Ausschlaggebend für diesen zugegebenermaßen sperrig betitelten Beitrag war eine Diskussion, die neulich im Kollegenkreis geführt wurde. Es ging um die nicht-orale Aufnahme von Ethanol, die dadurch (wenn überhaupt) erzielbaren Blutalkoholwerte und die Frage, mit welcher Korrelation dadurch möglicherweise verursachte Ausfallerscheinungen durch eine Atemalkoholanalyse wie sie bei Verkehrskontrollen üblich ist, abgebildet werden.
In Rede waren die unter Jugendlichen offenbar bisweilen und im Zuge des britisch geprägten aber auch hierzulande adaptierten „binge drinking” zunehmend häufiger gepflegten Praktiken der Ethanolaufnahme über die Schleimhaut des Auges (das sog. „eyeballing”) und via in Alkohol getränkter und dann eingeführter Tampons (das sog. “slimming”).
Beim „Eyeballing”, bei dem häufig Vodka verwendet wird, wird die Flasche direkt ans Auge angesetzt und der Alkohol über den Augapfel gegossen, wo er über die Schleimhaut aufgenommen werden soll.
Dem Vernehmen der Anwender zufolge soll diese Prozedur eine besonders rasante Anflutung bewirken und so einen raschen Rauch erzeugen.
Bei der Ethanolaufnahme mittels Tampons, werden diese ebenfalls zumeist in Vodka getränkt
Ein normaler Tampon kann bis zu 20 ml Flüssigkeit (z.B. Schnaps mit 32 Vol.-%) aufnehmen, das entspräche in etwa 5 g reinen Ethanols. Der so behandelte Tampon wird dann vaginal oder anal eingeführt, damit der Alkohol über die jeweilige Schleimhaut direkt ins Blut der unteren Rektal- und dann Hohlvene gelangen kann. Er umgeht dabei Pfortader und Leber, so daß der „first-pass”-Effekt nicht eintreten kann, was aber laut „Handbuch gerichtliche Medizin” keinen nennenswerten Einfluss auf die Blutalkoholkonzentration hat.
Die Blutalkoholkonzentration (BAK), die ein Mensch nach einer bestimmten Menge aufgenommenen Ethanols maximal erreicht, schätzt man unter Zuhilfenahme der Widmarkschen Formel ab:
mit
c: BAK in g/kg bzw. ‰ (kg bezieht sich auf kg Blut, nicht Körpergewicht)
A: konsumierte Ethanolmenge in Gramm (nicht das Getränk, nur reines Ethanol)
r: Reduktionsfaktor (abh. von Geschlecht und Alter)
m: Körpergewicht in Kilogramm
Wenn die durch Vodka-Tampons aufgenommene Menge von 5 g Ethanol getrunken würde, ergäbe sich z.B. für eine 50 kg schwere 15-jährige (r = 0,68) eine maximale BAK von
c = 5g / (50 kg * 0,68) = 0,15‰
Selbst wenn also die gesamte Ethanolmenge über die Schleimhaut resorbiert und ins Blut gelangen würde, wäre es kaum möglich, sich mit einem Vodka-Tampon bis hin zu gefährlichen Ausfallerscheinungen zu berauschen. Ähnliches gilt ganz sicher für die Aufnahme des Ethanols über die Augenschleimhaut. Die Anflutung, also die Dynamik des Eintretens der Wirkung, wird aber vermutlich tatsächlich beschleunigt, weil das Ethanol über die Schleimhaut direkt in die Blutbahn gelangt. Ganz sicher läßt sich durch keine der Praktiken verhindern, daß auch im Atem Alkohol nachgewiesen werden kann, da der Atemalkohol in der Lunge durch Freisetzung des Ethanols aus dem Blut entsteht.
Beide Praktiken sind also sowohl ungeeignet, sich einen echten Rausch zuzuführen, als auch sich “heimlich” betrinken zu können. Warum also finden sie Zuspruch bei jugendlichen Trinkern?
Ich habe einen rechtsmedizinischen Kollegen befragt und er hält eine Placebo-Wirkung dieser Praktiken für am wahrscheinlichsten. Das heißt also, daß aufgrund des “Hypes”, durch Berichte anderer und die so erzeugte Erwartungshaltung und zusammen mit der raschen Anflutung, die quasi als “Bestätigung” jener Präkonzeptionen dient, das Gefühl der Berauschung und auch die Ausfallerscheinungen, die durch diese Praktiken erzeugt werden eigentlich einer deutlich höheren konsumierten Ethanolmenge entsprechen.
Das widerspiegelt die Beobachtung, daß Placebo-Spritzen besser wirken, als Placebo-Pillen und rote Placebo-Pillen besser als weiße usf. Und es zeigt mal wieder, wie plastisch, vielseitig und modulierbar der Placebo-Effekt ist.
Diese Überlegungen sollen, das sei an dieser Stelle ausdrücklich betont, keinesfalls dazu animieren, diese Aufnahmepraktiken auszuprobieren. Davon ist unbedingt abzuraten, da Ethanol die solchermaßen mißbrauchten Schleimhäute stark angreift und reizt und bei häufiger Anwendung zu dauerhaften Schäden und im schlimmsten Fall einem Plattenepithelkarzinom führen kann.
Mit diesen Worten verabschiede ich mich aus 2011 und wünsche allen Leserinnen und Lesern einen guten Start für 2012 (mit ausschließlich (wenn überhaupt) oraler Ethanolaufnahme ;-).
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Literatur:
Brinkmann/Madea: Handbuch gerichtliche Medizin Band 1 und 2
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