Unsterblichkeit, ja. Doch im Gegensatz zum Highlander hat eine unsterbliche Krebszelle nicht das Credo, daß es nur eine geben könne oder solle. Im Gegenteil: sie hat natürlich überhaupt kein Credo. Aber ihre genetische Beschaffenheit und auch der auf ihr lastende Selektionsdruck bewirken, daß in einem Tumor diejenigen Krebszellen sich anreichern, die „gelernt“ haben, sich unbegrenzt und unaufhaltsam zu vermehren, die also replikative Unsterblichkeit erlangt haben. Wie schon vorher erwähnt, herrscht in normalen Zellen eine strikte und durch mehrere ineinandergreifende und übereinanderliegende redundante Systeme vermittelte Kontrolle des Zellzyklus’, den eine Zelle durchlaufen muß, bevor sie sich teilen kann. Außerdem ist die Zahl der Teilungen im Leben einer normalen Zelle beschränkt. Diese Beschränkung wird durch erst Seneszenz (ein lebensfähiges aber keine weitere Teilung gestattendes Zellstadium) und zuletzt die Zellkrise, deren Folge der Zelltod ist, vermittelt. Zellen aus Zellinien, die z.B. für Zellkulturexperimente verwendet werden, stammen häufig von Zellen ab, denen es irgendwie gelungen ist, Seneszenz und Zellkrise zu überwinden und die in ein Stadium übergegangen sind, in dem sie über unbegrenztes replikatives Potential verfügen. Dieser Übergang (Transition) wird als „Immortalisierung“ bezeichnet.

Inzwischen gibt es zahlreiche Belege, denen zufolge die Telomere eine zentrale Bedeutung für die Entstehung uneingeschränkter Teilungsfähigkeit haben. Telomere kann man sich wie Stopper oder Schoner vorstellen, die die Enden der Chromosomen schützen. (Telomere sind übrigens auch für sich allein genommen sehr interessant, insbesondere für die Altersforschung)

telomer

ein Chromosom mit zwei Chromatiden (kurz vor der Anaphase)

 

Sie bestehen aus zahlreichen Wiederholungen (Repeats) eines kurzen Stücks aus DNA-Bausteinen (s. Abbildung) und nutzen sich im Laufe des Lebens einer normalen Zelle kontinuierlich ab, bis sie irgendwann, wenn das sogenannte Hayflick-Limit erreicht ist, dem Chromosom keinen Schutz mehr bieten können. Chromosomen können dann schweren Schaden nehmen und wie wir schon gesehen haben, kann das zum Zelltod führen. Das ist aber soweit normal. Telomere sind also eine Zeitmeßeinrichtung, vielleicht so wie eine Sanduhr, bei deren Leerlaufen die Zelle stirbt.

Die Zelle verfügt allerdings über ein Enzym, das Telomere reparieren kann: die Telomerase. Dieses sehr interessante Enzym ist die einzige Struktur im menschlichen Organismus, die als reverse Transkriptase (die man sonst eher von Retroviren kennt) fungiert, indem sie eine auch noch selbst mitgebrachte RNA-Matrize in neue Telomer-DNA-Repeats umschreibt. (Inzwischen kennt man noch diverse andere Funktionen der Telomerase, z.B. bei der DNA-Reparatur, deren Einfluss auf die Tumorentstehung aber noch nicht ausreichend erforscht sind.)

Normalerweise ist die Telomerase nur in Zellen der Keimbahn aktiv, wodurch sichergestellt wird, daß die Telomere an den Chromosomen, die in der sexuellen Reproduktion weitergegeben werden sollen, „wie neu“ sind. In adulten Zellen im restlichen Körper ist eine Telomeraseaktivität jedoch nicht nachweisbar, sie ist sozusagen abgeschaltet. Und genau dieser Schalter wird wieder umgelegt, wenn eine Zelle immortalisiert wird und in vielen verschiedenen Arten von Krebszellen findet man daher eine aktive Telomerase, die Telomere repariert und sich somit vor den Folgen von deren beständiger Erosion, nämlich Seneszenz und Apoptose, schützt. Das ist der wichtigste (wenngleich nicht einzige) Trick von Krebszellen, die massiven Sperren, die normalerweise die Zahl möglicher Zellteilungen beschränken, zu überwinden. Wenn man sich die Telomere noch einmal wie eine Sanduhr vorstellt, dann würden Krebszellen ständig neuen Sand in das obere Glas hineinschaufeln, so daß die Uhr nie ausläuft.

Es gibt mehrere Möglichkeiten, wie Krebszellen die abgeschaltete Telomeraseaktivität wiederherstellen können, aber die häufigste besteht darin, daß sie in die Genexpression eingreifen und die  Telomeraseexpression hochregulieren, mit anderen Worten, dafür sorgen, daß die Stillegung des Telomerasegens in normalen Zellen rückgängig gemacht und wieder Telomerase hergestellt wird, z.B. durch eine Mutation in einem Gen, dessen Produkt die Repression der Telomerase bewirkt. Seltener findet man Krebszellen, die für die Reparatur der Telomere sogar auf die Telomerase verzichten können, indem sie sie durch einen rekombinationsbasierten Mechanismus (das sogenannte „alternative lengthening of telomeres (ALT)) wieder instandsetzen.

flattr this!

1 / 2 / Auf einer Seite lesen

Kommentare (14)

  1. #1 rolak
    15/08/2013

    Das Schöne an dieser Serie ist, daß nicht nur alte Wissens-Schnipsel wiedergetroffen werden, sondern teils sogar Neues von ihnen zu hören ist und darüber hinaus (und vor allem) das Beziehungsgeflecht zwischen ihnen und ‘ihren Verwandten’ aufgedröselt wird. So ist der Weg zum Überblick vertraut und neu zugleich, liest sich sehr gut.

  2. #2 Bloody Mary
    15/08/2013

    “vertraut und neu zugleich”, was für ein schönes Kompliment! Und so zutreffend.

    Was mir aber noch fehlt, sind Informationen über das EHC-Projekt (Einschleusen des Highlander-Credos in die Tumorzellen) – über diese gedankliche Verknüpfung hatte ich mich schon gestern gekugelt.

  3. #4 Cornelius Courts
    18/08/2013

    @rolak und Bloody Mary: Danke für die Rückmeldungen, gut, daß der Artikel funktioniert 🙂
    Ich komme gerade völlig fertig und verdreckt aber zufrieden vom Summer Breeze zurück und hatte gehofft, daß alles glatt geht 🙂

  4. #5 rolak
    18/08/2013

    Summer Breeze

    ^^wat en setup. Zugegebenermaßen sprang mir von den Bandnamen zuallererst der zweite mit c ins Auge…

    völlig fertig

    Naja, dieses spezielle ‘völlig fertig’ ist aber immer ein richtig tolles ‘völlig fertig’.

    Nächstes WE weile ich im inneren Ausland, OpenAir-Initiationsritus für mein Patenkind.

  5. #6 Cornelius Courts
    19/08/2013

    @rolak: “Naja, dieses spezielle ‘völlig fertig’ ist aber immer ein richtig tolles ‘völlig fertig’.”

    Check! 🙂

    “Nächstes WE weile ich im inneren Ausland, OpenAir-Initiationsritus für mein Patenkind.”

    Kannste mal wieder sehen, was man alles nicht kennt. Nicht nur kannte ich das Festival nicht, ich kannte auch den Ort nicht und keine ! einzige ! Band, die da spielt. Wie alt isses denn, das Kind? 🙂

  6. #7 rolak
    19/08/2013

    [kenne] keine ! einzige ! Band

    Bis auf Siena Root (war auch in der Harmonie) bei mir dito 🙂 Gespannt bin ich auf Goldkante, Sound 8 Orchestra, To Those Who Exist und Weltraum.
    Dieses ungemein große Überraschungsmoment ist allerdings auch genau einer der Aspekte eines Festivals, die ich ausgesprochen positiv empfinde. Vielleicht liegt das aber auch daran, daß anfänglich (also vor 40 Jahren) mangels Portokasse nur kleine lokale Events mit an den Fingern einer Handabzählbarem, hauptsächlich aus dem lokalen Nachwuchs geschöpftem setup angesagt waren und schlichtweg ‘unbekannt’ normal war. Doch nach einiger Zeit kam schon das eine oder andere bekannte Gesicht unterwegs, erinnere mich an eine Dreier-Serie mit den Lilac Angels aus DDorf. Folk gab es in den 70ern auch ungemein viel nebst Liedermaching & so. Vor allem den damals schon aussterbenden ProgRock vermisse ich heutzutage sehr…

    Wie alt?

    Just zweistellig geworden, da wird es Zeit – und da die idiotische Gesetzgebung den Besuch eines einzelnen Konzertes fast unmöglich macht (ok, Matinees gingen) aber nichts gegen einige Tage durchfeiern zu egal welcher Nachtzeit hat, nehme ich ausgesprochen gerne die Gelegenheit wahr, ganz unvegan mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Wildes Festival-Volk statt Dorfgemeinschaft <satanic laughter>

    btw: Urkomisch fand ich die Hausordnung des Festivals, zB

    wir haben jedes Jahr die Genehmigung für genau EIN offenes Feuer. Und richtig: damit ist nicht Dein Privat-Feuer vor dem Zelt gemeint, sondern das große Feuer vor der Bühne.

  7. #8 roel
    *****
    19/08/2013

    @rolak och Bodo Staiger und Co. 1979? *aussterbenden ProgRock”? Die Beerdigung habe ich glatt verpasst.

    Na ja, Lehrte ist weit weg vom Prog, aber ein schönes kleines Örtchen.

  8. #9 rolak
    20/08/2013

    Auch wenn es droht, wieder ein Reden wider die Gummiwand zu werden: Hallo roel, nicht nur von den Buchstaben her gilt ‘aussterbend’≠’ausgestorben’, mithin war kein feierliches Wegbringen zu erwarten.
    Sollte Dir tatsächlich der Umschwung vom Normalen, ja Erwarteten zum kaum mehr Vorhandenen entgangen sein? Der Sprung der Giganten wie u.a. Caravan, Pink Floyd, Yes, Genesis, ELP, King Crimson und wie sie alle hießen/heißen vom Innovativen hin zu Bedeutungslosigkeit, Nirwana oder Durchkommerzialisierung?

    Tiger sterben auch aus, deswegen predigt niemand deren Nichtexistenz.

  9. #10 roel
    *****
    20/08/2013

    @rolak ProgRock kommt aus der Mode kommt als RetroProg, NeoProg, ProgMetal und als selbiger (etwas) verändert zurück. Musikrichtungen sterben nicht so schnell. Rock’nRoll hat überlebt, Beat hat überlebt, Jazz und sogar die (Sonntags)Klassik.

    “‘aussterbend’≠’ausgestorben’” ist mir nicht entgangen. Nur stirbt er anscheinend wesentlich läger wie er bis dato gelebt hatte.

  10. #11 2xhinschauen
    21/08/2013

    Ist es nicht phantastisch, wie detailliert man heutzutage in die molekularen biologischen Vorgänge hineinschauen kann? Und sogar einiges davon den übergeordneten Kontexten und Phänomenen zuordnen kann? Nicht genug, nicht genug, klar, aber ich finde das phantastisch und aufregend und natürlich auch nützlich.

    Nur: Nachdenklich stimmt mich, wie wenig davon bisher konkret in Therapien gemündet ist. Nach wie vor gehen wir mit Messern, Strahlen und Breitbandgiften gegen Karzinome vor.

    Liebe Ärzte, liebe Forscher, das ist absolut keine Fundamental- und keine Schmähkritik! Ihr seid die Besten! Man könnte aber befürchten, dass wir beim Weiterforschen an ganz grundsätzliche Grenzen stoßen. Man könnte, das ist nicht dasselbe wie “man wird”, aber ich sage das als Naturalist.

    • #12 Cornelius Courts
      22/08/2013

      Nur: Nachdenklich stimmt mich, wie wenig davon bisher konkret in Therapien gemündet ist. Nach wie vor gehen wir mit Messern, Strahlen und Breitbandgiften gegen Karzinome vor.

      Das große Problem ist nach wie vor, daß die Krebszelle, im Gegensatz zu z.B. Bakterien, kein Fremder/s ist. Sie ist und bleibt eine Körperzelle, nur eben eine, die den biologischen Imperativ der Einzeller und aller egoistischen Replikatoren wiederentdeckt, bzw. dem Imperativ zur Kooperation übergeordnet hat. Wie also soll man sie “erkennen”, wie gezielt bekämpfen, ohne auch andere, normale Zellen zu treffen?

      Die erste echte Hoffnung stellt indes die individualisierte Tumortherapie dar, die durch die Komplettsequenzierung (NGS) des Tumorgenoms sehr bald in greifbare Nähe gerückt sein wird. Dadurch werden Tumorkategorien (mit ihren “eines für alle”-Therapien) obsolet werden und Therapieansätze genau auf diesen einen speziellen Tumor bei diesem einen Patienten mit seinen spezifischen genetischen Eigenschaften zuschneidbar sein. Nicht nur ich verspreche mir sehr viel davon.

      Man könnte aber befürchten, dass wir beim Weiterforschen an ganz grundsätzliche Grenzen stoßen. Man könnte, das ist nicht dasselbe wie “man wird”, aber ich sage das als Naturalist.

      Ich meine, die Grenzen, an die wir bereits stoßen, sind lediglich die der mangelnden Unterstützung und Förderung von Wissenschaft und Forschung sowie derer, die in diesen Bereichen arbeiten wollen/sollen. Geld ist sicher nicht alles (und bezeichnenderweise für die wenigsten Wissenschaftler die treibende Motivation), aber ein Vergleich der Einkommen eines durchschnittlichen Post-Doc-Krebsforschers mit dem sagen wir eines durchschnittlichen Sparkassendirektors fasst die groteske Situation recht treffend zusammen.

  11. #13 2xhinschauen
    25/08/2013

    > Das große Problem ist nach wie vor, daß die Krebszelle, im Gegensatz zu z.B. Bakterien, kein Fremder/s ist.

    Und das, obwohl es letzthin m.W. einige Durchbrüche dabei gab, zu verstehen, wie die Immunabwehr “eigen” von “fremd” unterscheidet bzw besser, immer neu zu unterscheiden versucht. Bei aller Individualität muss es da ja Prinzipien geben, aber man muss wohl einfach die Realitäten anerkennen, dass es schwierig ist, das Wissen chemisch/medikamentös umzusetzen.

    Logisch erscheint da der Schritt zur individuellen Therapie. Lass uns gemeinsam hoffen, dass wir als Gesellschaft uns die auch leisten wollen.

  12. #14 2xhinschauen
    25/08/2013

    > Geld ist sicher nicht alles (und bezeichnenderweise für die wenigsten Wissenschaftler die treibende Motivation)

    Das ist sogar Stand der Forschung. In funktionierenden Organisationen kommt bei Umfragen nach den (De-)Motivationsfaktoren der Lohn nur auf ca Platz 8, besonders in Berufen, in denen “innerer Antrieb” eine Grundbedingung ist, wie bei Künstlern, Forschern u.v.a. Würdest Du nicht auch, bei akzeptablem Gehalt, lieber ein Labor mit allem Schnick und Schnack und Wunschmitarbeitern haben wollen statt 5,3% Gehaltserhöhung? Die relativen Ungerechtigkeiten stelle ich dabei ja nicht in Abrede.

    Aber das meinte ich nicht, sondern die rein spekulative Überlegung, bei weiterem Eindringen in die molekularen Urgründe des Lebens auf eine prinzipielle Grenze zu stoßen, so eine Art Unschärferelation der Wissenschaft vom Leben. Eine Art elusive Natur. Ich werde nicht beleidigt sein, wenn das jemand Quatsch nennen möchte. Nur: Sich etwas nicht vorstellen zu können oder für unmöglich zu halten, macht es nicht wahrscheinlicher (das Hamlet-Argument), aber es darf auch nicht zum Ende der Neugier führen.

    Wenn so eine Grenze dereinst dann doch gefunden werden sollte, möge sie dann also bitte meinen Namen bekommen 🙂