Nicht hilfreich ist hier sicher die latente Wissenschaftsfeindlichkeit in der Politik. So kommt es einem zumindest vor, angesichts dessen, was viele Regierungen durch von ihnen erlassene Gesetze tun. Ein krasses Beispiel ist die Türkei, die ein Gesetz erlassen hat, das in völliger Verkennung der wissenschaftlichen Alltagsarbeit die Erzeugung von gentetisch modifizierten Organismen verbietet und damit die komplette molekularbiologische und biomedizinische Forschung der Türkei vor das Aus führt, aber auch die Schweiz , mit ihrer gesetzlich verordneten Beachtung der “Pflanzenwürde” und Deustschland sind gut mit dabei. Trotz der historischen Lektion durch einen Lyssenko läßt sich die Politik viel zu häufig zum Kettenhund der Ideologen degradieren und geriert sich dann in religiös motivierter oder lobbygewollter Fortschrittsfeindlichkeit. Erleichternd für solche Manipulierbarkeit kommt da hinzu, daß sich auch die Kenntnisse über und – so steht es zu befürchten – die Einstellung der Politiker zu den Naturwissenschaften nicht wesentlich von denen der Bevölkerung unterscheiden dürften. Es soll nicht eigennützig klingen, aber die Naturwissenschaftler sollten eigentlich die gefeierten Helden statt die mißtrauisch beäugten Freaks eines jeden aufgeklärten Landes sein. Stattdessen werden ihnen durch hirnrissige Gesetze die Hände gebunden, die grundgesetzlich eigentlich garantierte freie Forschung untersagt, Bedingungen so verschlechtert und die Mittel so verknappt, daß vernünftige Arbeit kaum noch möglich ist und so, zusammen mit dem Eindruck, in einem forschungsfeindlichen Klima ein unerwünschter Störenfried zu sein, die nicht mehr allzu unterschwellige Botschaft vermittelt: “Wir wollen Euch nicht!”. (Hinweis: viele Wissenschaftler reagieren darauf nicht, indem sie eingezogenen Hauptes trotzdem hierbleiben, sondern dahin gehen, wo man schon etwas weiter ist mit der Aufklärung.)
Ein weiteres Hindernis für die freiwillige Beschäftigung mit den Naturwissenschaften ist sicher das immer noch niedrigere Ansehen naturwissenschaftlicher verglichen mit der geisteswissenschaftlichen, leider “klassisch” genannten Bildung. Das geht so weit, daß ein Herr Schwanitz sich in seinem viel diskutierten und viel gekauften Kompendium “Bildung – Alles was man wissen muß” dazu versteigen konnte, durchblicken zu lassen, naturwissenschaftliche Bildung sei nicht notwendig, gar unfein und nicht “gentlemanlike”, man könne und dürfe ruhig damit kokettieren, nichts über die Natur und ihre Gesetze zu wissen. Ich finde das schlimm und borniert und höchst gefährlich! Viele Menschen wissen nicht einmal die grundlegenden Dinge über die sie umgebende Welt, die ihnen doch täglich begegnen, wissen nicht und könnten einem fragenden Kind nicht erklären, warum der Himmel blau ist und Blätter grün sind, verstehen nicht, warum sie bei einer Vollbremsung im Auto nach vorne geschleudert werden, kennen den Unterschied zwischen Bakterien und Viren nicht, haben noch nie von der PCR gehört, könnten nicht sagen, was genau elektrischer Strom, ein Gen, eine Säure, ein Gas oder ein Atom ist. Zu diesen “vielen Menschen” gehören übrigens durchaus auch Professoren für Literatur oder Kunstgeschichte, die nicht eigentlich als ungebildet gelten dürften, aber auch die meisten Politiker, die dieses Land regieren sollen. Wenn man nicht weiß, wer Alexander Fleming, Gregor Mendel oder wer James C. Maxwell war, so gilt dies als sehr verzeihlich. Wenn man hingegen bekundete, noch nie von einem gewissen “Goethe” oder “Hitler” oder “Caesar” oder “Jesus” gehört zu haben, fielen die Reaktionen zwischen ungläubig und mitleidig aus. Wie kann das sein? Woher kommt dieses Ungleichgewicht und kann sich ein demokratischer Staat eine Bevölkerung erlauben, die mangels Kenntnis über einen großen Teil politischer Fragen, die naturwissenschaftliche Themen betreffen und enormen Einfluss auf Leben und Entwicklung im eigenen Land haben können, nicht mündig zu urteilen vermag?
Es ist ja wahr, daß die Naturwissenschaften als “schwer” gelten, vielleicht gar als “unzugänglich” und heutezutage über einen so enormen Wissensschatz verfügen, daß selbst ausgebildete Naturwissenschaftler in ihrer eignen Disziplin immer nur einen relativ kleinen Bereich wirklich durchdringen können und die Universalgelehrten des Formates Leibniz, die in allen Disziplinen auch in der Tiefe bewandert waren, sind heute völlig unmöglich. Dennoch halte ich es für möglich und nötig, daß auch naturwissenschaftliche Laien sich in den Naturwissenschaften soweit bilden können, daß sie die wichtigsten und bedeutendsten Wissenschaftler, Theorien und Errungenschaften aus den großen Disziplinen kennen, ihre Bedeutung erkennen und auch ein grundlegendes Verständnis der Welt um sie herum entwickeln, das es ihnen ermöglicht, mündige, weil informierte Entscheidungen zu treffen. Es gibt durchaus Bücher (s.u.), die diesen Versuch unternehmen, Interesse vorausgesetzt. Ein gewisses Interesse gibt es wohl auch und oft wurde mir gegenüber bekundet, daß “das alles” ja “so interessant” sei. Nur gibt es offenbar eine schwer zu überwindende Kluft zwischen einem diffusen, allgemeinen Interesse daran, seine Umwelt zu verstehen und dem intellektuellen Aufwand, der zu betreiben wäre, um dieses Interesse zu befriedigen.
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