Es gibt inzwischen übrigens Hinweise, daß unter bestimmten Umständen selbst das exakte Timing der Wiederherstellung der Telomeraseaktivität für die Krebszelle nützlich sein kann. Die Schäden an den Chromosomen, die durch abgenutzte Telomere entstehen, sogenannte „breakage-fusion-bridges“ (BFB) können die Mutabilität des Genoms (also die Möglichkeit, noch weitere Mutationen anzusammeln) und damit die Wahrscheinlichkeit, daß noch mehr und weitere krebsrelevante Mutationen entstehen, noch erhöhen. Das Zeitfenster, welches dafür nötig ist, bevor zu viele BFBs das Einsetzen von Seneszenz und/oder Apoptose erzwingen, kann geweitet werden, wenn der Genomwächter tp53, der in normalen Zellen solche Schäden registriert und daraufhin den Zelltod einleitet, deaktiviert wird, was, wie wir schon gesehen haben, bei einem Großteil der Tumorzellen der Fall ist. In diesem Szenario warten Tumorzellen mit der Aktivierung der Telomerase und Reparatur der Telomere also so lange, bis sich BFB-bedingt diverse weitere tumorfördernde Mutationen angesammelt haben, aber nicht zu lange, bis die Schäden so schlimm werden, daß die Zelle stirbt. Gruselig, oder?
Wenn wir die bisherigen Folgen zusammenfassen, haben wir erarbeitet, wie eine ursprünglich normale Zelle entartet und zur Krebszelle werden kann, indem sie unabhängig von äußeren Wachstumssignalen, aber auch unempfindlich wird gegen Signale, die das Wachstum hemmen sollen. Außerdem muß sie immun gegen den programmierten Zelltod geworden sein und die Souveränität über ihre Vervielfältigung durch Immortalisierung gewonnen haben. Eine solche Zelle ist nun mehr oder weniger autark und abgekoppelt vom Restorganismus und hat sich der Schnittstellen, über die jener Kontrolle auf sie ausüben konnte, entledigt. In der nächsten Folge beschreibe ich, wie es Zellen in einem wachsenden Tumor mit hohem Energieverbrauch gelingt, sich selbst mit Nährstoffen zu versorgen, indem sie die Herstellung eigener Zufahrtswege, also neuer Blutgefäße, erzwingen.
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Übersicht Krebs-Serie:
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