Was aber diese Leute verlangen, und zwar ausgehend von einer sich großzügig selbst zugewiesenen Autorität als “gesetzliche Vertreter” ihrer jeweils ebenfalls einfach vorausgesetzten Gottheit, ist, daß auf Grundlage ihrer evidenzlos erlangten und für allgültig und unfehlbar erklärten Bewertung, daß die Befruchtung der Augenblick der Beseelung und damit der Menschwerdung sei und daß ein Zellhaufen, den sie selbst nicht von einer Froschblastozyste unterscheiden könnten, unbedingt und vollumfänglich zu schützen sei, lebendigen Frauen das Recht abgesprochen wird, über ihren Körper und ihr Wohlergehen selbst zu verfügen. (Übrigens und natürlich unabhängig davon, was die betroffene Frau glaubt, was besonders perfide ist, da ja nach der jeweilis angelegten religiösen Anschauung eine falsch-/ungläubige Frau, die bei einer Zwangsgeburt stürbe, ebenfalls der ewigen Verdammnis anheimfiele.)
Das aber entmündigt Frauen und würdigt sie in dieser Hinsicht auf die Stufe von Nutzvieh herab, indem – zumeist gar von alten, asexuellen und lebensfernen Männern -, über ihre Körper wie über eine zur angeordneten Neu(christen)menschenproduktion notwendige Ressource verfügt und sie zur vollständigen Austragung, gleich auf welche Weise die Schwangerschaft zustande kam, gezwungen werden sollen. Es ist unrecht, es ist falsch, es ist schändlich!
Ein für mich sehr viel besser handhabbares Konzept des Menschen ist das des Bewußtseins. Einen Menschen macht in meinen Augen sein Bewußtsein, seine Entwicklung, seine Persönlichkeit, sein Wesen und sein Charakter aus. Ein Mensch, der eine Gliedmaße verliert, ist also nicht weniger menschlich und diese Feststellung bereitet keine Mühe. Ein Mensch aber, dessen Persönlichkeit und Geist erlischt, wie z.B. bei Morbus Alzheimer, ist, zumindest für mich, schon schwieriger einzuordnen, da man, selbst als engster Angehöriger, einen solchermaßen Betroffenen nach einiger Zeit nicht mehr wiedererkennen kann und immer mehr entfremdet wird, nachdem im Fortschreiten der Krankheit alles, außer der leiblichen Hülle, die das bekannte doch zunehmend verschüttete Gesicht trägt, was an ihm vertraut, liebenswert, eigen, charakteristisch und individuell erschienen war, verschwunden ist.
Das ist auch der Grund, warum viele Menschen bei der Diagnose Alzheimer (und manchmal gar ihrer Befürchtung) oder anderer, neurodegenerativer Erkrankungen an Suizid denken – sie wissen, daß die Krankheit sie körperlich wenig beeinträchtigen, sie und was sie ausmacht aber dennoch langsam und schleichend komplett auslöschen wird.
Wenn man diese Auffassung zur Grenzziehung zwischen Mensch/Nochnichtmensch auf das intrauterine Leben anwendet, würden ethische Bedenken gegen eine Abtreibung erst dann sinnvoll sein, wenn sich ein Bewußtsein entwickelt hat. Dieser Zeitpunkt ist extrem schwer festzustellen und auf ein morphologisches Korrelat zu beziehen, ich meine aber, es ist immer erstrebenswert und gemäß einem empathischen Einvernehmen mit allem Leben, einen Zeitpunkt zu wählen, zu dem der Embryo bzw. Fötus (nach der 9. SW) noch keinen Schmerz empfinden kann. Schmerzwahrnehmung erfordert Rezeptoren, die Schmerzreize, z.B. durch Verletzungen, in neuronale Impulse umwandeln, leitfähige Nervenbahnen und ein Hirn oder eine Vorform davon, die die angelieferten Nervenimpulse verarbeiten und in eine unangenehme oder peinigende Empfindung translatieren kann. Aber wann ist es soweit?
Ab der 8. Woche nach der Befruchtung können durch Reizung motorische Reflexbewegungen beim Noch-Embryo ausgelöst werden. Bewusste Reaktionen oder Wahrnehmungen des Fötus (z.B. Schmerzempfindungen) sind aber nicht vor der 22. Woche möglich, da die Hirnrinde des Fötus’ noch nicht funktionsfähig ist. Bis zu diesem Zeitpunkt sind auch noch keine regelmässigen Hirnströme festzustellen. Das 3-monatige Zeitfenster, in dem Abtreibungen bei uns auch ohne zwingende medizinische Indikation möglich sind, ist also mehr als vorsichtig gewählt, gewährleistet sehr sicher, daß eine Abtreibung beim Fötus keinerlei Schmerz oder Leid hervorruft und braucht und sollte keinesfalls verkleinert werden. Diese Beurteilung beruht, wie es sein sollte, auf Belegen, die durch wissenschaftliche Forschung (unter Literatur (s.u.) wird auf einen Übersichtsartikel (kursiv) verwiesen, der eine Auswertung multidisziplinärer Evidenz enthält und zum oben beschriebenen Schluß kommt) erbracht wurden und nicht auf dem mit klerikal-anmaßender Basta!-Rhetorik ausgestatteten, höchst zynischen und ideologischen “Pro Life”-Dogmatismus.
Randnotiz: Besonders ironisch und für die dogmatisch-ideologische und eben nicht faktenorientierte Einstellung typisch finde ich, daß sehr viele “Pro Life”-Anhänger aktive Befürworter der Todesstrafe sind. Die gesamte “Pro Life”-Argumentation erhält dadurch eine zutiefst fragwürdige Schuld/Unschuld-Färbung und offenbart eine menschenverachtende Willkür und Subjektivität, deren Galleonsfigur passenderweise G.W. Bush war.
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