Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen: RNA ist wirklich cool (ist ja noch gar nicht so lange her, daß ich von der Entdeckung zirkulärer RNA berichtet habe). Besonders interessant finde ich die kleinen RNAs, insbesondere die micro-RNA (miRNA), an deren forensischer Nutzbarkeit ich selbst forsche. Wie miRNAs in der Zelle hergestellt werden und wie der Mechanismus, genannt RNA-Interferenz oder kurz RNAi, über den sie ihre Wirkung entfalten, funktioniert, habe ich schon im Basics-Artikel zu miRNA beschrieben. Extrem verkürzt kann man sagen, daß miRNAs gezielt Gene abschalten können, indem sie die Zwischenstufe der Genexpression, die mRNAs, abfangen und unwirksam machen.Genau diesen Mechanismus nutzen nun Hersteller von Saatgut, z.B. Monsanto, indem sie Pflanzen genetisch so verändern, daß sie insektenspezifische miRNAs synthetisieren können, die, wenn sie von bestimmten Schädlingen mit der Nahrung aufgenommen werden, in diesen gezielt lebenswichtige Gene abschalten und sie damit töten. Während der Einsatz von RNAi bei der Therapie menschlicher Krankheiten noch keine nennenswerten Erfolge erzielt hat, weil es sich als ziemlich schwierig erwiesen hat, miRNAs in menschliche Zellen einzuschleusen, nehmen Insekten und besonders deren häufig gefräßige Larven miRNAs, die sie „mitessen“, sehr leicht über ihren Mitteldarm auf, von wo aus sie sich dann im gesamten Körper verteilen können. Die neuen Pestizid-miRNAs sind dabei aber so spezifisch, daß sie selbst nahe verwandte Insektenarten nicht betreffen und daher nicht den bei normalen Pestiziden verbreiteten Overkill bewirken, dem auch viele andere, darunter nützliche Insekten zum Opfer fallen. Pflanzen, die ihre eigenen chirurgisch präzisen Biowaffen zur Schädlingsabwehr herstellen! Ist das nicht total cool?
Derzeit befindet sich das Saatgut für entsprechend modifizierte Pflanzen, die sich gegen den Westlichen Maiswurzelbohrer zur Wehr setzen können, in der Testphase. Die darin verwendete miRNA legt das Gen für Snf7 lahm [1]. Snf7 hilft dabei, Proteine an die richtige Stelle in der Zelle zu transportieren und ohne diese Funktion sterben die Käferlarven in wenigen Tagen ab. Es muß für eine Marktreife natürlich sichergestellt sein, daß die anti-Snf7-miRNA nicht auch für andere Tiere und Menschen gefährlich ist. Genau darin sehen Kritiker ein Problem und beziehen sich auf eine Arbeit von Zhang et al. (2012) [2], worin demonstriert wurde, daß sich kleine RNAs aus Speisepflanzen auch im Blut von Mäusen und Menschen nachweisen lassen. Wenn nun die anti-Snf7-miRNAs aus den modifizierten Pflanzen schädlich für den Menschen wären, so die Kritiker, würden auch diese ins Blut gelangen, mit ungeahnten Folgen. Zhangs Arbeit ist allerdings nicht unumstritten (sie könnten die Folge einer Kontamination sein [3]) und seine Ergebnisse konnten bisher auch in Folgestudien an Menschen und Affen nicht reproduziert werden. Hinzukommt, daß es im Menschen eine Reihe von Barrieren gibt (darunter Enzyme im Speichel und die extrem saure Magensäure) die verhindern, daß oral aufgenommene RNA intakt im Darm resorbiert wird und daß, um die Werte, die Zhang in Mäusen gemessen hatte, zu erreichen, ein Mensch ca. 33 kg Reis am Tag verzehren müßte.
Ein anderes potentielles Problem ist die mögliche Entstehung von Resistenzen, die noch immer bei fast jedem Pestizid beobachtet wurde. Auch hier herrscht derzeit Uneinigkeit, wie wahrscheinlich es ist, daß sich solche Resistenzen auch gegen miRNAs bilden und verbreiten, da sich im Maiswurzelbohrer die Sequenz des Snf7-Gens gleich an mehreren Stellen ändern müßte. Um die Resistenzentwicklung zu verlangsamen, will die Firma Monsanto versuchen verschiedene Methoden transgener Schädlingsbekämpfung, z.B. Bt-Mais (gegen den es bereits Resistenzen gibt) mit anti-Snf7-miRNAs zu kombinieren.
Unabhängig von dem unappetitlichen Geschäftsgebaren diverser Saatguthersteller wünsche ich dem Vorhaben viel Erfolg und wenig Schädlingsbefall durch Feldzerstörer und ähnliche Verbrecher, da genetisch optimierte Pflanzen nach meiner Einschätzung mittel- bis langfristig die einzige Möglichkeit darstellen, alle Menschen zu ernähren.
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Referenzen:
[1] Ramaseshadri P, Segers G, Flannagan R, Wiggins E, Clinton W, Ilagan O, McNulty B, Clark T, Bolognesi R (2013). Physiological and cellular responses caused by RNAi- mediated suppression of Snf7 orthologue in western corn rootworm (Diabrotica virgifera virgifera) larvae. Plos One, 8 (1) DOI: 10.1371/journal.pone.0054270
[2] L. Zhang et al., Cell Res. 22, 107 (2012).
[3] Y. Zhang et al., BMC Genomics 13, 381 (2012)
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