Die katholische Kirche mutet nicht erst aber besonders seit Kurzem sehr stark wie die düstere, menschenverachtende und die Welt bedrohende Geheimorganisation aus einem dieser übertriebenen Agententhriller an. Und der Papst, das Oberhaupt dieses Vereins, kommt vielen schon lange wie ein klassischer Comic – oder Science-Fiction-Bösewicht vor. Ich frage mich daher immer öfter, wie Menschen es noch mit ihrem Gewissen vereinbaren können, heute und nach allem, was gewesen ist, dieser Organisation anzugehören und sie finanziell zu unterstützen (was in Deutschland ja identisch ist).
Sind Sie KatholikIn? Und wenn ja, darf ich fragen, was passieren müßte, damit Sie aus der Kirche austreten?
Wie gefällt es Ihnen z.B., daß die Nächstenliebe katholischer Krankenhäuser offenbar nicht Hilfe und Beratung für Opfer von Vergewaltigung umfasst? Und wie gefällt Ihnen generell das Menschen- und Frauenbild dieser Kirche?
Wie empfanden Sie die immer weiterreichende Entdeckung des offenbar weltweit durch die katholische Kirche organisierten Kindesmißbrauchs, den Umgang mit den Opfern und die Aufarbeitung dieser Verbrechen?
Was denken Sie über den Umgang der Kirche mit Geld? Darüber, daß eine Institution die augenscheinlich phantastisch, fast unvorstellbar reich ist, allen Ernstes die Armut predigt und verherrlicht und dadurch letztlich fördert? Darüber, daß diese Institution so reich ist, daß Sie nicht nur in weltweite dunkle finanzielle Machenschaften verstrickt ist, sondern offenbar auch noch das Geld anderer Leute wäscht und dafür von der italienischen Finanzaufsicht im internationalen Zahlungsverkehr gesperrt wurde?
Was halten Sie vom unfehlbaren Diktator/Oberhaupt der katholischen Kirche, der zwar Liebe predigt aber im Jahr 2012 wahrhaftig erklärt, daß die Homo-Ehe, der offizielle Ausdruck der Liebe zwischen zwei Menschen, nicht nur die Menschenwürde, sondern gleich die Zukunft der ganzen Menschheit bedrohe und der, um seine Worte zu unterstreichen, die ugandische Parlamentssprecherin segnete, die sich für lebenslange Haft als Strafe für Homosexualität stark machte und ein entsprechendes Gesetz den Christen in ihrem Land „zu Weihnachten schenken“ wollte? Oder von einem seiner höchsten Würdenträger, Herrn O’Brien, der die Homo-Ehe mit Sklaverei vergleicht und findet, sie sei gegen das “natürliche Gesetz” (Und was ist dann Zölibat?) Und was halten Sie überhaupt vom Umgang der Kirche mit Sexualität, sexueller und reproduktiver Selbstbestimmung, Verhütung und Verhütungsmitteln insbesondere im Zusammenhang mit STDs?
Nachtrag am 24.1.13: Ich habe unbegreiflicherweise erst heute davon erfahren und frage nun Sie: sind Sie auch fassungslos vor Entsetzen, daß in Spanien offenbar bis in die 1990er Jahre katholische Nonnen und Priester Eltern ihre Kinder geraubt haben, um sie davor zu “schützen”, in “Sünde”, also z.B. bei Unverheirateten oder Menschen mit unliebsamer politischer Haltung, aufzuwachen? Man erklärte den beraubten Müttern, ihr Kind sei gestorben und verhökerte die Säuglinge dann gegen Geld an katholische, linientreue Familien. Und wieder: wir reden hier nicht von Einzelfällen.
Nachtrag am 6.6.14: In Irland wurde kürzlich in einer Klärgrube das Massengrab von fast 800 Kindern entdeckt, die von 1925 bis in die 60er Jahre offenbar aus einem katholischen Mütterheim dorthin verbracht worden waren: “Die Kinder sollen in dem Heim, das als “The Home” bekannt war, unter zum Teil unmenschlichen Bedingungen zur Welt gekommen und danach vernachlässigt worden sein. Viele starben an Unterernährung oder Krankheiten. Statt sie zu bestatten und an Namen und Lebenszeiten zu erinnern, ließen sie die Nonnen in einem nahegelegenen Abwassertank verstauen.” (aus dem verlinkten Artikel). Ich bin wieder einmal fassungslos. Jürgen von nebenan auch.
Diese Liste ließe sich sehr leicht sehr lange fortsetzen. Man könnte aber, ohne sich der Voreiligkeit schuldig zu machen, bereits jetzt zu folgendem Schluß gelangen: das „Böse“ in der katholischen Kirche, das, was uns alle, Gläubige wie Glaubensfreie, schockiert, abstößt und anwidert, ist kein Randphänomen, seine Auswüchse sind systematisch und eben keine Einzelfälle. (Einzelfälle sind vielmehr die gelegentlich sicher irgendwo beobachteten guten Priester, die menschlich sind und verständnisvoll, für die Nächsten- und Menschenliebe nicht bloß „Trademarks“ sondern ernsthaft verinnerlichte und gelebte Begriffe sind, die auch Homosexuelle als Menschen annehmen und denen man bedenkenlos ein Kind anvertrauen könnte und genau die sind es, die im Zweifel Ärger mit dem eigenen Vorgesetzen bekommen.)
Die Institution der katholischen Kirche ist nahezu vollständig von diesem „Bösen“ durchwuchert und sehr sehr weit von den großzügig als christlich bezeichneten Werten abgefallen. Und sie „stinkt“ vom Kopf her: man sollte sich klarmachen, daß alles, was wir heute wissen, nur gegen den erbitterten Widerstand, trotz erheblicher Obfuskation und ohne jedes Entgegenkommen der Kirche bekannt geworden ist und sehr wahrscheinlich nur die Spitze eines wahren Ungetüms von Eisberg darstellt. Ihre Mitarbeit beim neuesten Versuch einer objektiven Aufarbeitung des gewaltigen Kinderschänderverbrechens hat die katholische Kirche ja gerade erst gekündigt (s.o.), das Unterdrücken von Aufklärung und unliebsamen Erkenntnissen ist ihr schließlich jahrhundertelang gepflegte Tradition.
Ich bin daher überzeugt, daß viele wenn nicht die meisten Katholiken angesichts dieser vielen und immer neuer derartiger Einsichten „ihre“ Kirche durchaus kritisch sehen. Doch bevor ich zu meiner wichtigsten Frage komme, möchte ich noch etwas anderes wissen: Wodurch ist man/frau eigentlich KatholikIn, ich meine, was sind die spezifisch-katholischen Vorstellungen, Werte oder Qualitäten?
Sicher nicht der Glaube. Weder ist jede(r) Gläubige KatholikIn noch jede(r), der/die sich als KatholikIn bezeichnet, gläubig. Genausowenig kann der Trost durch bzw. die Bedürftigkeit nach Glauben untrennbar mit dem Katholizismus verbunden sein. Daraus folgt auch, daß man nicht ungläubig ist oder wird, sobald man aufhört, katholisch zu sein.
Auch das Christ-Sein oder Sich-als-Christ-Empfinden ist nicht spezifisch-katholisch, wie man an den Evangelischen, den Anglikanern oder anderen nicht-katholischen Christen sieht. Herr Ratzinger ist doch sicher kein Aushängeschild des Christentums oder gar ein Vorbild, dem es nachzueifern gölte. Sollte man also Jesus und die christlichen Gottesvorstellungen als Zentrum seines Glaubens ansehen, muß man nicht notwendigerweise der katholischen Kirche angehören.
Das gute Gewissen? Daß die katholische Kirche „viel Gutes tue“ und man durch Entrichtung der Kirchensteuer, die viele wohl eher als eine Spende ansehen, indirekt daran teilhabe, ist ja längst widerlegt, was aber wahrscheinlich noch nicht ausreichend bekannt ist. Nur ein winziger Bruchteil der Einnahmen der Kirche kommt ja wirklich wohltätigen Zwecken, zu denen ich jetzt mal nicht Anwaltsgehälter oder Schweigegelder bei Kinderschänderprozessen rechne, zu und außerdem sind die Einrichtungen der Kirche arbeitsrechtlich undemokratisch und zum Teil betriebsverfassungswidrig. Man könnte also, statt Kirchensteuer zu zahlen, nur die Hälfte dieses Betrags jeden Monat an wohltätige Organisationen spenden und hätte mehr getan, als zuvor. Denn daß der liebe Gott mit einem Kassenbuch an der Himmelspforte sitzt und für fehlende Kirchensteuer“spenden“ Strafen verteilt, glaubt doch sicher niemand wirklich.
Oder ist es nur mal wieder die gute alte Tradition/Vererbung? Ist man also nur und ausschließlich deshalb KatholikIn, weil man es gewohnt ist, weil es immer so war und/oder weil die Eltern es waren? Ich finde, das ist kein guter Grund. Man übernimmt ja auch nicht unbedingt den Musikgeschmack, die Parteizugehörigkeit oder die Speisevorlieben der Eltern, bricht also durchaus mit deren Tradition ohne dabei jedoch generell auf Musik, politische Teilhabe und Essen verzichten zu müssen. Wo ist das Problem, selbst wenn man gläubig/religiös sein oder bleiben möchte, anzuerkennen, daß das Tradierte, Gewohnte einfach nichts (mehr) taugt und dann den „Verein“ oder die „Geschmacksrichtung“ zu wechseln?
Also, falls Sie KatholikIn sind: wodurch fühlen Sie sich als KatholikIn? Und noch eine letzte Frage, bitte, ich will es ehrlich verstehen (und freue mich über Ihre Antwort in den Kommentaren): erklären Sie mir – und ganz besonders, falls Sie eine Frau und gar Mutter sind-:
Wie kann man noch Katholik sein?!
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Nachtrag am 25.1.13: Diesen Artikel gibt es nun auch auf Spanisch auf “Una Ventana Abierta“, einem chilenischen Blog über Atheismus, Religionskritik und Wissenschaftsthemen
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