Warnung: in dieser Reihe wird es immer wieder zu Begegnungen mit und Blicke in die tiefsten menschlichen Abgründe kommen und obgleich ich mich stets bemühen werde, nicht ins Sensationalistische abzugleiten, mag bisweilen die unausgeschmückte Realität bereits mehr sein, als manche(r) erträgt.
Diesmal: ein Bericht aus Norwegen über drei klassische und einen ‘neuen’ Weg der Enthauptung.
Enthauptungen begegnen einem, vielleicht entgegen verbreiteten Auffassungen, in der forensischen Praxis nicht sehr selten. Auch ich habe, in der nicht so langen Zeit, die ich nun in der Rechtsmedizin arbeite, schon mehrere enthauptete Leichen ‚mitbekommen’. Daher ist es sehr wichtig, anhand des Spurenbildes an der Auffindestelle aber auch am Körper der verstorbenen Person die richtigen Schlüsse über den Hergang des Geschehens zu ziehen, denn nur so kann zwischen Unfall, Suizid und Tötungsdelikt unterschieden werden. Bei Tötungsdelikten z.B. finden sich häufig noch andere Verletzung an der Leiche, wenn die Enthauptung gar nicht zur Tötung diente, sondern erst postmortal z.B. zu Zwecken der Vertuschung erfolgte.
Wie die im folgenden beschriebenen Fälle zeigen, können sich die sich bietenden Szenarien nach Enthauptungsereignissen sehr stark voneinander unterscheiden:
1. Fall: ein Mord
Ein 54-Jähriger verschwindet im Juli des Jahres 2007, ein Verbrechen wird bereits vermutet. Im Januar 2008 findet man eine verstümmelte Leiche, der sämtliche inneren Organe fehlen, vergraben in der Nähe des Hauses eines Verwandten des Vermissten.
Dem Toten war der Kopf abgetrennt und der Körper offenbar der Länge nach zerteilt worden, denn es fanden sich je eine rechte und linke Torso- und Beckenhälfte, sowie abgetrennte Arme und Beine. Wirbelsäule und Brustbein des Torsos, Kreuzbein und Schambeinfuge des Beckenknochens waren längs, vermutlich mit einer Säge, durchtrennt worden. Ober- und Unterkörper waren durch einen horizontalen Schnitt zwischen viertem und fünftem Lendenwirbel zertrennt. Die Enthauptung war offenbar durch zunächst einen Messerschnitt durch die Haut und dann Sägearbeit zwischen fünftem und sechstem Halswirbel erfolgt, es fanden sich auf einigen Wirbel auch noch Werkzeugmarken. Der Schildknorpel war horizontal durchschnitten, das Zungenbein hingegen intakt.
Es fanden sich keine vor dem Tod zugefügten Verletzungen und alle inneren Organe waren entfernt worden, was auf Erfahrung des Täters als Jäger oder Metzger hinweist. Die erkennbaren Wunden zeigten keine Anzeichen von Vitalreaktionen, was nahelegt, daß die Zerlegung der Leiche nach dem Tod stattfand. Die Untersuchung von Muskelbiopsaten erbrachte zudem keine Hinweise auf Alkohol, Medikamente oder Drogen. Obwohl tödliche Strangulation vermutet wurde, konnte die Todesursache nicht abschließend geklärt werden.
2. Fall: ein Suizid mit Fahrzeug
Ein Auto rast mit hoher Geschwindigkeit über einen Parkplatz, die Heckklappe steht weit offen. Plötzlich kommt es, genau in einer Parklücke, zum Stehen und nichts rührt sich mehr. Nach einer Weile, niemand steigt aus, die Heckklappe steht noch immer offen, die Scheinwerfer brennen noch, geht der Parkplatzwächter hin, um nachzusehen. Er findet einen kopflosen Toten angeschnallt auf dem Fahrersitz, um ihn herum überall Blut. Der zweite Gang ist eingelegt, die Zündung steht auf “An” und der CD-Player spielt dasselbe Lied immer wieder. Der Kopf des Toten liegt zwischen den Vordersitzen. Die hinzugerufenen Polizisten und Forensiker finden zunächst kein Werkzeug, mit dem die Enthauptung hätte durchgeführt werden können. Erst ein Spürhund findet ein 7 mm dickes, blaues Nylonseil, das mit einem Ende an einem Laternenpfahl in 55 m Entfernung vom Auto befestigt worden war. Das gesamte Seil (28 m) lag nahe beim Laternenpfahl und am freien Ende war eine Schlinge geknüpft worden, an der sich noch ein Stück Haut mit Barthaaren fand.
Die Obduktion ergab: Der Kopf wurde durch eine relativ scharfe Schnittwunde in der Vorderseite des Halses abgetrennt. Am hinteren Teil war ein Stück Haut fortgerissen worden, das sich in der extrem festen Schlinge fand. Die Hautschnittwunde wies am hinteren Nacken sehr geringe Unregelmäßigkeiten und konnte nur schwer von einer möglichen Messerschnittwunde abgegrenzt werden. Das Weichgewebe war jedoch unregelmäßig zertrennt. Nahe an der Schnittfläche, die zwischen dem dritten und vierten Halswirbel lag, fand sich eine Strangmarke, die das Anlegen des Seils andeutete. Insgesamt zeigten die Verletzungsbefunde der Halsweichteile, daß das Seil einen Weg durch den schwächsten Punkt der Wirbelsäule gefunden hatte. Der toxikologische Befund (Drogen, Alkohol) war negativ. Der Verstorbene hatte also das Seil an der Laterne und eine Schlinge um seinen Hals befestigt, wobei das Seil durch die Heckklappe geführt wurde. Dann fuhr er mit hoher Geschwindigkeit von der Laterne weg, bis sich das Seil mit einem Ruck spannte und die Schlinge den Kopf abtrennte. Dabei rutschte der Fuß vom Gas, der Motor ging schließlich aus und das Fahrzeug kam, zufällig in einer Parklücke, zum Stehen. Es handelte sich bei diesem Vorfall also um einen Suizid durch Enthauptung mit einem Seil unter Zuhilfenahme eines Fahrzeugs.
3. Fall: ein Suizid mit Erhängen aus großer Höhe
Januar, 2010. Eine junger, suizidgefährdeter Mann hält sich zu Hause zusammen mit seiner Mutter auf, die ihn beobachten und notfalls von suizidalem Verhalten abhalten soll. Er geht nach oben, die Mutter ruft ihm hinterher er solle keine Dummheiten machen. Wenige Minuten hört die Mutter ein Geräusch vom Fenster im oberen Stockwerk. Die Mutter stürzt vor die Tür und findet den Körper des Sohnes auf dem Boden. Der Kopf hängt noch an einer Schlinge. Das Seil war an der Balkonbrüstung angebracht worden und ein Stuhl stand nahe daneben.
Die Obduktion des 183 cm großen und 109 kg schweren Mannes ergab: Es fanden sich Hautabschürfungen an der vorderen Halsseite, die restliche Haut am Hals war relativ scharf durchschnitten, der Hals zwischen fünftem und sechstem Halswirbel durchtrennt. Der Knoten der Schlinge war an der vorderen Halsseite plaziert und das Rückenmark war kurz vor der Pons abegrissen.
Die Haut des Oberkörpers wies einige Abschürfungen auf, die durch den Sturz erklärlich waren, es wurden jedoch keine schwereren Verletzungen und auch keine Anzeichen für eine Erkrankung festgestellt. Der toxikologische Befund war positiv für Chlorprotixen (ein Antipsychotikum), N-desmethyldiazepam (ein Abbauprodukt eines Beruhigungsmittels), Oxycodon (ein opiathaltiges Schmerzmittel), Citalopram (ein Antidepressivum) und Olanzapin (ein Neuroleptikum zur Behandlung schizophrener Psychosen). Der offensichtlich schwer psychisch erkrankte Verstorbene hatte also Suizid durch Erhängen verüben wollen, was aber durch sein relativ hohes Körpergewicht in Kombination mit einer großen Fallhöhe zu einer Abtrennung des Kopfes führte.
4. Der Sonderfall
Juni, 2003. Ein Mazda rast eine Landstrasse entlang auf eine scharfe Linkskurve zu. Er passiert eins von mehreren Warnschildern, die auf die Kurve hinweisen. Dann passiert der Unfall: das Auto rammt die rechte Leitplanke direkt neben einem weiteren Warnschild, die dabei verbogen und zerstört wird und kracht danach 50 m weiter gegen eine Felswand. Als die Rettungskräfte eintreffen, ist der Fahrer des Wagens verschwunden, der Motor läuft noch, alle Türen sind geschlossen und beide Frontairbags haben ausglöst. Das Fenster auf der Beifahrerseite ist zerbrochen und die Scherben sind hinausgefallen, die Windschutzscheibe ist gebrochen und auf der Beifahrerseite mit Blutspuren bedeckt. Auf dem Beifahrersitz sitzt, nach vorne gelehnt und ohne Gurt, die kopflose Leiche einer jungen Frau.
Ihr Kopf wird schließlich gefunden, neben dem Warnschild, das direkt neben der Stelle steht, an der das Auto die Leitplanke gerammt hatte.
Zur Obduktion gelangte eine 34-jährige Frau mit oberflächlichen Hautabschürfungen und Prellmarken am rechten Arm. Am Kinn und der vorderen Halsseite zeigten Abschürfungen die Stelle des Aufpralls an: es fand sich ein unregelmäßiger Einschnitt in der Haut der vorderen Halsseite gerade unter dem Kinn. Am restlichen Nackenbereich war die Haut rundherum relativ scharf durchtrennt. Am Kopf verlief der Schnitt durch die unteren Schläfen an beiden Seiten, so daß das komplette linke Ohr und Teile des rechten Ohrs vom Kopf abgetrennt und am Halsrest des Körpers verblieben waren. Der Hinterkopf war so gebrochen, daß die Schädelbasis auf dem Halsrest des Körpers, Kiefer und Zunge jedoch am Schädel verblieben waren. Das Kleinhirn und der untere Teil des Hinterhauptlappens waren beschädigt, Pons und verlängertes Mark waren abgerissen und durchtrennt. Der Kiefer aber nicht die Wirbelsäule war gebrochen. Der toxikologische Befund ergab einen Blutalkoholwert von 0,18 Promille.
Aufgrund der autoptischen Befunde und der Spuren am Unfallort wurde das Geschehen rekonstruiert: Durch den Aufprall an der Leitplanke hatten die beiden Airbags ausgelöst und die Plastikabdeckung des Beifahrerairbags war dabei in das Fenster geschleudert worden, wodurch dieses zerbrach, zunächst jedoch ohne auseinanderzufallen. Die Verstorbene war nicht angeschnallt und befand sich zum Zeitpunkt der Airbagauslösung vermutlich nicht in der normalen Sitzposition, so daß sie vom Airbag gegen das Beifahrerfenster gedrückt wurde, welches dadurch schließlich ganz zerbrach. Durch den Druck das Airbags wurde dann vermutlich ihr Kopf durch das Fenster gedrückt und dieser konnte so mit dem Warnschild direkt neben der Leitplanke, die das Auto gerammt hatte, zusammenprallen. Die Stange des Schilds und das Schild selbst waren intakt. Das Schild befand sich jedoch in zu großer Höhe, so daß die tödliche Verletzung letztlich einer stumpfen Gewalteinwirkung durch Zusammenprall mit der Schildstange zugeschrieben wurde. Der Fahrer wurde später noch gefunden und verhaftet.
Die Enthauptung führt schnell und unweigerlich zum Tod, ohne Anschluss an den Kreislauf tritt der Hirntod innerhalb von Minuten ein.
Und obwohl zuletzt immer häufiger auch homizidale Enthauptungen berichtet wurden, z.B. als Abschreckungsmaßnahmen im mexikanischen Drogenkrieg und seit 2003 vermehrt als Terrortaktik im Irak, sind Enthauptugen in der forensischen Routine doch eher selten und meist verursacht durch Unfälle (Explosionen, Zug- und Autounfälle) und Suizide (meist durch Überfahren durch einen Zug).
Bei Auto- und Zugunfällen und anderen traumatischen Einwirkungen finden sich meist mehrere stumpfe Gewalteinwirkungen auf Haut und knöcherne Halsanteile und keine scharf abgegrenzten Schnittmuster, wie es nach Einwirkung eines Messers der Fall wäre. Das ist meist ausreichend, um die stumpfe Gewalteinwirkung als Ursache für die Enthauptung festzustellen. Hinzuzkommt, daß fast immer der Ort des Todeseintritts einen Hinweis auf die Art des Todes gibt, weshalb es in solchen Fällen entscheidend wichtig ist, wie man auch an den hier berichteten Fällen 2 und 4 sieht, daß ein Rechtsmediziner nicht nur den Leichnam sondern auch den Fundort besichtigt.
Außerdem sollte die Unterscheidung zwischen Enthauptung durch Suizid oder Unfall bei solchen traumatischen Einwirkungen erst nach Einbeziehung aller Details, Befunde und Spuren von Fundort und Obduktion (insb. Wundränder und mögliche Abwehrverletzungen), sowie psychiatrischer Krankengeschichte und toxikologischer Untersuchungen vorgenommen werden.
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Und mit diesem heiteren Thema verabschiede ich mich in den voraussichtlich blogarmen aber sonnereichen Urlaub. Bis bald…
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Referenz:
Morild I, & Lilleng PK (2012). Different Mechanisms of Decapitation: Three Classic and One Unique Case History. Journal of forensic sciences PMID: 22582715
und bevor wieder einer fragt: hier eine klangliche Untermalung…
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