Wir waren natürlich nicht bereit, aufzugeben, und so entschlossen wir uns, den Mangel zu beseitigen und eine eigene, neue Methode zu erfinden. Als Ausgangspunkt wählten wir von den bereits beschriebenen Methoden für DNA-Exktraktion aus Knochen, die wir der Literatur entnommen hatten, solche aus, die besonders schonend mit der DNA verfuhren und andere, die eine besonders hohe Ausbeute an DNA erzielten. Leider sind diese beiden Bestrebungen genau entgegengesetzt: je mehr DNA ein Verfahren gewinnt, desto „brutaler” behandelt es gewöhnlich das Ausgangsmaterial, z.B. durch hohe Temperaturen über längere Zeit oder durch aggressive Chemikalien und gefährdet dadurch die DNA-Integrität.
Also berieten wir uns mit Kollegen darunter eine bekannte Anthropologin, zerlegten die beschriebenen Methoden in ihre vielen Einzelschritte und testeten und kombinierten dann in langwierigen Versuchen und mit großem Aufwand Schritte aus verschiedenen Quellen mit eigenen Ideen, bis wir zu einer neuen, zusammengesetzten Methode gelangten, die, vereinfacht ausgedrückt, einen optimierten Kompromiss zwischen möglichst schonender Behandlung des ohnehin schon stark in Mitleidenschaft gezogenen Materials und einer möglichst hohen DNA-Ausbeute darstellte.
Ein besonders wichtiger Schritt dieser Methode ist die Abtrennung von Knochenspänen vom Knochen: die betreffende Stelle muß zunächst gründlich gereinigt und gut getrocknet werden. Dann wird mit sukzessive feineren Schmirgelpapieren vorsichtig die umweltausgesetzte Oberfläche des Knochens abgetragen und die freigelegte Stelle mit Alkohol erneut gereinigt. Anschließend werden mit einem speziellen Bohrer bei niedriger Drehzahl (damit keine große Reibungswärme entsteht) Späne an der vorbereiteten Stelle aus dem Knochen geschabt und in einem sterilen Gefäß aufgefangen. (Nebenbei: der Geruch, der aus dem Bohrloch in einem solch alten Knochen entströmt, ist „speziell”.) Die Bohrspäne werden schließlich unter flüssigem Stickstoff, der mit ca. -200°C extrem kalt ist, schockgefroren, wodurch sie sehr spröde werden und mit einem Pistill zu feinem Mehl zermahlen werden können. Dieses Knochenmehl dient dann als Ausgangsmaterial für die DNA-Extraktion (wer sich für die genaue Beschreibung des weiteren Verlaufs der Methode interessiert, findet sie in der Literatur).
Mit unserer eigenen Methode gelang es uns schließlich tatsächlich, dem widerspenstigen Knochen beizukommen und DNA aus ihm zu gewinnen, der nun ein vollständiges STR-Profil abzuringen war, das, bei Vorliegen einer Vergleichsprobe, geeignet wäre, den Menschen, zu dem er einst gehörte, eindeutig zu identifizieren. Wahrscheinlicher aber, als daß es noch irgendwo einen Gegenstand mit der DNA des Verstorbenen darauf gibt, ist, daß noch lebende Verwandte von ihm existieren, welche helfen könnten, ihn durch Analyse seines Abstammungsverhältnisses zu ihnen zu identifizieren.
Durch historische Belege konnte die Zahl der für die Knochenherkunft in Frage kommenden Besatzungsmitglieder auf zwei reduziert werden: ein Brite und ein Kanadier. Davon ausgehend, gelang es uns nach intensiver Recherche, die Familie des britischen Soldaten in England ausfindig zu machen und für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Sie schickten uns eine DNA-Probe des Bruders des britischen Soldaten, der beim Absturz der Halifax-Maschine zu Tode gekommen und seither verschollen war. Gespannt testeten wir die Probe sofort, als sie bei uns eintraf, verglichen ihr Profil mit dem des Knochens und mußten leider feststellen, daß eine biologische Verwandtschaft extrem unwahrscheinlich ist. Wir testeten auch noch die Y-Chromosomen und der Ausschluß bestätigte sich.
Blieb noch der Kanadier. Wir begannen, nach ihm und seiner Familie zu suchen. Bisher erfolglos, doch wir bleiben dran. Wenn es uns gelingt, lebende Angehörige von ihm zu finden, werden wir ihnen anbieten, herauszufinden, ob es ihr Verwandter ist, der auf dem Grund des Laacher Sees ruht.
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Literatur:
Courts C, & Madea B (2011). Full STR profile of a 67-year-old bone found in a fresh water lake. Journal of forensic sciences, 56 Suppl 1 PMID: 21198612
Rohland N, Hofreiter M. Ancient DNA extraction from bones and teeth. Nat Protoc. 2007;2(7):1756-62.
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Nachtrag 22.3.2012
Heute erfuhr ich, daß dieser Beitrag als ein Sieger bei der Wahl für den “besten wissenschaftlichen Blogposts des Jahres 2011” bestimmt wurde. Ich freue mich sehr! Vielen Dank dafür!
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