Noch eine Serie? Naja, sagen wir eine Reihe von Artikeln unter demselben Überbegriff: „WTF Forensik”. In dieser Reihe will ich kuriose Fälle, Ereignisse und Publikationen, die mir in der forensischen Welt begegnet sind, vorstellen.
Warnung: in dieser Reihe wird es immer wieder zu Begegnungen mit und Blicke in die tiefsten menschlichen Abgründe kommen und obgleich ich mich stets bemühen werde, nicht ins Sensationalistische abzugleiten, mag bisweilen die unausgeschmückte Realität bereits mehr sein, als manche(r) erträgt.
Diesmal: Eine wissenschaftliche Arbeit zur Nekrophilie: „Der Begriff Nekrophilie (griechisch νεκροφιλία, von νεκρός, nekrós „Toter”, „Leiche” und φιλία, philía, „Zuneigung”) stammt aus der Psychologie und der Sexualforschung. Er bezeichnet eine Sexualpräferenz, die auf Leichen gerichtet ist. Nekrophilie ist im ICD-10-Verzeichnis der psychischen Störungen unter „Sonstige Störungen der Sexualpräferenz” (F65.8) als Paraphilie klassifiziert.”
aus der Wikipedia
Der Verfasser der Studie, der indische Arzt Anil Aggrawal, befindet, das Problem bei der Klassifizierung von Fällen und Ausübenden von Nekrophilie sei die große “Variationsbreite”, die man bei dieser Paraphilie beobachtee, die dazu führe, daß es zu falschen Einordnungen, Begriffsverwirrungen und Kommunikationsschwierigkeiten kommt.
(Natürlich, wer hätte sich nicht schon oft darüber geärgert, daß die Nomenklatur nekrophilen Verhaltens an Allumfassendheit und Trennschärfe vermissen läßt?!)
Nun, diesen offensichtlichen Mangel hat der Autor zum Anlass genommen, sich mit dem Problem des Nekrophilie-Begriffs zu befassen. Er stellt fest, daß die klinische Literatur zur Nekrophilie äußerst dünngesät ist und zudem keine einheitliche Terminologie zur Beschreibung und Abgrenzung nekrophilen Verhaltens verwendet.
In seiner Arbeit, die eine Synthese aller dem Autor verfügbaren Literatur zur Nekrophilie darstellt, schlägt er vor, Nekrophilie neu und präziser zu klassifizieren und eine ausreichende und die Vielfalt der Erscheinungsformen dieser Paraphilie reflektierende Untergruppierung vorzunehmen. Er scheut dabei nicht vor Kuriositäten zurück, denn folgende Gruppen schlägt er vor:
Klasse 1: Rollenspieler
Der Rollenspieler will keinen Sex mit einer toten Person. Er strebt Sex mit einer lebenden Person an, die nur vorgibt, also „spielt”, daß sie tot ist. Man könne diese Neigung daher auch „Pseudonekrophilie” nennen und dem Autor zufolge existieren in Paris Bordelle, die diese Neigung bedienen, indem die dort tätigen Dienstleisterinnen entsprechend bekleidet, geschminkt und …äh… „lethargisch” sind.
Klasse 2: Romantische Nekrophile
Hinterbliebene, die den Körper (oder einen Teil davon) ihres geliebten Verstorbenen konservieren und aufbewahren, um dadurch eine psychosexuelle Stimulation zu erfahren. Diese Nekrophilen zeigen hingegen kein Interesse am toten Körper eines anderen als des Verstorbenen.
Klasse 3: Nekrophile Fanatasierer
Diese Menschen fantasieren intensiv über den Geschlechtsakt im Zusammenhang mit oder im Umfeld des Todes. Häufig besuchen sie um des Anblicks von Leichen halber Friedhöfe oder Begräbnisfeiern. Manche üben den Geschlechtsakt neben Särgen aus oder masturbieren bei Trauerfeiern.
Die Paraphilen der ersten drei Klassen kommen nur sehr selten in körperlichen Kontakt mit einer Leiche. Diejenigen, denen der Anblick einer Leiche für sexuelle Stimulation ausreicht, werden als „platonische Nekrophile” bezeichnet, wohingegen Menschen, die durch Begräbnis- oder Trauerfeiern erregt werden, als „Taphophile” bezeichnet werden.
Klasse 4: Taktile Nekrophile
Das Interesse an Leichen weitet sich zum Wunsch, sie zu berühren, aus. Taktile Nekrophile streicheln oder lecken „sexuell relevante” Körperteile, wie z.B. die Brüste oder manipulieren die Geschlechtsorgane um sich sexuelle Erregung und Befriedigung zu verschaffen. In diese Klasse fielen, so der Autor, auch Medizinstudenten, die bei der Präparation von Leichen eine Erektion bekommen.
Klasse 5: Fetischistische Nekrophile
Fetischistische Nekrophile trennen Teile, wie z.B. die Brust, einer Leiche ab, konservieren sie und bewahren sie auf, um sie als sexuellen Fetisch für ihre nekrophilen Betätigungen zu verwenden. Sie unterscheiden sich von Klasse 2 dadurch, daß sie auch durch die Teile ihnen fremder Verstorbener erregt werden, sie füllen durch ihre Nekrophilie also nicht (wie bei Klasse 2) das psychosexuelle Vakuum, welches ein geliebter Mensch hinterlassen hat, ausgefüllt wird.
Klasse 6: Nekromutilomanische
Das Interesse an und die Erregung durch Leichen kann nicht mehr durch bloße Berührung befriedigt werden: Menschen mit Nekromutilomanie genießen es, Leichen zu verstümmeln und zu zerstückeln und dabei zu masturbieren. Viele Nekromutilomane versuchen daher, Berufe auszuüben, wie z.B. den des medizinisch-anatomischen Präparators, in denen sie Gelegenheit haben, Leichen mit Schneidwerkzeugen zu Leibe zu rücken.
Klasse 7: Opportunistische Nekrophile
Diese Klasse umfasst Menschen, die eigentlich und normalerweise Sex mit Lebenden haben, jedoch bei einer sich bietenden Gelegenheit sich sexuell mit einer Leiche befassen. Aggrawal nennt als Beispiel einen Mann, der versehentlich seine Partnerin erschoss und sich dann an der Leiche verging. Außerdem fallen in diese Kategorie auch Bestatter, Seeleute und andere Menschen, die leichten Zugang zu Leichen haben können. Aber auch Mörder, die ihren Mord aus anderen Motiven als der sexuellen Befriedigung begangen haben, sich jedoch nach vollbrachter Tat dem Geschlechtsakt mit der Leiche hingeben, zählen hierzu.
Klasse 8: Reguläre oder „klassische” Nekrophile
Die “klassischen Nekrophilen” sind diejenigen, die Sex mit Toten dem mit Lebenden vorziehen, zu letzterem aber imstande sind, auch wenn er ihnen nur wenig Vergnügen bereitet. In dieser (wie auch in jeder anderen) Klasse finden sich vornehmlich Männer.
Klasse 9: Homizidale Nekrophile
Die gefährlichsten Nekrophilen finden sich in dieser Kategorie. Diese Menschen würden einen anderen Menschen töten, um mit seiner Leiche Sex haben zu können. Sie sind zwar in der Lage, Geschlechtsverkehr mit Lebenden auszuüben, aber ihr Drang nach Sex mit Toten ist so groß, daß sie zwanghaft Menschen töten, um sich mit/an der Leiche zu befriedigen. Eine andere Bezeichnung für dieses Verhalten ist “warme Nekrophilie”, da der Geschlechtsakt an der noch nicht abgekühlten Leiche verübt wird. In diese Kategorie fallen auch viele der sogenannten “Lustmörder”. Ein bekannter Vertreter ist Jeffrey Dahmer.
Klasse 10: Exklusive Nekrophile
Vertreter dieser Klasse sind wahrscheinlich am seltensten, denn sie sind nicht mehr fähig, Geschlechtsverkehr mit Lebenden auszuüben. Ihre Sexualität ist ausschließlich auf Leichen ausgerichtet.
Wir kennen nun also 10 Klassen der Nekrophilie und erschöpft schließe ich mich dem Autor in seiner Hoffnung an, daß seine neue, dringend benötigte Taxonomie dieser sexuellen Paraphilie endlich die Verwirrung beendet, die unlängst beim Ringen um Begriffe für dieselbe entstanden war.
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Nachtrag (August 2011):
Soeben erschien ein aktueller Fallbericht über einen 40-jährigen deutschen Nekrophilen im Journal of Forensic and Legal Medicine, der 20 Jahre lang nekrophiles Verhalten gezeigt und zuletzt seine Aktivitäten sogar auf Photo und Video dokumentiert hatte. Unter anderem hatte er Leichen “seziert” und abgetrennte Körperteile für sexuelle Zwecke mit nach Hause genommen (das entspräche wohl den Klassen 5 und 6 aus obiger Auflistung). Der Autor des Fallberichts nimmt übrigens auch ausführlich Bezug auf die Arbeit Aggrawals.
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Literatur:
Aggrawal A (2009). A new classification of necrophilia. Journal of forensic and legal medicine, 16 (6), 316-20 PMID: 19573840
Nachtrag (August 2011)
Boureghda SS, Retz W, Philipp-Wiegmann F, & Rösler M (2011). A case report of necrophilia – A psychopathological view. Journal of forensic and legal medicine, 18 (6), 280-4 PMID: 21771559
Musikvorschläge:
“I love the dead” von Alice Cooper
“Nekrophiler Sonntag” von Totenmond
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