Aber auch das Argument zu angeblich gefährdeten Familienstrukturen und -rollen halte ich für fragwürdig. Durch die Aufhebung des Verbotes würden inzestuöse Beziehungen sicher nicht einen plötzlichen Popularitätsschub erfahren und es dadurch zu massenhafter Familiendesintegration kommen. Man darf, im Gegenteil und genau wie damals zu §175-Zeiten bei Menschen mit homosexueller Orientierung davon ausgehen, daß entsprechend Geneigte immer schon und auch trotz irgendwelcher Verbote ihren Begierden gefolgt sind. Zudem änderte eine Aufhebung des Inzest-Verbotes ja absolut nichts am Verbot von Geschlechtsverkehr zwischen Menschen, von denen mindestens einer nicht einwilligend bzw. einwilligungsfähig ist. Kinder wären also vor sexuellen Übergriffen ihrer Eltern nicht schlechter geschützt, als zuvor. Außerdem greift das Argument überhaupt nicht in Fällen, wie dem oben erwähnten, in denen sich erwachsene Menschen, die nicht miteinander aufgewachsen sind, kennenlernen, ggf. eine Beziehung führen möchten und dann feststellen, daß sie Geschwister sind.
Ich persönlich finde Inzest auch zwischen einvernehmlichen Erwachsenen irgendwie unappetitlich, nehme aber leidenschaftslos zur Kenntnis, daß andere das anders sehen und daß dadurch niemandes Menschenrechte verletzt werden, sowie ich jedem Menschen ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung zugestehen würde. Ich halte §173 deshalb tatsächlich für verfassungswidrig und das Urteil des BVerfG dazu für einen Fehler.
Es wäre ziemlich peinlich, wenn der EUGH für Menschenrechte heute feststellt, daß das deutsche Strafrecht menschenrechtswidrige Verbote enthält…
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