In einer äußert interessanten Arbeit hat der Ökonom M. Chen von der Yale Universität untersucht, ob und wie die grammatischen Unterschiede zwischen verschiedenen Sprachen beim Ausdruck zukünftiger Ereignisse, Absichten, Handlungen etc. das zukunftsorientierte Handeln beeinflussen können und fand Belege dafür, daß die Sprecher von Sprachen, die eine grammatikalische Unterscheidung und damit Trennung zwischen Gegenwart (Präsens) und Zukunft zwingend erfordern, weniger zukunfts-orientiert handeln. Eine mögliche Erklärung sei, daß eine Sprachgewohnheit, die das Zukünftige vom Gegenwärtigen dissoziiere, dazu führe, daß Nutzer einer solchen Sprache in der Zukunft liegende „Belohnungen“ für gegenwärtige Handlungen weniger wertschätzen.
Linguistisch lassen sich die Modi, Zukünftiges auszudrücken, als schwache (z.B. im Deutschen) und starke (z.B. im Englischen) Zukunftsreferenzen abgrenzen. Ein Beispiel: im Deutschen lassen sich zukünftige Begebenheiten präsentisch ausdrücken, z.B. im Satz „Morgen fange ich an, Geld zu sparen“, worin der Zukunftsbezug nur durch „Morgen“ gegeben ist, während das in anderen Sprachen, z.B. Englisch, nicht möglich ist. Auf Englisch müßte man formulieren: „Tomorrow, I’m going to start saving money“ oder „Tomorrow, I will start saving money“, wobei in beiden Formulierungen zukunftsanzeigende Marker („going to“ bzw. „will“) enthalten sind.
In seiner Arbeit führt Chen zunächst eine linguistisch fundierte, binäre Unterscheidung einer ganzen Reihe von Sprachen (> 100) in „mit schwacher Zukunftsreferenz“ und „mit starker Zukunftsreferenz“ vor, und prüft seine Entscheidungskriterien u.a. anhand umfangreicher Analysen von automatisch aus dem Internet extrahierten Texten, auf die er sie anwendet. Er nennt diese Unterscheidung „coding“ und beschreibt mehrere alternative Methoden dafür. Hier ein Ausschnitt aus der Tabelle der kodierten Sprachen:
FTR steht hier für „future time reference“ (das ich oben als Zukunftsreferenz bezeichnet habe) und man sieht hier noch einmal, daß eine Sprache nach Chens Codierung entweder eine schwache oder starke FTR hat.
Dann untersuchte Chen zukunftsorientiertes Handeln bei zahlreichen verschiedenen Sprachnutzern anhand verschiedener Verhaltensweisen, deren Nutzen (der auch als Verhinderung von Schaden auftreten kann) sich nicht zum Zeitpunkt ihrer Ausübung sondern erst mehr oder weniger weit in der Zukunft manifestiert: Sparen, sportliche Anstrengung, Rauchverhalten, Kondombenutzung, Unterhalten von Rentenversicherungen und Verhaltensweisen, die die Langzeitgesundheit beeinflussen. Er achtete dabei sorgfältig darauf, zu prüfen, ob wirklich die Sprachnutzung selber oder nicht mit der Sprachnutzung zusammenhängende aber mit ihr korrelierte Eigenschaften die Verhaltensweisen beeinflussten. Also z.B. ob es vielleicht eine „deutsche Neigung“ zum Sparen gibt, die nichts mit der deutschen Sprache zu tun hat, aber bei Deutsch sprechenden Deutschen verbreitet ist. Er gelang ihm dabei zumindest die offensichtlichen gemeinsamen Ursachen auszuschließen.
In der Tat fand Chen bei einer länderübergreifenden Untersuchung eine starke Korrelation zwischen Sprachen mit schwacher FTR und zukunftsorientiertem Verhalten, die nicht durch den Einschluß zahlreicher kultureller, regionaler und institutionaler Kontrollen geschwächt wurde. Bei nur jeweils ein Land einschließenden Analysen verglich er Personen mit vergleichbaren Einkommen, Bildungsniveaus, Familienstrukturen und Geburtsländern, die aber verschiedene Sprachen sprechen (Grundlage für diese Analyse waren neun Länder, in denen sowohl Sprachen mit schwacher als auch Starker FTR gesprochen werden). Auch bei diesen Vergleichen erwiesen sich Sprecher der Sprachen mit schwacher FTR als zukunftsorientierter in ihrem Verhalten und Chen konnte u.a. zeigen, daß die detektierten Spracheffekte auf das Sparverhalten auf eine andere und damit unverbundene Weise eintreten, als sich die jeweils vorherrschenden kulturellen Präferenzen hinsichtlich Sparen auswirken.
In einer letzten Untersuchung weitet Chen den Blickwinkel stark aus und analysiert den Zusammenhang zwischen der FTR der in einem Land vornehmlich gesprochenen Sprache und der allgemeinen Sparrate in Ländern der OECD und der WVS und fand Belege dafür, daß Menschen in Ländern mit schwache-FTR-Sprachen durchschnittlich 6% mehr ihres BIP sparen und zwar unabhängig von der untersuchten Weltregion oder von Zeitverläufen.
Die Abbildung zeigt eine Kleinste-Quadrate-Regression zwischen dem Sparverhalten der untersuchten Ländern und der darin vornehmlich gesprochenen Sprache bzw. deren FTR.
Große Teile der Arbeit verwendet Chen darauf, seine Methode, Annahmen, Vorgehensweisen, Hypothesen, Grundlagen und Referenzen genau zu beschreiben und zu erklären und in einem mehr als 20-seitigen Anhang finden sich seine Datenquellen, Tabellen, Literaturangaben etc. Zum Schluß räumt er noch ein, daß obwohl er sehr sorgfältig mögliche gemeinsame Ursachen geprüft und versucht hat, solche auszuschließen, seine Belege eine durch die Sprachnutzung nur widergespiegelte (statt verursachte) Neigung oder Triebfeder für intertemporale Präferenzen (noch) nicht gänzlich ausschließen lassen.
Nachbemerkung:
Ich selber bin ein großer Sprachaficionado und finde es total faszinierend (im bescheidenen Maß, in dem ich als Nichtlinguist das überhaupt aufzufassen imstande bin), wie unterschiedlich Sprachen und bereits Dialekte funktionieren können und bin sehr interessiert an der Wechselwirkung zwischen Sprache/Grammatik und Kognition bzw. daran, wie die Sprache, in der wir sprechen und denken dieses Denken, aber auch Verstehen, Fühlen und die Formung unseres Weltbildes beeinflussen kann. Deshalb finde ich solche Arbeiten wie diese ungeheuer spannend (sie hier zu präsentieren stand schon länger auf meiner to-do-Liste, aber man kommt ja zu nichts :-). Die Arbeit von Chen ist recht umfangreich und sehr reichhaltig mit Literaturverweisen und Anhängen ausgestattet und ich konnte und wollte hier lediglich eine kurze Übersicht geben, so daß ich Interessierten nur empfehlen kann, die Arbeit selbst zu lesen.
Originalarbeit:
CFDP 1820, “The Effect of Language on Economic Behavior: Evidence from Savings Rates, Health Behaviors, and Retirement Assets” (August 2011, Revised December 2012) – im Archiv der Cowles Foundation for Research in Economics, Yale University
Wer lieber journalistische Bearbeitungen lesen möchte, findet hier und hier etwas und hier sogar einen TED-Talk.
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