Der Wissenschaftler, der der Gesprächspartner ist, wird die Argumente, die sein Fachgebiet betreffen, widerlegen können, kann sich aber meist nicht fundiert (und diesen Anspruch sollte man, gerade als Wissenschaftler an sich stellen) zu Argumenten aus anderen Bereichen äußern. Ein Biologe könnte leicht das angebliche Fehlen von Übergangsfossilien oder die immer wieder gern lancierten Beispiele für vermeintlich unreduzierbare Komplexität widerlegen, sich aber ggf. nicht hinreichend detailliert zu angeblichen Schwächen bei der Radiocarbon-Datierung oder behaupteten Unstimmigkeiten bei der Plattentektonik im Pleistozän äußern, was, bei geschickter rhetorischer Ausnutzung und entsprechender Zusammensetzung des Publikums, den Eindruck erwecken kann, als habe der Kreationist ein unwiderlegbares Argument, wo es in Wirklichkeit nur vom gegebenen Gesprächspartner gerade nicht widerlegt werden kann. Es ist daher immer äußerst undankbar und schwierig, in solchen Disputen eine gute Figur machen zu müssen (Hilfe: s. Literatur) und die Wissenschaft gegen den Aberglauben zu verteidigen, insbesondere deshalb, weil die Kreationisten gar nicht an einer offenen Diskussion interessiert sind und sich durch noch so viele Argumente und Beweise ohnehin nicht überzeugen lassen, da sie bei ihrer Position auch nie durch ebensolche angelangt sind. Ich kann daher jede(n) verstehen, der/die eine Debatte mit Kreationisten ablehnt, weil er/sie der Meinung ist, daß allein ein gemeinsamer Auftritt und ein ernsthaftes Gespräch mit solchen Leuten, diese aufwerten und ihnen und ihrer Antiwissenschaft eine viel zu große Legitimation einräumen würde.
Aber was treibt die Kreationisten an? Woher kommt dieser Eifer und die Kraft, trotz der massiven und für sie völlig unüberwindlichen Evidenz der echten Wissenschaften gegen deren grundlegende Theorien zu kämpfen? Es kann kaum das Interesse an schlechter Wissenschaft sein. Ich glaube, es ist religiöser Eifer, der sich auf dem Feld der Wissenschaft aber eben mit religiösen statt wissenschaftlichen “Instrumenten” behaupten will. Kreationisten bieten Propaganda statt Daten, Dogma statt Zweifel, Überlieferung statt Überprüfung, Bibelzitate statt Experimente, einfache Antworten statt langwierige, mäandernde Erklärungen und emotionale Glaubensüberzeugung statt testbarer Hypothesen. Dabei ist ihr Kampf schon verloren bevor er angefangen hat, Blogs, Webcomics, Youtube-Channels etc. schütten Spott und Hohn über ihnen aus, aber sie sind dennoch überzeugt, diesen Kampf führen zu müssen, weil sie aus ihrem jeweiligen Offenbarungsbuch und dessen wörtlicher Auslegung folgern, daß dies der Wille ihrer jeweiligen Gottheit sei.
Sie fühlen sich in ihrer Eitelkeit und der “ihres” Schöpfers verletzt, wenn die Evolutionstheorie sie lehren will, daß der Mensch nichts Besonderes, keine Krone (nicht einmal eine Dornenkrone) der Schöpfung sondern eher eine vorübergehende Laune ist, ja daß es nicht mal eine Schöpfung, nur eine Entwicklung gibt, daß sie mit den Menschenaffen über 98% genetische Identität und gemeinsame Vorfahren besitzen, daß das Universum kalt, leer und gleichgültig ist, daß die Wissenschaft in ihren Experimenten keinen Sinn für ihr Leben und keine Berechtigung, die Natur auszuplündern oder bestimmten Menschen einen höheren Wert als anderen zuzumessen, finden kann. Keine andere wissenschaftliche Theorie ist so unbequem, ernüchternd und Bescheidenheit gebietend und keine andere Theorie macht einen Schöpfergott als Urheber des Lebens in all seiner Komplexität, Verworrenheit und Unlogik so überflüssig und entbehrlich und so klar als menschengemacht und menschengewünscht durchschaubar, wie die Evolutionstheorie. Deshalb, weil diese Theorie so tief in fundamentale “Gewissheiten”, Befindlichkeiten und auch das Gefühl des “In-der-Welt-geborgen-Seins” eingreift und die gewohnte, heimelige, lieb gewonnene und benötigte Vorstellung einer personalen, liebevollen, gütigen und zugewandten Gottheit so krass zurechtstutzt, streitig macht und bis hinter den Urknall zurückdrängt, müssen diese Menschen so entschlossen dagegen vorgehen und dabei sogar in Kauf nehmen, alles zu leugnen, zu ignorieren und sogar zu verzerren, was die Weltwissenschaft in Jahrhunderten erkannt und in Form von überwältigender Evidenz vor ihnen aufgetürmt hat. Sie lehnen in mutwilliger, sehnsüchtiger Irrationalität Wahrheit und Wissen ab, sobald diese mit ihrem Glauben und Hoffen nicht übereinstimmen, wie ein Kind, das denkt es sei unsichtbar, solange es sich nur die Augen zuhält.
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