, bis zur minimalen Hautabriebspur an einem in der Lampenschale versteckten Drogenbeutel aus Plastik ist jede Variation möglich.
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Methoden der Sicherung verschiedener Spurenarten, die angewendet werden, um die Spuren sicher zu konservieren und transportfähig zu machen.
* eine Art großes, steriles Wattestäbchen
§ speziell imprägniertes Papier zur Sicherung von biologischen Spuren (LM Smith and LA Burgoyne. Collecting, archiving and processing DNA from wildlife samples using FTA® databasing paper; BMC Ecol. 2004; 4: 4.)
$ gebrauchsfertige Zusammenstellung aller für eine Spurensicherung nach einem Sexualdelikt notwendigen Formulare, Bestecke und Behältnisse (Beispiel )
Auf solche Weise gesicherte Spuren kommen dann bei uns im Labor an. Manchmal sind es (s. Tabelle) vollständige Gegenstände.
Das Bild zeigt z.B. eine blutbeschmierte Tatwaffe, in deren Behältnis zudem ein Haar und verschiedene Schmutzpartikel gefunden wurden. Alle folgenden Schritte werden in einem besonders sauberen, streng zugangsbeschränkten und entsprechend ausgestatteten Spurenlabor durchgeführt. Asservate, die bei uns ankommen, werden zuallererst genau so, wie wir sie bekommen haben, und immer zu zweit dokumentiert: d.h. in verschiedenen Ansichten und Auflösungen photographiert, verbal beschrieben, katalogisiert und in unsere EDV eingegeben, um sie nachher einem Spurengutachten zuordnen zu können. Bevor wir mit der Extraktion der DNA beginnen können, ist es äußerst wichtig, die Spur zu „verstehen”. Wir müssen wissen, womit wir es zu tun haben. Manchmal ist das sehr leicht, wie auf dem Bild mit dem Messer: Auf der Klinge befindet sich eine große Menge einer getrockneten, rotbraunen Flüssigkeit, sehr wahrscheinlich Blut. Wir gehen in solchen Fällen und wenn nichts anderes dagegen spricht, provisorisch davon aus, daß es Blut ist und behandeln die Spur als sei sie Blut, setzen also für Blut optimierte Verfahren ein. Dabei ist immer äußerste Vorsicht geboten, da biologische Spuren und besonders Blut natürlich auch infektiös sein können. Stellt sich einmal heraus, daß eine solche Spur kein Blut ist, so ist noch genug davon übrig, um eine neue Analyse zu starten. Manchmal ist es aber unmöglich, aus der äußeren Beschaffenheit der Spur auf ihre Zusammensetzung und Herkunft zu schließen. Ein heikles Beispiel wäre ein Kinderschlafanzug mit einer kleinen, weißlichen, sekretverdächtigen Anhaftung, der von einem Kind stammt, welches bei einer Routineuntersuchung dem Kinderarzt durch verstörtes Verhalten aufgefallen ist. Ist der weißliche Fleck nur eingetrockneter Speichel des Kindes? Oder vielleicht nur Zahnpasta? Oder ist es eine Spermaspur, in welchem Falle natürlich die Vermutung des sexuellen Mißbrauchs im Raum stünde. Bei solchen uneindeutigen Spurenbildern und besonders, wenn nur eine sehr kleine Spur, die kein „Rumprobieren” gestattet, vorhanden ist, werden sogenannte „Vortests” durchgeführt, also Verfahren, die vor der Erzeugung eines DNA-Profils die Klassifizierung der Spur ermöglichen sollen. Vortests zeigen an, ob eine bestimmte Spur Blut, Speichel, Sperma und/oder andere Körperflüssigkeiten enthält und ermöglichen damit die Identifikation der Spurenart. Die Bandbreite der Vortests ist dabei sehr groß und es gibt viele verschiedene Verfahren für jede Spurenart, die sich in Einfachheit der Handhabung, Sensitivität (je höher, desto besser, aber desto höher auch die Wahrscheinlichkeit eines falsch positiven Tests) und Spezifität (je höher, desto besser, aber desto höher auch die Wahrscheinlichkeit eines falsch negativen Tests) stark unterscheiden. Dazu zählen auch die bereits am Tatort einsetzbaren Tests, die man verwendet, um z.B. abgewaschene Blut- oder Spermaspuren im UV-Licht sichtbar zu machen. Die Entwicklung immer besserer und spezifischerer Vortest-Verfahren ist ein aktives Feld der forensisch-biologischen Forschung (und auch eines meiner eigenen Projekte befasst sich damit – dazu später mehr) und die „alten” chemischen Tests werden in absehbarer Zeit wohl obsolet sein. Dennoch gehören sie zu den „Klassikern” und die folgende Tabelle gibt Beispiele für solche Tests:
Neuere und wesentliche coolere Verfahren benutzen die in den verschiedenen Körperflüssigkeiten differentielle Genexpression. Um das en detail erklären zu können, müßte ich als Vorbereitung erstmal einen Basic-Genetics-Artikel über Genexpression und ihre Regulation schreiben (kommt noch), hier erstmal nur soviel: die molekularen Korrelate der Genexpression sind die sogenannten messenger-RNAs (mRNAs), Moleküle aus Ribonukleinsäure, die Abschriften (“Transkripte”) von Teilen der DNA enthalten. Diese Transkripte sind Grundlage, sagen wir “Rezepte” für die Herstellung von gerade in der Zelle benötigten Genprodukten. Weil sich die verschiedenen Zellarten (z.B. Blutzellen im Blut und Schleimhautzellen im Speichel) aber voneinander unterscheiden und daher ganz unterschiedliche Genprodukte für ihre „Arbeit” brauchen, befinden sich in ihnen auch zu jedem Zeitpunkt unterschiedliche mRNAs. Genau das macht man sich zunutze, um z.B. Speichel von Blut oder anderen Spurenarten zu unterscheiden, indem man diese für die entsprechende Spurenart spezifischen mRNAs nachweist. Diese Methode funktioniert ausgezeichnet und klappt sogar bei komplexen Mischungen.
Das Bild, ohne jetzt auf meßtechnische Details einzugehen, zeigt (a) die Analyse einer hochkomplexen Mischspur, die aus vier Spurenarten besteht: Blut, Speichel, Samen und Vaginalsekret (Quelle: Forensic Science International 152 (2005) 1-12).
Im unteren Teil des Bildes (b) sind die für die jeweilige Spurenart spezifischen mRNAs (bzw. Genprodukte) aufgeführt. Diese sind für Blut: SPTB, PBGD, für Speichel: HTN3, STATH, für Sperma: PRM1, PRM2 und für Vaginalsekret: HBD-1, MUC4, jeweils dargestellt durch einen zinkenartigen „Ausschlag” oder „Peak”.
Man sieht, daß in der Mischspur alle Peaks der jeweiligen Spurenarten vertreten sind und kann daher auf die Zusammensetzung der Mischspur schließen. Würden in ihr z.B. die Peaks für SPTB und PBGD fehlen, müßte man davon ausgehen, daß in einer solchen Mischung kein Blut enthalten ist usf. Diese Methode ist dadurch viel leistungsfähiger und spezifischer als die einfachen Vortests, ist aber auch wesentlich aufwendiger und zeitintensiver.
Wenn dann schließlich die Vorarbeit abgeschlossen, die Spur dokumentiert, charakterisiert und interpretiert ist, folgt der nächste Schritt: die kontextgerechte DNA-Extraktion und -Quantifizierung. Darüber lesen Sie im nächsten Teil unserer beliebten Serie… 😉
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