Über die Notwendigkeit und Effektivität des Impfens habe ich schon und wurde auch in den anderen Scienceblogs schon viel geschrieben und ich betone nochmal, daß ich die Impfung für eine der größten medizinischen Errungenschaften aller Zeiten und ideologisch und/oder religiös geprägte Impfskepsis für ein erhebliches Übel halte. Leider hat Europa derzeit unter einem Impfdefizit zu leiden, das u.a. jener Impfskepsis zu verundanken ist und ich rate jedem/jeder, sich und seine/ihre Kinder zu impfen (wenn es keine zwingenden medizinischen (!) Gründe dagegen gibt).
Eines der Argumente der Impfskeptiker richtet sich gegen die Verwendung von Alaun in Impfstoffen und angeblich damit verbundenen Gefahren. Als Alaun (engl. „Alum“) werden mehrere Arten Aluminium enthaltender Adjuvantien bezeichnet und Adjuvantien wiederum sind Hilfsstoffe, die die Wirkung von z.B. Arzneistoffen verstärken und deshalb mit ihnen zusammen verabreicht werden. Alaun wird als Adjuvans bei Impfstoffen u.a. gegen Hepatitis A, HPV, Diphterie, Tetanus und Keuchhusten eingesetzt und das schon fast unverändert seit den 1920er Jahren. Damals hatten A. Glenny und andere Forscher ’rumprobiert und mehrere Substanzen zur Verbesserung von Impfstoffen ausgetestet und gefunden, daß Aluminiumkaliumsulfat die Immunantwort gegen Diphterie in Meerschweinchen verbesserte. Kurze Zeit später wurde der Stoff auch in Impfstoffen für Menschen eingesetzt und noch heute enthalten zahlreiche Impfstoffe die Alaune Aluminiumhydroxid und Aluminiumphosphat als Adjuvantien. Adjuvantien gewinnen indes immer mehr an Bedeutung, da die Impfstoffhersteller zunehmend stark abgeschwächte Antigene (also z.B. nur noch Teile von Viren statt abgetötete ganze Viren) in den Impfmitteln verwenden, die zwar weniger Nebenwirkungen haben aber eben auch nur eine schwächere Immunantwort provozieren. Genau diese Lücke sollen Adjuvantien füllen, indem sie die initialisierte Immunantwort auf den eigentlichen Impfstoff ordentlich pushen.
Interessanterweise gibt es erst seit sehr kurzem ernstzunehmende Ideen, wie und warum Alaun als Impfadjuvans wirken könnte, nachdem das Forschungsfeld lange Zeit brachlag. Dabei ist Alaun zwar nicht das einzige aber doch weltweit eindeutig am weitesten verbreitete und meistverwendete Adjuvans.A. Glenny hatte damals noch gedacht, daß das Alaun zu einer Depotbildung des Impfstoffs an der Impfstelle und somit einer stetigen und allmählichen Abgabe an den Blutkreislauf führe, wodurch eine längere und stärkere Immunantwort stimuliert werde (Depot-Hypothese). Aktuelle Experimente mit Mäusen haben dies inzwischen jedoch widerlegt. 2007 fand man dann heraus, daß Alaun irgendwie bewirkt, daß dendritische Zellen (das sind sehr wichtige Funktionsträger des Immunsystems) und andere Immunzellen den Botenstoff Interleukin-1b ausscheiden, wodurch die Produktion von Antikörpern angeregt wird. Man vermutete zunächst, daß an diesem Mechanismus das “Inflammasom” beteiligt sei, ein Proteinkomplex im Inneren bestimmter Zellen, der Pathogene und Gefahrensignale (z.B. Harnsäure, die aus verletzten und sterbenden Zellen austritt) erkennen kann. Das Inflammasom reagiert auf solche Signale, indem es Immunzellen zur Bildung von u.a. Interleukin-1b anregt.
Diese Hypothese wurde ein Jahr später auch durch eine Arbeit in Nature von Eisenbarth et al. und später weitere Arbeiten bestärkt, die einen Zusammenhang zwischen dem Inflammasom-Protein “Nalp3” und Alaun aufzeigten. 2009 jedoch erschien eine Arbeit im Journal of Immunology, die diese Ergebnisse in Frage stellte und in der Folge kamen immer mehr Studien heraus, die eine kritische Rolle des Inflammasoms bei der Alaun-vermittelten Immunantwort anzweifelten.
Andere Arbeitsgruppen richteten ihr Interesse daher wieder auf die Wechselwirkung zwischen Alaun und dendritischen Zellen (DC). Man könnte die DC als “Petzen” des Immunsystems bezeichnen, denn nach einer Infektion aber eben auch nach einer Impfung rennen sie gleich zu den T-Helferzellen und melden ihnen, was los ist, indem sie ihnen Stücke der Angreifer oder des Impfstoffs vorzeigen, woraufhin die T-Helferzellen die T-Killerzellen und die Antikörper produzierenden B-Zellen aktivieren.
Die Gruppe um Shi et al. fand nun 2011 heraus, daß Alaun tatsächlich direkt an die Oberfläche, die Membran, von DC bindet und dort bestimmte Lipide verändern kann. Dies scheint die DC zu einer beschleunigten Aufnahme des Antigens anzutreiben, wonach sie sich sofort zum nächsten Lymphknoten begeben und bei den T-Helferzellen Alarm schlagen.
Aber Alaun kann offenbar noch mehr: es tötet Immunzellen ab – man weiß noch nicht, wie es das macht und welche Immunzellen genau es trifft (vermutlich Neutrophile) -, die sich an der Injektionsstelle des Impfstoffes befinden. Neutrophile können ihre DNA ausspeien, um Pathogene darin zu verstricken und Desmet at al. berichteten 2011 in Nature Medicine in einer Studie an Mäusen, daß die losgelassene DNA wie ein Alarmsignal für das Immunsystem wirkt, welches die Antikörperproduktion anregt. Anscheinend stachelt die DNA aus den sterbenden Zellen die DC stark an, die sich daraufhin ungewöhnlich fest an die T-Helferzellen binden und diese feste Bindung führt letztlich zu einer erhöhten Bildung von Antikörpern und damit wirksameren Immunreaktion.
Die verschiedenen Hypothesen zur Wirkung von Alaun passen scheinbar nicht besonders gut zusammen, aber sehr wahrscheinlich wirkt Alaun auch nicht nur auf eine Weise, sondern ruft mehrere unterschiedliche Reaktionen hervor, was auch eine Erklärung dafür ist, warum Alaun ein so gutes Adjuvans ist.
Gut, aber weit entfernt von perfekt, denn Alaun ist sehr schlecht darin, die T-Killerzellen zu aktivieren, die aber gerade zur Bekämpfung von Krankheiten wie Malaria und Tuberkulose entscheidend sind, so daß schon länger nach einem Ersatz für Alaun gesucht wird. Eine Alternative könnte darin bestehen, Alaun mit einer weiteren Komponente zu kombinieren und es gibt bereits einen Impfstoff gegen das HPV, der Alaun und MPL enthält. MPL ist ein modifiziertes Bakterienmolekül, das in seiner Wirkung genau komplementär zu Alaun ist und es daher ideal ergänzen kann. Alaun ist und bleibt also interessant und dürfte uns, auch angesichts seiner Unbedenklichkeit, die in zahllosen Studien nachgewiesen wurde, noch eine ganze Weile erhalten bleiben.
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Bildquellen:
[a] (c) Henry Li; https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/db/AlumCrystal.jpg
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