Ich berichte vom zweiten Tag der internationalen atheistischen Tagung in Köln. Zweiter Teil.
Nach der Mittagspause schaffte ich es leider nicht pünktlich zurück zum Tagunsort, daher kann ich leider nicht über die Vorträge von Paul Schulz (“Vorstellung der atheistischen Enzyklopädie ATHEODOC“) und Joachim Kahl (“Atheismus in der Kunst”) berichten. Falls jemand da war und einen Bericht schreiben möchte, will ich ihn aber gerne hier veröffentlichen.
Ich war wieder vor Ort, als es mit Annie Laurie Gaylor, Co-Präsidentin der US-amerikanischen Freedom from Religion Foundation, FFRF, (= Stiftung für die Freiheit von Religion) und Ehefrau von Dan Barker (s. Tag 1) und ihrem Vortrag “God Fixation Will Fix No Nation”, mit der sie die FFRF vorstellte, weiterging.
Zu Beginn rief Gaylor ihren Mann, Dan Barker, auf die Bühne ans Klavier und er begleitete uns während das Auditorium “Die Gedanken sind frei” auf Englisch und Deutsch durcheinander sang. Klang ziemlich originell 🙂
Im folgenden berichtete sie von ihren Erfahrungen als Mitbegründerin der FFRF und informierte über Bestrebungen und Bemühungen der Stiftung, religiöse Priviliegien aber auch Unterwanderungen der in der US-Verfassung eindeutig vorgesehen Trennung von Staat und Kirche zu beseitigen, eine Trennung, wie Gaylor betonte, die in einer Demokratie äußerst wichtig ist. Beispiele für die Aufweichung dieser Trennung seien der Gottesbezug auf der amerikanischen Währung (“in god we trust”) oder der Versuch, immer wieder Kreationismus in den Lehrplan von Schulen zu schmuggeln.
Gaylor berichtete auch von einem besonders krassen Fall aus dem US-Staat “Rhode Island”, wo die Schülerin Jessica Ahlquist sich über das etwa drei Meter hohe „prayer banner” in ihrer Schule beschwert und seine Entfernung verlangt hatte. Ein Gericht gab ihr Recht, ein solches Banner in einer Schule ist nicht konform der US-Verfassung und mußte entfernt werden. Hier eine Zusammenfassung der Ereignisse.
Daß Jessica dafür vom demokratischen (!) Politiker Peter Palumbo als “bösartiges kleines Stück” (“evil little thing”) bezeichnet wurde, war leider nur eine der weniger schlimmen Folgen, denn sie erhielt von den guten Christen aus Rhode Island auch so zahlreiche Todeswünsche und Androhungen von Gewalt und sogar Vergewaltigung, daß sie unter Polizeischutz zur Schule gehen mußte! Ich war jedenfalls wieder einmal entzückt von soviel christlicher Nächstenliebe…
Die FFRF unterstützt Jessica und wer ebenfalls helfen möchte, kann z.B. sein/ihr Motto-Shirt hier erhalten.
Die FFRF betreibt aber auch “positive” PR für den Atheismus. Sie will zeigen, daß Atheisten, entgegen der Annahme mancher Leute, keine verbitterten, vereinsamten und am Leben gescheiterten Eigenbrödler sind, sondern daß wir überall und mitten in der Gesellschaft sind und nicht trotz sondern wegen unserer Freiheit von aller Religion, ein gutes, zufriedenes Leben führen können und die meisten Leute seien schon, ohne es zu wissen, Atheisten begegnet. Die entsprechende Kampagne der FFRF heißt “This Is What An Atheist Looks Like” (Ü: “So sehen Atheisten aus”). Auf Plakaten werden Menschen gezeigt, die sich zu ihrer atheistischen Überzeugung bekennen, ihr Gesicht zeigen und sagen: “So sehen Atheisten aus”, um zu helfen, das negative Image, das der Atheismus mancherorts hat, zu bekämpfen.
Gaylor zeigte einige Beispiele, darunter das erste veröffentliche Plakat der Kampagne:
Eine weitere Kampagne der FFRF ist die “Out of the closet”-Kampagne: Als Gegengewicht zu den üblichen und häufig in den USA anzutreffenden Riesenplakaten oder -schildern, auf denen wahlweise dem Ungläubigen die Hölle angedroht bzw. die rettende Hand eines antiken jüdischen Handwerkers angeboten wird o.ä., werden in besonders religiösen Staaten der USA von der FFRF nun Plakate mit einer etwas anderen Botschaft aufgestellt: sie zeigen jeweils das Gesicht eines (manchmal auch bekannten) Menschen, ein kurzes Zitat und eine Information, wer der Mensch ist. Ich finde: eine schöne Idee.
Im Anschluss trat Taslima Nasrin auf, eine Schriftstellerin, Aktivistin und zum Atheismus dekonvertierte Ex-Muslima, die in ihrem stillen und in sich gekehrten Vortrag dennoch sehr eindringlich und ergreifend die Geschichte ihres Lebens erzählte.
Wie sie in Bangladesch, einem islamischen Land, in dem Frauen nicht viel mehr sind als fast rechtlose Besitztümer, zur Welt kam, wie sie schon als Kind erste Zweifel an den religiösen Dogmen, die ihre Mutter ihr einflösste, entwickelte und wie sie gegen alle Widerstände aber gefördert von ihrem Vater es schaffte, ihr Medizinstudium abzuschließen, ohne vorher zwangsverheiratet zu werden.
Sie berichtete von ihrer Flucht 1994, nachdem sie einer im Islam typischen Reaktion auf Kritik (= Todesdrohung) teilhaftig geworden war und davon, wie sie heimatlos als Gejagte der “Religion des Friedens” von einem Exil ins nächste getrieben wurde. Und während sie von der westlichen Welt mit Preisen für ihr Engagement geehrt wurde (UNESCO-Preis für die Förderung von Toleranz und Gewaltlosigkeit, Sacharow-Preis für geistige Freiheit des Europäischen Parlaments, Erwin-Fischer-Preis des Internationalen Bundes der Konfessionslosen und Atheisten) kamen aus der islamischen Welt immer nur weitere Drohungen, Geldangebote für ihre Ermordung und sogar manifeste, gewalttätige Angriffe.
Nasrin ist standhaft, ist sichtbar und hörbar geblieben und hat sich nicht einschüchtern lassen: sie kämpft und schreibt weiterhin für die Gleichberechtigung von Frauen überall auf der Welt und gegen die religiöse Unterdrückung von Minderheiten und dafür gebührt ihr mein Respekt und meine Anerkennung.
Die letzten, anrührenden Worte ihres Vortrages gebe ich wörtlich (aber übersetzt) wieder:
“Ich bin eine Fremde in meinem eigenen Land, eine Fremde in Indien und eine Fremde im Westen. Das Exil ist für mich wie eine Bushaltestelle, wo ich auf einen Bus warte, der mich nach Hause bringt. Dennoch empfinde ich kein Heim als meine Heimat, kein Land als mein Land. Es ist ein hoffnungsloses, hilfloses Gefühl, heimatlos zu sein. Doch… ich habe ja eine Heimat, ja ich glaube, ich habe eine Heimat: eine Heimat und ein Zuhause, das aus einer Familie von Menschen besteht, Männer und Frauen, die den Kräften der Dunkelheit und der Ignoranz trotzen. Sie sind meine wahre Heimat, die Herzen dieser Menschen sind mein Zuhause und meine einzig sichere Zuflucht, mein Schutz und mein Rückzugsort. Es gibt keinen Ort auf dieser Welt, den ich Heimat nennen kann, das ist wahr, doch die Menschen, die mich unterstützen und mit mir sympathisieren und mich begleiten: sie sind meine Heimat, sie sind mein Land.
Die Zuneigung, die mir von Atheisten, Säkularisten, Freidenkern und Humanisten zuteil wird ist meine Heimat, in der Zuneigung, die ich von Euch empfange, dort ist meine Heimat.
Ich bedaure die Arbeit, die ich bisher getan habe nicht, ich bedaure kein Wort, das ich geschrieben habe. Ich werde meinen Kampf gegen Extremisten, Fundamentalisten und gegen die intoleranten Mächte kompromisslos fortsetzen, bis zu meinem Tod und ich bleibe meiner Sache treu. Dankeschön!”
Es gab standing ovations…
Den letzten Vortrag des zweiten Tages mit dem Titel “Willkommen in der Matrix – Auch Dummheit will gelernt sein” präsentierte der Schriftsteller und Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, Michael Schmidt-Salomon.
“Die Dummheit, meine Damen und Herren, ist die große Konstante der menschlichen Geschichte, die einzige Weltmacht, die seit Jahrtausenden Bestand hat.” Mit dieser forschen These ging es los.
Schmidt-Salomon begreift diese allgemeine Verdummung, die man nur aus einer räumlichen oder zeitlichen Distanz erkennen könne, als eingebettet in und ermöglicht durch eine “kulturelle Matrix”, wodurch auch in eigentlich säkularen Ländern das politische Denken durch religiös bedingte (Schmidt-Salomon schöpfte dafür den Begriff “religiotisch”) Denkirrtümer sei. Dem “homo sapiens” stellt er zur Verdeutlichung den “homo demens” gegenüber, zu dem jener erschreckend häufig degeneriere. Schmidt-Salomon verortet die Quelle der Verdummung in frühkindlicher religiöser Indoktrination und um sein Argument zu verdeutlichen, zitierte er Sigmund Freud: “Denken Sie an den betrübenden Kontrast zwischen der strahlenden Intelligenz eines gesunden Kindes und der Denkschwäche des durchschnittlichen Erwachsenen. Wäre es so ganz unmöglich, dass gerade die religiöse Erziehung ein großes Teil Schuld an dieser relativen Verkümmerung trägt?” (aus: Die Zukunft einer Illusion – Leipzig IPV 1927. Kapitel IX)
Schmidt-Salomon und sieht eine biologische Wurzel des Problems in der menschlichen Neigung und Fähigkeit zur perfekten (= vollständigen aber eben auch unnütze Teile nicht weglassenden) Nachahmung von Vorgemachtem. Dazu zeigte er einen faszinierenden kurzen Film, der das eindrucksvoll unter Beweis stellt:
Ohne die Bereitschaft, das Verhalten anderer perfekt nachzuahmen, könnte keine Tradition entstehen, könnten keine komplexen Fähigkeiten, bei denen der Nutzen der Einzelelemente nicht immer offensichtlich ist, dazu gehören zum Beispiel und insbesondere Sprache, Rechnen und Wissenschaft, weitergegegeben und gelernt werden:
Die “kulturelle Matrix”, die diesen durch das Nachahmungsverhalten geleiteten Lernprozess lenkt, definiert Schmidt-Salomon als “Programm zur gesellschaftlichen Normierung individueller Denk-, Empfindungs- und Handlungsgewohnheiten”.
Im folgenden argumentierte Schmidt-Salomon, “daß es eben nicht am fehlenden Weltethos, sondern an fehlender Intelligenz” liege, daß sich so wenig zum besseren verändere. Die erschütternde Wahrheit sei, daß wir nicht zu böse, sondern zu dumm seien, um gerechtere Verhältnisse zu schaffen, weil wir ein System geschaffen haben, das die Rationalität des Einzelnen “mit tödlicher Präzision zur Grundlage eines kollektiven Irrsinns” mache, wodurch wir Entscheidungen treffen, die innerhalb der Matrix als „klug”, ja sogar „vernünftig” erscheinen, obwohl sie in Wahrheit von beträchtlicher Dummheit seien.
Bei dieser “Schwarmdummheit” handele es sich um die exakte Umkehrung jener „Schwarmintelligenz”, die wir beispielsweise bei Ameisen beobachten können: während sich aus der individuellen Beschränktheit der Ameisen eine kollektive Intelligenz ergebe, resultiere aus der individuellen Intelligenz der Menschen eine kollektive Beschränktheit.
Die einzig mögliche Lösung liege, so Schmidt-Salomon, in einer Veränderung und Verbesserung des Bildungssystems und des Bildungsanspruches. Das Grundübel sehe er darin, dass das „Abenteuer Wissen” den Kindern meist auf derart langweilige Weise vorgesetzt werde, dass sie schon nach kurzer Zeit genau die Eigenschaft verlieren, die sie von Natur aus so sehr zum Lernen befähigt: die Neugier, womit sich der Kreis zum Freud-Zitat (s.o.) schloss. Auch die Lehrerinnen und Lehrer müßten deutlich besser darin werden, ihre Schüler zu begeistern, denn ohne Begeisterung werde Lernen zu einer geistlosen Aneignung entfremdeten Wissens. Es müsse also eine Denkförderung her. Stattdessen sei, was derzeit vermittelt werde in etwa: „Schere dich nicht um Argumente! Gehe den Dingen nicht auf den Grund! Sei kein Narr, der gegen die Absurditäten des Systems aufbegehrt, sondern ein Narr, der der dummen Horde folgt! Frage niemals nach dem Sinn des Ganzen, sondern passe dich an die herrschenden Gepflogenheiten an – auch wenn sie noch so himmelschreiend blöde sind!”
Dem konnte ich, gerade als Biologe, nur zustimmen. Schöner, kluger Vortrag und ein runder Abschluss des Tages 🙂
Ende Teil 2
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