Anlässlich des heutigen Tages möchte ich mit allen LeserInnen zwei Texte teilen.
Zuerst möchte ich an eine großartige Frau, Emma Goldmann, erinnern und zugleich einen ihrer Texte präsentieren, den ich in seiner kraftvollen und eindrücklichen Sprache und natürlich wegen seiner Botschaft fabelhaft finde. Er heißt im englischen Original “The Philosophy of Atheism” und erschien zuerst 1916 im “Mother Earth Journal”. Thematisch passen der Kampf für Frauenrechte und -gleichberechtigung, für den sich Goldmann einsetzte sowie der (humanistische) Atheismus freilich sehr gut zusammen, da ersterer vornehmlich wegen des Wirkens patriarchalischer Religionen (noch immer) notwendig ist und letzterer ebenjene, die Religionen, ablehnt und zugleich Frauen grundsätzlich als gleichwert auffasst. Da Goldmanns Text offenbar nicht (oder zumindest nicht an einem mir zugänglichen Ort) in deutscher Übersetzung vorliegt, habe ich mir ‘mal die Ehre gegeben:
Die Philosophie des Atheismus
von Emma Goldmann
Um eine angemessene Darstellung der Philosophie des Atheismus vorzulegen, wäre es wohl notwendig, sich mit den historischen Veränderung des Glaubens an eine Gottheit, von seinen frühesten bis zum heutigen Tage, zu befassen. Doch das würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Es ist jedoch nicht unangemessen, im Vorbeigehen zu erwähnen, daß das Konzept Gott, übernatürliche Macht, Geist, Gottheit oder mit welchem Ausdruck die Essenz des Theismus auch immer bezeichnet werden mag, im Laufe der Zeit immer unbestimmter und obskurer geworden ist. Mit anderen Worten: die Gott-Idee wird im gleichen Maße unpersönlicher und nebulöser, in dem der menschliche Verstand lernt, natürliche Phänomene zu begreifen und in dem Wissenschaft und Fortschritt menschliche und soziale Ereignisse in Korrelation setzen.
God stellt heute nicht mehr die gleiche Macht dar wie zu Beginn seiner Existenz und er lenkt nicht mehr das menschliche Schicksal mit eiserner Faust wie zu jener Zeit. Vielmehr ist die Gott-Idee zu einer Art spirituellem Stimulus verkommen, der die Launen und Einbildungen, die aus jeder Ausprägung menschlicher Schwäche erwachsen, befriedigt. Im Laufe der menschlichen Entwicklung war die Gott-Idee dabei gezwungen, sich der jeweiligen Phase der menschlichen Verhältnisse anzupassen, was ja mit dem Ursprung dieser Idee vollständig vereinbar ist. Die Erfindung aller Götter begründet sich auf Furcht und Neugier. Der primitive Mensch, der noch nicht in der Lage war, die Naturphänomene, die ihn ständig bedrohten, zu verstehen, wähnte hinter jeder erschreckenden oder furchteinflössenden Erscheinung eine finstere Macht, die gezielt gegen ihn gerichtet war. Und weil Ignoranz und Furcht der Ursprung allen Aberglaubens sind, erschuf die eingeschüchterte Phantasie des primitiven Menschen die Gott-Idee.
Der weltbekannte Atheist und Anarchist Michael Bakunin formulierte dies sehr trefflich in seinem großen Werk “Gott und der Staat”: „Alle Religionen mit ihren Göttern, Halbgöttern, Propheten, Erlösern und Heiligen wurden von der leichtgläubigen Phantasie von Menschen geschaffen, die noch nicht zur vollen Entwicklung und zum Vollbesitz ihrer geistigen Fähigkeiten gelangt waren; der Himmel der Religion ist also nichts als eine Lichtspiegelung, in der der Mensch, von Unwissenheit und Glauben überspannt, sein eigenes Bild wiedersieht, aber vergrößert und verkehrt, d.h. vergöttlicht. Die Geschichte der Religionen, die des Ursprungs, der Größe und des Verfalls der Götter, wie sie im menschlichen Glauben aufeinander folgten, ist also nichts als die Entwicklung der Intelligenz und des kollektiven Bewußtseins der Menschen. Je nachdem sie auf ihrem geschichtlichen Vormarsch in sich selbst oder in der äußeren Natur eine Kraft, eine Fähigkeit oder selbst einen großen Fehler fanden, übertrugen sie dieselben durch einen Akt ihrer religiösen Phantasie auf ihre Götter, übertrieben, ins Maßlose ausgedehnt, wie Kinder es zu tun pflegen.“
Bei allem Respekt für die Metaphysiker und religiösen Idealisten, Philosophen, Politiker und Dichter: die Gott-Idee impliziert die Abdankung menschlicher Vernunft und Gerechtigkeit; sie ist die entschiedenste Verneinung menschlicher Freiheit und führt notwendig zur Versklavung der Menschheit, in Theorie und Praxis. Aus diesem Grund hat die Gott-Idee, wiederbelebt und angepasst, vergrößert oder verkleinert, ganz entsprechend den Erfordernissen der Zeitalter, die Menschheit dominiert und wird es weiterhin tun, bis eines Tages der Mensch sein Haupt zum Licht heben wird, ohne Furcht und mit erwachtem Willen zu sich selbst. Im gleichen Zuge, in dem der Mensch lernt, sich selbst zu (er)kennen und sein Schicksal selbst zu gestalten, wird der Theismus überflüssig werden. Die Tiefe des Verhältnisses, das der Mensch zu seinesgleichen wird finden können, hängt dabei vollständig davon ab, wie weit er seiner Abhängigkeit von Gott entwachsen kann.
Es gibt bereits Anzeichen, daß der Theismus, also die Theorie der Spekulation, durch den Atheismus, die Wissenschaft der Demonstration, ersetzt wird. Während jene in den metaphysischen Wolken des Jenseitigen schwebt, hat diese ihre Wurzeln fest in der Erde. Es ist aber die Erde, nicht der Himmel, die der Mensch erhalten muß, wenn er wahrhaftig errettet werden soll. Der Niedergang des Theismus ist ein höchst interessantes Schauspiel, besonders da er sich in den Befürchtungen der Theisten – gleich welcher Couleur – manifestiert. Sie stellen zu ihrer größten Besorgnis fest, daß die Massen täglich atheistischer und anti-religiöser werden, daß sie mehr als bereit sind, das Große Jenseits und seine himmlische Domäne den Engeln und Spatzen zu überlassen, weil sie mehr und mehr in die Probleme ihrer unmittelbaren, diesseitigen Existenz verstrickt werden.
Wie die Massen mit der Gott-Idee, dem Geist, der Ersten Ursache etc. zu versöhnen seien, das ist für alle Theisten daher die dringlichste Frage. So metaphysisch all diese Fragen auch anmuten mögen, haben sie doch einen sehr weltlichen Hintergrund. Nämlich insofern, als Religion, die „Göttliche Wahrheit“, Belohnung und Strafe die Markenzeichen der größten, korruptesten und schädlichsten, mächtigsten und gewinnträchtigsten Industrie der Welt sind – und die Waffenindustrie ist nicht von diesem Vergleich ausgenommen: Es ist die Industrie der Umnebelung des menschlichen Geistes und der Unterdrückung menschlicher Herzensregung. Not kennt kein Gebot; so erklärt sich, daß die Mehrzahl der Theisten gezwungen ist, jedes Thema aufzugreifen, selbst wenn es nichts mit einer Gottheit oder dem Großen Jenseits zu tun hat. Vielleicht spüren sie, daß die Menschheit der hundertundeins Bezeichnungen für Gott überdrüssig geworden ist.
Wie der theistische Glaube aus diesem tiefen Tal aufzuheben wäre stellt für alle Bekenntnisse ein Problem auf Leben und Tod dar. Daher auch ihre Toleranz; doch ist dies nicht eine Toleranz des Verstehens sondern der Schwäche. Das erklärt vielleicht auch die in allen religiösen Veröffentlichungen auffindbaren Bemühungen, verschiedenste religiöse Philosophien und konfligierende theistische Theorien in einer einzigen konfessionellen Vorstellung zu vereinen. Die verschiedenen Konzepte „des dreieinigen Gottes, des einzig reinen Geistes, der einzig wahren Religion“ werden immer weiter angepasst und umgedeutet, in dem verzweifelten Versuch eine gemeinsame Grundlage zu schaffen, um die modernen Massen vor dem „verderblichen“ Einfluss atheistischer Idee zu schützen.
Es ist dabei kennzeichnend für die theistische “Toleranz”, daß sich eigentlich niemand darum schert, woran die Leute glauben, solange sie nur glauben oder vorgeben zu glauben. Und um dieses Ziel zu erreichen werden die krudesten, vulgärsten Methoden angewendet. Feierliche Zusammenkünfte und religiöses Wiederauflebenlassen mit Billy Sunday als Galionsfigur – Methoden also, die jeden feinen Geschmack entsetzen müssen und deren Wirkung auf die Ignoranten und Neugierigen in diesen oft einen milden Wahnzustand erzeugt, der nicht selten zusammen mit Erotomanie auftritt. Alle diese ungeschlachten Anstrengungen finden Zustimmung und Unterstützung bei den „irdischen Mächten“; vom russischen Despoten bis zum amerikanischen Präsidenten; von Rockefeller und Wanamaker bis hinab zum unbedeutendsten Geschäftsmann. Sie behaupten, daß das Kapital, das in Billy Sunday, den Y.M.C.A. , „Christliche Wissenschaft“ und verschiedene andere religiöse Einrichtungen investiert worden sei, sich in Form enormer Profite aus der gefügig gemachten und gezähmten dumpfen Masse rentieren werde.
Die meisten Theisten sehen, bewußt oder unbewußt, in den Göttern und Teufeln, in Himmel und Hölle Belohnung und Strafe, eine Peitsche, um damit den Menschen Gehorsam, Demut und Bescheidung einzutreiben. Die Wahrheit ist, daß der Theismus ohne die vereinte Unterstützung durch den Mammon und die Macht längst seinen Halt würde verloren haben, und wie bankrott er bereits wirklich ist, zeigte sich heute in den Schützengräben und auf den Schlachtfeldern Europas. Haben uns nicht alle Theisten ihre Gottheit als den Gott der Liebe und Güte vorgestellt? Und doch stellen sich auch nach tausenden Jahren solchen Predigens die Götter taub für die Qualen der menschlichen Rasse. Konfuzius schert sich nicht um Armut, Elend und Jammer des chinesischen Volkes. Buddha läßt sich in seiner philosophischen Indifferenz nicht durch die Entbehrungen und den Hungertod empörter Hindus stören. Jahwe bleibt ungerührt vom bitterlichen Weinen Israels, während Jesus sich weigert, erneut von den Toten und gegen seine Christen sich zu erheben, die sich gegenseitig abschlachten.
Die Botschaft aller frommen Lieder und Preisungen “des Höchsten” war stets, daß Gott für Gerechtigkeit und Gnade steht. Die Ungerechtigkeit unter den Menschen jedoch wird immer größer. Die Frevel, die gegen die Massen in diesem Land allein begangen werden, scheinen genug, um selbst die Himmel zu überfluten. Doch wo sind die Götter, um all diesem Schrecken, diesem Unrecht, dieser Unmenschlichkeit gegen die Menschen ein Ende zu setzen? Nein, nicht die Götter, der Mensch muß sich mit seinem machtvollen Zorn dagegen erheben! Er, getäuscht von allen Göttern und verraten von deren Gesandten, er, er selbst muß Gerechtigkeit über die Erde bringen.
Die Philosophie des Atheismus’ drückt sich aus in Wachstum und Entfaltung des menschlichen Geistes. Die Philosophie des Theismus’, wenn wir diese überhaupt als solche bezeichnen können, ist statisch und unbeweglich. Allein der bloße Versuch, diese Mysterien zu durchdringen, stellt aus der theistischen Sichtweise den Unglauben an die allumfassende Allmacht und sogar die Leugnung der Weisheit der göttlichen Mächte außerhalb des Menschen dar. Glücklicherweise jedoch war der menschliche Geist niemals in Unbeweglichkeit gefesselt und kann es auch niemals sein. Er strebt stets voran in seinem rastlosen Drängen zu Wissen und Leben. Der menschliche Geist erkennt „daß das Universum nicht das Ergebnis eines schöpferischen ‚Fiat’ irgend einer göttlichen Intelligenz ist, die aus dem Nichts ein perfekt funktionierendes chaotisches Meisterwerk schafft“, sondern ein Produkt des Wirkens chaotischer Kräfte durch Äonen, von kosmischen Kollisionen und Kataklysmen, von Abstoßung und Anziehung, welche durch das Prinzip der Selektion zu etwas kristallisieren, das Theisten als „zu Ordnung und Schönheit geführtes Universum“ bezeichnen. Wie Joseph McCabe in seinem „Die Existenz Gottes“ gut ausführt: „ein Naturgesetzt ist keine von einem Gesetzgeber gefasste Formel, sondern lediglich eine Zusammenfassung der beobachteten Tatsachen, ein ’Bündel von Tatsachen’. Die Dinge verhalten sich nicht auf eine bestimmte Weise, weil es ein Gesetzt gibt, sondern wir formulieren ein ’Gesetz’, weil sie sich so verhalten.“
Die Philosophie des Atheismus’ ist ein Konzept des Lebens ohne jegliches metaphysisches Jenseits oder einen göttlichen Lenker. Sie ist das Konzept einer eigentlichen, wirklichen Welt mit ihren befreienden, sich stets erweiternden und bereichernden Möglichkeiten, im Vergleich zu einer unwirklichen Welt, die mit ihren Geistern, Orakeln und armseliger Selbstzufriedenheit die Menschheit in hilfloser Erniedrigung gehalten hat. Es mutet wie ein wüstes Paradoxon an und ist doch so erbärmlich wahr, daß diese echte, sichtbare Welt und unser Leben darin so lange Zeit unter dem Einfluss metaphysischer Spekulation statt physisch nachweisbarer Kräfte stehen konnte. Unter der Geissel der theistischen Idee diente diese Erde keinem anderen Zweck als eine Durchgangsstation zu sein, in der das Ausmaß menschlicher Aufopferungsbereitschaft für den göttlichen Willen geprüft wurde. Doch in dem Augenblick, da der Mensch versuchte, die Natur dieses Willens zu ergründen, belehrte man ihn, daß es vollkommen vergeblich für den „begrenzten menschlichen Verstand“ sei, einen allmächtigen, unbegrenzten Willen erfassen zu wollen. Vom gewaltigen Gewicht dieser Allmacht in den Staub niedergedrückt blieb der Mensch eine willenlose Kreatur, gebrochen und schweißüberströmt in der Dunkelheit.
Der Triumph der Philosophie des Atheismus besteht darin, den Menschen vom Alptraum der Götter zu befreien; er bedeutet die Auflösung der Phantome des Jenseits. Wieder und wieder hat das Licht der Vernunft den theistischen Alptraum vertrieben, doch Armut, Elend und Angst haben die Phantome stets erneut heraufbeschworen, die sich, ob alt oder neu und gleich in welcher äußerlichen Gestalt, kaum in ihrer Essenz unterschieden. Der Atheismus als philosophische Haltung andererseits verweigert sich nicht nur der Anerkennung eines bestimmten Konzepts von Gott, er lehnt auch jede Gefolgschaft gegenüber der Gott-Idee ab und steht dem theistischen Prinzip als solchem genau entgegen. Die Götter in ihrer individuellen Funktion sind nicht halb so verderblich wie das Prinzip des Theismus, welches den Glauben an ein übernatürliches oder sogar allmächtiges Wesen repräsentiert, das die Geschicke der Erde und der Menschen darauf lenkt. Es ist der Absolutismus des Theismus, sein verderblicher Einfluss und lähmende Wirkung auf das Denken und Tun, das der Atheismus mit aller Macht bekämpft.
Die Philosophie des Atheismus hat ihre Wurzeln in unserer Erde, in diesem Leben. Ihr Ziel ist die Emanzipation der Menschheit von allen Gottheiten, seien sie jüdisch, christlich, mohammedanisch, buddhistisch, brahmanisch oder was auch immer. Die Menschheit ist lange und schwer genug gestraft worden dafür, daß sie sich ihre Götter geschaffen hat. Nichts als Leid und Verfolgung waren ihr Los, seit die Götter zum ersten Mal auftraten und es gibt nur einen einzigen Ausweg aus diesem Schlamassel: der Mensch muß die Ketten zerbrechen, die ihn an die Tore von Himmel und Hölle fesseln, so daß er in seinem wiedererwachten und erleuchteten Bewußtsein eine neue Welt auf dieser Erde gestalten kann.
Nur durch den Triumph der atheistischen Philosophie im Geiste und im Herzen der Menschen können Freiheit und Schönheit erblühen. Schönheit als Gabe des Himmels hat keinen Wert. Sie wird aber Essenz und Antrieb des Lebens sein, wenn der Mensch lernt, die Erde als den einzigen, echten Menschenhimmel zu begreifen. Der Atheismus hilft bereits, den Menschen aus seiner Abhängigkeit von Belohnung und Strafe, diesem Ramschhandel des Himmels mit den Armen im Geiste zu befreien.
Bestehen nicht alle Theisten darauf, daß es ohne den Glauben an eine göttliche Macht keine Moral, keine Gerechtigkeit, keine Wahrhaftigkeit und Treue geben könne? Eine solche Moral, die sich nur auf Furcht und Hoffnung gründet, war immer schon ein Übel, durchtränkt mit Selbstgerechtigkeit und Heuchelei. Und zu Gerechtigkeit, Wahrhaftigkeit und Treue: wer waren denn deren tapferste Vorkämpfer und kühnste Verkünder? Doch beinahe immer die Gottlosen: Atheisten, die für diese Werte lebten, kämpften und starben. Sie wußten, daß Gerechtigkeit, Wahrheit und Treue ihren Ursprung nicht in den Himmeln haben, sondern daß sie verbunden sind, verwoben mit den gewaltigen Veränderungen, die sich im sozialen und materiellen Leben der menschlichen Art vollzogen, daß sie nicht starr und unveränderlich, sondern so wechselhaft sind, wie das Leben selbst. Niemand kann prophezeihen, zu welchen Höhen sich die Philosophie des Atheismus aufschwingen wird, doch so viel kann man doch vorhersagen: nur durch ihr erneuerndes Feuer werden die menschlichen Verhältnisse von den Schrecken der Vergangen geläutert werden.
Die Nachdenklichen beginnen zu erkennen, daß die moralischen Vorstellungen, die der Menschheit durch religiösen Terror aufgezwungen worden sind, zu Stereotypen verkommen und aller Vitalität verlustig gegangen sind. Ein Blick auf das heutige Leben, auf seinen zersetzenden Charakter, die konfligierenden Interessen mit all ihrem Hass, ihren Verbrechen und ihrer Gier genügen, um die Unfruchtbarkeit der theistischen Moral zu beweisen. Der Mensch muß erst zu sich selbst zurückfinden, bevor er sein Verhältnis zu seinesgleichen verstehen kann. Prometheus, geschmiedet an den Fels der Zeitalter, ist dazu verdammt, für ewig von den Geiern der Dunkelheit heimgesucht zu werden. Befreit Prometheus und ihr vertreibt die Nacht und ihre Schrecken.
Der Atheismus ist die Negation aller Götter und zugleich die stärkste Bejahung des Menschen und durch den Menschen das immerwährende Ja! zu Leben, Sinn und Schönheit.
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Der zweite Text ist ein Gastbeitrag von Claudia Graneis, in dem sie beschreibt, wie es ihr heute, im Jahr 2013 vorkommt, eine Frau zu sein.
Von der Bürde des Frauseins
Ich bin eine Frau. Und das bin ich gerne.
Ich bin eine Frau, die Glück gehabt hat: in einem der reichsten Länder der Welt geboren, zu einer Zeit, die deutlich aufgeklärter ist als diejenige, in welche Milliarden von Frauen vor mir geboren wurden. Ich bin von liebenden, aufgeklärten Eltern in dem Glauben erzogen worden, daß ich ein dem Manne ebenbürtiges Wesen bin – mit allen Freiheiten und Rechten.
Keine Religion zwang mich je in die Knie und unter die Fittiche eines autoritären Mannes.
Ich bin nicht im strengen Katholizismus aufgewachsen, doch wenn ich Kontrolle über meinen Körper und mein Gebärverhalten erlangen will, begehe ich dabei noch immer eine Straftat. Wenn ich nach einer Vergewaltigung in einem katholischen Krankenhaus Hilfe suche, werde ich abgewiesen und mir wird, Sünderin, die ich dann bin, die Pille danach verweigert.
Ich bin nicht im Islam aufgewachsen, doch ich sehe viele Mädchen und Frauen, deren Zeitpunkt der ersten Blutung durch ein Stück Textil auf ihrem Kopf markiert wird als der Eintritt in eine unreine Lebensphase, in welcher sie als sündige Verführerinnen gelten. Sie dürfen vom man geschlagen werden, wenn sie nicht spuren, haben Panik, wenn eine Haarsträhne unter ihrem Kopftuch hervorschaut und … werden das alles genauso an ihre Töchter weitergeben. Die Christen jedoch verhalten sich sehr ähnlich. Das Land, in das ich als freier Mensch hineingeboren wurde, wird von C-Parteien regiert, die Frauen gern wieder am Herd sähen und das in Gesetzesform zum Ausdruck gebracht haben.
Doch lebte ich in einem anderen Land auf dieser Erde und erlaubte ich es mir, dort einen eigenen Kopf zu haben, müßte ich vielerorts mit dem schlimmsten rechnen. In den USA könnte ich als Frau UND Atheistin keinerlei politische Karriere anstreben. Zudem könnte bald mein Vergewaltiger mich verklagen, wenn ich sein Kind abgetrieben hätte und ich würde von den dort ansässigen Politikern großzügig mit guten Ratschlägen versehen, zum Beispiel es einfach „zu genießen“, wenn es ohnehin unvermeidbar sei. Im Iran würde ich festgenommen, wenn ich ohne Kopftuch herumliefe. In Indien würde ich an meinen Zukünftigen verscherbelt wie eine billige Mitgift. In Spanien wäre mir mein Kind weggenommen worden. In manchen afrikanischen Ländern wäre ich für vorehelichen Sex gesteinigt worden. In vielen Ländern wäre Bildung ein Traum für mich (in einigen davon würde ich für diesen Traum erschossen) und sogar in unserem Land war das bis vor wenigen Jahrzehnten auch keine Selbstverständlichkeit. Hier werde ich nur nicht so gut bezahlt wie meine männlichen Kollegen, aber mir geht es hier vergleichsweise gut. Nicht so, wie dieser Dame hier, die das Pech hatte, einen eigenen Kopf zu haben:
Das ausschließlich aus Männern bestehende Gremium, das sie zum Tode verurteilt hat, wird von einem Vollstrecker angeführt, der seine Freudentränen beschreibt, als er das Todesurteil aussprechen darf. Nein, einem Mann wäre so etwas wohl nicht passiert.
Nein, ich empfinde es nicht als Bürde, eine Frau zu sein. Nicht jetzt und nicht hier und vor allem nicht im Angesicht der oben angeführten Dinge, die überall auf der Welt geschehen und das wohl auch noch lange Zeit tun werden. Über die Gründe dafür kann ich nur spekulieren, sicher spielen körperliche Überlegenheit, Angst und die Möglichkeit, Leben zu schenken eine Rolle, genauso wie sexuelle Attraktion. Aber das sollen klügere Menschen analysieren. Ich bedauere es nur und will meine Stimme erheben für den Traum von Gleichheit.
Doch wer diesen zu laut träumt, wird auch in Deutschland noch gerne verschrien. Als frigide Emanze. Als sexfeindliche Korinthenkackerin. Als Grund, wieso deutsche Männer keine deutschen Frauen mehr wollen. Die zicken ja so viel herum! Durch diesen Text hallt auch noch das Echo der Geschehnisse um den FDP-Abgeordneten Brüderle, der eine Stern-Reporterin belästigt haben soll, als er betrunken in einer Bar saß. Dieser Fall schlug Wellen und der Wahrheitsgehalt ist schwer zu ermessen, doch ich bin geneigt, der jungen Dame Glauben zu schenken – denn abwegig ist ein solcher Vorfall nicht. Viel zu häufig werden Frauen damit unterworfen und gedemütigt, auf ihre Brüste und ihre Vagina reduziert zu werden, überall in diesem Land. Das zeigt die daraufhin gestartete Twitter-Aktion #aufschrei, zu der viele Frauen schon ihre persönlichen Geschichten beizutragen haben. Die Tweets malen ein trauriges Bild von Deutschland im 21. Jahrhundert. Doch was noch viel schlimmer ist, sind die Reaktionen darauf: zunächst wird der Geschichte der jungen Journalistin kein Glauben geschenkt, sie wird beleidigt und ihre Geschichte als hysterisch abgetan.
In einer Umfrage bei einem großen Nachrichtenportal war die Stimmung eindeutig: 60% der 3000 Befragten befanden, die Diskussion sei überflüssig und hysterisch. Deutschlands eloquentester Kolumnist schrieb
Ein Mann darf also nicht mehr nach einem Glas Wein mit einer Frau reden.
Ein Mann darf nicht mehr im Aufzug ohne Zeugen mit einer Frau fahren. Ein Mann darf keiner Frau mehr auf den Busen gucken. Sollen nur noch Polizisten zwischen Mann und Frau sein?
Was ist daran schlecht, wenn ein 67-jähriger Mann mit einer 28-jährigen „Stern“-Reporterin an einer Bar betrunken ist. Ich bin nicht entsetzt. Es ist das Leben.
Die Kommentatoren bei genanntem Nachrichtenportal ließen mir genauso sehr die Haare zu Berge stehen. Frauen forderten es doch heraus, mit ihrer billigen Kleidung! Frauen schlafen sich gerne nach oben, benutzen das sogar als Fallen! Andere jammern, daß ihnen immerhin auch schon mal von einer Frau zwischen die Beine gefasst wurde, an Karneval. Ein schönes Beispiel folgt:
Was soll man da noch sagen? Die Bedrohung des Mannes durch kapriziöse Frauen scheint ein anhaltendes Problem zu sein, so viel steht fest.
Die Geschichte der Stern-Reporterin ist nichts im Vergleich mit Genitalverstümmelungen oder Todesurteilen gegen Frauen, nur weil sie Frauen sind. Aber sie ist der Rest eines jahrhundertealten Systems, das wunderbar funktioniert hat, um Frauen kleinzuhalten und sie dazu zu bringen, dasselbe ihren eigenen Töchtern anzutun. Insofern kann man den so laut verschrienen Emanzen des vergangenen Jahrhunderts nur auf Knien für die Errungenschaften danken, die sie uns Frauen gebracht haben, statt sie zu verteufeln. Die Hoheit über den eigenen Körper und die eigene Zukunft zu haben ist für viele Frauen auf diesem Globus nicht selbstverständlich.
Ich gehe sogar weiter und träume davon, als Frau nicht nur etwas zu sagen zu haben, sondern dabei auch noch gut, hübsch und wie eine Frau aussehen zu können, weil es einfach egal ist. Weil es nicht als Herausforderung zum Koitus verstanden werden muß. Sondern weil konservative Konventionen gesprengt werden können. Und weiters denke ich, daß man als Frau nicht nur über Frauenthemen sprechen und schreiben muß. Weil Frauen Menschen sind. Vielleicht nicht im Angesicht der großen Religionen und vielleicht nicht einmal in den Köpfen der meisten Männer.
Aber wenn ich mir vorstelle, daß meine Tochter, sollte sie einmal existieren, noch immer in einer Welt lebt, in der sie um ihre Rechte kämpfen muß, nur, weil sie mit einer Vagina geboren wurde; wie sie es sich gefallen lassen soll, von mächtigen Männern gierig betatscht zu werden, um nicht als frigide Zicke zu gelten, dann… tja, dann wird mir ganz schlecht.
Und dann bin ich wirklich froh, daß es auch noch vernünftige Menschen (männlichen und weiblichen Geschlechts) da draußen gibt. Und wir werden immer mehr. Wir sind Frauen – und wir sind Menschen.
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Wer übrigens daran zweifelt, daß wir den Weltfrauentag (noch) brauchen, der/die klicke hier und lasse sich den Tag verderben…
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