Hier nun der bereits viel nachgefragte zweite Teil des Gastbeitrags von Claudia Graneis, der seinen Schwerpunkt bei der durch die homöopathische Industrie betriebenen Lobbyarbeit und deren Einfluss auf das politische Wirken hat. Herzlichen Dank an die Autorin.
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„… die Kundin wollte ein homöopathisches Mittel haben. Ich habe sie aufklärt und gefragt, ob sie denn wisse, daß da kein Wirkstoff drin sei. Das wusste sie nicht. Später habe ich großen Ärger vom Chef bekommen, deswegen.“
Das Zitat, mit dem der zweite Teil des Artikels über die Infiltration der Pharmazie durch die Homöopathie beginnt, stammt von einem Kommilitonen, den ich vor einigen Wochen wieder traf, als das Semester startete.
Andere hatten ähnliche Geschichten zu erzählen: einer mußte in der Rezeptur vom Heilpraktiker verschriebene „Super Tuning Essenzen“ herstellen, die pro Fläschchen mehrere Dutzend Euro kosten. Anthroposophische Arzneimittel, welche nur in Flaschen mit blauen Verschlüssen abgegeben und nur mit Etiketten schwingungsharmonischer Farben versehen werden durften, mußten verkauft werden. Bachblüten durften auf Kundenbitte hin nicht gescannt werden an der Kasse (das zerstöre die Schwingungen der Blütenessenzen). Und es wurden Rezepte für anthroposophische Nasentropfen ausgestellt. Das war eine Flüssigkeit, die aus mehreren homöopathischen Essenzen bestand – und in die zusätzlich noch eine komplette Packung eines bekannten, wirksamen Nasensprays (Handelspreis ca. fünf Euro) gemischt wurde. Natürlich wirkt die Mixtur und kostet ungefähr 20 Euro.
Der Irrsinn hört nicht auf.
Apotheken verdienen an gewöhnlichen Arzneimitteln nicht viel; ca. acht Euro pro Rezept. Ohne esoterische „Arznei“mittel zu verkaufen, kann sich eine Apotheke heute kaum noch halten – so die Angaben vieler Pharmazeuten dazu. Die Nachfrage der Kunden jedenfalls ist da. Und der Rückhalt aus der Politik auch. Die Gründe hierfür möchte ich in diesem Artikel etwas genauer untersuchen.
Aus dem vorangegangenen Beitrag ist schon bekannt, daß unser Bundesministerium für Gesundheit dem Einzug der Homöopathie sowohl in den Apotheken (mit der verpflichtenden Einführung eines Homöopathischen Arzneibuchs) als auch in den Universitäten (mit der Aufführung homöopathischer Lehren im staatsexamensrelevanten Gegenstandskatalog) eifrig Vorschub geleistet hat. In einem Brief an das Gesundheitsministerium versuchte ich, herauszufinden, wie das geschehen konnte und welche politische Haltung dem zugrunde liegt. Es folgt die Anfrage, die ich an das Ministerium übermittelte:
Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Claudia Graneis und ich studiere Pharmazie. Im Laufe meines Studiums bin ich schon einige Male auf Lehrplaninhalte zum Thema Homöopathie gestoßen und habe auch erfahren, daß es in Deutschland ein Homöopathisches Arzneibuch gibt. Dazu habe ich einige Fragen.
Die Homöopathie wurde vor 200 Jahren von Samuel Hahnemann (auf Grundlage eines missglückten Experiments) erfunden und ist seitdem ihren WIrksamkeitsnachweis schuldig geblieben. Es gibt keine replizierbaren wissenschaftlichen Ergebnisse aus guten klinischen Studien (also doppelt verblindet, randomisiert und placebokontrolliert), die jemals (!) den Nutzen der Homöopathie dargelegt hätten. Auch gemäß Cochrane-Review hat Homöopathie niemals besser abgeschnitten als das Placebopräparat.
Auch die wissenschaftlichen Grundlagen, auf welche sich die Homöopathie beruft, sind nicht haltbar: das Gedächtnis des Wassers, zum Beispiel. Wenn ein solcher “molekularer Imprint” je hinterlassen wird (wobei das bei mitunter riesigen Molekülen im Gegensatz zu winzigen Wassermolekülen ohnehin schwierig würde), so dauert er nur wenige Femtosekunden an und kann demnach keinen therapeutischen Effekt haben.
Ähnlich gut belegt sind die im HAB aufgeführten Techniken der Spagyrik (die sich ja als moderne Form der Alchemie versteht) und der Anthroposophischen Medizin (mit ihrer Lehre vom Astral-, Äther-,… etc. Leib).Die erste Frage lautet nun also: wieso steht die Homöopathie im Gegenstandskatalog der IMPP, der ja vom BMG über die Approbationsordnung für Apotheker festgelegt wird? Wieso muß ich als Pharmaziestudentin etwas über das angebliche Wassergedächtnis und die wissenschaftlich unhaltbaren, esoterischen Theorien Hahnemanns lernen (immerhin handelt es sich ja um einen naturwissenschaftlichen Studiengang)?
Zweitens, wieso gibt es in Deutschland ein Homöopathisches Arzneibuch, das ja auch vom BMG herausgegeben wird, mit Inhalten, die sich sogar auf Spagyrik und Anthroposophie ausweiten? Das alles ist nicht im geringsten mit Evidenz belegt und ins Reich der Esoterik einzuordnen.Es gibt Menschen, die behaupten, Homöopathie habe bei ihnen wunderbar geholfen. Zunächst aber sind das Einzelfälle, Anekdoten, die sich noch nie in einer kontrollierten Studie haben replizieren lassen, zum anderen ist das Wirksame an Homöopathika der Placeboeffekt (da die Verschreiber solcher “Medikamente” oft viel Zeit und ein offenes Ohr mitbringen).
Diese Rechtfertigung also wäre vom Tisch. Eine weitere wäre, daß die Nachfrage der Menschen so hoch ist. Wenn nun aber morgen die Nachfrage der Menschen der dem pulverisierten Horn eines Einhorns (oder irgendeinem anderen, wissenschaftlich in keiner Weise belegten Präparat) sehr hoch würde, müßte ich dann mit Examensfragen zu diesem Thema und einem Einhorn-Arzneibuch rechnen?Es interessiert mich wirklich sehr, wie derlei Dinge zustande kommen und ich bin gespannt auf Ihre Antwort. Vielen Dank im Voraus für die Mühe.
Nach Wochen des Wartens erreichte mich schließlich eine Antwort. Leider fiel diese genauso wenig substanziell aus, wie ich es befürchtet hatte. Sie lautet:
Sehr geehrte Frau Graneis,
Vielen Dank für Ihre Email vom 2. Oktober 2012.
Grundsätzlich ist dazu zu sagen, dass es sich bei der Homöopathie um eine in Deutschland seit 1978 anerkannte Besondere Therapieform im Sinne des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) handelt.
Der dem Apotheker vom Gesetzgeber erteilte Auftrag ist die Sicherstellung der ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln (§1 Bundes-Apothekerordnung). Dieser Auftrag bedeutet u. a. die verantwortungsvolle Information und Beratung des Patienten/der Patientin über jedes von ihm abgegebene Arzneimittel und gehört zum Berufsbild des Apothekers.
Der Begriff Arzneimittel umfasst auch die im Register für homöopathische Arzneimittel des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte [BfArM, Anm. d. Autorin] verzeichneten zugelassenen/registrierten homöopathischen Arzneimittel. Homöopathika sind ferner –worauf Sie ja auch hinweisen- im Homöopathischen Arzneibuch verzeichnet, das Teil des Arzneibuchs nach §55 Arzneimittelgesetz ist.
Das Homöopathische Arzneibuch als Sammlung von Regeln über die Qualität, Prüfung, Lagerung und Bezeichnung von homöopathischen Mitteln und die bei ihrer Herstellung und Prüfung verwendeten Stoffe, Materialien und Methoden ist Basis für das erforderliche Grundlagenwissen, um Patientinnen und Patienten sachgerecht beraten zu können. Auch die im allgemeinen Teil des HAB niedergelegten verschiedenen Verfahrenstechniken, die neben klassischen Herstellungsmethoden nach Hahnemann auch auf die Verfahren der Anthroposophie und Spagyrik eingehen, ergänzen pharmazeutische Kenntnisse und Fertigkeiten.
Über die Approbationsordnung für Apotheker ist sichergestellt, dass Apothekerinnen und Apotheker nach Beendigung der pharmazeutischen Ausbildung generell über die erforderliche Sachkenntnis bei Arzneimitteln, also u. a. auch bei Homöopathika, verfügen. Dies ist zur Sicherheit der Patientinnen und Patienten unerlässlich.
Selbstverständlich ist es der Inhaberin/dem Inhaber einer Apotheke unbenommen, homöopathische Arzneimittel nicht in ihr/sein Sortiment aufzunehmen. Das entbindet sie/ihn jedoch nicht von der Beratungspflicht und spielt daher bei der Berufsausbildung keine Rolle. Mit freundlichen Grüßen,
[…]
So weit, so unbefriedigend. Diese Antwort wirft weitere Fragen auf, und zwar diejenigen nach den Regelungen und Modalitäten in Deutschland in Bezug auf homöopathische Arzneien. Da wäre zunächst das bereits genannte SGB V. In diesem Buch, das sich mit den Regelungen der gesetzlichen Krankenkassen auseinandersetzt, wurde in einer Debatte um die Kostenübernahme für homöopathische Mittel erstmals der Begriff der Binnenanerkennung geprägt. Diese bezieht sich ausschließlich auf die sogenannten „Besonderen Therapierichtungen“ und legt fest, daß die Vertreter der jeweils betroffenen Behandlungsmethoden, in diesem Fall der Homöopathie (aber auch Anthroposophie, Spagyrik und Pflanzenheilkunde), selbst Beurteilungen zur Wirksamkeit und zur Güte der Methode an sich abgeben dürfen. Für ein konventionell-medizinisches Präparat wäre ein solches Vorgehen undenkbar.
Doch die Sonderregelungen für esoterische Heilmethoden ziehen sich auch durch das Arzneimittelgesetz (AMG). So müssen Hersteller homöopathischer Präparate keine Angaben zur Wirksamkeit, Nebenwirkungen und ggf. erfolgten analytischen und toxikologischen Prüfungen machen, während Medikamente aus der evidenzbasierten Medizin diese, völlig zu Recht und in Verbindung mit hohen Kosten, vorlegen müssen. Weiterhin sitzen in der Zulassungskommission für derlei Präparate u. a. „Sachverständige“ mit „wissenschaftliche[n] Kenntnisse[n]“ und „praktische[n] Erfahrungen“ auf dem Gebiet der Pseudowissenschaften. Das jedoch ist meist ohnehin nicht nötig, denn laut AMG §§38-39 muß ein homöopathisches Mittel nur registriert, nicht zugelassen werden.
Doch DHU, Weleda und Co. behelfen sich auch mit kleinen Tricks, um weiteren Fallen in der Gesetzgebung zu entgehen: so sind auf solchen Präparaten grundsätzlich keine Indikationen angegeben, da Arzneimittel gemäß AMG §8 keine falschen Angaben zur Wirksamkeit machen dürften. Zudem umgehen sie ihre Befreiung von der Apothekenpflicht (§44 AMG) mit dem simplen Trick, daß sie ihre Präparatsnamen schlichtweg nicht auf deutsch angeben. Stünde statt Natrium chloratum einfach „Kochsalz“ auf der Verpackung, dürfte das mit 1349 Anwendungsgebieten (laut Hahnemann) gepriesene Wundermittel auch im Supermarkt um die Ecke verkauft werden.
Es ist also ein munteres Ducken und Schleichen durch den Paragraphendschungel, der aber auf skandalöse Weise zugunsten der Homöopathischen Industrie modifiziert wurde. So etwas ist nicht möglich ohne gute Lobbyarbeit.
Die Pharmaunternehmen, welche Homöopathika herstellen, betreiben Lobbyarbeit „wie die Großen“ und unterscheiden sich in Methodik und Aufwand kaum von den „konventionellen“ Pharmafirmen. DHU, Heel, Weleda, WALA und Konsorten machen Aufwartungen im Gesundheitsausschuss des Bundestages, laden Abgeordnete auf ihr Produktionsgelände, versenden Werbungsprospekte und laden zu Veranstaltungen. Doch dazu gleich mehr. Ergänzend zum HAB gelten in Deutschland die Empfehlungen der „Kommission D“ zu Prüfvorschriften und ähnlichem; deren Vorsitzender, Michael Elies, ist gleichzeitig in der DHU engagiert.
Ein weiterer großer Name ist die „Carstens-Stiftung“, ein von Ex-Bundespräsident Carstens und seiner Frau ins Leben gerufenes Organ, welches tatkräftig die Verbreitung homöopathischer Lehrkonzepte fördert. So finanziert die Stiftung Professuren, Doktorarbeiten, Vorträge und weiteres zum Thema Homöopathie. Doch nicht nur diese Stiftung mischt an den Universitäten mit: Stiftungsprofessuren gibt es mittlerweile auch von der Firma Heel, und der Deutsche Zentralverband homöopathischer Ärzte (DZVhÄ) entsendet mehrere Projektleiter, um mit den Universitäten das Gespräch zum Thema „Homöopathie in der Lehre“ (s. Interview mit C. Bajic) aufzunehmen. Lehrbeauftragte werden vermittelt, Camps initiiert, Arbeitskreise unterstützt.
Doch auch an anderer Stelle schreitet die Infiltration fort: bei den Apothekern, Ärzten und dem weiteren Gesundheitspersonal. So stellen die Pharmareferenten der o.g. Firmen bei den Apotheken bereitwillig kostenlose Kundenbroschüren zur Wirksamkeit der Zuckerkügelchen zur Verfügung, bieten bepunktete (!) Fortbildungen für Ärzte und Apotheker an und veranstalten Seminare, um ihre Produkte einzuführen.
Am dramatischsten ist der Einschlag dieser Maßnahmen vielleicht bei den Hebammen zu spüren: Eine Schwangerschaft ist eine empfindliche Phase im Leben einer Frau, in der sie höchst bedacht darauf ist, ihrem Kind keinen Schaden durch eventuell toxische Stoffe zuzufügen. Eine unerfahrende werdende Mutter benötigt in dieser ungewohnten Situation die Begleitung und Anleitung einer kompetenten und vertrauenswürdigen Bezugsperson. Dies ist in vielen Fällen eine Hebamme – leider ist in dieser Berufsgruppe die Affinität zu alternativmedizinsichen Verfahren wie Homöopathie und Akupunktur besonders verbreitet und die entsprechende Einflussnahme auf die Schwangeren massiv. In der Folge nehmen etwa 70% der Frauen während der Schwangerschaft Globuli ein – ein Start in eine homöopathische Selbstmedikationskarriere.
Hebammen fungieren somit als Multiplikatoren solcher esoterischen Behandlungskonzepte und sind folgerichtig ein Angriffsziel besonders aggressiver Marketingversuche der Homöopathischen Industrie. So bietet zum Beispiel die Firma Weleda ganze Seminare und Lehrgänge für Hebammen an, die laut Presseberichten rege in Anspruch genommen werden und auch von Berufsverbänden empfohlen werden.
Zuletzt sind die Hersteller solcher Arzneimittel natürlich auch in mächtigen Lobbyverbänden, zum Beispiel dem BPI , engagiert und haben dort eigene Ressorts, die für ihre Interessenvertretung auf allen Ebenen sorgen. Nun ist auch die „konventionelle“ Pharmaindustrie in Bezug auf unschöne Lobbymethoden nicht gerade ein unbeschriebenes Blatt – aber die homöopathische Industrie steht ihr in nichts nach, auch wenn ironischerweise der Griff zu Alternativmedizin von vielen Kunden mit der Ablehnung der Machenschaften von „Big Pharma“ begründet wird.
BfArM, Apothekerkammer und andere Instanzen warten, wie das Gesundheitsministerium auch, mit Beschwichtigungsgesten und nur lauen Stellungnahmen auf. Wer sich dazu genauer informieren will, dem empfehle ich das in den Literaturangaben genannte Buch „Die Homöopathie-Lüge“.
Es gibt natürlich auch einzelne Politiker, die besonders wertvolle Advokaten für die Globuli-Industrie sind. So ist zum Beispiel die (studierte Chemikerin) Barbara Steffens, ihres Zeichens Gesundheitsministerin in NRW, eine erklärte Homöopathie-Freundin. Sie spricht auf Kongressen und läßt sich vom DZVhÄ interviewen und wird auch sonst nicht müde, die Vorzüge der Homöopathie zu betonen und ihre Integration ins deutsche Gesundheitssystem vehement zu fordern. Unter anderem plädiert sie dafür, die Homöopathie „auf Bundesebene in die Bundespolitik zu bekommen“. Besonders verstörend: „Wir brauchen natürlich auch Studiengänge.“ Das ließ sie beim o.g. Interview verlautbaren.
Auf völligen Irrsinn verweist eine Anekdote aus dem Buch „Die Homöopathie-Lüge“: dort ist zu lesen, daß K.-H. Daehre, Verkehrsminister in Sachsen-Anhalt, in der Stadt Köthen die Zusammenarbeit von Städteplaner mit Homöopathen lobt, um den Verkehrsfluß zu ‚entstören’. Daß auch dieser Mann ein promovierter Chemiker ist, macht die Sache nur noch trauriger.
Die Homöopathie genießt also hohes Ansehen in Politikerkreisen und schafft mittels Lobbyarbeit Dinge, die in anderen Ländern nur Kopfschütteln auslösen würden. Um die genauen Mechanismen dahinter zu verstehen, suchte ich Kontakt zu einem Politiker, der auf höchster Ebene mit diesen Vorgängen zu tun hatte. Ich erhielt die Chance, mit einem ehemaligen Bundestagsabgeordneten im Gesundheitsausschuss zu sprechen.* Ich erhoffte mir klare Aussagen zum Thema Lobbytätigkeit, bekam aber nur phrasenweise Homöopathie-Apologien zu hören. Später erfuhr ich auch, warum – doch dazu gleich mehr.
Gleich zu Beginn des Gesprächs erzählte mir mein Gesprächspartner, daß die Lobbyarbeit der homöopathischen Industrie gar nicht so schlimm sei – oder zumindest auch nicht anders als bei Vertretern der konventionellen Pharmaindustrie. Insbesondere der BPI Baden-Württemberg habe die Interessenvertretung der größtenteils in diesem Bundesland angesiedelten Firmen wie die DHU, Weleda und WALA übernommen. Erinnern konnte er sich an einen Fall: „Es ging vor allem um die Umsetzung des Arzneimittelbuches“, genauer um die Umsetzung von EU-Vorschriften, die für die vergleichsweise kleinen deutschen Homöopathie-Unternehmen „problematisch“ geworden wäre in Bezug auf Dokumentationspflichten und ähnliches.
Nein, Lobbyarbeit empfinde er generell nicht als problematisch, Interessenvertretung gehöre ja zur Demokratie dazu, aber sie müsse transparent sein. Auf die Frage nach den Methoden der Globuli-Fabrikanten antwortete er, es gehörte „ganz klassisch“ dazu, daß „die Unternehmen mit den Berichterstattern aus den Fraktionen Kontakt aufgenommen haben […] und um Gespräch gebeten haben über diese Themen.“ Zudem sei zu Besuchen der Unternehmen, also Produktionsbesichtigungen, eingeladen worden, „was ich auch zwei mal gemacht habe. Damit man sich die Kräutergärten anschaut, das ist ja auch eine Besonderheit gegenüber anderen Pharmaunternehmen.“
Schließlich wollte ich wissen, ob der Herr meine Einschätzung teile, daß HAB und Gegenstandskatalog vornehmlich der Lobbyarbeit entsprungen seien. Daraufhin bekam ich mitgeteilt, daß „aus der Sicht der Politik“ der „Wirkzusammenhang quasi sekundär“ sei. Immerhin gebe es ja auch „ernstzunehmende Studien“, die den Nutzen der Psychotherapie bezweifeln. Und bei Arthrose hätten schulmedizinische Mittel (also auf Wirksamkeit hin geprüfte und für wirksam befundene NSAR, Anm. der Autorin) „eine ähnlich gute Wirkung“ wie Homöopathika, „nämlich jeweils eigentlich gar keine“ – im Gegenteil, sie verursachten schließlich Magendurchbrüche und dann müsse man noch zusätzlich medikamentieren. Da spare die Homöopathie ja Kosten. Denn „selbst, wenn nur der Placeboeffekt eintreten würde, wäre es aus Sicht der Kassen unter Umständen sinnvoll, sowas zu erstatten.“
Zum Schluß noch drei weitere Zitate aus dem Gespräch:
– Es sei wichtig, festzustellen, „daß Gesundheit insgesamt kein feststehender Begriff ist, was gesund bedeutet und was nicht.“
– „Es gibt ja eine ganze Reihe von Methoden, wo Sie auch in der Schulmedizin den Wirkungserfolg nicht diagnostizieren können.“
– „Ob Sie einen körperlichen Wirkmechanismus nachweisen können oder nicht, spielt nicht die entscheidende Rolle in der Frage: ist etwas abrechnungsfähig oder nicht.“
*) den Namen des Abgeordneten nenne ich nicht, weil ich sonst seine Zitate freigeben lassen müsste. Und ich bezweifle, daß das in diesem Zusammenhang geschieht.
Nachdem im Laufe des Telefonats immer klarer wurde, daß mein Gesprächspartner offenbar Opfer intensiver Zuckerkügelchen-Lobbyarbeit geworden war, recherchierte ich ein wenig hierzu. Und ich wurde fündig: „mein“ Bundestagsabgeordneter hatte, als die Änderung des AMG zu Ungunsten der homöopathischen Industrie im Jahre 2009 anstand, das Firmengelände der DHU besucht und einen Monat später war der Satz, welcher den betroffenen Firmen ein Dorn im Auge gewesen war, aus der Gesetzesnovelle verschwunden. Eine Pressemitteilung der DHU (s. Buch „Die Homöopathie-Lüge“, S. 196) macht explizit diesen Besuch dafür (mit)verantwortlich.
Danach wunderten mich die oben angeführten Aussagen nicht mehr so sehr…
Die Homöopathie floriert also in Deutschland und macht auch vor Politik und Bildungswesen nicht Halt. Vor wenigen Tagen bekam ich von der Fachschaft meiner Uni das Angebot, Lernkartenspiele zu bestellen. Ich wurde gefragt, ob ich ein „Pharmatett“, also eines von sechs Pharmakologie-Quartett-Spielen, oder ein “Homöotett”, eines von dreien zur Esoterik, haben wolle. Kein Smiley, kein Hinweis auf Humbug, einfach eine Anfrage (das Schreiben des Verlags an die Fachschaft füge ich als Bild ein).
Es stellt sich die Frage, wie man diesem Treiben Einhalt gebieten könnte. Vor allem für Apotheker sehe ich Schwierigkeiten bei der Frage, wie man Patienten, Bezug nehmend auf das Eingangszitat, korrekt beraten kann. Einem Patienten zu sagen, ein homöopathisches Mittel helfe gegen Symptom X wäre nicht die Wahrheit, und einen Patienten zu belügen, ob aus Profitgier oder nur, um den Placeboeffekt zu generieren, halte ich für medizinethisch bedenklich, wenn nicht gar unzulässig.
Kann man auf Bundesebene intervenieren? Mich erreichten einige Bitten darum, eine entsprechende Petition einzureichen, auch um die ewigen „Extrawürste“ für die homöopathische Industrie einzudämmen. Ich bitte um Ideen, Meinungen und Anregungen dazu in den Kommentaren.
Und schließlich – was kann man auf der Arzt-Patient-Ebene, was an der Uni tun? Ich habe dazu folgende Vorschläge:
1) Homöopathika erst ab dem Alter von 18 Jahren „verordnen“ und verkaufen. So kann man versuchen, Kinder davor zu schützen, im unmündigen Alter wirkungslosen Zuckerkügelchen statt richtiger Medizin auszusetzen. Was Eltern mit ihren Kindern zuhause machen, entzieht sich weitgehend der Kontrolle, aber vielleicht hemmt es ein wenig…
2) Globuli und Co. erst nach ärztlichem Beratungsgespräch über die wissenschaftlichen Grundlagen dieser Irrlehre: die meisten Menschen wissen nämlich gar nicht, daß ein esoterischer Ansatz ohne wissenschaftliches Fundament dahintersteht.
3) Zuckerkügelchen im Studium: nur nach dem „Know your enemy“-Prinzip. Kritische Betrachtungen, kein Appeasement, kein „both sides“ – denn es ist hier genausowenig angebracht wie in der Kreationismus-Debatte.
Daß das Gesundheitssystem in Deutschland krankt und Ärzte oftmals unter bürokratischer Arbeit fast ersticken, dürften offensichtliche und große Faktoren in diesem Sachverhalt sein. Wo ein Arzt zehn Minuten Zeit hat für einen Schmerzpatienten und sich ein Homöopath eine Stunde nimmt, geht der Vertrauens- und damit der Placebobonus oft an letzteren. Hier liegt, neben öffentlicher Aufklärung, sicherlich die eigentliche Arbeit. Dazu passend antwortete mir mein Vater, Dr. Rainer Graneis, der selbst Arzt (und kein Freund der Homöopathie) ist, auf meinen vorangegangenen Artikel mit folgendem Satz, der gleichzeitig auch den Blogbeitrag beschließen soll:
„Der Erfolg der gesamten Homöopathie hat sicher auch mit Zuwendung zu tun, und wir sollten uns im Klaren sein, dass Kranke immer in einer besonderen Situation sind und sich nicht immer rational verhalten. Und andererseits unsere Rolle immer hinterfragen: ob wir diese Zuwendung auch in dem Maße bringen, wie sie benötigt wird.“
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Quellen (abgesehen von den universitären):
- Homöopathisches Arzneibuch
- Gegenstandskatalog des IMPP
- Weymayr/Heißmann: Die Homöopathie-Lüge. So gefährlich ist die Lehre von den weißen Kügelchen. – Piper, 2012
- Homepages der jeweiligen Unternehmen und Verbände
- Psiram.com
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Ganz zum Schluß noch ein paar Bemerkungen von mir:
Die Einflussnahme der Homöopathielobby auf die Hebammen finde ich persönlich zu gleichen Teilen kaufmännisch gewitzt wie perfide. Der rationalistische Widerstand gegen esoterische und nicht wirklichkeitsbasierte Konzepte dieser (leider noch häufig) Nicht-Akademikerinnen ohne wissenschaftliche Ausbildung fällt offenbar (noch) geringer aus, als der vieler Ärzte. Zudem werden Hebammen viel schlechter bezahlt und sind daher mit preiswerteren “Zuwendungen” milde und aufnahmebereit zu stimmen, als so mancher kreuzfahrtverwöhnte Mediziner. Das macht Hebammen, die im Laufe ihrer Karriere sehr viele Schwangere betreuen, zu idealen Multiplikatorinnen, die so früh den Keim für eine lebenslange Homöopathie- und häufig allgemeine Esoterikgläubigkeit säen können. Denn die Perfidie wird offenbar, wenn man sich vergegenwärtigt, daß dabei das vertrauensvolle Verhältnis zwischen Hebamme und werdender Mutter, deren akute Unerfahrenheit, Beratungs- und Betreuungsbedarf und mithin die dadurch begründete profunde Vulnerabilität für derartige Beeinflussung gnadenlos ausgenutzt wird. In den meisten Fällen verlaufen die Geburten problemlos, was dann natürlich, statt gut ausgebildetem Personal und moderner medizinischer Ausstattung der guten Homöopathie zugeschrieben wird. Beim nächsten Kind wird eine solchermaßen “geprimte” Mutter häufig wie selbstverständlich wieder auf Homöopathie zurückgreifen, solche Praktiken anderen Müttern empfehlen (mit n=1 = sie selber) und sollte sie eine andere Hebamme haben, sogar von sich aus verlangen und ggf. soweit gehen, eine Hebamme abzulehnen, wenn diese keine Homöopathie und anderen Zauberklimbim anbietet. Damit schließt sich dann der Kreis aus sich gegenseitig bedingenden Angebot und Nachfrage, indem Hebammen, selbst im Falle, da sie selbst über die Unwirksamkeit solcher Verfahren informiert sind, sie dennoch anbieten müssen, wenn sie keine Patientinnen verlieren wollen (ganz analog zum Dilemma vieler rationaler aber auch betriebswirtschaftlich denkender Apotheker). Ein sich selbst erhaltendes und sogar verstärkendes System, das für immer mehr und letztlich sogar tradierte Nachfrage sorgt. Chapeau!
Abschließend noch meinen Respekt für die selbstreflektierte Sicht von Herrn Graneis auf den eigenen Berufsstand. Ich stimme dem insofern zu, als ich der Homöopathie einräume, daß die homöopathische Behandlung tatsächlich über einen einzigen wirksamen und sogar unverdünnten Wirk”stoff” verfügt, auf den sie aber weder Patent noch Alleinanspruch hat und haben sollte: Zeit.
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