Neben der Wachstumshemmung durch die beiden „großen“ TSG gibt es noch einen weiteren, äußert bösartigen Trick von Krebszellen, durch den sie den vielseitigen und eigentlich der Wachstumshemmung dienenden TGF-β-Signalweg korrumpieren und sozusagen umprogrammieren. So fand man, daß in vielen fortgeschrittenen Tumoren der TGF-β-Signalweg nicht länger an der Hemmung des Zellwachstums beteiligt ist, sondern stattdessen ein spezielles zelluläres Programm aktiviert, wodurch die Zelle Eigenschaften hochgradiger Malignität erhält.
Eine weitere häufig bei Tumoren angetroffene Möglichkeit, Wachstumshemmung zu umgehen, besteht darin, die sogenannte „Kontaktinhibition“ zu überwinden. Dazu muß man wissen, daß Zellen, die eng gedrängt wachsen, also in innigem Kontakt miteinander sind, eine starke Wachstumshemmung erfahren (aus diesem Grund wuchern Zellen in einer Zellkulturschale auch nicht zu einem unförmigen Klumpen heran, sondern bilden eine schöne konfluente Schicht). In normalen Geweben ermöglicht die Kontaktinhibition wahrscheinlich die Sicherstellung der Gewebehomöostase (die Aufrechterhaltung eines dynamischen Gleichgewichtszustandes), welche im dysregulierten Chaos eines Tumors verloren geht. Erst vor kurzem hat man verstanden, wie Tumoren die Kontaktinhibition umgehen können. Eine der Möglichkeiten ist die Manipulation von Merlin (ja, heißt wirklich so), dem Produkt des Gens NF2, welches zur Kontaktinhibition beiträgt, indem es an der Zelloberfläche befindliche Adhäsionsmoleküle wie E-Cadherin an transmembranäre Rezeptortyrosinkinasen (spezielle Signalmoleküle wie z.B. der EGF-Rezeptor) koppelt. Dadurch verstärkt Merlin die Adhäsion, also den Zusammenhalt von Cadherin-vermittelten Zell-Zell-Verbindungen. Außerdem kann Merlin Rezeptoren für Wachstumsfaktoren „beschlagnahmen“ und dadurch deren Fähigkeit, Wachstumssignale ins Zellinnere zu senden, begrenzen.
Es gibt noch andere Wege, die Kontaktinhibition zu unterlaufen und etliche sind wahrscheinlich noch gar nicht entdeckt und erforscht. Es ist aber bereits klar, daß solche Mechanismen, die es Zellen ermöglichen, architektonisch komplexe Gewebe aufzubauen und zu erhalten, sehr wichtig sind, um unangemessene, abnormale Signale zum Zellwachstum zu unterdrücken und damit ein wichtiges Hindernis für die Entstehung von Tumorzellen darstellen.
Die Überwindung von den verschiedenen Mechanismen zur Einschränkung und Kontrolle von Wachstum und Vermehrung stellt also eine essentielle Errungenschaft für und damit ein weiteres Kennzeichen von Krebszellen dar.
In der nächsten Folge beschreibe ich, wie Tumorzellen lernen, dem programmierten Zelltod zu widerstehen.
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Übersicht Krebs-Serie
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