Bevor ich auf die hier angekündigten „begründenden Prinzipien“ zu sprechen komme, die alle Tumoren gemeinsam haben, möchte ich kurz ein paar häufig angetroffene Missverständnisse bzw. Fehlkonzeptionen zu Krebs aus dem Weg schaffen.
1. Krebs ist keine Infektion und daher nicht ansteckend. Krebs entsteht immer durch die Entartung einer vormals normalen Zelle des Körpers. Entartung bedeutet hier, daß durch eine schädliche Einwirkung von außen (manchmal aber auch von innen) auf die DNA, z.B. durch Mutationen oder Veränderung des Methylierungsmusters, die Zelle zu einer Tumorzelle transformiert wird.
2.Es gibt keine fixe Zahl von „DNA-Schäden“, die eine Zelle nehmen muß, um zu einer Krebszelle zu werden, man kann also nicht vorhersagen, ob oder wann jemand Krebs bekommt oder eine Zelle entartet. Es gibt allerdings einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Exposition mit mutagenen Stoffen (z.B. Tabakrauch) und der Entstehung von Krebs (= je mehr, desto wahrscheinlicher, so ein bißchen wie bei Jenga). Außerdem sind bestimmte „Schäden“, z.B. Mutationen in bestimmten Genen, die eine Krebsentstehung begünstigen, vererblich, so daß es tatsächlich familiär erhöhte Krebsrisiken gibt, weil die Zellen schon mit einem „Vorsprung“ an krebsbegünstigenden Veränderungen starten.
3. Tumoren sind keine Klumpen identischer Krebszellen, sondern hochkomplexe, subdifferenzierte Gebilde mit eigener „Infrastruktur“, in denen sich neben verschiedenen Tumorzellen und nekrotischen Bereichen auch neu angelegte Blutgefäße, Immunzellen, Fibroblasten und „Helferzellen“ befinden. Auch unter den Krebszellen selber gibt es sehr wahrscheinlich eine Art Hierarchie, an deren Spitze die Tumorstammzellen stehen.
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Die Natur und Transformation aller uns bekannten Tumoren in ihrer unüberschaubaren Fülle von Ausprägungen, Merkmalen und Lokalisationen kann recht gut durch eine kleine Gruppe begründender Prinzipien erklärt werden. Das bedeutet nicht, daß diese auch nur einen einzigen Tumor en detail beschreiben und spezifische auf genau diesen Tumor ausgerichtete Forschung überflüssig machen könnten, aber sie sind sehr hilfreich, um das übergeordnete Phänomen „Krebs“ zu begreifen, um zu verstehen, welche „Hürden“ eine Zelle überwinden muß, um zur Gründerzelle eines Tumors zu werden und deshalb möchte ich diese Prinzipien in dieser Serie im einzelnen vorstellen.
Ich orientiere mich dabei an dem zumindest unter Krebsforschern berühmten Artikel „The hallmarks of cancer“ (D: „Die Kennzeichen von Krebs“) von D. Hanahan und R. Weinberg, in dem sie erstmals die sechs Kennzeichen, die charakteristisch für Krebs sind, formulierten und der auch für mich damals eine wichtige Einführung in das Feld war. Im Grunde bezeichnen diese Kennzeichen Fähigkeiten, die ein Tumor im Laufe seiner Entwicklung erlangen kann und auch erlangen muß, wenn er in einer „feindlichen Umgebung“, wie es der Rest des Organismus, von dem er sich unabhängig gemacht hat und der vom selben Augenblick an einen starken Selektionsdruck gegen ihn aufbaut, für ihn ist, Bestand haben soll.
Die erste dieser Fähigkeiten, die ich hier vorstellen möchte und die auch als erste entdeckt und erforscht wurde, ist die Unabhängigkeit von, also die Selbstgenügsamkeit bei Wachstumsfaktoren. Um zu verstehen, warum Zellen überhaupt abhängig von Wachstumsfaktoren sind (und besser sein sollten), muß man sich den Körper und seine Gewebe zunächst als ein unglaublich dynamisches, differenziertes, man könnte vielleicht sagen ‚vernetztes’ Gebilde mit einer extrem effizienten Arbeitsteilung vorstellen. Nierenzellen z.B. tun das und nur das, was Nierenzellen tun sollen, das gleiche gilt für Leber- oder Nervenzellen. Obwohl sie alle die gleiche genetische Ausstattung haben (in den Begriffen der Restaurantanalogie : sie haben alle eine Bibliothek mit dem gleichen Kochbuchbestand), rufen sie nur die für ihre spezifische Funktion notwendigen genetischen Programme ab, was zugleich verhindert, daß sie überflüssige und damit unökonomische Produkte herstellen.
Eine solche Differenzierung ist aber ohne eine Form von Rapport zwischen den Zellen unvorstellbar und folgerichtig finden sich im Körper unzählige Kommunikationswege zwischen Zellen und Geweben, die direkt von Nachbar zu Nachbar aber auch über weite Strecken funktionieren können und sehr häufig mit chemischen Botenstoffen (z.B. Hormone) verwirklicht werden. Die Kommunikation zwischen Zellen, das sogenannte „signaling“ ist ein eigener, großer und wichtiger Forschungsbereich und ich kann ihn hier gerade einmal sachte streifen. Biochemisch funktioniert die Signalübermittlung zwischen Zellen sehr häufig über so genannte Rezeptoren .
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