Ich erzähle, wie wir uns fast an der DNA-Extraktion bei einem Knochen, der auf dem Grund eines Sees gefunden wurde, die Zähne ausbissen, wie wir eine neue Extraktionsmethode erfanden und ihm schließlich doch noch das Geheimnis seiner DNA entlocken konnten.
29. August, 1942. Der zweite Weltkrieg tobt in Europa. Um 20:37 Uhr hebt eine mit fünf Bomben bestückte und mit sieben Soldaten bemannte Halifax-Maschine im britischen Elsham Wolds, North Lincolnshire ab.
Ihr Ziel, Nürnberg, sollte sie nie erreichen, denn als sie gegen 00:10 Uhr die „Hohe Acht”, einen Berg in der Nähe des Nürburgrings, in einer Höhe von ca. 2700 m überflog, wurde sie dreimal von einer deutschen Messerschmidt-Maschine getroffen, die in Mendig gestartet war. Der Halifax-Pilot versuchte noch, seine brennende Maschine notzulanden, doch ihr Heck brach ab und das Flugzeug stürzte in den Laacher See.
(Bild: Google Maps)
Der ovale See ist mit rund 3,3 km² der größte See in Rheinland-Pfalz und befindet sich in der Vordereifel in der Nähe der Städte Andernach, Bonn, Koblenz und Mayen nördlich von Mendig. Er ist vollständig von einem durchschnittlich 125 m hohen Wall umgeben und weist eine Tiefe von 53 m auf. Er wird hauptsächlich von Grundwasser gespeist und besitzt keinen natürlichen Abfluss. Die sich heute in 275 m ü. NN befindende Wasseroberfläche schwankte früher um 15 m.
Quelle: Wikipedia
Drei Besatzungsmitglieder konnten sich mit Fallschirmen retten, bei einem vierten versagte der Schirm, so daß er, wie auch der fünfte Mann nur tot aus dem See geborgen werden konnte. Die übrigen zwei Besatzungsmitglieder werden bis heute vermisst, sehr wahrscheinlich versanken ihre sterblichen Überreste mit den Trümmern des Wracks, das in den ersten Nachkriegsjahren noch im See zu sehen war und von wagemutigen Jungs als Klettergerüst benutzt wurde, bis es in größere Tiefe hinabrutschte.
65 Jahre später. In einer Pressemitteilung hieß es: „Die Abtei ließ am 27. April 2007 verlauten, dass bis auf weiteres wegen Explosionsgefahr etwaiger Bomben mit Langzeitzündern seitens der Verbandsgemeinde Brohltal, Niederzissen, mit Verfügung vom 30. März 2007 keine Genehmigung für Tauchen, Bootsverkehr, Schwimmen sowie Hobbyangeln für dieses Gebiet erteilt wird.”
Im Juni 2008 schließlich fand unter Führung der Tauchergruppe des Kampfmittelräum-dienstes Rheinland-Pfalz eine Tauchaktion mit dem Ziel der Gefahrerforschung im Zusammenhang mit dem Bomber bei äußerst schwierigen Bedingungen statt. Dabei wurden einzelne Bruchstücke der Maschine geborgen, unter anderem:
- Reste eines langlochartigen Fensters mit Resten von Perspex-Verglasung
- kleine Bruchstücke von einem der Tragflügel und einer Motorgondelverkleidung
- ein Aluminium-Spant mit anhängenden Resten der Beplankung aus dem Rumpfdach
- eine größere Menge von Blechstücken und Kabel
Man schloss daraus, daß die Maschine mit einer verhältnismäßig hohen Restgeschwindigkeit von vermutlich über 160 km/h auf die Seeoberfläche auftraf, stark beschädigt und in Teile zerbrach bzw. zerrissen wurde. Das Wrack selbst oder Bomben wurden jedoch nicht gefunden. Soviel zur Vorgeschichte.
Im Herbst 2008 wurde ein Knochenfragment, das ebenfalls bei der Tauchaktion geborgen worden war, zur Untersuchung in unser Institut gebracht.
Die Rechtsmediziner begutachteten das Stück (s. Abbildung) und befanden: „Der Knochen lässt sich eindeutig einem linken proximalen Unterschenkelknochen (Schienbein) menschlichen Ursprungs zuordnen. Deutlich zu erkennen das so genannte „Tibiaplateau” mit der charakteristischen Area intercondylaris anterior”. Für weitere Erkenntnisse empfahlen sie eine forensisch-genetische DNA-Analyse. So erreichte uns schließlich der Auftrag, ein DNA-Profil dieses alten Knochens vom Grund des Laacher Sees zu erstellen.
Und hier begann für uns das Abenteuer:
Unbedarft behandelten wir den Knochen zuerst wie jeden anderen Knochen auch: wir wendeten unsere Standardmethode für DNA-Extraktion aus Knochen an und wir scheiterten damit grandios. Es gelang uns trotz mehrfacher Versuche überhaupt nicht, DNA aus dem Knochen zu extrahieren, die noch für die Erzeugung eines DNA-Profils getaugt hätte. Herausgefordert durchforsteten wir daraufhin zuerst die wissenschaftliche Literatur. D.h., wir durchsuchten unsere Bibliothek, in der zahlreiche Jahrgänge verschiedener forensisch-wissenschaftlicher Journale als Sammelbände stehen aber auch die gängigen Onlinedatenbanken. Wir fanden viele Arbeiten zur DNA-Extraktion aus Knochen und selbst einige Studien über Knochen, die aus dem Salzwasser von Ozeanen geborgen worden waren. Doch keine einzige befasste sich mit Knochen, die, wie unser „Problemknochen”, lange Jahre im Süßwasser eines Sees gelegen hatten. Im Gegensatz zu Salzwasser, das sogar einen konservierenden Effekt haben kann, scheint Süßwasserexposition außerordentlich problematisch zu sein.
Wir waren natürlich nicht bereit, aufzugeben, und so entschlossen wir uns, den Mangel zu beseitigen und eine eigene, neue Methode zu erfinden. Als Ausgangspunkt wählten wir von den bereits beschriebenen Methoden für DNA-Exktraktion aus Knochen, die wir der Literatur entnommen hatten, solche aus, die besonders schonend mit der DNA verfuhren und andere, die eine besonders hohe Ausbeute an DNA erzielten. Leider sind diese beiden Bestrebungen genau entgegengesetzt: je mehr DNA ein Verfahren gewinnt, desto „brutaler” behandelt es gewöhnlich das Ausgangsmaterial, z.B. durch hohe Temperaturen über längere Zeit oder durch aggressive Chemikalien und gefährdet dadurch die DNA-Integrität.
Also berieten wir uns mit Kollegen darunter eine bekannte Anthropologin, zerlegten die beschriebenen Methoden in ihre vielen Einzelschritte und testeten und kombinierten dann in langwierigen Versuchen und mit großem Aufwand Schritte aus verschiedenen Quellen mit eigenen Ideen, bis wir zu einer neuen, zusammengesetzten Methode gelangten, die, vereinfacht ausgedrückt, einen optimierten Kompromiss zwischen möglichst schonender Behandlung des ohnehin schon stark in Mitleidenschaft gezogenen Materials und einer möglichst hohen DNA-Ausbeute darstellte.
Ein besonders wichtiger Schritt dieser Methode ist die Abtrennung von Knochenspänen vom Knochen: die betreffende Stelle muß zunächst gründlich gereinigt und gut getrocknet werden. Dann wird mit sukzessive feineren Schmirgelpapieren vorsichtig die umweltausgesetzte Oberfläche des Knochens abgetragen und die freigelegte Stelle mit Alkohol erneut gereinigt. Anschließend werden mit einem speziellen Bohrer bei niedriger Drehzahl (damit keine große Reibungswärme entsteht) Späne an der vorbereiteten Stelle aus dem Knochen geschabt und in einem sterilen Gefäß aufgefangen. (Nebenbei: der Geruch, der aus dem Bohrloch in einem solch alten Knochen entströmt, ist „speziell”.) Die Bohrspäne werden schließlich unter flüssigem Stickstoff, der mit ca. -200°C extrem kalt ist, schockgefroren, wodurch sie sehr spröde werden und mit einem Pistill zu feinem Mehl zermahlen werden können. Dieses Knochenmehl dient dann als Ausgangsmaterial für die DNA-Extraktion (wer sich für die genaue Beschreibung des weiteren Verlaufs der Methode interessiert, findet sie in der Literatur).
Mit unserer eigenen Methode gelang es uns schließlich tatsächlich, dem widerspenstigen Knochen beizukommen und DNA aus ihm zu gewinnen, der nun ein vollständiges STR-Profil abzuringen war, das, bei Vorliegen einer Vergleichsprobe, geeignet wäre, den Menschen, zu dem er einst gehörte, eindeutig zu identifizieren. Wahrscheinlicher aber, als daß es noch irgendwo einen Gegenstand mit der DNA des Verstorbenen darauf gibt, ist, daß noch lebende Verwandte von ihm existieren, welche helfen könnten, ihn durch Analyse seines Abstammungsverhältnisses zu ihnen zu identifizieren.
Durch historische Belege konnte die Zahl der für die Knochenherkunft in Frage kommenden Besatzungsmitglieder auf zwei reduziert werden: ein Brite und ein Kanadier. Davon ausgehend, gelang es uns nach intensiver Recherche, die Familie des britischen Soldaten in England ausfindig zu machen und für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Sie schickten uns eine DNA-Probe des Bruders des britischen Soldaten, der beim Absturz der Halifax-Maschine zu Tode gekommen und seither verschollen war. Gespannt testeten wir die Probe sofort, als sie bei uns eintraf, verglichen ihr Profil mit dem des Knochens und mußten leider feststellen, daß eine biologische Verwandtschaft extrem unwahrscheinlich ist. Wir testeten auch noch die Y-Chromosomen und der Ausschluß bestätigte sich.
Blieb noch der Kanadier. Wir begannen, nach ihm und seiner Familie zu suchen. Bisher erfolglos, doch wir bleiben dran. Wenn es uns gelingt, lebende Angehörige von ihm zu finden, werden wir ihnen anbieten, herauszufinden, ob es ihr Verwandter ist, der auf dem Grund des Laacher Sees ruht.
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Literatur:
Courts C, & Madea B (2011). Full STR profile of a 67-year-old bone found in a fresh water lake. Journal of forensic sciences, 56 Suppl 1 PMID: 21198612
Rohland N, Hofreiter M. Ancient DNA extraction from bones and teeth. Nat Protoc. 2007;2(7):1756-62.
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Nachtrag 22.3.2012
Heute erfuhr ich, daß dieser Beitrag als ein Sieger bei der Wahl für den “besten wissenschaftlichen Blogposts des Jahres 2011” bestimmt wurde. Ich freue mich sehr! Vielen Dank dafür!
Nachtrag 09.07.2014
Das Rätsel um den Knochen ist gelöst: er gehörte zu Flight Sgt. J.J. Carey und heute wurde er bestattet.
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