Warnung: in dieser Reihe wird es immer wieder zu Begegnungen mit und Blicke in die tiefsten menschlichen Abgründe kommen und obgleich ich mich stets bemühen werde, nicht ins Sensationalistische abzugleiten, mag bisweilen die unausgeschmückte Realität bereits mehr sein, als manche(r) erträgt.
Diesmal: eine australisch-schwedische populationsbasierte Studie zur Inzidenz des autoerotischen Todes.
„Ein autoerotischer Unfall ist ein Vorgang, bei dem sich ein Mensch bei der Masturbation oder einer anderen autoerotischen Betätigung unabsichtlich eine erhebliche Verletzung zufügt. Im Falle einer tödlichen Verletzung verwendet man den Begriff autoerotischer Selbsttötungsunfall.” — wiki
Autoerotische Unfälle, bei denen der Tod sehr häufig durch die absichtlich zur Luststeigerung herbeigeführte, dann aber außer Kontrolle geratene Asphyxie eintritt, gehören zu den ungewöhnlichen, oftmals befremdlichen und eben seltenen Begebenheiten, mit deren Folgen man in der forensischen Routine zu tun bekommen kann. Neben dem Tod durch Asphyxie wurde seltener auch eine tödliche Sepsis nach Fremdkörpereinführung, eine zum Tode führende Hyperthermie durch zu viele und/oder zu stark isolierende Bekleidungsschichten oder Tod durch Ertrinken oder Thoraxkompression berichtet.
Trotz der Seltenheit dieses Phänomens wird man als Forensiker überproportional häufig danach gefragt. Offenbar fasziniert viele die diesem Phänomen nach allgemeiner Auffassung wohl zugrunde liegende Mischung aus paraphiler sexueller Orientierung, den bisweilen bizarren und peinlichen Auffindesituationen (häufig sind die Opfer sehr merkwürdig bekleidet) und der vermeintlichen sexuellen Not, in der sich die verstorbene Person befunden haben müsse, um zu solch extremen Methoden für die Selbstbefriedigung zu greifen.
Die Daten der hier besprochenen Arbeit sind schnell zusammengefasst: um eine Vorstellung von nationalen Inzidenzen des autoerotischen Todes zu erhalten, für die nur veraltete Daten mit hoher Varianz vorlagen, sollte in dieser Studie die Häufigkeit autoerotischer Todesfälle für relativ verschiedene Länder ermittelt und verglichen werden. Die Studie bezieht ausschließlich autoerotische Unfälle mit tödlicher zur sexuellen Stimulation eingesetzten Asphyxie ein: Dabei wurden alle Fälle in Schweden und Australien, die in einem Zeitraum von 7 Jahren (2001-2007) aufgetreten waren, betrachtet. Die Quelle der Daten war jeweils eine landesspezifische Datenbank (NCIS für Australien und SNFD für Schweden).
Diese Daten belegen, daß Tod durch autoerotischen Unfall nur sehr selten in der schwedischen und australischen Population vorkommt. Wie schon bei anderen Studien bestätigte sich auch hier die deutliche Überrepräsentation der Männer unter den Opfern.
Die in dieser Arbeit ermittelten Raten von 0,14 bzw. 0,3 pro Jahr und 1 Mio. Einwohner liegen im Bereich zuvor berichteter Zahlen von z.B. 0,49 in Hannover/Deutschland, 2-4 in den USA und 1-2 in Skandinavien bzw. 0,1 in Schweden (Studie von 1993) und < 0,1 in Italien. Laut Literaturdaten treten die meisten Fälle treten im Alter von 15 bis 25 Jahren auf. Dieser Wert bestätigt sich in der vorliegenden Studie für die schwedische Bevölkerung, wohingegen in der australischen Bevölkerung die meisten Fälle im Alter zwischen 30 und 39 Jahren auftraten.
Man kann daraus entnehmen, daß für die Diskussion der Inzidenz des autoerotischen Todes am besten lokale Populationsdaten zugrunde gelegt werden sollten.
Das häufigste Szenario des autoerotischen Todes beinhaltet einen jungen Mann, der hängend an einem zurückgezogenen Ort gefunden wird, häufig mit Damenwäsche bekleidet ist und pornographisches Material in Griffweite hat. Es gibt eine Überlappung mit Bondage- und sadomasochistischen Aktivitäten. Die Opfer leiden generell meist nicht an einer erkennbaren Erkrankung der Psyche, es kommen aber Fälle von Depressionen vor, in welchen es schwierig sein kann, akzidentelles von suizidalem Versterben zu unterscheiden.
Noch einige allgemeine Anmerkungen:
Diese Praktiken werden häufig heimlich und jahrelang ausgeübt, ohne daß es zu Zwischenfällen kommt. Es sind also selten die unerfahrenen Anwender, die so zu Tode kommen, weil diese, sich ihrer Unerfahrenheit bewußt, zu Beginn meist sehr vorsichtig agieren. Die Opfer sind daher eher die in solchen Praktiken Erfahrenen, die mit der Erfahrung und der “Gewöhnung” übermütig werden und genau diesen Menschen ist daher deutlich zur Vorsicht zu raten und sie sind vor Leichtsinn und Übermut zu warnen!
Erstaunlich sind oftmals auch Erfindungsreichtum und Zeitaufwand, mit denen komplizierte und ausgeklügelte Maschinen oder Vorrichtungen erdacht und konstruiert werden, um ohne fremde Hilfe/Überwachung ein autoerotisches Tunnelspiel erleben zu können. Dabei wird z.B. durch Fesselung und Atemeinschränkung eine Situation herbeigeführt, aus der man selbst nicht mehr entkommen kann, bis, nach einer vorher festgelegten Zeit, die Maschine/Vorrichtung das Entkommen ermöglicht (z.B. durch Abwerfen oder Zugänglichmachen eines zuvor nicht in Reichweite befindlichen Schlüssels).
Wenn dann die Maschine versagt oder das Zeitintervall versehentlich/aus Übermut zu groß gewählt wurde, geht das ganze schief und der Autoerotiker erstickt, weil er sich nicht mehr oder bevor er sich befreien kann.
Die Rechtsmediziner zusammen mit den Kriminalisten müssen dann klären, ob ein Verschulden oder Mitwirken Dritter ausgeschlossen werden kann. In der forensischen Genetik bekommen wir mit diesen Fällen zu tun, wenn der Leichnam des autoerotisch Verunfallten wegen langer Liegezeit bereits jenseits der visuellen Identifizierbarkeit verwest ist und eine DNA-Analyse seine Identität klären muss, oder wenn am Fundort verdächtige Spuren sichergestellt wurden, die für eine Rekonstruktion des Geschehens analysiert werden müssen.
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Referenzen:
Byard RW, & Winskog C (2011). Autoerotic Death: Incidence and Age of Victims-A Population-based Study. Journal of forensic sciences PMID: 21827479
Es gibt übrigens inzwischen ein Nicht-Fachbuch, eine Art Anthologie der Sexunfälle, das auch Kapitel zu Asphyxie und autoerotischem Tod enthält:
“Ich habe mich versehentlich auf den Staubsauger gesetzt: Aberwitzige Sexunfälle”
L. Kühle und D. Dreßlein; ISBN 3868821716
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