Ich berichte vom zweiten Tag der internationalen atheistischen Tagung in Köln. Erster Teil.
Um 9 Uhr in der Frühe ging es weiter und da ich so gerade eben ausreichend geschlafen hatte, war ich pünktlich zum ersten Vortrag wieder im Theater.
Der Historiker Lukas Mihr sprach aus geschichtlicher Perspektive zu einem vielen Atheisten aus Debatten mit Theisten wohlbekannten Vorwurf: “Ohne Gott ist alles erlaubt?”.
Meist werden im Zuge dieses “Arguments” die Verbrechen im Namen der Religion, seien es Kreuzzüge, Hexenverbrennung, Dschihad oder Judenprogrome peiorisiert und hingegen die “historischen Atheisten” Hitler, Stalin, Mao und Pol Pot als angebliche Belege dafür vorgelegt, daß die größten Verbrechen der Menschheit nur durch eine atheistische Gesinnung begangen werden konnten, da dem Atheisten nichts heilig sei, er keine Ehrfurcht vor dem Leben an sich und keine Angst vor der späteren Rechtfertigung vor einer höheren Macht habe.
Mihr stellte im Folgenden zunächst klar und belegte durch entsprechende Zitate und Äußerungen, daß Hitler keineswegs ein Atheist, sondern zeit seines Lebens gläubiger, wenngleich nicht orthodoxer Christ war und auch Mao sei eher Pantheist gewesen. Zudem wies er auf den logischen Fehlschluss hin, der dem ganzen Argument zugrunde liegt: Pauschalurteile gegen Atheisten. Ein Schluss vom Verhalten einzelner Atheisten auf den Atheismus sei schon unzulässig, erst recht aber eine Fortführung dieses Fehlschlusses vom Atheismus wieder auf alle anderen Atheisten.
Weist man auf die nicht gerade weiße Weste des Christentums und anderer Religionen hin, wird gerne vorgetragen, daß ja höchstens 10% aller Verbrechen/Kriege
im Namen von Religionen und durch Religiöse verübt worden seien und impliziert damit, daß der Rest ja wohl dem Atheismus zuzuschreiben sei. Doch auch dieser Schluß ist freilich falsch: Ein plastisches Bild dazu war der Vergleich von Autounfällen: wenn 10% der Autounfälle durch Trunkenheit am Steuer verursacht werden, so bedeutet das nicht, daß die restlichen 90% durch Nüchternheit am Steuer verursacht werden.
Man müsse zudem zwischen Verbrechen des (A)theismus und Verbrechen von (A)theisten unterscheiden (s. Bild oben). Verbrechen im Namen des Christentums definierte Mihr so, daß sie von Christen befohlen und durchgeführt sowie von einem christlichen Hintergrund motiviert, gerechtfertigt und unterstützt werden. Dieses Konzept auf eine eine Nicht-Religion, eine dogmenfreie Geisteshaltung wie den Atheismus anzuwenden, sei hingegen nicht möglich, weshalb Verbrechen des Atheismus ein absurdes Konstrukt ist.
Mihr wies außdem darufhin, daß auch im Kommunismus und Nationalsozialismus durchaus flexibel mit Religionen umgegangen wurde, daß z.B. Stalin den russisch-orthodoxen Priestern Privilegien einräumte, solange sie ihm bei der Propaganda gegen seine Gegner behilflich waren und Hitler sogar noch weiter ging und, unter Verweis auf die Zustände in Russland, bekräftigte, daß er solches in Deutschland für die Kirche nicht anstrebe. Ein weiterer wenig bekannter Aspekt, sei gewesen, daß Russland ja nur etwa 50% der Sowjetunion ausgemacht habe und ein großer Teil, z.B. Kasachstan, muslimisch gewesen sei. Mihr erklärte, daß die Kommunisten durch die Unterdrückung der orthodoxen Kirche, die zuvor die Moslems unterdrückt habe, indirekt die Moslems unterstützt habe und daß es, obwohl es auch Verfolgung von Moslems durch die Kommunisten gegeben habe, das Verhältnis durchaus ambivalent war und es auch Kooperation gab.
Ein weiteres Beispiel von komplexer Vermengung von politischen Interessen und weltanschaulichen Bestrebungen war der Einfluss, den der deutsche Kaiser Wilhelm bei der Entlassung Lenins aus seinem Schweizer Exil ausübte, wodurch Lenin nach Russland zurückkehren und mit finanzieller Unterstützung des Kaisers und der kommunistischen Partei dort einen Bürgerkrieg anzetteln konnte, dessen Auswirkung durchaus im Sinne der territorialen Interessen des Kaisers war.
Es folgten dann noch weitere Beispiele mit historischen Ausführungen, die insgesamt Mihrs Fazit untermauern sollten, daß argumentenlogisch und historisch kein Halt für die Behauptung “Ohne Gott ist alles erlaubt” gegeben werden kann.
Der nächste Vortrag kam von Rolf Bergmeier, einem Experten für antike und mittelalterliche Kultur und Geschichte und war betitelt mit: “Armes Europa – Wie die christliche Staatskirche das mittelalterliche Europa arm machte”.
Bergmeier zeigte sehr eindrücklich, daß sich die abendländische Kultur und unsere darauf begründeten Werte und Errungenschaften keineswegs von einem christlichen Ursprung herleiten sondern tief in der v.a. griechischen Antike verwurzelt sind und daß vielmehr die Christianisierung des Mittelalters ein Rückschritt und eine barbarische Reduktion menschlichen Fortkommens zu einem Verharren in Dunkelheit und Armut bedeutete, während “nebenan” die arabische Kultur blühte und gedieh und dem christlichen Frankenreich um Jahrhunderte an Wohlstand, Kunst, Wissenschaft, Philosophie, Recht und Zivilisation voraus war.
Bergmeier argumentierte, daß, da die Völkerwanderung als Grund für den Unterschied ausscheide und alle im Mittelalter so verschiedenen Regionen einst Teil des Römischen Reiches waren und damit gleiche Verwaltungs- und Rechtsstrukturen besaßen, als Erklärung für diese gewaltige Kluft nur der Unterschied in der religiösen Weltanschauung übrig bleibe.
Das Christentum habe mit seiner Jenseits-Ideologie und einer auf Kirchenbelange fixierten und damit eine gnadenlose Klassengesellschaft begründenden Innen- und Wirtschaftspolitik die Grundlagen für extreme Armut der niederen Klassen und obszönen Reichtum der Kirche gelegt und damit den kulturellen, wissenschaftlichen und philosophischen Niedergang Mitteleuropas begründet.
Anschließend ging es um Religionskritik und Zensur. Der Verleger Gunnar Schedel sprach über “Das offene Wort und seine Feinde. Religionskritik im 21. Jahrhundert”.
Schedel erinnerte an noch nicht lange zurück liegende öffentliche Fälle von Religionskritik und die Reaktionen darauf (“Karikaturstreit”) und entwickelte anhand dieser Ereignisse sein Argument, daß Religionskritik ihre Berechtigung daran bemessen solle, was sie erreichen könne.
Er sprach sich gegen rein zur Provokation geübte Kritik und für konstruktive Ansätze aus und diskutierte in diesem Zusammenhang den Paragraphen §166 des Deutschen Strafgesetzbuches (der hier ja vor nicht langer Zeit auch schon einmal Thema war), seine historische Auslegung und Reform Ende der 60er-Jahre.
Thematisch sehr ähnlich war der folgende Vortrag “Blasphemiegesetze” des irischen Autors Michael Nugent gelagert.
Nugent gab eine Übersicht über den Umgang mit Blasphemie und den Gesetzen, die zu ihrem Verbot in der Welt sind und rief beredt zum Kampf dagegen und zu ihrer Abschaffung auf. Deshalb möchte ich ihm auch gar nicht Gefahr laufen, ihm hier mit einer Zusammenfassung nicht gerecht zu werden, sondern empfehle einfach jeder/jedem, sich ihn selbst anzusehen:
.
Ende Teil 1
Kommentare (15)