Warnung: in dieser Reihe wird es immer wieder zu Begegnungen mit und Blicke in die tiefsten menschlichen Abgründe kommen und obgleich ich mich stets bemühen werde, nicht ins Sensationalistische abzugleiten, mag bisweilen die unausgeschmückte Realität bereits mehr sein, als manche(r) erträgt.
Diesmal: ein Fallbericht serbischer Kollegen über einen komplexen Suizid, bei dessen Durchführung sechs verschiedene Methoden der Selbsttötung gleichzeitig angewendet wurden.
Zunächst zur Begriffsabklärung: unter „Suizid” (der Begriff „Selbstmord” wird unter Forensikern nicht verwendet) versteht man das
„willentliche Beenden des eigenen Lebens, sei es durch beabsichtigtes Handeln oder absichtliches Unterlassen von lebenserhaltenden Maßnahmen, z. B. lebenswichtige Medikamente, Nahrungsmittel oder Flüssigkeit zu sich zu nehmen.” aus Wikipedia
Die rechtsmedizinische Terminologie kennt darüber hinaus die erweiterten Begriffe des „komplexen Suizid” (CS), der einen Suizid mit mehr als einer angewandten Tötungsmethode bezeichnet. Dieser wird noch einmal unterteilt in primären und sekundären komplexen Suizid. Unter primärem CS versteht man die gleichzeitige „Auslösung” oder Anwendung der Tötungsmethoden (wie z.B. Erschießen und Erhängen), beim sekundären CS erfolgen die Anwendungen in rascher, chronologischer Reihenfolge.
Außerdem unterscheidet man zwischen geplantem und ungeplantem CS. Bei ersterem gelangt eine zuvor geplante Anzahl von Methoden zur Anwendung, bei zweitem wird eine weitere ungeplante Methode eingesetzt, nachdem die zuvor versuchten, geplanten Mittel fehlgeschlagen sind. Komplexe Suizide machen insgesamt zwischen 1,5 und 5% aller Suizide aus.
Der diesem Beitrag zugrundeliegende Artikel befasst sich mit einem besonders krassen Fall von komplexem Suizid, da der Suizident ganze sechs Methoden für die Herbeiführung seines Todes kombiniert hat.
Hintergrund
In der sehr kalten Nacht (-8°C) vom 23. auf den 24.01.2010 wurde ein 44-jähriger Mann tot in der Nähe seines Autos aufgefunden. Die Autotüren waren geöffnet, Kopf und Oberkörper des Mannes waren blutbespritzt, Werkzeuge oder Waffen in unmittelbarer Nähe wurden nicht gefunden. Hinter der Windschutzscheibe entdeckte man einen zweiseitiger Abschiedsbrief, der zwar Zuneigungsbekundungen zu seiner Familie jedoch kein Motiv für den Suizid enthielt; in der Tat bat der Verstorbene seine Frau sogar, den Suizid zu verschweigen und stattdessen einen Autounfall als Todesursache anzugeben.
Auf dem Beifahrersitz befanden sich ebenfalls Blutspuren, aber auch ein Schraubenziehergriff, ein Wagenheber, eine Rasierklinge, ein Mobiltelephon, Autoschlüssel und eine Wollmütze. Im Fußraum lagen zwei halbleere rote Plastikflaschen mit Salzsäure und eine fast leere, durchsichtige Plastikflasche unbekannten Inhalts. Ein Kassenzettel, der ebenfalls gefunden wurde, stammte von einem örtlichen Supermarkt und belegte den Kauf eines Schraubenziehers, einer Packung Rasierklingen und zweier Flaschen Salzsäure.
Die polizeiliche Untersuchung richtete sich vornehmlich auf den Ausschluss eines möglichen Tötungsdeliktes und nicht auf die Aufklärung des Motivs für den Suizid. Die für den Verstorbenen verfügbaren medizinischen Aufzeichnungen enthielten keinen Hinweis auf eine psychische Störung, auf vorherige Suizidversuche oder auf eine kurz vor dem Tod bestehende Medikamentation.
Ergebnisse der Obduktion
Bei der Obduktion wurden Anzeichen einer starken Unterkühlung gefunden (gefrorene Kleidung und Haut, kirschrote Totenflecke). Zudem fanden sich sechs oberflächliche Einschnitte am linken Unterarm in Höhe des Handgelenks und ein Schnitt an der Innenseite des linken Oberschenkels, ohne daß dabei jedoch eine Arterie verletzt worden war. An der linken Halsseite wurde ein oberflächlicher und vorne am Hals ein 2 cm tiefer Schnitt festgestellt. In der rechten Schläfenregion wurde ein 1,5 cm herausragendes Ende (für Kreuzschrauben) eines Schraubenzieherschafts (ohne Griff) entdeckt.
aus [1]
Der Schaft hatte den großen rechten Flügel des Keilbeins, den rechten Frontal- und Parietallappen und schließlich den linken Parietallappen durchbohrt, wo das andere Ende des Schafts (für Schlitzschrauben) entdeckt wurde. Der Wundkanal war insgesamt 11 cm lang.
aus [1]
Am Schädel wurden noch drei weitere spaltförmige Stichwunden gefunden, zwei in der Parietalregion, die beide ein epidurales Hämatom zur Folge hatten, und eine mitten auf der Stirn, die die Hirnhäute verletzt hatte und 5 cm tief in den Frontallappen gedrungen war.
Das Hirn war angeschwollen und wog 1,64 kg. Es wurden Anzeichen für eine lebensgefährliche tonsilläre Herniation gefunden.
Im Bereich der Schleimhaut des Zwölffingerdarms und dem vorderen Bereich des Dünndarms bestanden Anzeichen einer Säureverätzung, ohne daß es jedoch zu einer Perforation gekommen war. Der pH-Wert des Mageninhalts lag bei 2.
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