Unlängst fand im Rahmen eines internationalen Filmfestivals die Premiere eines abscheulichen „Pro Life”-Propaganda-Machwerks aus der Feder des rechtskonservativen US-Politikers Kenneth Del Vecchio statt.
Dieser Film zeigt noch und wieder einmal, wie irrational und menschenverachtend der religiös motivierte Hass gegen Abtreibung und das damit untrennbar verbundene (Menschen)Recht von Frauen, über ihren Körper selber zu entscheiden, in den Köpfen der sogenannten „Pro-Life”-Aktivisten lodert.
Die Aussage des Films ist klar: wer abtreibt (aktiv oder passiv – Arzt oder Patientin), landet in der Hölle! Es nimmt angesichts solcher Gemütsoffenbarungen, die im schlimmsten Falle als Ermutigung angesehen werden müssen, wohl auch kaum wunder, daß in den USA schon zahlreiche Ärzte, die Abtreibungen durchführen, von diesen Psychopathen/Terroristen ermordet wurden, zum Teil billigend in Kauf nehmend, für einen solchen Mord selber zum Tode verurteilt zu werden, natürlich in der fatal-gelassenen „Gewissheit” selbsternannter Märtyrer, nach der, die Spirale des Irrsinns krönenden, eigenen (staatlich-retributiven) Ermordung stante pede an Gottes Abendbrottisch befördert zu werden.
Dabei geht es dieser Bewegung „Pro-Life” freilich um nichts weniger, als das Leben selbst. Es geht nur um symbolisch aufgeladenes, ungeborenes, „unschuldiges” Leben und um die Definition, ab wann es sich dabei um einen Menschen handelt. An dieser Frage entzünden sich wohl generell die meisten Konflikte zum Thema Abtreibung, die irrational werden, sobald religiöse Konzepte ins Feld geführt werden. Aber in den meisten Fällen sind die Gegner der Abtreibung und des Rechtes darauf, religiös motiviert: ihre jeweiligen Religionsoberhäupter haben entschieden, daß Abtreibung etwas schlechtes sei, weil es sich dabei um die Tötung eines Menschen handle, einer vollwertigen Person, die bereits mit allen Rechten ausgestattet sei, die auch ein geborener Mensch genieße.
In extremen Fällen wird auch schwerste psychische Belastung (z.B. nach Vergewaltigung) und sogar der Tod der Mutter billigend in Kauf genommen, wenn dies der Preis für die Unterlassung einer Abtreibung ist. Was das über die Haltung der Religionen zum Wert und zu den Rechten der Frau verrät und wes Geistes Kind man sein muß, um tatsächlich Leben gegeneinander aufzuwiegen und nach dieser Abwägung den Tod einer gesunden, lebenden Frau nicht nur hinzunehmen, sondern, nachdem sie ihre Schuldigkeit als Gebärorganismus getan hat, zu verlangen, indem man darauf besteht, das geschehen zu lassen, welches ihn unweigerlich herbeiführen würde, will ich hier jetzt gar nicht (vielleicht aber später einmal anderswo) diskutieren.
Ich frage mich stattdessen, auf Grundlage wessen die Religionen behaupten und so vehement vertreten, daß das vollwertige, mit allen Rechten, auf die bereits geborene Personen Anspruch haben, ausgestattete Leben ausgerechnet im Moment der Befruchtung beginnt. Biologisch ergibt das freilich keinen Sinn, da es im gesamten Wirken, welches notwendig ist, damit zwei lebende Menschen einen lebenden Nachkommen zeugen können, keine einzige nicht-lebende Zwischenstufe gibt. Spermien und Eizellen sind auch vor der Verschmelzung von bemerkenswerter Lebendigkeit und auch die Keimzellen, aus deren Reduktionsteilung sie entspringen, leben. Es gibt zudem keine Bibelstelle, die eine entsprechende Feststellung enthielte, da das Konzept der Zygote zum Zeitpunkt der Niederlegung dieses “Werks” wohl noch nicht bekannt gewesen sein dürfte. Soweit ich weiß, operieren die Religionen an dieser Stelle mit dem Terminus “Seele” oder “Beseelung” und behaupten einfach, die “Beseelung” der Zygote geschehe im Moment der Befruchtung und danach sei ja eine Seele und damit ein Mensch vorhanden.
Das Problem ist natürlich das der Nachweisbarkeit. Die Seele ist ein abstraktes, irrationales Konzept ohne jede meßbare physikalische oder biologische Eigenschaft und die Nachweispflicht für ihre Existenz liegt bei den Urhebern der Behauptung. Übrigens und bezeichnenderweise wird nicht diskutiert, wer für „natürliche Abtreibungen”, also für die gar nicht so seltenen Fälle, in denen eine befruchtete Eizelle, ein nach der Lesart dieser Leute ja bereits vollwertiger Mensch, vor oder nach der Einnistung ohne Einflussnahme von außen und von der Frau unbemerkt, abstirbt, zu steinigen wäre. Ich schlage den lieben Gott persönlich vor, zumindest einmal ist er ja schon verklagt worden…
Was aber diese Leute verlangen, und zwar ausgehend von einer sich großzügig selbst zugewiesenen Autorität als “gesetzliche Vertreter” ihrer jeweils ebenfalls einfach vorausgesetzten Gottheit, ist, daß auf Grundlage ihrer evidenzlos erlangten und für allgültig und unfehlbar erklärten Bewertung, daß die Befruchtung der Augenblick der Beseelung und damit der Menschwerdung sei und daß ein Zellhaufen, den sie selbst nicht von einer Froschblastozyste unterscheiden könnten, unbedingt und vollumfänglich zu schützen sei, lebendigen Frauen das Recht abgesprochen wird, über ihren Körper und ihr Wohlergehen selbst zu verfügen. (Übrigens und natürlich unabhängig davon, was die betroffene Frau glaubt, was besonders perfide ist, da ja nach der jeweilis angelegten religiösen Anschauung eine falsch-/ungläubige Frau, die bei einer Zwangsgeburt stürbe, ebenfalls der ewigen Verdammnis anheimfiele.)
Das aber entmündigt Frauen und würdigt sie in dieser Hinsicht auf die Stufe von Nutzvieh herab, indem – zumeist gar von alten, asexuellen und lebensfernen Männern -, über ihre Körper wie über eine zur angeordneten Neu(christen)menschenproduktion notwendige Ressource verfügt und sie zur vollständigen Austragung, gleich auf welche Weise die Schwangerschaft zustande kam, gezwungen werden sollen. Es ist unrecht, es ist falsch, es ist schändlich!
Ein für mich sehr viel besser handhabbares Konzept des Menschen ist das des Bewußtseins. Einen Menschen macht in meinen Augen sein Bewußtsein, seine Entwicklung, seine Persönlichkeit, sein Wesen und sein Charakter aus. Ein Mensch, der eine Gliedmaße verliert, ist also nicht weniger menschlich und diese Feststellung bereitet keine Mühe. Ein Mensch aber, dessen Persönlichkeit und Geist erlischt, wie z.B. bei Morbus Alzheimer, ist, zumindest für mich, schon schwieriger einzuordnen, da man, selbst als engster Angehöriger, einen solchermaßen Betroffenen nach einiger Zeit nicht mehr wiedererkennen kann und immer mehr entfremdet wird, nachdem im Fortschreiten der Krankheit alles, außer der leiblichen Hülle, die das bekannte doch zunehmend verschüttete Gesicht trägt, was an ihm vertraut, liebenswert, eigen, charakteristisch und individuell erschienen war, verschwunden ist.
Das ist auch der Grund, warum viele Menschen bei der Diagnose Alzheimer (und manchmal gar ihrer Befürchtung) oder anderer, neurodegenerativer Erkrankungen an Suizid denken – sie wissen, daß die Krankheit sie körperlich wenig beeinträchtigen, sie und was sie ausmacht aber dennoch langsam und schleichend komplett auslöschen wird.
Wenn man diese Auffassung zur Grenzziehung zwischen Mensch/Nochnichtmensch auf das intrauterine Leben anwendet, würden ethische Bedenken gegen eine Abtreibung erst dann sinnvoll sein, wenn sich ein Bewußtsein entwickelt hat. Dieser Zeitpunkt ist extrem schwer festzustellen und auf ein morphologisches Korrelat zu beziehen, ich meine aber, es ist immer erstrebenswert und gemäß einem empathischen Einvernehmen mit allem Leben, einen Zeitpunkt zu wählen, zu dem der Embryo bzw. Fötus (nach der 9. SW) noch keinen Schmerz empfinden kann. Schmerzwahrnehmung erfordert Rezeptoren, die Schmerzreize, z.B. durch Verletzungen, in neuronale Impulse umwandeln, leitfähige Nervenbahnen und ein Hirn oder eine Vorform davon, die die angelieferten Nervenimpulse verarbeiten und in eine unangenehme oder peinigende Empfindung translatieren kann. Aber wann ist es soweit?
Ab der 8. Woche nach der Befruchtung können durch Reizung motorische Reflexbewegungen beim Noch-Embryo ausgelöst werden. Bewusste Reaktionen oder Wahrnehmungen des Fötus (z.B. Schmerzempfindungen) sind aber nicht vor der 22. Woche möglich, da die Hirnrinde des Fötus’ noch nicht funktionsfähig ist. Bis zu diesem Zeitpunkt sind auch noch keine regelmässigen Hirnströme festzustellen. Das 3-monatige Zeitfenster, in dem Abtreibungen bei uns auch ohne zwingende medizinische Indikation möglich sind, ist also mehr als vorsichtig gewählt, gewährleistet sehr sicher, daß eine Abtreibung beim Fötus keinerlei Schmerz oder Leid hervorruft und braucht und sollte keinesfalls verkleinert werden. Diese Beurteilung beruht, wie es sein sollte, auf Belegen, die durch wissenschaftliche Forschung (unter Literatur (s.u.) wird auf einen Übersichtsartikel (kursiv) verwiesen, der eine Auswertung multidisziplinärer Evidenz enthält und zum oben beschriebenen Schluß kommt) erbracht wurden und nicht auf dem mit klerikal-anmaßender Basta!-Rhetorik ausgestatteten, höchst zynischen und ideologischen “Pro Life”-Dogmatismus.
Randnotiz: Besonders ironisch und für die dogmatisch-ideologische und eben nicht faktenorientierte Einstellung typisch finde ich, daß sehr viele “Pro Life”-Anhänger aktive Befürworter der Todesstrafe sind. Die gesamte “Pro Life”-Argumentation erhält dadurch eine zutiefst fragwürdige Schuld/Unschuld-Färbung und offenbart eine menschenverachtende Willkür und Subjektivität, deren Galleonsfigur passenderweise G.W. Bush war.
Meine Meinung und mein ethisches Empfinden ist: Kein Mensch darf anderen Menschen gegen deren Willen vermeidbares Leid zuzumuten: Eine Frau darf demnach nicht genötigt oder gar gezwungen werden, eine Schwangerschaft und unerwünschte Geburt körperlich zu erleiden und es spielt dabei keine Rolle, ob die Schwangerschaft unfreiwillig oder gar gewaltsam zustande gekommen ist oder ob sich die Frau der psychischen Belastung, z.B. ein behindertes Kind aufziehen zu müssen, nicht gewachsen fühlt. Im Gegenzug darf auch keinem Kind, weil seine Geburt trotz besseren und vorherigen (!) Wissens erzwungen wurde, die Qual zugemutet werden, an einer grausam schmerzhaften Erbkrankheit, deren sicher tödlicher Verlauf feststeht, wie z.B. Morbus Krabbe, zu leiden, wenn man ihm dies ersparen kann.
Die Zubilligung von mündigen Entscheidungen über den eigenen Körper, ein Leben ohne vermeidbares Leid und die vollkommene Gleichwertigkeit der Frau sind aber für viele Religionen ihrer Existenz diametral gegenübergestellt und solange es diese Religionen gibt und es ihnen gestattet wird, Gesetzgebung mitzugestalten oder gar allein zu bestimmen, werden deshalb Frauen und Mädchen, je nachdem, wo sie das Pech haben, leben zu müssen, gegen ihren Willen und gegen jede Evidenz und Notwendigkeit zu leiden, zu gebären und, „so Gott will”, dabei zu sterben haben…
__________
Literatur:
- Derbyshire SWG “Fetal pain – a look at the evidence”. American Pain Society Bulletin, 13:1-12, 2003
- Derbyshire SWG.”Can fetuses feel pain?”. Brit.Med.Journal, 332:909-912, 2006
- Fitzgerald M. “Foetal pain: an update of current scientific knowledge. A paper for the Department of Health”. London, Mai 1995
- Gardner C. “Is an Embryo a Person?”. The Nation 249:557-559, 1989
- Grobstein C. “Science and the Unborn: Choosing Human Futures”. New York: Basic, 1988
- Hall E. “When Does Life Begin? An Embryologist Looks at the Abortion Debate”. Psychology Today 23:42-46, 1989
- Lee S.J. et al. “Fetal Pain – A Systematic Mulidisciplinary Review of the Evidence”. JAMA 294:947-954, 2005
- Lloyd-Thomas AR., Fitzgerald M. “Reflex responses do not necessarily signify pain”. British Medical Journal 313:797-798, 1996
Kommentare (201)