Aber auch die darstellenden Künste finden in der Hallenser Oper eine würdige Wirkungsstätte
und damit zum Abend keiner der herbeiströmenden Ring-Jünger glättehalber hinschlagen möge, machte der wack’re Mann mit der tuckernden Apparatur am Morgen bei gerade wieder einsetzendem Schneefall unermüdlich die Wege frei (man muß ihn sich mit Camus wohl als einen glücklichen Menschen vorstellen…).
Halle in diesem tiefen, menschenarmen Winter hatte etwas stoisches, winterruhendes und wirkte auf mich, als genieße es, es nicht paradox zu finden, sich an seiner Melancholie erfreuen zu können (eine Empfindung, die es mit mir teilte).
Doch nun zu etwas völlig anderem und weswegen wir eigentlich hier waren: der 33. Spurenworkshop begann mit einem Grußwort einer eigens dazu und buchstäblich unter Trommelwirbel angereisten Abteilung der Halloren.
die den Tagungspräsidenten (Direktor der Hallenser Rechtsmedizin)
mit traditioneller Bierabfüllung bedachten. Nachdem die üblichen Dignitäten der Veranstaltung ihre guten und Gelingenswünsche verabreicht hatten, begannen die Vorträge. Es war wieder ein interessantes, vielseitiges Programm, zu dem ich die Darstellung der Anwendung unserer molekularballistischen Erkenntnisse bei der Untersuchung eines Mehrfachmords beitrug.
Vor Ort waren übrigens auch einige Journalisten. Für einen Beitrag des Deutschlandfunks wurde auch ich interviewt.
Hier kann man den Beitrag anhören und hier lesen.
Ein Highlight für mich war der mit dem Thema der forensischen Spurenanalyse nur sehr entfernt verwandte Vortrag von M. Meyer vom MPI für Evolutionäre Genetik Leipzig, in dem er von den absolut faszinierenden Ergebnissen berichtete, die aber erst durch die Einbeziehung des Next Generation Sequencing (NGS) in Populationsgenetik und Evolutionsbiologie erzielen konnte. Unter anderem entdeckte seine Gruppe den „Denisovaner“ anhand einiger sehr gut erhaltener Zahn- und Knochenproben, einen zuvor unbekannten Frühzeitmenschen, dessen mit dem Neandertaler gemeinsamer Vorfahre vor ca. 604.000 Jahren lebte.
Aufgrund seiner Zähne läßt sich schließen, daß er enorm groß gewesen sein muß. Der Gruppe gelang es sogar, aufgrund genomischer Berechnungen fehlender evolutiver Diversität das Alter des Fundstücks der Denisovanerin (es gehörte zu einer Frau) auf ca. 74 bis 82 Tausend Jahre zu berechnen.
Ich fand es toll, einen solchen Vortrag auf dieser forensischen Tagung zu hören und ich war wieder einmal begeistert von den Möglichkeiten des NGS. Wer sich tiefergehend mit den Erkenntnissen befassen möchte, findet hier einen ZEIT-Artikel und hier die Originalarbeit dazu.
Es gab auch noch einen weiteren eher anthropologischen Vortrag, in dem beschrieben wurde, wie mit forensischen Methoden archäologische Thesen zu sog. Kirchenfunden, also unter Kirchen aufgefundenen Resten bestatteter Verstorbener, überprüft wurden. Das funktionierte sehr gut und so gelang in einem Fall die Bestätigung (Rekonstruktion eines Vier-Generationen-Stammbaums)
und in einem anderen Fall die Widerlegung (keine Verwandtschaft zwischen den Bestatteten) der Annahmen der Archäologen.
Natürlich wurden auch etliche rein forensische und für Nicht-Forensiker vermutlich wenig spannende Vorträge präsentiert, z.B. über Material und Technik bei der möglichst effizienten Durchführung von Tupferabrieben für Speichelspuren, über ein neues Dekontaminationsverfahren für Plastikware und Abriebtupfer, das die Verwendung des sehr problematischen Ethylenoxid ersetzen könnte oder über die Empfehlungen der Fachgesellschaft ISFG zur Bewertung von STR-DNA-Profilen aus sehr geringen DNA-Mengen unter Berücksichtigung sogenannter drop-out und drop-in-Artefakte. Schließlich durften auch die etwas werbungsartigen Firmenvorträge nicht fehlen, in denen neue Produkte, Geräte und Strategien für die forensische Fallarbeit angepriesen wurden.
Zurück mußten wir am Samstag aus organisatorischen Gründen leider mit dem zeitraubenden Zug fahren. Immerhin hatten wir Aufenthalt in Leipzig, wo man den riesigen (!) Hauptbahnhof samt daran angebautes Einkaufszentrum und eine der schönsten mir bekannten Buchhandlungen bestaunen konnte.
Nächstes Jahr geht es dann nach Innsbruck zum 34. Spurenworkshop, wo der “mtDNA-Papst” der Gastgeber sein wird. Nach Innsbruck wollte ich schon länger mal (da muß es einfach toll sein, wenn H. Isaac so schöne Musik darüber geschrieben hat, wie es ist, Innsbruck zu verlassen) und im Februar liegt dort sicher ausreichend Schnee, um die Einbettung des Workshopbesuchs in einen kleinen Skiurlaub zu rechtfertigen.
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