Erst tödliche RNA und jetzt auch noch soziale RNA? Ich habe in der Tat schon länger (nicht erst seit der zirkulären RNA) aufgehört, mich über die Vielfältigkeit von RNA in all ihren Erscheinungs- und Funktionsformen zu wundern und traue dieser molekularen Spezies inzwischen extrem viel zu, darunter nicht zuletzt, das Ursprungsmolekül allen Lebens gewesen zu sein.

Interessanterweise impliziert die in dem vorherigen Artikel beschriebene Tödlichkeit auch die Möglichkeit einer sozialen Funktion von RNA: das nahezu universelle Vorhandensein von RNAi-Mechanismen in den Zellen sehr vieler Lebensformen, sowie ein vielfach beobachtetes evolutives Wettrüsten zwischen Wirtsorganismen und ihren Parasiten, die unter dem Druck stehen, einer gegen sie gerichteten RNAi-Abwehrstrategie auszuweichen, weisen darauf hin, daß RNAi nicht nur jeweils auf einen Organismus bezogen sein, sondern auch die Individualgrenze überschreitend funktionieren, also „sozial“ sein könnte.

Adult_Caenorhabditis_elegans

adulter C. elegans, [a]

Beim Fadenwurm C. elegans (in dem man passenderweise ja auch die erste micro-RNA (miRNA) entdeckt hatte) wurde ein Mechanismus zum Transport aus dem Darm mit der Nahrung aufgenommener langer doppelsträngiger RNAs (dsRNA) und deren Verbreitung im Körper entdeckt. Die Kanalproteine, die das ermöglichen, heißen SID-1 und SID-2 [1-3]. In den Zellen werden die dsRNAs dann modifiziert und zu siRNAs verarbeitet, die, ganz ähnlich wie miRNAs, Gene gezielt abschalten können. C. elegans (nicht aber Wirbeltiere) verfügt über einen zusätzlichen Mechanismus, der das siRNA-Signal noch verstärkt [4], so daß es sogar seine Keimzellen erreichen und an die nächste Generation weitergegeben werden kann [5-7]!

Die große Frage ist nun: wozu soll solch ein Mechanismus, der RNA aus der Umwelt aufnehmen und eigene Gene stillegen kann,  gut sein?

Man konnte zeigen, daß Mutationen in den SID-Genen die Fitness und das Überleben von C. elegans zumindest unter Laborbedingungen nicht vermindern, woraus man schloss, daß „Umwelt-RNAi“ nicht generell notwendig für normales Wachstum bei C.elegans ist. Es gibt aber bereits Erkenntnisse zu anderen, verwandten „wild“ und parasitisch lebenden Arten von Nematoden, die RNAi nutzen und es ist denkbar, daß diese aufgenommene Wirts-RNA nutzen, um die eigenen Gene zu regulieren und an die Nahrung anzupassen. Das wiederum könnten Wirtsorganismen nutzen, um ihrerseits für die Würmer toxische dsRNA herzustellen, womit wir wieder beim evolutiven Wettrüsten wären.

Aber auch der beschriebene Verstärkereffekt, den man in C. elegans beobachtet hat, könnte eine soziale Funktion haben, indem ein zunächst sehr schwaches Signal z.B. eines für den Wurm pathogenen Virus’ von dem Wurm aufgegriffen, verstärkt und dann unabhängig vom Signal verbreitet wird und eine Art Herdenimmunität hervorruft.

Übrigens können auch Säugerzellen kleine RNAs, ausscheiden und freie oder in Exosomen gebundene miRNAs wurden bereits in verschiedenen Körperflüssigkeiten wie Blut, Tränen, Speichel etc. gefunden (was natürlich auch für die Forensik interessant ist). Was noch nicht bekannt ist aber derzeit stark diskutiert wird, ist, ob diese sezernierten (= ausgeschiedenen) miRNAs, die ja funktionell sehr ähnlich wie siRNAs (s. C. elegans) sind, auch von irgendwelchen Empfängerzellen aufgenommen werden und dort einen Effekt hervorrufen können. Eingedenk der starken evolutiven Konservierung der miRNA kommen bei diesem Szenario dann auch Wechselwirkungen mit ganz anderen Arten in Betracht! Dabei muß man aber bedenken, daß Säugerzellen, wie erwähnt, nicht über einen Verstärkereffekt verfügen, wie C. elegans, so daß ausreichende Mengen solcher freien miRNAs aufgenommen werden müßten, um eine Wirkung zu entfalten und erste Laborexperimente mit überexprimierten (= künstlich im Übermaß hergestellten), sezernierten miRNAs zeigten, daß sie tatsächlich die Genexpression in Empfängerzellen herabregulieren konnten.

Die Frage nun, ob es soziale RNA gibt, ob es also für verschiedene RNA-Moleküle ein Leben außerhalb der Zelle und vielleicht sogar außerhalb des Organismus, der sie produziert hat gibt, ist noch weit davon entfernt, geklärt zu sein aber ich finde sie überaus faszinierend und sollte sie in Zukunft zweifelsfrei mit „ja“ beantwortet werden, hätte das sehr weitreichende Konsequenzen. Die RNA-Welt bleibt also spannend…

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Referenzen

[1] W. M. Winston, M. Sutherlin, A. J. Wright, E. H. Feinberg, C. P. Hunter, Proc. Natl. Acad. Sci. U.S.A. 104, 10565 (2007).
[2] D. L. McEwan, A. S. Weisman, C. P. Hunter, Mol. Cell 47, 746 (2012).
[3] W. M. Winston, C. Molodowitch, C. P. Hunter, Science 295 2456 (2002).
[4]G. Hutvagner, M. J. Simard, Nat. Rev. Mol. Cell Biol. 9, 22 (2008).
[5] B. A. Buckley et al., Nature 489, 447 (2012).
[6] A. Ashe et al., Cell 150, 88 (2012).
[7] M. Shirayama et al., Cell 150, 65 (2012).

Bildquellen:

[a] https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AAdult_Caenorhabditis_elegans.jpg; by Zeynep F. Altun, Editor of www.wormatlas.org) [CC BY-SA 2.5 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.5) via Wikimedia Commons from Wikimedia Commons

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Kommentare (2)

  1. #1 Sascha
    03/10/2013

    Die Lebewesen dieses Planeten sind nur Überlebens- und Verbreitungsgeräte für die RNA/DNA.

  2. #2 Kassenwart
    03/10/2013

    @Sascha

    Selfish gene ist aber nun wirklich ganz kalter Kaffee.