Eine besonders für Biologen nervige, lästige aber auch ärgerliche Pseudowissenschaft stellt der Kreationismus dar, sei es in Form des kaum gefilterten biblischen Schöpfungsmythos oder in der besser maskierten und doch völlig unwissenschaftlichen Larve des “intelligent design“.
In diesem Post werde ich mich, auch anläßlich einiger Trolle, die sich zur Zeit in den Kommentarthreads der wenigen Beiträge, die ich erst verfasst habe, umtun, eindeutig zu Evolution und Kreationismus/ID positionieren. Ferner lege ich aus meiner Sicht die grundlegenden Strategien des Kreationismus dar und beschreibe, wie es sein kann, daß er sich trotz der erdrückenden Beweislage gegen ihn immer noch halten kann und auch in Europa zu verbreiten trachtet.
Zunächst zu den echten Fakten: die Erde besteht aus den Leichenresten eines explodierten Sterns und ist ca. 4,56 Milliarden Jahre alt. Die Anfänge primitivsten, aquatischen Lebens auf ihr, und erst ab hier beginnt die Evolution und erwacht das Interesse der Biologie, werden auf ca. 3,5 Milliarden Jahre in der Vergangenheit geschätzt. Seit es auf Nukleinsäure als Erbmaterial basiertes Leben gibt, gibt es Evolution, die “Entwicklung” und stetige Veränderung der Lebewesen durch Variation und natürliche Auslese in ständiger Wechselwirkung mit einer sich verändernden Umwelt und später auch im Wettbewerb mit anderen Lebewesen. Der Prozess beruht zu einem Teil auf zufälliger Variation durch Mutation, zu einem weiteren Teil auf ebenfalls ungerichteter Rekombination der Erbanlagen (dies jedoch nur bei sexueller Fortpflanzung) und zu einem Teil auf der gar nicht zufälligen Selektion der Individuen, die am besten an die gegebenen Umweltbedingungen angepasst sind. Die Evolution ist damit ein zielloser (im teleologischen Sinne) aber nicht ungerichteter (im chaotischen Sinne) Prozess der Optimierung, der doch nie zu einem Ende gelangen kann. Wie schon ausgeführt, ist keine Lebensform geplant gewesen oder stellt einen Endzustand dar und das gesamte Geschehen ist bis ins (zwar noch nicht letzte) Detail durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse zu erklären.
An dieser Stelle könnte ich den Artikel abbrechen, da man im Jahr 2011 und angesichts der aus nahezu allen naturwissenschaftlichen Disziplinen zusammengetragenen, sich bestätigenden und ergänzenden Evidenz kaum ernsthaft eine andere Position vertreten kann. Oder? Tja, leider: oder.
Vornehmlich in den USA und muslimischen Ländern, als Faustregel kann man sagen: in Ländern mit hoher Religiosität herrschen auch heute noch in weiten Teilen der Bevölkerung kreationistische, d.h. schöpfungsgläubige Weltauffassungen vor. Es existieren dabei wilde Gemische zwischen den Extremen des beispielsweise die Bibel wörtlich nehmenden “Gott schuf die Welt und das Leben in 6 Tagen und aus der Bibel läßt sich errechnen, daß dies vor ca. 6000 Jahren war” und dem zwar ein kreationistisches Element enthaltenden, doch mit der Wissenschaft weit eher (noch) zu vereinbarenden “Gott ist nicht nachweisbar und hat die Entstehung der Welt geplant und per Urknall initiiert, der Rest steht in den Fachbüchern”.
Was ist mit den Kreationisten? Natürlich soll und kann grundsätzlich jeder glauben, was er will, egal wie albern oder absurd es anderen erscheinen mag. Ein Problem ergibt sich aber immer dann, wenn andere “Unschuldige” oder Abhängige, wie z.B. Kinder, durch die Glaubensvorstellungen ihrer Eltern oder Vormünde und deren Bedürfnis, jene den Kindern aufzuprägen, Schaden nehmen. Unter “Schaden” fällt meiner Ansicht nach auch das Erlernen und Verinnerlichen von falschem, ideologisch geprägtem “Wissen”. Leider ist genau das die Strategie des Kreationismus. Kreationisten wissen, daß ihre “Geschichten” in der bestehenden scientific community, der wissenschaftlichen Weltgemeinschaft, die ihre eigene Sprache, Qualitätskriterien und Korrekturmechanismen entwickelt hat und die den Zweifel und die Skepsis zu ihren höchsten Tugenden rechnet, absoult keine Chance haben. Tatsächlich sucht man kreationistische Aufsätze in den anerkannten Zeitschriften und Journalen, in denen sich die scientific community mitteilt, ihre Ergebnisse vorstellt und diskutiert, vergebens. Denn dem Kreationismus fehlt zur Gänze die wichtigste “Währung” aller Wissenschaft, die Evidenz: er hat keine Daten hervorgebracht und arbeitet nur mit ihrem Wesen nach untestbaren Hypothesen. Dies macht seine Hervorbringungen ungeeignet für jede wissenschaftliche Publikation und verbietet, ihn als Wissenschaft aufzufassen. Seine Vertreter wissen das, schieben es freilich offiziell auf eine Verschwörung der bösen “Big Science” und sehen daher die Notwendigkeit, stattdessen auf die nachwachsenden und möglicherweise noch für ihre Manipulation vulnerablen Generationen, die Schulkinder und Studenten, Einfluß zu nehmen und dafür zu sorgen, daß sie kreationistisches Gedankengut bereits verinnerlicht und konsolidiert haben und mit sich tragen, wenn sie sich auf den Weg machen, die Forscher und Wissenschaftler von morgen zu werden.
Genau das wird, teils mit besorgniserrgendem Erfolg – je nachdem, in welchem Land man sich umsieht – versucht, indem Kreationisten große Anstrengungen unternehmen, ihre Lehre gleichberechtigt mit der Evolutionstheorie (ET) (oder am liebsten ausschließlich) im Biologieunterricht auf den Lehrplan zu bringen. In den USA, im Staat Pennsylvania ist ein hochbeachteter Prozess, der die Entlarvung von “intelligent design” als lediglich ein Pseudopodium des Kreationismus’ bewirkte, für die Kreationisten zwar gescheitert, doch in anderen US-Bundesstaaten wird den Schülern immer noch suggeriert, es gebe eine echte wissenschaftliche “Kontroverse” über die Gültigkeit der Evolutionstheorie, betrieben hauptsächlich von einem konservativ-religiösen “think tank”, also einer antiwissenschaftlichen Propaganda-Institution, dem “Discovery Institute“. In Kentucky wurde sogar vor ein paar Jahren für sagenhafte 27$ Mio. ein “Museum” (man müßte eigentlich 3-fache “” schreiben) errichtet, in dem die biblische Schöpfungsgeschichte als Lehr- und Anschauungsstoff dargeboten und als faktisch wahr dargestellt wird. Zur gleichen Zeit überschwemmte aus der Türkei der überaus kontroverse Kreationisten-Hardliner Adnan Oktar (Pseudonym: Harun Yahya) die Schulen der Welt (meist sogar kostenlos) mit seinem äußerst aufwendig und teuer produzierten “Atlas of Creation”, einem Machwerk, das teils auf kurios falsche Weise die Schöpfungslehre in Bild und Wort belegen und dies bereits in den Köpfen der Schüler verankern soll.
An diesen und vielen weiteren Beispielen, von denen auch Deutschland ein paar unrühmliche zu bieten hat, sieht man, wie eifrig und unnachgiebig die Einflußnahme auf Schüler und Schulen betrieben wird und wie wichtig es ist, diese Gefahr zu erkennen und dagegen vorzugehen, indem man aufklärt, warnt und mit dem schwersten Pfunde wuchert, das die echte Wissenschaft aufbieten kann: Evidenz! Diese muß man so darstellen, auch und besonders für Kinder, daß klar wird, warum die Evolutionstheorie so stark ist und daß es nicht so ist, als dürfe man sie nicht bezweifeln, sondern daß sie einfach bislang allen Zweifeln standgehalten hat. Man muß erklären, warum man mit ihr soviel erklären kann, wie unersetzlich sie für alle anderen biologischen Disziplinen ist und warum es generell so wichtig ist, Beweise für seine Behauptungen und Ideen zu finden. Kinder sollten ermutigt werden, gerade Erwachsene zu fragen: “Wie kannst Du das wissen?”
Da die kreationistische Schöpfungslehre bis dato keinerlei Evidenz hervorgebracht hat, – die Bibel zählt sehr zum Verdruss der Kreationisten nicht als Evidenz – müssen sich ihre Verfechter mit Rhetorik, Propaganda und inszenierten Disputen behelfen, in welchen sie sich ausschließlich mit negativer Argumentation, also mit Angriffen auf die ET begnügen. Natürlich verkennen sie dabei die Tatsache, daß, selbst wenn die ET sich eines Tages als falsch herausstellen würde, dies keinesfalls bedeutete, daß damit automatisch der Kreationismus die richtige Erklärung liefern würde (falsche Dichotomie). Doch diese und andere rhetorische und intellektuelle Unredlichkeiten gehören leider zum festen Repertoire kreationisticher Apologeten. Zum Beispiel wird auch häufig versucht, die Evolutionstheorie moralisch oder ideologisch anzugreifen, indem behauptet wird, daß sich die Nazis der Theorie bedient hätten, um ihre selektiven Morde zu rechtfertigen (was nicht nur falsch und absurd ist, sondern auch nicht im mindesten, selbst wenn es so wäre, die Gültigkeit und Leistungsfähigkeit der ET verändern würde) bzw. indem sie sie mit Atheismus assoziieren, als müsse, wer die ET vertritt, Atheist sein (und als wäre das etwas schlimmes).
In Debatten und Podiumsdiskussionen gehen Kreationisten meist auf die gleiche Weise vor: sie haben einen vorbereiteten Strauß von teils pseudowissenschaftlichen, teils moralischen, teils scheinbar logischen Argumenten gegen die ET und zwar völlig unabhängig von ihrem Gesprächspartner. Man kann sich den “Schatz” der Kreationistenargumente wie eine billige Grabbelkiste im 1€-Laden vorstellen, in die die meisten dieser Leute einmal blind reingegriffen und 5 oder 6 “Argumente” herausgeholt haben. Diese tragen sie dann mit sich herum und denken in unüberbietbarer Arroganz, sie können im Handstreich diese ach so törichte ET widerlegen.
Der Wissenschaftler, der der Gesprächspartner ist, wird die Argumente, die sein Fachgebiet betreffen, widerlegen können, kann sich aber meist nicht fundiert (und diesen Anspruch sollte man, gerade als Wissenschaftler an sich stellen) zu Argumenten aus anderen Bereichen äußern. Ein Biologe könnte leicht das angebliche Fehlen von Übergangsfossilien oder die immer wieder gern lancierten Beispiele für vermeintlich unreduzierbare Komplexität widerlegen, sich aber ggf. nicht hinreichend detailliert zu angeblichen Schwächen bei der Radiocarbon-Datierung oder behaupteten Unstimmigkeiten bei der Plattentektonik im Pleistozän äußern, was, bei geschickter rhetorischer Ausnutzung und entsprechender Zusammensetzung des Publikums, den Eindruck erwecken kann, als habe der Kreationist ein unwiderlegbares Argument, wo es in Wirklichkeit nur vom gegebenen Gesprächspartner gerade nicht widerlegt werden kann. Es ist daher immer äußerst undankbar und schwierig, in solchen Disputen eine gute Figur machen zu müssen (Hilfe: s. Literatur) und die Wissenschaft gegen den Aberglauben zu verteidigen, insbesondere deshalb, weil die Kreationisten gar nicht an einer offenen Diskussion interessiert sind und sich durch noch so viele Argumente und Beweise ohnehin nicht überzeugen lassen, da sie bei ihrer Position auch nie durch ebensolche angelangt sind. Ich kann daher jede(n) verstehen, der/die eine Debatte mit Kreationisten ablehnt, weil er/sie der Meinung ist, daß allein ein gemeinsamer Auftritt und ein ernsthaftes Gespräch mit solchen Leuten, diese aufwerten und ihnen und ihrer Antiwissenschaft eine viel zu große Legitimation einräumen würde.
Aber was treibt die Kreationisten an? Woher kommt dieser Eifer und die Kraft, trotz der massiven und für sie völlig unüberwindlichen Evidenz der echten Wissenschaften gegen deren grundlegende Theorien zu kämpfen? Es kann kaum das Interesse an schlechter Wissenschaft sein. Ich glaube, es ist religiöser Eifer, der sich auf dem Feld der Wissenschaft aber eben mit religiösen statt wissenschaftlichen “Instrumenten” behaupten will. Kreationisten bieten Propaganda statt Daten, Dogma statt Zweifel, Überlieferung statt Überprüfung, Bibelzitate statt Experimente, einfache Antworten statt langwierige, mäandernde Erklärungen und emotionale Glaubensüberzeugung statt testbarer Hypothesen. Dabei ist ihr Kampf schon verloren bevor er angefangen hat, Blogs, Webcomics, Youtube-Channels etc. schütten Spott und Hohn über ihnen aus, aber sie sind dennoch überzeugt, diesen Kampf führen zu müssen, weil sie aus ihrem jeweiligen Offenbarungsbuch und dessen wörtlicher Auslegung folgern, daß dies der Wille ihrer jeweiligen Gottheit sei.
Sie fühlen sich in ihrer Eitelkeit und der “ihres” Schöpfers verletzt, wenn die Evolutionstheorie sie lehren will, daß der Mensch nichts Besonderes, keine Krone (nicht einmal eine Dornenkrone) der Schöpfung sondern eher eine vorübergehende Laune ist, ja daß es nicht mal eine Schöpfung, nur eine Entwicklung gibt, daß sie mit den Menschenaffen über 98% genetische Identität und gemeinsame Vorfahren besitzen, daß das Universum kalt, leer und gleichgültig ist, daß die Wissenschaft in ihren Experimenten keinen Sinn für ihr Leben und keine Berechtigung, die Natur auszuplündern oder bestimmten Menschen einen höheren Wert als anderen zuzumessen, finden kann. Keine andere wissenschaftliche Theorie ist so unbequem, ernüchternd und Bescheidenheit gebietend und keine andere Theorie macht einen Schöpfergott als Urheber des Lebens in all seiner Komplexität, Verworrenheit und Unlogik so überflüssig und entbehrlich und so klar als menschengemacht und menschengewünscht durchschaubar, wie die Evolutionstheorie. Deshalb, weil diese Theorie so tief in fundamentale “Gewissheiten”, Befindlichkeiten und auch das Gefühl des “In-der-Welt-geborgen-Seins” eingreift und die gewohnte, heimelige, lieb gewonnene und benötigte Vorstellung einer personalen, liebevollen, gütigen und zugewandten Gottheit so krass zurechtstutzt, streitig macht und bis hinter den Urknall zurückdrängt, müssen diese Menschen so entschlossen dagegen vorgehen und dabei sogar in Kauf nehmen, alles zu leugnen, zu ignorieren und sogar zu verzerren, was die Weltwissenschaft in Jahrhunderten erkannt und in Form von überwältigender Evidenz vor ihnen aufgetürmt hat. Sie lehnen in mutwilliger, sehnsüchtiger Irrationalität Wahrheit und Wissen ab, sobald diese mit ihrem Glauben und Hoffen nicht übereinstimmen, wie ein Kind, das denkt es sei unsichtbar, solange es sich nur die Augen zuhält.
Ich verstehe, daß Kreationisten ein fundamentales Bedürfnis nach einer Art metaphysischer Geborgenheit haben und ich verurteile das auch nicht, doch ich finde es schade, daß sie sich sogar den Versuch versagen, uns Atheisten zu verstehen und zu erleben, wie erfüllt und glücklich auch ein Leben ohne Gott, ohne Schöpfer, ohne “Gängelband” sein kann, wieviel wertvoller sich dadurch dieses eine, endliche Leben anfühlt und wie schön und erhaben das Gefühl ist, sein eigener Mensch, nur vor sich selbst verantwortlich, ja Zweck an sich selbst zu sein und die atemberaubende Möglichkeit zu haben, diesem Leben, diesem kurzen Aufblitzen vor der Schwärze zwischen Noch-nicht und Nicht-mehr, selbst einen Sinn zu geben.
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Literaturempfehlung:
“The Counter-Creationism Handbook” von M. Isaak; großartiges Buch, das die Antworten mit Belegen gegen die Kreationisten-Evergreens zusammenfasst und griffbereit macht – habe ich fast immer in der Tasche!
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