Wenn wir bei der im Beitrag zur Genexpression eingeführten Restaurantanalogie für die Genexpression bleiben, müsste ich diese nun um spezielle Mitarbeiter für Rezeptverwaltung (miRNAs) erweitern. Diese Mitarbeiter arbeiten in der Küche (Zytoplasma), nicht in der Bibliothek (Zellkern), fahren dort auf Segways (RISC) herum und kontrollieren nach einem sehr komplizierten System (manchmal müssen zwei oder mehr dieser Mitarbeiter zusammenkommen und sich einig werden), welche und wieviele Kopien bestimmter Rezepte in Umlauf sind und ziehen ggf. einige oder alle davon ein und zerreissen sie oder überzeugen irgendwie die Köche, bestimmte Rezepte nicht umzusetzen, damit in der Küche immer genau die richtige Anzahl von Gerichten (Genprodukte) gekocht (translatiert) wird.
Man darf sich die Funktion der miRNAs also nicht wie einen stupiden 0/1-Schalter vorstellen, der nur die Zustände “Genprodukt X wird hergestellt” (1) und “Genprodukt X wird überhaupt nicht hergestellt”(0) zulässt. MiRNAs funktionieren eher wie ein fast stufenloser Schiebewiderstand, wie ein Dimmer: sie ermöglichen wahrhaftig ein exaktes Feintuning der Proteindosis.
Die Abbildung zeigt grobschematisch ein Beispiel für eine Abhängigkeit der “Dosis” also der Menge eines Proteins von der Menge der für die Expressionsregulation dieses Proteins “verantwortlichen” miRNA. Man sieht, daß, solange sich die Menge M der miRNA im Bereich x < M < y bewegt, eine für die Zelle optimale Proteindosis gewährleistet ist. Und man kann auch nachvollziehen, daß eine Falschregulation dieser miRNA (denn natürlich werden auch miRNAs reguliert) eine Fehldosierung (zu viel oder zu wenig) des von ihr gesteuerten Proteins zur Folge hätte. Das Vorkommen solcher miRNA-Falschregulationen hat man inzwischen auch schon bei diversen Krankheiten, z.B. Krebs, nachgewiesen und einige miRNAs stehen offenbar sogar direkt mit der Entstehung bestimmter Krebsarten in Zusammenhang. Die zellulären Einrichtungen der RNAi lassen sich aber auch zum Guten, nämlich für therapeutische Zwecke nutzen, denn man kann kleine, sogenannte siRNAs, die ganz ähnlich aussehen und funktionieren wie miRNAs, künstlich herstellen und von außen in Zellen einschleusen, wo sie dann, ganz analog zur Funktionsweise der miRNAs, einen erwünschten Effekt, z.B. die Herunterregulation eines schädlichen Proteins, bewirken können.
MiRNAs präsentieren sich uns also als eine relativ neu entdeckte Klasse subtiler Steuerungsmoleküle, die in fast allen Lebewesen eine wichtige Rolle spielen und
der ohnehin schon spannenden und schwer zu durchschauenden Regulation der Genexpression eine neue Dimension mit zuvor ungeahnter zusätzlicher Plastizität und Variabilität hinzufügen.
Man muß sie einfach liebhaben 🙂
Nachtrag:
Wer sich einen Überblick über die bereits entdeckten miRNAs und, sofern bekannt, deren Funktion machen möchte, kann das hier tun.
Nachtrag am 5.2.16:
Katharina Petsche hat im Rahmen ihrer Diplomarbeit eine 3D-Animation der miRNA-Entstehung und -Funktion hergestellt, die mir ganz gut gefallen hat. Hier ist sie:
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Literatur
- R.C.Lee, R.L.Feinbaum, and V.Ambros, The C. elegans heterochronic gene lin-4 encodes small RNAs with antisense complementarity to lin-14. Cell 75 (1993) 843-854.
- A.Fire, S.Xu, M.K.Montgomery, S.A.Kostas, S.E.Driver, and C.C.Mello, Potent and specific genetic interference by double-stranded RNA in Caenorhabditis elegans. Nature 391 (1998) 806-811.
- S.Griffiths-Jones, The microRNA Registry. Nucleic Acids Res. 32 (2004) D109-D111.
- D.P.Bartel and C.Z.Chen, Micromanagers of gene expression: the potentially widespread influence of metazoan microRNAs. Nat.Rev.Genet. 5 (2004) 396-400.
- H.Guo, N.T.Ingolia, J.S.Weissman, and D.P.Bartel, Mammalian microRNAs predominantly act to decrease target mRNA levels. Nature 466 (2010) 835-840.
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