Ich bin nicht im Islam aufgewachsen, doch ich sehe viele Mädchen und Frauen, deren Zeitpunkt der ersten Blutung durch ein Stück Textil auf ihrem Kopf markiert wird als der Eintritt in eine unreine Lebensphase, in welcher sie als sündige Verführerinnen gelten. Sie dürfen vom man geschlagen werden, wenn sie nicht spuren, haben Panik, wenn eine Haarsträhne unter ihrem Kopftuch hervorschaut und … werden das alles genauso an ihre Töchter weitergeben. Die Christen jedoch verhalten sich sehr ähnlich. Das Land, in das ich als freier Mensch hineingeboren wurde, wird von C-Parteien regiert, die Frauen gern wieder am Herd sähen und das in Gesetzesform zum Ausdruck gebracht haben.
Doch lebte ich in einem anderen Land auf dieser Erde und erlaubte ich es mir, dort einen eigenen Kopf zu haben, müßte ich vielerorts mit dem schlimmsten rechnen. In den USA könnte ich als Frau UND Atheistin keinerlei politische Karriere anstreben. Zudem könnte bald mein Vergewaltiger mich verklagen, wenn ich sein Kind abgetrieben hätte und ich würde von den dort ansässigen Politikern großzügig mit guten Ratschlägen versehen, zum Beispiel es einfach „zu genießen“, wenn es ohnehin unvermeidbar sei. Im Iran würde ich festgenommen, wenn ich ohne Kopftuch herumliefe. In Indien würde ich an meinen Zukünftigen verscherbelt wie eine billige Mitgift. In Spanien wäre mir mein Kind weggenommen worden. In manchen afrikanischen Ländern wäre ich für vorehelichen Sex gesteinigt worden. In vielen Ländern wäre Bildung ein Traum für mich (in einigen davon würde ich für diesen Traum erschossen) und sogar in unserem Land war das bis vor wenigen Jahrzehnten auch keine Selbstverständlichkeit. Hier werde ich nur nicht so gut bezahlt wie meine männlichen Kollegen, aber mir geht es hier vergleichsweise gut. Nicht so, wie dieser Dame hier, die das Pech hatte, einen eigenen Kopf zu haben:
Das ausschließlich aus Männern bestehende Gremium, das sie zum Tode verurteilt hat, wird von einem Vollstrecker angeführt, der seine Freudentränen beschreibt, als er das Todesurteil aussprechen darf. Nein, einem Mann wäre so etwas wohl nicht passiert.
Nein, ich empfinde es nicht als Bürde, eine Frau zu sein. Nicht jetzt und nicht hier und vor allem nicht im Angesicht der oben angeführten Dinge, die überall auf der Welt geschehen und das wohl auch noch lange Zeit tun werden. Über die Gründe dafür kann ich nur spekulieren, sicher spielen körperliche Überlegenheit, Angst und die Möglichkeit, Leben zu schenken eine Rolle, genauso wie sexuelle Attraktion. Aber das sollen klügere Menschen analysieren. Ich bedauere es nur und will meine Stimme erheben für den Traum von Gleichheit.
Doch wer diesen zu laut träumt, wird auch in Deutschland noch gerne verschrien. Als frigide Emanze. Als sexfeindliche Korinthenkackerin. Als Grund, wieso deutsche Männer keine deutschen Frauen mehr wollen. Die zicken ja so viel herum! Durch diesen Text hallt auch noch das Echo der Geschehnisse um den FDP-Abgeordneten Brüderle, der eine Stern-Reporterin belästigt haben soll, als er betrunken in einer Bar saß. Dieser Fall schlug Wellen und der Wahrheitsgehalt ist schwer zu ermessen, doch ich bin geneigt, der jungen Dame Glauben zu schenken – denn abwegig ist ein solcher Vorfall nicht. Viel zu häufig werden Frauen damit unterworfen und gedemütigt, auf ihre Brüste und ihre Vagina reduziert zu werden, überall in diesem Land. Das zeigt die daraufhin gestartete Twitter-Aktion #aufschrei, zu der viele Frauen schon ihre persönlichen Geschichten beizutragen haben. Die Tweets malen ein trauriges Bild von Deutschland im 21. Jahrhundert. Doch was noch viel schlimmer ist, sind die Reaktionen darauf: zunächst wird der Geschichte der jungen Journalistin kein Glauben geschenkt, sie wird beleidigt und ihre Geschichte als hysterisch abgetan.
In einer Umfrage bei einem großen Nachrichtenportal war die Stimmung eindeutig: 60% der 3000 Befragten befanden, die Diskussion sei überflüssig und hysterisch. Deutschlands eloquentester Kolumnist schrieb
Ein Mann darf also nicht mehr nach einem Glas Wein mit einer Frau reden.
Ein Mann darf nicht mehr im Aufzug ohne Zeugen mit einer Frau fahren. Ein Mann darf keiner Frau mehr auf den Busen gucken. Sollen nur noch Polizisten zwischen Mann und Frau sein?
Was ist daran schlecht, wenn ein 67-jähriger Mann mit einer 28-jährigen „Stern“-Reporterin an einer Bar betrunken ist. Ich bin nicht entsetzt. Es ist das Leben.
Die Kommentatoren bei genanntem Nachrichtenportal ließen mir genauso sehr die Haare zu Berge stehen. Frauen forderten es doch heraus, mit ihrer billigen Kleidung! Frauen schlafen sich gerne nach oben, benutzen das sogar als Fallen! Andere jammern, daß ihnen immerhin auch schon mal von einer Frau zwischen die Beine gefasst wurde, an Karneval. Ein schönes Beispiel folgt:
Was soll man da noch sagen? Die Bedrohung des Mannes durch kapriziöse Frauen scheint ein anhaltendes Problem zu sein, so viel steht fest.
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