(nein, Stabreime gehören nicht dazu ;-))

Ich habe ja schon mehrfach über die Misere der Rechtsmedizin, die Schwierigkeiten forensisch-wissenschaftlicher Forschung in Deutschland und die gefährlichen Folgen berichtet.

In England ist die Situation nun noch schlimmer, seit man dort vor etwas mehr als einem Jahr nach dem desaströsen Scheitern eines Privatisierungsversuchs den Forensic Science Service (FSS), mit der bekannten Begründung, daß dieser doch tatsächlich Geld koste, geschlossen hat. Es ist dort inzwischen so schlimm, daß die Zeitschrift Nature kürzlich unter der Überschrift “Forensic Fiasco” [1] anläßlich eines verheerenden Berichts eines Wissenschaftsausschusses dessen Leiter, Andrew Miller, zitierte, der als direkte mögliche Folgen ausbleibender Förderung forensisch-wissenschaftlicher Forschung nicht gefasste Mörder und Vergewaltiger auf den Strassen skizzierte.

Miller fand auch sonst deutliche Worte: insgesamt sei die Situation für wissenschaftliche forensische Fallarbeit total verfahren, die Polizeilabore, die nun die Arbeit des FSS übernehmen müssten, haben inkonsistente Standards und der zuständige Minister sei ahnungslos und verstehe nichts von der Materie.

Auch in den USA bestand ein vergleichbarer Mangel, dem nun durch die Neugründung der “National Commission on Forensic Science” abgeholfen werden soll, nachdem dort über 2000 Kriminalfälle wegen Problemen mit Haaranalysen, aufgrund unzureichender und/oder inkonsistenter Durchführung, neu aufgerollt werden müssen. (Ca. ein Jahr zuvor gab es anlässlich eines Aufrufs des Innocence-Projekts in den USA bereits einen Artikel in Nature [2] mit dem Titel “Forensic investigation needs more science” (Ü: “Forensische Untersuchungen müssen stärker auf Wissenschaft gründen”)).

Man hat dort wohl endlich erkannt, was eigentlich völlig klar ist und hätte sein müssen und dem man auch hierzulande endlich nachhaltig Rechnung tragen müsste: die forensischen Wissenschaften sind von großer Wichtigkeit für Polizei, Staatsanwaltschaften und Gerichte und damit für die Rechtssicherheit von uns allen und sie können einen entscheidenden Einfluss auf das Leben und die Freiheit von Menschen haben. Sie müssen endlich so gefördert und finanziert werden, wie es dieser Bedeutung entspricht!

[1] Nature 500, 5 (01 August 2013) doi:10.1038/500005b

[2] Nature doi:10.1038/nature.2012.11271

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Kommentare (16)

  1. #1 rolak
    12/08/2013

    Deutliche Worte.

    Erstaunlicherweise ist dies Thema sowohl in britischen als auch in usamerikanischen Krimiserien in den letzten Jahren einige Male deutlich aufgetischt worden. Bewirkt hat das allerdings wohl nix.

  2. #2 DH
    12/08/2013

    Ein weiteres Beispiel dafür , wie der neoliberale Privatisierungswahn unmittelbar auf unsere Lebensqualität durchschlägt.

  3. #3 Bloody Mary
    12/08/2013

    Hoffentlich liest das hier jemand, der Einfluß darauf nehmen kann, und tut dieses anschließend.

    Wie könnte ich mein Schärflein beitragen? Wie ist das denn mit Claudias Vorschlag, eine Petition auf change.org ins Leben rufen?

    Bitte sag was, ich tu’s.

    • #4 Cornelius Courts
      13/08/2013

      Wie könnte ich mein Schärflein beitragen? [..] Bitte sag was, ich tu’s.

      Wenn ich’s nur selber wüßte. Ich habe den Eindruck, daß in Deutschland immer erst etwas passiert, wenn es schon fast zu spät ist bzw. es wieder irgend einen Skandal gegeben hat, dessen Zustandekommen völlig absehbar war und wonach es dann heißt: “Das hätte man doch wissen/kommen sehen müssen” etc. Offenbar stört es die Politik auch nicht sonderlich, daß in D. jedes zweite Tötungsdelikt unentdeckt bleibt, sind ja eh bloß die Junkies, dementen Alten und sonstige Unproduktive, die es trifft.
      Demnächst ist Bundestagswahl. Ich wüßte keine Partei, die sich der Beseitigung dieses Mißstands verpflichtet hätte. In NRW war das am ehesten noch die SPD, aber so richtig gebracht hat es nichts. Vielleicht gibt es hier ja jemand Politikaffinen, der die Wahlprogramme ausreichend gut kennt, um uns eine einschlägige Wahlempfehlung geben zu können? 😉
      Es wäre auch hilfreich, wenn verstanden würde, daß die forensischen Wissenschaften nicht so hochklassig publizieren können, wie, sagen wir, die Krebsforschung. Unsere Forschung ist sehr speziell und viel, viel stärker anwendungsbezogen und dadurch nur relevant und interessant für eine sehr begrenzte Klientel. Das generiert natürlich keine hohen Impactfaktoren, die Erkenntnisse sind aber häufig direkt einsetzbar. Der gesellschaftliche Nutzen der Forschung, das, worauf es eigentlich ankommt, läßt sich also nicht an irgendwelchen bibliographischen Abstrakta bemessen und es sollte bei der Mittelvergabe auch nicht so getan werden, als ob.
      Hinzukommt: je besser die Förderung ist, desto besser kann man man auch als Nischenfach publizieren, weil man mit besseren Geräten und aufwendigeren Studien auch für breiteres Publikum interessante Ergebnisse erhalten kann (Stichwort: Molecular Eyewitnessing und M. Kayser aus Rotterdam). Ich würde z.B. sehr sehr gerne an der Implementierung von NGS in die forensische Genetik mitarbeiten und hätte diverse Ideen für Forschungsansätze, Einsatzmöglichkeiten etc., nur leider keine +150.000€, die so ein Gerät locker kostet…

  4. #5 Ignorantia
    13/08/2013

    “Offenbar stört es die Politik auch nicht sonderlich, daß in D. jedes zweite Tötungsdelikt unentdeckt bleibt, sind ja eh bloß die Junkies, dementen Alten und sonstige Unproduktive, die es trifft.”

    Wenn es unentdeckt bleibt, woher weiß man denn überhaupt, das es sich um eine Delikt handelt?

    • #6 Cornelius Courts
      13/08/2013

      Guckstu hier.

  5. #7 werner
    13/08/2013

    Sir Spilsbury würde sich im Grab umdrehen, wenn er mitkriegen würde, dass es fast ein Jahrhundert nach Einführung der wissenschaftlichen Forensik immer noch zu so was kommen kann. Die, die die Geldmittel streichen, sind dann doch wieder die ersten die lauthals schreien, dass die Qualität der Forensik abnimmt.

    • #8 Cornelius Courts
      13/08/2013

      ich habe auch so ein wenig den Verdacht, daß eine Mitursache der CSI-Effekt sein könnte. Wenn Politiker, die ja auch CSI gucken, denken, daß die Wirklichkeit so aussieht, könnten sie tatsächlich denken, daß wir alle in top gestylten super ausgestatteten Laboren sitzen, Sportwagen fahren etc.
      Daß sich keiner von denen mal die Mühe macht, sich vor Ort von der Realität zu überzeugen, hilft auch nicht…

  6. #9 JoD
    13/08/2013

    DH: keine Ahnung, was das Thema mit “neoliberalem Privatisierungswahn” und unserer Lebensqualität zu tun hat.

  7. #10 DH
    13/08/2013

    @JoD

    Haben Sie obenstehenden Artikel gelesen?

    Wer , glauben Sie , finanziert solche öffentlichen Aufgaben und was könnte der öffentliche Sparzwang mit neoliberaler Politik zu tun haben?

  8. #11 JoD
    13/08/2013

    @DH
    “Öffentlicher Sparzwang” hat einfach mit begrenzten Ressourcen zu tun. Sprich: begrenzten Steuermitteln. Da die öffentliche Hand nicht gerade dafür bekannt ist, nachhaltig zu wirtschaften, dürfte es wohl im Interesse aller Bürger sein (natürlich ausgenommen derer die von oder aus der öffentlichen Hand leben) all die Dinge, die Private zugleich günstiger und besser oder besser nachhaltiger erledigen können, auch durch Private erledigen zu lassen. Das hat ja nichts neoliberalem Privatisierungswahn zu tun.

    Warum in England ein Privatisierungsversuch “desaströs” gescheitert ist, geht aus dem Artikel nicht hervor – da könnte ich jetzt nur spekulieren. Gute Beispiele für Privatisierungen gibt es in Deutschland zu Hauf, ob die forensisch-wissenschaftliche Forschung unbedingt dazu gehören muss, kann man durchaus diskutieren.

  9. #12 Adent
    14/08/2013

    @JoD

    Gute Beispiele für Privatisierungen gibt es in Deutschland zu Hauf

    Echt jetzt? Welche denn, zum Beispiel Krankenhäuser oder die Bahn? gnihihihi

  10. #13 DH
    14/08/2013

    @JoD

    ““Öffentlicher Sparzwang” hat einfach mit begrenzten Ressourcen zu tun”

    So ist es , nur warum?
    Gesamt gesehen sind wir als Gesellschaft so reich wie nie zuvor , trotzdem sind die öffentlichen Haushalte so knapp wie nie zuvor . Das ist unlogisch , es sei denn , man geht von einem Verteilungsproblem aus.
    Manches mag privat besser gehen , aber wir haben eine Tendenz , undifferenziert alles zu privatisieren , und , wie von Advent schon angesprochen , die Positiv-Beispiele halten sich in Grenzen.
    Und dieses Geschwätz “im Dienste aller Bürger” kann ich echt nicht mehr hören. Das kommt immer von recht durchschnittlichen Mittelständlern , die sich bei den “Eliten” anbiedern wollen und dafür irgendeine Belohnung erwarten , und gar nicht merken , wie weit sie selber von den tatsächlichen Gewinnern der vorherrschenden Politik entfernt sind.

  11. #14 DH
    14/08/2013

    @Adent

    Sorry, Tippfehler beim Namen.

  12. #15 JoD
    14/08/2013

    Die Deutsche Bahn ist ja nicht wirklich privatisiert – mit dem Bund als einzigem Aktionär ist die Bahn ein Staatsunternehmen, das nach wie vor erheblichem politischen Einfluss ausgesetzt ist.
    Bei Krankenhäusern ist das anders: Da wurden sehr viele privatisiert. Und warum wurden sie privatisiert? Weil die vormaligen öffentlichen Träger sie in den Ruin gewirtschaftet haben. Letztes Beispiel Klinikum Offenbach, das es immerhin geschafft hat, 300 Mio Euro Schulden anzuhäufen und dann auch noch vom Land Hessen vor dem Konkurs gerettet werden musste (siehe z.B. https://www.op-online.de/lokales/nachrichten/offenbach/klinikverkauf-offenbach-steigert-minus-2882310.html ). Weitere Beispiele gibt es genug, wenn auch nicht ganz so krass. Sehr viele Häuser die von der öffentlichen Hand geführt werden, machen Jahr für Jahr massive Verluste, die durch Steuergelder ausgeglichen werden müssen. Insider wissen, woran das liegt – es sind halt ganz besonders die Strukturen, wie sie bei der öffentlichen Hand fast überall anzutreffen sind. Die gigantische Geldverschwendung die da betrieben wird, ist in höchstem Maße unethisch.
    Jedenfalls gehe ich wenn ich krank bin bevorzugt ein ein privat betriebenes Krankenhaus. Damit habe ich bisher nur gute Erfahrungen gemacht.

  13. […] schliesslich noch ein Appell von Bloodnacid, doch bitte die Rechtsmedizin ordentlich auszustatten, will man Mörder und andere hinter Gitter […]